Josef Dobrovský

Die tschechische Sprache hat im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen durchgemacht. Die fremden Einflüsse, vor allem aus dem Deutschen, sind häufig sichtbar. Doch das heutige Tschechisch wurde Ende des 18. Jahrhunderts von dem Theologen und Philologen Josef Dobrovský geprägt. Zusammen mit Josef Jungmann und Jan Kollár gilt Dobrovský als Begründer der slawistischen Wissenschaft und der heutigen tschechischen Schriftsprache.

Josef Dobrovský wurde am 17. August 1753 in Jahrmarkt (ung. Balassagyarmat) im heutigen Ungarn geboren. Er wuchs in Böhmen auf und besuchte dort hauptsächlich deutschsprachige Schulen. Nach der Schule begann er 1768 ein Studium der Philosophie an der Karls-Universität in Prag. Nach dem Studium trat Dobrovský 1772 in den Orden der Jesuiten ein, der aber ein Jahr später von Kaiser Joseph II. im Zuge einiger Reformen aufgelöst wurde. Während der Ordenszeit begann Dobrovský Theologie in Prag zu studieren. Das Studienfach befand sich durch die Reformen des Kaisers im Umbruch, viele alteingesessene Professoren musste die Universität verlassen. Nach dem Studium arbeitete Dobrovský als Lehrer bei einer Adelsfamilie.

Seine geplante Priesterweihe wurde ihm zuerst verweigert, erst 1786 konnte er sie empfangen und arbeitete dann für kurze Zeit als Rektor des Priesterseminars im Kloster im Kloster Hradisko bei Olomoc. Doch auch dieses Kloster wurde 1790 aufgelöst und dem Staat unterstellt, sodass Dobrovský nach Prag zurückkehrte, wo er als Privatlehrer arbeitete. Die Rückkehr an die Universität erwies sich als schwierig. Er forschte privat in den Bereichen Geschichte und slawische Sprachen, publizierte seine Erkenntnisse und war Gründungsmitglied der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften.

Durch das Studium und persönliche Interessen sprach er neben Hebräisch, viele slawische und auch einige orientalische Sprachen. Er schrieb zu Beginn seiner Forschungen vor allem in Latein und Deutsch, erst viel später in Tschechisch. Für die tschechische Sprache waren seine Studien der Kralitzer Bibel und der Grammatik des Tschechischen herausragend und bilden noch heute die Basis der tschechischen Sprache. Wie damals nicht unüblich überschnitten sich die Forschungsbereiche Dobrovskýs, was sich in seinen Veröffentlichungen zeigt. Seine Interessen waren weit verstreut, er korrespondierte mit unterschiedlichsten Gelehrten. Vor allem der Einfluss auf die Nationalbewegungen bzw. die anderen slawischen Nationalsprachen wie des Ukrainischen oder des Sorbischen gilt als wichtiger Impuls seinerseits über das Tschechische hinweg.

Dobrovskýs erste Veröffentlichung unter dem Titel „Pragische Fragmente hebräischer Handschriften“ erschien schon 1777, weitere vor allem theologische Schriften folgten, die von der Kirche nicht immer gerne gesehen waren. Später wandte er sich verstärkt der tschechischen Sprache zu, gab eine Zeitschriften heraus, schrieb Grammatiken, Wörterbücher und Werke über die tschechische Geschichte.

Besonders die Zeit Ende des 16. Jahrhunderts sah Dobrovský als wichtigste Phase des Tschechischen an. Und obwohl er meist auf Deutsch schrieb, träumte er davon, dass Tschechisch als Amtssprache innerhalb der Habsburger Monarchie anerkannt wird.

Im mittleren Erwachsenalter erkrankte Dobrovský, wahrscheinlich eine bipolare Störung, weswegen er einige Zeit in einem Krankenhaus behandelt wurde. Er zeigt oft seltsame Verhaltensweisen, schrieb kryptische Briefe und entwickelte eine Obsession für die Farbe Blau. Sein früherer Schüler Bedřich Nostic nahm ihn bei sich auf. Trotz politischer und gesundheitlicher Probleme unternahm Dobrovský Studienreisen nach Schweden, Deutschland, Russland uvm., wo er sich vor allem mit slawischen Studien und Archivarbeiten beschäftigte.

Josef Dobrovský starb am 6. Januar 1829 aufgrund einer Lungenentzündung, die er sich auf einer Reise nach Brünn zuzog. Er ruht heute auf dem Zentralfriedhof in Brünn.

Quellen

Wirtz, Markus. Josef Dobrovský und die Literatur. Dresden Univ. Press, 1999

Sturm, Heribert (Hrsg.). Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder. R. Oldenbourg Verlag. München Wien 1979

Rusinisch

Das Rusinische und seine Dialekte reichen weit in die Geschichte zurück. Die politischen Gegebenheiten und die Beeinflussung durch die umliegenden Kontaktsprachen prägten die Entwicklung der Dialekte.

Je nach Literatur wird Rusinisch entweder als Ruthenisch, als ukrainischer Dialekt oder als eigene Sprache innerhalb der ostslawischen Sprachfamilie bezeichnet. Wir gehen in diesem Artikel von der Definition von Marc Stegherr aus, der Rusinisch als Oberbegriff für eine ganze Dialektgruppe verwendet, gesprochen in den Karpaten (Karpato-Rusinisch), in Polens Südosten (Lemkisch), im Nordosten der Slowakei und in den angrenzenden Gebieten der Ukraine, im Norden Ungarns und Rumäniens und einer zweiten Dialektgruppe in Serbien und Kroatien (Vojvodina-Rusinisch). An dieser Aufzählung erkennt man, dass das rusinische Sprachgebiet zwar zusammenhing, aber durch verschiedenen Territorialstaaten politisch keine Einheit bildete. Die Entstehung der Dialekte wurde dadurch begünstigt.

Die Zahl aller heutigen Sprecher:innen lässt sich nicht genau sagen. Die Anerkennung als ethnische Minderheit und der damit verbundene Schutz der Sprache, ist nicht in allen obengenannten Ländern gegeben. Vorsichtige Schätzungen gehen von insgesamt 1,5 Millionen Sprecher:innen aus, wobei in dieser Schätzung auch emigrierte Sprecher:innen miteinbezogen sind.

In Serbien besitzt Rusinisch den Status als Amtssprache (in der Provinz Vojvodina), in Polen und der Slowakei Minderheitensprachenstatus und in der Ukraine den Status einer Regionalsprache. Die Versuche Rusinisch zu kodifizieren, brachten der Sprache den Namen der „jüngsten slawischen Standardsprache“ ein. Je nach Land gelten eventuell andere sprachliche Regeln.

Die Stärkung der rusinischen Sprache nach 1989 in Form von neuen Lehrbüchern, Vereinheitlichung der Orthographie oder dem Verfassen von Grammatikwerken usw. hat ein neues Bewusstsein geschaffen, das das Interesse an rusinischen Publikationen förderte. In den rusinischsprachigen Regionen entstanden Zeitungen und immer mehr Publikationsanteile in Verlagen.

Geschrieben in kyrillischer Schrift, mit graphematischen Besonderheiten je nach Region, verfügt das Rusinische über sieben Kasus und drei Genera, typisch für ostslawische Sprachen. Die Deklinationsendungen der Dialekte weichen oft voneinander ab bzw. man erkennt den Einfluss der Kontaktsprachen. Alle Varianten in den Dialekten aufzulisten, würde den Rahmen sprengen. Wer aber Lust hat sich da genauer einzuarbeiten, dem empfehle ich den Artikel von Marc Stegherr, der in den Quellen aufgeführt ist. Man kann aber zusammenfassend sagen, dass das Rusinische als slawische Sprache die meisten typisch slawischen Eigenschaften wie z.B. die Aspektkategorie aufweist. Die Verben entwickelten durch die Nähe zu entweder westslawischen oder ostslawischen Kontaktsprachen analytische als auch synthetische Formen z.B. beim Futur oder Perfekt. Diese Mischung aus west- und ostslawischen Merkmalen machen eine genaue Einteilung des Rusinischen schwierig.

Der Wortschatz ist vor allem durch die Nachbarschaft zu anderen Sprachen reich an „fremden“ Elementen. Dazu zählen, immer ortsabhängig, viele Germanismen und Magyarismen z.B. ungarisch város‘ →‘варош‘ – ‚Stadt‘ oder deutsch ‚Dreschflegel‘ → ‚таршка‘. Auch serbische und kroatische Entlehnungen finden sich z.B. ‚кафана‘- ‚Wirtshaus‘.  Doch vor allem der serbische und kroatische Einfluss zeigt sich auch in Morphologie und Syntax, beispielsweise in der Verbpräfigierung oder die Verwendung von Kopulakonstruktionen. Der heutige englischsprachige Einfluss ist wie bei anderen Sprachen ein modernes Phänomen.

Die Möglichkeit Kinder und Jugendliche in rusinischer Sprache zu unterrichten, entspricht einer modernen Sichtweise auf kleinen Sprachen, die neben der Sprache selbst auch Kulturschätze mitbringen und für Vielfalt in den jeweiligen Ländern sorgen.

Quellen

Duličenko, Aleksandr D. Das Russinische. In: Einführung in die slavischen Sprachen. Hrsg. Peter Rehder. Darmstadt 1998.

Stegherr, Marc. Rusinisch In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Hrsg. Miloš Okuka. Klagenfurt 2008

Sprachenkarte: Slawische Sprachen. In: eeo.uni-klu.ac.at, abgerufen am 4. Mai 2019

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Plón – der sorbische Drache

In der slawischen Mythologie kommen Drachen häufig vor. Sie sind aber keine slawische Erfindung. Das Wort Drache kommt vom Griechischen ‘drakōn’- ‘Schlange’, über das Lateinische ‘draco’ in unseren (deutschen) Wortschatz.

Drachen sind in der Mythologie nicht per se böse. Sie treten in unterschiedlichen Gestalten auf, manche können fliegen oder Feuer spucken. Bekannt sind z.B. die Schlange Nidhöggr aus der nordischen Sagenwelt oder der Drache aus dem Nibelungenlied, der einen Schatz hütet. In diesen Fällen nehmen die Menschen die Drachen als böse wahr. Die Angst vor ihnen ist allgegenwärtig und die Menschen trachten Drachen oft nach dem Leben, wenn sie sich in der Nähe von Siedlungen aufhalten. Durch Opfergaben wie Nahrung ist es möglich die Drachen milde zu stimmen, so dass sie die Menschen in Ruhe lassen.

Die Niedersorben, ein westslawisches Volk in der Niederlausitz, kennen viele Geschichten über Drachen. Bei ihnen heißt er Plón (andere Schreibweise Plon) und ist eigentlich ein positiv besetztes Wesen, anders als beispielsweise der Wawel-Drache aus Krakau. Der Plón kann fliegen und ist in der Lausitz auf Wanderschaft. Geschichten erzählen, dass man ihn manchmal in den Abendstunden am Himmel sehen kann, wenn er auf der Suche nach einer Bleibe ist.

Der Plón gilt als Hausgeist, der durch den Schornstein auf den Dachboden oder in die Scheune fliegt und sich von den Menschen versorgen lässt. Sein Lieblingsessen ist Hirsebrei, was die Menschen ihm in einer Schüssel hinstellen, um ihn freundlich zu stimmen. Versorgt man den Plón gut, d.h. füttert man ihn regelmäßig, dann beschert er dem Haus Reichtum und Wohlstand. Doch dieser Reichtum währt nur so lange wie man sich gut um den Drachen kümmert. Verärgert oder vernachlässigt man ihn, nimmt er alles wieder mit, was er gebracht hat.

Aber der Plón bringt nicht nur Geld. Er sorgt auch für viel Getreide oder dafür, dass die Kühe oder Ziegen viel Milch geben. Logischerweise sollten die Menschen, bei denen er lebt, ihn gut behandelt, wenn sie ihren Reichtum nicht verlieren wollen. Aber einige Geschichten erzählen von genau dieser Schwäche der Menschen. Sie wissen nicht, dass der Plón ihnen den Reichtum wieder wegnimmt, wenn sie ihn schlecht behandeln. Und wird er schlecht behandelt, kehrt er nicht mehr zurück.

Eine Geschichte berichtet von einem Bauern, der den Plón mit einer List aus dem Haus treiben wollte. Er hing einen Strumpf auf den Dachboden, der ein großes Loch hatte und befahl dem Drachen ihn zu füllen. Es werde erst wieder Futter geben, wenn der Strumpf gefüllt sei. Der Plón durchschaute die List und verließ das Haus des Bauern mit allem Geld.

Man erkennt in der Geschichte sehr gut den moralischen Wert, den Sagen und Legenden meist mit sich tragen. Auf der gegenseitigen Hilfe basiert eine funktionierende Gemeinschaft, denn früher mussten die Menschen sich oft gegenseitig aushelfen.

Die Faszination für Drachen füllt bis heute die Seiten vieler Bücher und manchmal überlebt die Legende auch in Ortsnamen. Der kleine Ort Drachhausen im Landkreis Spree-Neiße im Bundesland Brandenburg ist stolz auf „seinen“ Drachen. Er weilt als Skulptur auf dem Dorfanger und ziert sogar das Drachhausener Wappen. In der Geschichte des Ortes heißt es, dass er bei einem Bauer lebte, dessen Frau den Brei des Drachen verbrannte, worauf der Drache den Hof und die Kirche des Ortes zerstörte.

Dieses Gleichgewicht von Gut und Böse ist ein typisches Motiv in der Mythologie. Verschiedene Taten fallen immer wieder auf uns zurück. Tun wir Gutes, widerfährt uns Guten und umgekehrt. Welches Kind ist nicht voller Ehrfurcht, wenn es an die Geschichten mit Drachen denkt. Der erzieherische Charakter schwingt immer mit.

Die Faszination für diese mythischen Wesen bleibt uns erhalten, ob wir an ihre Existenz glauben oder nicht, spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Quellen

Schneider, Erich (Hrsg.). Sagen der Lausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 1982

Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1993

Mähren

Wenn man sich heute eine Landkarte von Tschechien anschaut, erkennt man drei unterschiedlich große Teile: Schlesien, Böhmen und Mähren.

Mähren, tschechisch Morava, liegt im Osten, hat eine kurze Grenze zu Polen im Norden. Im Süden und im Osten verläuft die Grenze zu Niederösterreich bzw. der Slowakei. Die größten Städte sind Brno (Brünn), Olomouc (Olmütz) und Zlín (Zlin).

Die Wirtschaftskraft liegt vor allem in der Industrie (u.a. Stahl, Bergbau und Chemie), deren wichtigster Partner die Länder der EU sind. Große Flächen werden landwirtschaftlich genutzt. Außerdem ist Mähren für seinen Weinanbau bekannt.

Die Besiedlung Mährens reicht weit zurück, die ersten archäologischen Spuren weisen auf alte Siedlungen, datiert auf 5000 v.Chr., hin. Bis heute hat man mehrere hunderte Siedlungen aus verschiedenen Zeiten identifiziert. Ab dem 6. Jahrhundert n.Chr. siedelten dort die Namensgeber der Region, die Mährer, ein westslawischer Volksstamm.

Um 800 herum entstand ein mährisches Fürstentum, was über die Zeit immer wieder in Konflikte mit den Ungarn und Böhmen verwickelt war. In dieser Zeit brachten die bekannten Missionaren Kyrill und Method das Christentum nach Mähren und 955 kam es unter böhmische Herrschaft, als Teil des späteren böhmischen Königreiches. Seit diesem Zusammenschluss gilt Mähren als historische fest verbundene Einheit mit Böhmen, was für die Staatsgründung Tschechiens ein wichtiges Kriterium darstellte.

Verschiedene Herrscher überzogen die mährischen Lande mit Krieg, es gab Herrscherwechsel und schließlich fiel zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Gebiet durch Krieg und strategische Hochzeiten an die Habsburger, die es bis zum Ende des ersten Weltkrieges 1918 regierten.

Die Reformation im 16. Jahrhundert erfasste große Teile Mährens. Nicht nur der protestantische Glauben, sondern auch die Täuferbewegung wurde von vielen Menschen angenommen, was zu blutigen Auseinandersetzungen, Vertreibungen und Auswanderungen führte. Der aus Nikolsburg stammende Balthasar Hubmaier gilt als Begründer der mährischen Täufer. Nachfahren dieser Täufer leben bis heute in Kanada und den USA. Ähnlich verfolgt wurden auch die mährischen Juden, denen zahlreichen Repressalien z.B. das Wohnen in bestimmten Stadtteilen auferlegt wurden.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 gründete sich die Tschechoslowakei, in das auch Mähren eingegliedert wurde. Die dort lebenden deutschstämmigen Menschen erhielten die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Die Nationalsozialisten erklärten Mähren nach der Annexion und Besetzung 1939 zum deutschen Gebiet, die Deutschstämmigen wechselten wieder die Staatsbürgerschaft. Nach 1945 wurden die meisten Deutschen aus Mähren vertrieben, eine kleine Gruppe z.B. Ehepartner aus tschechisch-deutschen Ehen durften bleiben. Die deutsche Minderheit macht heute nicht mal ein Prozent der tschechischen Bevölkerung aus.

Die Mährer als westslawischer Volksstamm sind vollständig in der tschechischen Nation aufgegangen, doch noch heute bezeichnen sich mehr als eine halbe Million Menschen dem mährischen Volk zugehörig. Die mährischen Dialekte, die sich teilweise deutlich vom Standardtschechischen unterscheiden, werden in drei Dialektgruppen eingeteilt: Mittel-, Ost- und Nordmährisch.

Das Wappentier Mährens ist der Mährische Adler, der im 13. Jahrhundert erstmalig erwähnt wird, im Siegel Přemysls von Mähren. Im Wappen Tschechiens ist er mit den Wappen der anderen beiden Landesteile zu sehen.

Quellen

Prinz, Friedrich. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Böhmen und Mähren. Siedler. Berlin 1993

Schacherl, Lillian. Mähren. Prestel. München/New York 1998

Russenorsk

Sprache ist allen Menschen zueigen, egal woher sie stammen. Treffen sich Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, aber ein gemeinsames Ziel oder Anliegen haben, entwickeln sie oft kreative Lösungen sich zu verständigen. Eine dieser Lösungen ist eine Pidginsprache, die zum Ende des 18. Jahrhunderts im Grenzgebiet zwischen Norwegen und Russland entwickelte: Russenorsk (dt. Russennorwegisch).

Eine Pidginsprache ist eine Mischsprache, (meist) aus zwei Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien. Die Notwendigkeit zur Kommunikation der Sprecher:innen ergibt eine reduzierte Sprache, mit angepasster Lexik und sehr vereinfachter Grammatik. Genaueres zur Entstehung und Systematik von Pidginsprachen findet ihr im Artikel Pidgin und Kreol – Sprachen oder Kopien?.

Der Handel zwischen Norwegen und Russland im arktischen Gebiet, rund um Spitzbergen, der Halbinsel Kola und der Finnmark (siehe Bild) machte eine Verständigung nötig, doch keine der beiden Seite lernte die Sprache der anderen vollständig.

In dem vegetationsarmen und schwer zugänglichen Gebiet entstand ein reger Handel mit Fisch und landwirtschaftlichen Produkten, vor allem in den Sommermonaten. Ab 1782 war durch ein Abkommen zwischen Norwegen und Russland sogar der zollfreie Handel zwischen den Ländern möglich, der zur schnellen Entstehung des Russenorsk führte. Schon drei Jahre später tauchten in Protokollen die ersten Wörter dieser Pidginsprache auf. Sie verbreitete sich mit der Errichtung von Handelsstützpunkten immer weiter.

Mit der Revolution 1917 in Russland und der Verschlechterung der Beziehungen riss der Handel ab, was eine Benutzung des Russenorsks überflüssig machte. Die wenigen Zeugnisse aus dieser Zeit geben Einblicke in die Struktur und den Wortschatz des Pidgins.

Anders als z.B. das englisch dominierte Pidgin Tok Pisin, weist Russenorsk gleiche Anteile von Norwegisch und Russisch auf. Man kann davon ausgehen, dass die Gleichwertigkeit der Handelspartner ein Grund dafür ist.

Neben dem verwendeten Wortschatz aus dem Norwegischen und Russischen, hat Russennorsk auch kleinere Einflüsse aus dem Samischen (das die Samen auch auf diesem Gebiet leben), Deutschen, Englischen und Niederländischen, was durch andere Handelskontakte und die verschiedenen Nationalitäten der Schiffsbesatzung zustande kam. Welche Seite welche anderssprachigen Einflüsse eingebracht hat, lässt sich nicht genau sagen. In den schriftlichen Quellen ist vor allem Lexik (ca. 200 Wörter) für Werkzeuge, Waren und einige Sätze erhalten.

Die Aussprache des Russenorsks musste sich an die Muttersprache der Sprecher:innen anpassen. Das fehlende /h/ wurde so kurzerhand zu /g/ (hav → gav – „Meer“), das /x/ zu /k/ (xorošo → korošo –„gut“) und die Konsonantenhäufungen mit Vokalen gespickt (mnogo li → zu nogoli -„viele“). Fehlende bzw. nichtnotwendige Wörter werden oft umschrieben, z.B. paa kjerka vaskom – auf Kirche waschen, bedeutet ‚taufen‘.

Die Morphologie ist auf ein Minimum reduziert: es gibt keine Pluralform, keine Tempora und die Verbflexion wird durch das Voranstellen eines Personalpronomens vereinfacht.

Wie bei anderen Pidgins ist auch die Syntax reduziert. Da beide Sprachen eine SVO-Wortfolge (Subjekt-Prädikat-Objekt) haben, wurde diese beibehalten, die aber z.B. in Fragen durch SOV erweitert wurde. Verben wie Kopulaverben und Präpositionen fehlen weitgehend, es sei denn sie existieren in beiden Sprachen wie die Präposition ‚po‘.

Die Forschung kann leider nicht mehr auf Sprecher:innen des Russennorsk zurückgreifen, Tonaufnahmen wurden nicht gemacht, das Interesse war damals einfach nicht vorhanden. Das Spannende an dieser Pidginsprache ist vor allem die Fähigkeit der Menschen ihren Willen nach Verständigung auch unter widrigen Umständen zu ermöglichen.

Quellen

Neumann, Günter. Russennorwegisch und Pidginenglisch. Beobachtungen zum Bau von Behelfssprachen. In: Nachrichten der Giessener Hochschulgesellschaft. Band 34, 1965

Hirnsperger, Markus. „Pidgin-Russisch“ – Am Beispiel von „Russenorsk“ Onlinezugriff: http://www.sub-arctic.ac.at/?s=russenorsk&op.x=-1245&op.y=-756

Die Warschauer Seejungfer

Warschau, die Hauptstadt Polens, liegt an der Weichsel (poln. Wisła), deren Lauf sich bis zur Ostsee fortsetzt. Damit eignete sie sich hervorragend als Wirtschaftsweg für allerlei Waren. Und es verwundert daher auch nicht, dass im Stadtwappen von Warschau ein Wasserwesen zu finden ist: Die Warschauer Seejungfer (poln. Warszawska Syrenka).

Sie ist nicht nur Teil des Wappens, sondern auch die Schutzpatronin der Stadt. Um ihre Herkunft und Bedeutung ranken sich zahlreiche Legenden. Die Anfänge Warschaus reichen bis ins 9. Jahrhundert zurück, die erste Erwähnung eines Stadtwappens mit der Seejungfer als Motiv im Jahr 1390. Jedoch sah sie damals einem Fischwesen noch nicht ähnlich, eher ein Drachenwesen mit Flügeln. Auf manchen Abbildungen erscheint die Figur als Mann mit nacktem Oberkörper, doch etwa 150 Jahre später bekommt sie ihren Fischschwanz und eindeutig weibliche Merkmale, die sich über die Jahrhunderte nur noch unwesentlich verändern. Als Schutzpatronin ist sie mit Schild und Schwert ausgestattet. Wenn man in Warschau unterwegs ist, kann man mehrere Statuen sehen u.a. eine von Konstanty Hegel geschaffene auf dem Altstadt-Marktplatz von 1855, eine am Markiewicz-Viadukt (siehe Bild oben) von 1905 und eine von 1939, die am linken Weichselufer steht. An der Zahl kann man gut erkennen wie wichtig den Warschauer*innen ihre Syrena ist.

Verschiedene Legenden sind überliefert, wie die Warschauer Seejungfer nach Warschau gekommen ist, so ganz sicher kann man nie sein. Eine Legende besagt, dass Fischer sie im Fluss gefangen haben und mit in die Siedlung nahmen. Aber durch den Gesang konnte die Seejungfer die Menschen überzeugen sie wieder freizulassen. Da drängt sich schnell der Vergleich mit der Loreley oder den Sirenen der griechischen Mythologie auf, die ebenfalls wunderschön singen können. Eine andere Legende berichtet, dass es zwei Seejungferschwestern gab, die im Meer lebten. Eine blieb in der Ostsee bzw. auf einem Felsen in Kopenhagen, die zweite schwamm in die Weichselmündung hinein und bis zur Siedlung des heutigen Warschaus. Sie wollte sich dort ausruhen, fand aber Gefallen an dem Ort, blieb und wurde Stadtpatronin.

Solche Mischwesen, wie die Sirene oder Seejungfer, sind in fast allen Kulturen bekannt. Je nach Ursprung werden ihr gute oder böse Eigenschaften bzw. magische Kräfte zugesprochen, von denen sich die Menschen mitunter Hilfe versprechen. Die häufige Darstellung in Wappen o.ä. zeigt die Faszination für Fabelwesen, vor allem für weibliche. Ein männliches Gegenstück zur Seejungfer ist der Wassermann, der in zahllosen Geschichten auftritt.

Meer- oder Seejungfrauen wirken oft hilfsbedürftig oder sind mit einem Bann belegt, den nur ein tapferer Mann lösen kann, die sogenannte Erlösungsbedürftigkeit. Sirenen dagegen werden als eher böse und listig beschrieben, die Seeleute oder Fischer in den Tod schicken, in dem sie z.B. singen oder andere Versprechungen machen, siehe Loreley oder die Sirenen bei Odysseus. Im osteuropäischen Raum kennt man auch die Rusalky, die Schiffe oder Brücken zerstören und die Vily, die gut oder böse sein können.

Ob zu Ehren der Warszawska Syrenka oder der Schönheit des Namens wegen, wer weiß, haben die Polen ein Auto „Syrena“ genannt, dass in Warschau gefertigt wurde.

Quellen

Hinz, Berthold. Sirenen. In: Maria Moog-Grünewald (Hrsg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart. Metzler, Stuttgart/Weimar 2008

Warschauer Seejungfer | Stadtführer Warschau (stadtfuehrer-warschau.com)

Bild: Von Szczebrzeszynski – https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11956819

Jan Matejko

Polen verfügt über eine lange Geschichte und dank eines Mannes ist diese Geschichte auch in über 300 Ölgemälden festgehalten: Jan Matejko, der polnische Meistermaler.

Jan Alojzy Matejko war der Sohn eines nach Galizien eingewanderten Tschechen und wurde am 24. Juni 1838 in Krakau als neuntes von elf Geschwistern geboren. Seine polnisch-deutsche Mutter starb, als Matejko neun Jahre alt war. Der frühe Verlust prägte seine Kindheit, sein Vater erzog alle seine Kinder streng. Die Leidenschaft seines Sohnes für die Kunst lehnte er ab. Matejko zeigte für die Schule kaum Begeisterung, zum Ärger seines Vaters. Mit vierzehn Jahren begann er ein Studium an der Kunsthochschule Krakau (heute die Akademia Sztuk Pięknych im. Jana Matejki ). 1858 bekam er ein Stipendium und ging an die der Akademie der Bildenden Künste in München, wo er seine Leidenschaft für die historische Malerei entdeckte und sich dahingehend weiterentwickelte. Er hatte zwar schon vorher kleinere historische Gemälde gemalt, aber die produktive Phase begann in München. Es folgte ein kurzer Aufenthalt in Wien 1860, jedoch kehrte Matejko schnell nach Krakau zurück. Als Broterwerb schuf er einige Werke wie Die Vergiftung der Königin Bona (poln. Otrucie królowej Bony), das er schon in München begonnen hatte, oder Kleidung in Polen (poln. Ubiory w Polsce), eine Sammlung von zehn lithografischen Tafeln, die die historische Kleidung der Jahrhunderte zeigt. Eins seiner bekanntesten Werke malte er 1862 mit gerade mal 24 Jahren: Stańczyk.

Am 21. November 1864 heiratete Matejko Teodora Giebułtowska, mit der er fünf Kinder hatte, von denen die jüngste Tochter kurz nach der Geburt verstarb. Teodora saß viele Male Modell für ihn, sie war eine resolute Frau und forderte viel Aufmerksamkeit von ihrem Mann. Obwohl er zeitlebens schlecht sah, schuf er unzählige Gemälde, die die polnische Geschichte als Motiv zeigen. Alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, aber einige der bekanntesten sind: Stańczyk 1862, Die Lubliner Union (poln. Unia lubelska) 1869, Die Schlacht bei Grunwald (poln. Bitwa pod Grunwaldem) 1878, Die Verfassung vom 3. Mai 1791 (poln. Konstytucja 3 Maja 1791 roku) 1891 u.v.m.

Neben seiner Malerei arbeitete er seit 1873 als Direktor der Akademie der Schönen Künste in Krakau (die später nach ihm benannt wurde). Zu seinen Schülern zählte u.a. Stanisław Wyspiański, ein weiterer bekannter polnischer Künstler.

So erfolgreich Matejko in der Kunst war, so schlecht lief es anfangs finanziell. Er verkaufte seine Werke oft zu sehr günstigen Preisen, die seinen Lebensstandard kaum deckten, und spendete große Summen für wohltätige Zwecke. Erst als er Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften erhielt, die die Preise für seine Arbeiten steigen ließen, war er finanziell abgesichert. Trotz des Ruhmes lebte er zurückgezogen und scheute die großen Auftritte. Stattdessen widmete er sich der Pflege der Krakauer Denkmäler.

Als hochangesehener Mann und Künstler verstarb er am 1. November 1893 in Krakau. Zu seiner Beerdigung geleiteten ihn viele Krakauer und die Zygmunts-Glocke, der er auch ein Gemälde gewidmet hatte, läutete.

Matejko gilt als der größte Maler Polens, was vor allem an seinen Motiven liegt. Er war ein glühender Patriot, trotz seines tschechischen Vaters sah er sich als Pole und wollte mit seiner Malerei die Geschichte Polens festhalten. Seine Werke zeigen die großen Momente Polens, die die Menschen als Nation zusammenschweißen und vereinen sollen. Viele andere schrieben über Polens Geschichte, Matejko malte sie. Von seinen Kritikern wird ihm historische Ungenauigkeit vorgeworfen. Seine Art historische Ereignisse darzustellen, erlaubt ihm in seinen Augen auch eine gewisse Freiheit in der Gestaltung z.B. beim Aussehen der Figuren u.a. Fakten, die nicht belegt sind oder unerwähnte Ort, lässt er in seinen Darstellungen aus. Man könnte auch sagen, seine Bilder sind sehr dramatisch, gefüllt mit Pathos und vielen Details. Schließlich sind es historische Bilder. Wie würden sie wirken, wenn sie kühl und wenig authentisch gemacht wären? Auch die weniger überladenen Gemälde wie Portraits zeichnen sich durch Detailverliebtheit für Kleidung, Möbel im Hintergrund usw. und den Hang zur realistischen Darstellung der Personen aus. Matejko legte großen Wert auf die Charakterzüge seiner Figuren, realisiert durch Ausdrucksstärke und Technik.

Um seine Bilder zu sehen, muss man in viele verschiedene Städte, meist in Polen, wie Warschau oder Krakau fahren. Einige Bilder sind leider verschollen z.B. König Władysław IV. in Smolensk 1892.

Quellen

Serafińska, Stanisława. Jan Matejko: Wspomnienia rodzinne. Wydawnictwo Literackie, Kraków,1958.

Słoczyński, Marek Henryk. Matejko Wydawnictwo Dolnośląskie. Wrocław, 2000.

Romani

Von den vier anerkannten Minderheitensprachen in Deutschland ist Romani die unbekannteste im Bewusstsein der Menschen. Genaue Sprecherzahlen gibt es für Deutschland nicht, aber Schätzungen gehen von mindestens hunderttausend Menschen aus, die Romani als Muttersprache sprechen. Die insgesamten Sprecherzahlen werden auf mindestens vier Millionen weltweit geschätzt.

Romani ist eine Sprache aus der Familie der indoarischen Sprachen, der z.B. Sanskrit und Bengali angehören. Häufig wird Romani, aufgrund der lautlich zufälligen Ähnlichkeit, mit den romanischen Sprachen gleichgesetzt. Die Ursprünge liegen aber ganz woanders, nämlich in Indien. Linguistische Vergleiche mit den indoarischen Sprachen stoßen immer wieder auf Schwierigkeiten in der Klassifikation, denn es lässt sich keine genetisch eng verwandte Sprache des Romani in Indien finden. Die vielen Einflüsse anderer Sprachen könnte eine mögliche Erklärung sein, aber auch die vielen Dialekte des Romani und das Fehlen einer Standardschriftsprache.

Die verstreut lebenden Romanisprecher*innen haben im Laufe der Zeit zahlreiche Dialekte entwickelt, sodass eine Verständigung mitunter nicht bzw. nur schwer möglich ist. Dem deutschen Linguisten Norbert Boretzky zufolge gibt es zwei Hauptdialektzweige, Nord-Romani-Dialekte und Vlax-Romani, die sich wiederum in zahlreiche lokale Varianten aufspalten. Einflüsse der Kontaktsprachen sind sicherlich ein Aspekt der Dialektentwicklung und vor allem die räumliche Trennung voneinander. In vielen Roma-Gemeinschaften wurden Ehen untereinander geschlossen, sodass es wenig Durchmischung der Dialekte gab.

Forschungen zum Romani müssen immer bemüht sein die Einflüsse auf die Sprache korrekt zu erkennen, um die Strukturen der ursprünglichen Sprache zu erkennen, denn diese lassen sich trotz jahrhundertelangem Einfluss noch in allen Dialekten erkennen. Die fehlende Verschriftlichung ist jedoch ein großes Problem. Neuere Versuche eine Standardschrift zu etablieren, helfen der Forschung nur bedingt. Gerade bei phonologischen Fragen sind die Einflüsse der Kontaktsprachen schwer zu isolieren. Man geht aber davon aus, dass z.B. vorkommende Vokallängenunterschiede aus dem Slawischen und Ungarischen übernommen wurden, genauso wie die Verwendung zentraler Vokale wie [ə] aus dem Deutschen (z.B. das unbetonte /e/ in ‚Hase‘) oder Rumänischen.

Romani ist stark flektierend und die grammatische Kategorien werden durch zahlreiche Suffixe realisiert. Jedoch zeigen sich vielfach Unterschiede zwischen Wörtern aus Erb- und Lehnwortschatz. Es gibt zwei Numerus, Singular und Plural. Außerdem findet man acht Kasus, was eher ungewöhnlich für diese Sprachfamilie ist, daher vielleicht als Neustrukturierung anzusehen sein sollte, genauso wie die Verwendung von Artikeln (am wahrscheinlichsten ist hier der griechische Einfluss).

Der Erbwortschatz wurde durch die vielen lexikalischen Entlehnungen aus den Kontaktsprachen immer kleiner, heute geht man von etwa 700 Wörtern aus, die ursprünglicher Natur sind. Dazu kommen Entlehnungen aus dem Iranischen, Griechischen und wesentlich kleinere Anteile aus den anderen Kontaktsprachen. Der Erbwortschatz umfasst vor allem Basiswörter der Wortfelder Familie, Tiere und Körper. Funktionswörter wie Pronomina oder Präpositionen weisen alte sowie neue Herkunft auf.

Die im letzten Jahrhundert verstärkten Versuche einer Standardisierung der Sprache bzw. die Schaffung einer einheitlichen Schrift haben bisher noch nicht zu allgemeiner Akzeptanz geführt. Romani kann in verschiedenen Schriften geschrieben werden, je nach Gebiet. Die Schwierigkeit ist dabei die Phonem-Buchstaben-Zuordnung der einzelnen Schriften z.B. Lateinisch, Kyrillisch oder auch Devanagari.

In Deutschland ist Romani als Minderheitensprache besonders geschützt. Aber anders als die anderen Minderheitensprachen wie Sorbisch oder Friesisch konzentrieren sich die Sprecher*innen des Romani nicht auf eine bestimmte Region, so dass eine Förderung der Sprache auf lokaler Ebene schwer möglich ist. Dazu kommt, dass das Prestige der Sprache durch jahrhundertelange Abwertung und Diskriminierung ihrer Sprecher*innen stark gelitten hat. Es gibt zwar Verbände, die sich für die Sprache und die Kultur des Romani einsetzten, aber ihre Sichtbarkeit in Deutschland ist sehr gering.

Seit 2015 gibt es den von der UNESCO festgesetzten Tag der Romani-Sprachen am 5. November. Die Literatur- und Musikszene ist zwar vorhanden, aber nur einem begrenzten Publikum bekannt. Bekannte literarische Künstler sind Nedjo Osman (*1958) und Rajko Đurić (1947-2020).

Quellen

Boretzky, Norbert & Birgit Igla. Kommentierter Dialektatlas des Romani. Harrassowitz, Wiesbaden 2004

Đurić, Rajko. Die Literatur der Sinti und Roma. Edition Parabolis, Berlin 2002

Okuka, Miloš & Gerald Krenn (Hrsg.): Romani in Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Bäume in der Mythologie

“Kein Baum, so heißt es, kann in den Himmel wachsen, wenn seine Wurzeln nicht in die Hölle reichen.”

Der Schweizer Psychoanalytiker C.G. Jung fasst das Wesen der Bäume in vielen Kulturen der Welt zusammen. Bäume wachsen überall auf der Welt, daher ist es nicht verwunderlich, dass sie eine so zentrale Rolle spielen. Denken wir an Yggdrasil in der nordischen Mythologie oder den Baum der Erkenntnis aus der Bibel.  

Zahlreiche Kulturen verehren Bäume, bestimmte Pflanzen oder Gewässer als Heiligtümer. Sie sind Teil der Natur und die Menschen haben verstanden, wie abhängig sie vom Kreislauf der Natur sind. Die logische Konsequenz aus diesem Abhängigkeitsverhältnis ist eine Verehrung der Natur. Um zu überleben, nutzten die Menschen den Wald und die Tiere z.B. als Nahrungsquelle, Brennholz, Baumaterial usw. Doch sie waren sich immer auch der Verantwortung bewusst nur so viel zu entnehmen wie nötig, um keinen dauerhaften Schaden anzurichten. Da sollte sich der Mensch von heute mal ‘ne Scheibe von abschneiden.

Welche Kultur oder Religion als erstes diese Sicht auf die Natur vertrat, ist heute nicht mehr zu klären. Doch die Forschung ist sich einig, dass der Baumkult einer der ersten Kulte überhaupt war.

In der nordischen Mythologie wurde der Kosmos, also alle neun Welten, von der Weltenesche Yggdrasil zusammengehalten. Ihre Wurzeln reichen an Wasserquellen, verschiedene Tiere leben in oder auf ihr und als Ganzes symbolisiert die Esche den Himmel, die mittlere Welt und die Unterwelt. In der Edda wird berichtet, dass die nordischen Götter am Fuße Yggdrasils ihren Thing abhielten. Manche Lieder der Edda benennen andere heilige Bäume wie Mimameid oder Lärad. Man kann davon ausgehen, dass es sich dabei lediglich um andere Namen für Yggdrasil handelt. Auch die Mythologie der Finnen beschreibt eine weltumfassende Eiche, Iso tammi genannt, ähnlich wie die Weltenesche. 

Eine Legende des heiligen Bonifatius erzählt, dass eine Eiche von den dort ansässigen Germanen im heutigen Hessen dem Donnergott geweiht war und im Jahr 723 von Bonifatius selbst gefällt wurde, um an dieser Stelle eine Kirche zu errichten. Die Germanen auf dem Kontinent zeigen in ihren Kulten ebenso viele Naturverbundenheit wie die Nordgermanen, mitunter unterscheiden sich nur die Namen etwas.   

Auch die Slawen und Balten sehen eine starke Verbundenheit mit der Natur und vor allem mit Bäumen. Die Balten nennen „ihren“ Weltenbaum Austras koks, eine Eiche, die die Weltordnung und den Lauf der Sonne symbolisiert.  Im Slawentum kannte man heilige Bäume oder heilige Haine, deren Bäume nicht gefällt werden durften.  

Auch in Kulturen wie dem alten Ägypten oder Mesopotamien wurden Bäume, die den Himmel und die Erde verbinden, verehrt. Die Liste ist lang, die Namen und Geschichten unterscheiden sich meist nur minimal. Da muss man sich also fragen, ob dieser Glaube nicht eins der zentralsten Themen des menschlichen Glaubens schlechthin ist.

Die großen Weltreligionen beinhalten alle solche Elemente, angefangen mit dem Baum der Erkenntnis im Christentum, der Tubabaum in der islamischen Lehre bis zur heiligen Pappelfeige im Buddhismus.

Auch heute noch faszinieren uns Bäume. Wie kaum etwas anderes in der Natur zeigen sie uns den Lauf der Zeit, das Wachstum und das Ende, was nicht unbedingt Zerstörung bedeutet, sondern eher den Anfang von etwas Neuem. Der Erhalt und der Schutz der Bäume sichern uns ein Leben auf dieser Welt. In den letzten Jahren mussten wir uns dessen immer stärker bewusstwerden, denn wir sind nah daran den Wald und das Leben darin zu zerstören. Damit nehmen wir uns nicht nur unsere Lebensgrundlage, sondern zerstören auch den Glauben unserer Vorfahren in den Kulturen der Welt.

Quellen

Grimal, Pierre. Mythen der Völker III. Fischer Bücherei. Hamburg 1963

Stimek, Rudolf. Lexikon der germanischen Mythologie. 3. Auflage. Kröner, Stuttgart 2006

Woelm, Elmar. Mythologie, Bedeutung und Wesen unserer Bäume. Monsenstein & Vannerdat, Münster 2007

Ostpreußen

„Fernes nahes Land“- die Definition des Journalisten Klaus Bednarz beschreibt die Region Ostpreußen treffend. Mit ihr verbindet man Geschichte und Mythos, den Deutschen Orden mit der Marienburg, die Christianisierung der Prußen, den Aufstiegs Preußens und die Zeit des Nationalsozialismus mit Bunkeranlagen u.v.m.

Ostpreußens Geschichte reicht weiter zurück als der Begriff ‚Ostpreußen‘, der eher ein politischer ist, vermuten lässt. Das Gebiet reicht von der Ostsee im Norden, Höhe der Weichselmündung, bis zur Memel, einschließlich des Teils des heutigen russischen Oblast Kaliningrad, bis zur südlichen Grenze der Woiwodschaft Ermland-Masuren in Polen.

Die ursprünglichen Besiedler Ostpreußens waren die Prußen, ein baltischer Volksstamm, von dem auch der Name ‚Preußen‘ abgeleitet ist. Im 9. Jahrhundert wurden die Prußen erstmals gesichert in Aufzeichnungen erwähnt als die ersten Missionierungsversuche begannen. Frühere Erwähnungen zu Römerzeiten können nicht 100%ig bestätigt werden. Richtig wichtig wurde das Gebiet erst als der Deutsche Orden 1226 vom Herzog Konrad von Masowien gebeten wurde ihm, wegen der räuberischen Überfälle der Prußen in sein Territorium, zu helfen. Außerdem sollte die Christianisierung des baltischen Stammes angestrebt werden, die als einer der letzten an ihrem alten Glauben festhielten. Als Gegenleistung für die Dienste bekam der Deutsche Orden die Gelegenheit sich als lokale Machthaber in der Region zu etablieren, was sich vor allen in den prächtigen Bauten wie der Marienburg noch heute ablesen lässt. Doch das anfänglich kleine Herrschaftsgebiet des Ordens wuchs schnell, sie gründetet u.a. Thorn und Kulm (polnisch Toruń und Chełmno). Ihr wachsender Einfluss in der Region war den umliegenden Herrschern ein Dorn im Auge.  Die Folge waren mehrere Kriege z.B. die Schlacht von Tannenberg 1410 und der Dreizehnjährige Krieg zwischen dem Orden und Polen, die zur Schwächung des Ordens führten. Der letzte Hochmeister Albrecht von Brandenburg wandelte den Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum, unter der Krone Polens, um. Vor allem die Reformation und der Glaubenswechsel des Hochmeisters sicherte dem „neuen“ preußischen Staat die Existenz und legten den Grundstein für die Entstehung des späteren Königreiches Preußen.

Als Teil Preußens erfuhr die Region Ostpreußen zahlreiche Reformen, religiösen, sozialer und verwaltungstechnischer. Die Bevölkerung war multiethnisch, nicht nur Nachkommen der Prußen, sondern auch deutsche Siedler, Polen und Litauer lebten dort, meist friedlich zusammen. Die Hauptstadt der Region, Königsberg, war das kulturelle Zentrum und der Sitz der 1544 gegründeten Albertus-Universität. Zahlreiche Gelehrte, zwei der bekanntesten sind Immanuel Kant und Johann Gottfried Herder, machten die Universität bekannt.

Die Stärke und die Dominanz des preußischen Staates verlor sich durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges. Der Friedensvertrag von Versailles 1919, trennte Ostpreußen vom restlichen Deutschland, da die Siegermächte den polnischen Staat nach 123 Jahren der Teilung (an der Preußen maßgeblich beteiligt war) wieder entstehen ließen. Diese Trennung Ostpreußens sorgte bei den Deutschen für Missstimmung. Die Nationalsozialisten vereinten durch ihren Überfall auf Polen das Gebiet wieder mit Deutschland bzw. sie verleibten sich Polen ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Ostpreußen teilweise an Polen und als Exklave an die Sowjetunion. Die Vertreibung der restlichen deutschstämmigen Bevölkerung ist eins der noch nicht aufgearbeiteten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das politische Klima der letzten Jahrzehnte ermöglichen erst allmählich Rekonstruktionen der damaligen Ereignisse. Die Politik der beiden deutschen Staaten bzw. der heutigen Bundesrepublik erkennt die Grenzen, die damals festgelegt worden sind, uneingeschränkt an. Das bedeutet für viele ehemalige Bewohner und ihre Nachkommen, dass das Ostpreußen von damals Geschichte ist und bleiben wird.

Trotz der politisch eindeutigen Lage Ostpreußens, symbolisiert es als Region doch eine Faszination und ein Heimatgefühl für viele Deutsche. Seit dem Ende des Kalten Krieges reisen viele Deutsche in das Gebiet ihrer Vorfahren, besuchen ihre Heimatdörfer, versuchen Informationen aus den Archiven zu sammeln. Es ist eine unendliche Schatzsuche, die eigene Geschichte so eng verwoben mit dieser Region, deren Reiz bei den Jüngeren eher in Gestalt der Landschaft und der Natur liegt.

Ähnlich wie in Schlesien finden sich auch in Ostpreußen ein kultureller, vor allem literarischer Schatz. Die Regionalliteratur Ostpreußens beweist die Verwurzelung der ehemaligen und neuen Bewohner (viele Polen aus den Kresy, den polnischen Ostgebieten, die Polen nach dem Krieg an die Sowjetunion verlor, wurde u.a. nach Ostpreußen umgesiedelt), die alle das Schicksal der Vertreibung teilten. Zwei bekannte Vertreter*innen der ostpreußischen Kultur sind der Schriftsteller Siegfried Lenz und die Malerin Erika Durban-Hofmann.

Quelle

Kossert, Andreas. Ostpreußen. Geschichte und Mythos. Siedler, München 2005

Pölking, Hermann. Ostpreußen – Biographie einer Provinz. Be.bra-Verlag, Berlin 2011

Bildquelle

By Wappen der ehemaligen preußischen Provinz Ostpreußen, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40584865