Wer Slawistik studiert bzw. Bohemistik, Polonistik o.ä. muss sein Studienfach in fast jeder Vorstellungsrunde erklären. Und oftmals wird davon ausgegangen, dass jeder von uns, ich schließe mich als Studentin des Faches ‚Slawische Sprachen‘ mit ein, hauptsächlich Russisch und russische Literatur bzw. Russisch auf Lehramt studiert. Dass die Slawistik aber breiter gefächert ist als viele andere Studienfächer, interessiert nur die wenigsten.
Zugegeben, wer Slawistik in Deutschland studieren will und gerne eine kleine slawische Sprache wie Slowakisch oder Bosnisch lernen möchte, muss bei der Wahl der Universität genau hinschauen. Das Studienangebot schrumpft leider seit Jahren. Das mangelnde Prestige slawischer Sprachen in Deutschland und die falschen Vorstellungen für spätere berufliche Aussichten, machen es dem Fach immer schwerer genug Studierende für einen Studienbeginn zu begeistern. Weniger Studierende heißt weniger Angebot, was automatisch zu immer weniger Studierenden führt und langfristig zur Schließung weiterer Instituten.
Etwa nur 25% aller deutschen Universitäten bieten Slawistik oder ein spezifisches Fach wie Südslawistik oder Slawische Sprachen an. Und die Studiengänge sind sehr klein, haben nur wenige Professuren und bieten meist neben Russisch nur zwei oder drei andere Sprachen an, oft auch nur im Wahlpflichtbereich. Die Dominanz der Russistik wird von vielen Studierenden kritisiert, ist aber meist traditionell in den Universitäten verankert. Und das obwohl seit 2004 viele Ländern mit slawischen Amtssprachen in die EU gekommen sind. Ein Wandel hin zu einer realistischen Abbildung dieser neuen politischen Situation hat bis heute nicht stattgefunden.
Die Ereignisse der letzte zehn Jahre, und besonders der letzten zweieinhalb Jahre, hat uns gezeigt wie wichtig ausgebildete Fachkräfte im Bereich der slawischen Kulturen und Sprachen sind. Jedoch stammen die meisten ‚Experten‘ aus dem Bereich der Politik, Geschichte oder Wirtschaftswissenschaften. Doch wer kennt sich in dem slawischen Kulturkreis am besten aus? Genau, die Slawist*innen.
Aber warum sieht man uns so selten in öffentlichen Debatten, Talkshows etc.? Weil wir meist nur als Literatur- und allenfalls noch als Sprachwissenschaftler*innen gesehen werden, die wenig Ahnung von Politik oder Wirtschaft haben. Das ist ein Trugschluss! Viele Slawist*innen haben genauso Ahnung von Literatur wie von Kultur oder Ethnografie, je nach Studienspezialisierung.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Ereignisse seit 2014 haben die das Interesse vieler auf sich gezogen, beschränkt sich aber meist auf eine kurze Zeit. Egal, wie dieser Krieg ausgeht, wir werden Menschen brauchen, die sich mit den Ereignissen auseinandersetzen, sie in allen Facetten aufbereiten und in die Welt hinaustragen.
Das Europa, von dem viele junge Menschen träumen, braucht Slawist*innen, die diese Verbindung zwischen den Ländern fördern und das auch in der Lehre, auf Schul- und Universitätsebene, weitergeben!