Die polnischen Dialekte

Die polnische Sprache und ihre Dialekte sind im geschichtlichen Kontext hochinteressant. Nicht nur, dass es den Staat Polen zwischenzeitlich nicht gab und in einigen Teilen des geteilten Gebietes Polnisch nicht als Verkehrs- und Verwaltungssprache erlaubt war, sondern auch die territorialen Verschiebungen, die den polnischen Staat bis heute formten.

Dass eine Sprache Dialekte besitzt, ist an sich nichts Besonderes. Dialekte sind Sprachvarietäten, die sich in einem räumlichen Kontinuum einer Sprache befinden. Sie weisen z.B. lautliche oder morphologische Unterschiede auf, die aber meist von (allen) Sprecher*innen der jeweiligen Sprache verstanden werden. Ausnahmen gibt’s immer!

Im Fall der polnischen Dialekte wird die Einteilung durch bestimmte sprachliche Merkmale klassifiziert. Einige wichtige sind: Das Masurieren, d.h. das Fehlern der Konsonantenreihe /ʃ,ʒ,t͡ʃ und d͡ʒ/, die als /s,z,t͡s und d͡z/ ausgesprochen werden, die fehlende Auslautverhärtung, Vokalverengung und Aussprache der Nasalvokale.

Eine grobe Einteilung der polnischen Dialekte erfolgt in fünf große Dialektgruppen, mit vielen Untergruppen. Das Vorkommen und die wichtigsten Merkmale jedes Dialektes sind hier zusammengefasst.

Die großpolnischen Dialekte (wielkopolski) gehen auf den Stamm der Polanen zurück, im Gebiet der nördlichen und mittleren Weichsel. sie zeigen kein Masurieren, keine Auslautverhärtung, eine Standardaussprache der Nasalvokale und die Existenz von Diphthonge.

Die kleinpolnischen Dialekte (małopolski) auf dem ehemaligen Gebiet der Wislanen im südlichen Weichselgebiet weisen das Masurieren, eine fehlende Auslautverhärtung, das auslautende /χ/ statt /k/ realisiert z.B. [grɔk] statt [grɔχ], lange und kurze Vokale und verschiedene Varietäten von Nasalvokalen als Merkmale auf.

Die masowischen Dialekte (mazowiecki) im ehemaliges Gebiet der Masowier und Masuren im mittleren Weichselgebiet zeigen u.a. das Masurieren, die Auslautverhärtung wie im Standardpolnischen, eine asynchrone Aussprache der palatalen Labiale und Unterschiede in der Morphologie.

Die schlesischen Dialekte (sląski) von den Stämmen der Slensanen kommend, werden oft als Dialekt zwischen dem Groß- und Kleinpolnischen verortet und haben neben der Existenz von Diphthongen, dem Masurieren, fehlender Auslautverhärtung, der Aussprache von  /ʃ/ statt [ʒ] und des Nasalvokals /ɛ̃/ als /a/ z.B. [viʒa ta baba] (widzę tę babę) noch viele germanische Entlehnungen integriert.

Das Kaschubische (kaszubski) geht auf die Pomoranen zurück, die im Raum Danzig und südwestlich davon lebten. Es zeigt besonders viele Unterschiede und kann nicht von allen Polnischsprecher*innen ohne Probleme verstanden werden. Der Status als eigene Sprache wird von einigen Linguist*innen nicht akzeptiert, aber in Polen als Minderheitensprache anerkannt.

Die neuen gemischten Dialekte (nowe mieszane) die vor allen im Westen, Osten und Nordosten zu finden sind, gehen auf historische Ereignisse z.B. der Westverschiebung der polnischen Grenzen und Verlust der ‚Kresy‘, der polnischen Ostgebiete, nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Auch in den Gebieten, in den Polnisch als Minderheiten- oder Regionalsprache anerkannt ist wie z.B. Litauen oder Rumänien, gibt es Dialekt, die sich durch die Begrenzung des Sprachgebietes erhalten.

Die Verwendung der polnischen Dialekte wurde schon früh, die Festsetzung einer polnischen Rechtschreibung fand im 13. Jahrhundert statt, mit niedriger Bildung und den einfachen Leuten gleichgesetzt, während sich die Elite dadurch auszeichnen wollte die polnische Hochsprache zu sprechen. In der heutigen Zeit, in der Dialekte durch die Standardsprache und die Mobilität bzw. Globalisierung zu schrumpfen scheinen, sind sie mehr als ein Zeichen von Heimat und Identität. Sie stellen für die Sprachwissenschaft ein interessantes Forschungsgebiet dar, denn sie zeigen ein buntes Bild der Sprache. Erschwerend kommt leider hinzu, dass viele Dialekte nur mündlich verwendet bzw. weitergegeben werden und dadurch verstärkt zu verschwinden drohen. Die heutige Technik erlaubt zum Glück die Sammlung großer Datenmengen, sowohl Audioaufnahmen als auch in Form von Transkriptionen.

Die Sprachpolitik Polens, die kleinere Sprachen und Dialekte nur duldet, aber nicht aktiv fördert (mit Ausnahme des Kaschubischen), trägt kaum zur Aufwertung und Erhalt bei. Damit bleiben die Dialekte oft nur das Kommunikationsmittel innerhalb von Familien oder Freunden. Erfreulicherweise sehen viele Menschen in ihren Dialekten auch ein kulturelles Erbe, dass ebenso wie Traditionen, Trachten u.a. offen und selbstbewusst gezeigt wird. Wenn die Identifikation mit einem Dialekt an die nächsten Generationen weitergegeben wird, kann die sprachliche Vielfalt erhalten werden.

Denn nicht nur religiöse oder sexuelle Vielfalt, sondern auch sprachliche schaffen Raum für Verständigung und ein friedliches Zusammenleben.

Quellen

http://www.dialektologia.uw.edu.pl/index.php

Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10) Polnisch. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002,

Bildquelle

Von Aotearoa – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11836448

Wozu Fremdsprachen lernen?

In der Schule waren Fremdsprachen zugegebermaßen nicht meine Lieblingsfächer. Wie damals üblich war für alle Kinder ab der fünften Klasse Englisch verpflichtend. Wer lieber Französisch lernen wollte, musste die Schule wechseln. In der siebten Klasse konnte ich eine weitere Fremdsprache wählen. Zur Auswahl standen Spanisch, Französisch oder Russisch, das ich sehr gerne belegt hätte, doch mit nur zwei Schüler*innen wollte die Lehrerin verständlicherweise nicht beginnen. Auf Spanisch und Französisch hatte ich keine Lust, also ließ ich es bleiben. Damit gestaltete sich meine Schulkarriere in Sachen Sprachen ziemlich einseitig. Deutsch war mit Geschichte und Erdkunde mein Lieblingsfach, Englisch kam ziemlich weit hinten und die Note war nur durchschnittlich.

Doch schon als Jugendliche war ich von Sprachen fasziniert. Ich „las“ die fremdsprachigen Zutatenlisten auf Lebensmitteln oder Betriebsanleitungen von technischen Geräten. Doch so richtig in die Gänge kam ich erst während eines Urlaubs in Polen als ich polnische Jugendliche kennenlernte und wir mit Englisch zwar zurechtkamen, aber ich mich fragte, warum wir nicht die Sprache des direkten Nachbars sprachen. Aus dieser Begegnung ist eine Freundschaft entstanden und bis heute geblieben, meine Liebe zu Polen und der polnischen Sprache begründet sich darauf.

Also entschloss ich mich Polnisch zu lernen, so nebenbei, dachte ich. Ich kaufte mir ein Wörterbuch und eine Grammatik und fiel sofort auf die Schnauze: Versucht mal ohne Plan ‚chrząszcz‘ (dt. ‚Käfer‘) auszusprechen! Ich merkte, dass ich das als Selbstlernerin nicht weit bringen würde und meldete mich in einer Volkshochschule zu einem Anfängerkurs an. Etwas ernüchternd stellte ich fest, dass der Altersschnitt bei 60 Jahren lag und alle, außer mir (knappe 16 Jahre alt), schon Vorkenntnisse besaßen. Es war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte in meinem jugendlichen Leichtsinn. Doch zumindest die Aussprache war mir jetzt klar, wenn auch nicht so einfach für meine deutsche Zunge. Mir fehlten Übungsgelegenheiten, ich kannte in Berlin keine Polen, also wie sollte ich es lernen? Ich hatte eine Zeitlang Unterricht bei Polinnen, die in Berlin studieren, alles nebenbei neben der Schule bzw. der Ausbildung und anderen Hobbys. Doch meine Faszination für Sprachen, besonders für das Polnische, taten diese Schwierigkeiten keinen Abbruch.

Auch meine eigene Sprache, Deutsch, lernte ich durch das Polnisch lernen besser kennen. Die Neugier auf Sprachstrukturen, verwandtem Wortschatz und kulturellen Einflüssen wurde immer größer. Nach vielen Jahren traute ich mich endlich mich zur B1-Zertifikatsprüfung anzumelden, die ich im Herbst 2018 in Warschau ablegte. Dafür lehrte ich intensiv und es hat sich gelohnt! Mit diesem Zertifikat in der Tasche, in Deutschland braucht man ja für alles einen Schein, entschloss ich mich zu einem großen Schritt und schrieb mich an der Universität für Slawistik und germanistische Linguistik ein. Heute, kurz vor Beendigung meines Bachelorstudiums kann ich sagen, dass das die beste Entscheidung für mich war. Nicht nur, dass ich so viel lerne, sondern auch die Art und Weise Dinge zu betrachten und offen für Neues und Andersartige zu sein.

Ich denke, die Neugier auf Neues ist dabei das Entscheidende. Bei mir ist es die Lust auf neue Sprachen, der das Interesse für die Kulturen anderer Länder und Menschen folgt. Eine neue Sprache zu lernen ist der erste Schritt in diese neue Welt. Rückblickend ärgere ich mich darüber, dass ich nicht schon früher als Schülerin diese Neugier entwickelt habe. Es wäre so viel leichter gewesen!!

Und außerdem schreitet der Fortschritt immer weiter voran, vor allem die Übersetzungsprogramme werden immer besser. Wozu soll man eigentlich noch Fremdsprachen lernen? Für mich stellt sich diese Frage eigentlich nie, denn ich bin ein Mensch und brauche Sprache.

Für mich bedeutet Sprachen lernen vor allem Spaß, ja auch bei Grammatik! Ich tauche gerne ein in die Welt der jeweiligen Sprache, ich staune über Laute, die ich nicht kenne und vielleicht auch (noch) nicht aussprechen kann, verliere mich im jeweiligen Kasus- oder Konjugationssystem und und und….

Welche Vorteile bringt das Erlernen einer Sprache noch so mit? Wichtig ist das Ziel und die Motivation. Wenn man Englisch lernt, weil es in der Schule dafür eine Note gibt, ja wie motiviert kann man schon sein? Aber wenn ein Urlaub ruft oder man einen Menschen aus dem Land kennenlernt, dann sieht das schon anders aus. Sprachen öffnen das Tor zu einer neuen Welt, sie lassen uns offener und toleranter sein. Das Gefühl sich mit jemanden in seiner Muttersprache unterhalten zu können, steigert das Selbstvertrauen.

Lernen, egal was, steigert die geistige Fitness, verbessert unsere beruflichen Chancen, führt langfristig zu intensiveren Freundschaften und hilft uns andere besser zu verstehen. Keiner erwartet, dass man eine Fremdsprache perfekt und akzentfrei beherrscht. Einigen wenigen gelingt das, doch ist das das Ziel? Nein, die gegenseitige Verständigung ist wichtig, nicht der fehlende Akzent.

Ich gehöre zu den Menschen, die sich oft schwer tun mit dem Erlernen einer Sprache. Ich brauche lange, um mir Wörter zu merken, Grammatikregeln anzuwenden usw. Aber es macht mir Freude und genau darum geht es mir. Ich verstehe durch meine eigenen Erfahrungen immer besser, wie es anderen z.B. beim Deutschlernen geht und wie viel Überwindung es kostet zu sprechen, obwohl man sich seiner Fehler bewusst ist. Aber das ist egal. Je mehr Sprachen ich lerne, desto unwichtiger ist mir der Ehrgeiz sie fließend zu sprechen. Ich bin einfach Realistin! Aber das wird mich nicht davon abhalten weitere Sprachen zu entdecken!

Roman Jakobson

Egal ob Literatur- oder Sprachwissenschaft, niemand kommt in diesen Bereichen an Roman Jakobson vorbei. Er gilt als einer der bekanntesten Linguisten.

Roman Ossipowitsch Jakobson wurde am 23. Oktober 1896  als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren und wuchs mit zwei Brüdern in Moskau auf. Dort studierte er Slawistik und schloss sich dem literaturtheorischen Kreis der russischen Formalisten an, der sich ab 1915 bildete. In der Zeit seines Studiums beschäftigte Jakobson sich auch mit neuen Medien wie dem Film und der Strömung des Futurismus. 1918 erwarb er seinen Magister und arbeitete danach zwei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Moskauer Universität.

Ab 1920 lebte und arbeitete er in Prag, im diplomatischen Dienst. In den folgenden Jahren pflegte er eine enge Verbindung zu Nikolai Trubetzkoy, der in Wien lebte. 1926 gründete Jakobson mit anderen zusammen den Linguistischen Kreis in Prag und wirkte bis 1939 als ihr Vizepräsident. Zusätzlich lehrte er seit 1933 als Professor in Brünn, musste aber vor den Deutschen fliehen, die 1939 in die Tschechoslowakei einmarschierten. Sein Weg führte über Dänemark und Norwegen nach Schweden, wo er jeweils kleine Gastprofessuren übernahm. Ab 1942 lebte und lehrte er in New York und Harvard als Professor für Linguistik, Slawistik und Bohemistik. Bis 1967 wirkte er als Dozent, ging dann in den Ruhestand, forschte und schrieb jedoch weiter.

Seine frühen Forschungen im Bereich des Strukturalismus erarbeite er zusammen mit Trubetzkoy, der bereits 1938 starb. Sie interessierten sich vor allem für den Bereich der Phonologie und beschrieben die Grundlagen phonologischer Gesetzmäßigkeiten. Aus dieser Forschung entwickelte Jakobson seine Theorien im Bereich des kindlichen Spracherwerbs und der Sprachpathologien z.B. bei Aphasie. Noch heute gelten viele seiner Erkenntnisse und Theorien als aktuell. Ein für Sprachwissenschaftler*innen wichtiger Aspekt von Jakobsons Arbeit ist die Weiterentwicklung des Kommunikationsmodells, beruhend auf dem Modell von Bühler, dass er nicht direkt neu erschafft, sondern weiterentwickelt hat. Die Erkenntnisse seiner phonologischen Forschung legte den Grundstein für unser heutiges Verständnis wie Sprache funktioniert.

Dabei zeigt sich, dass es keine scharfe Trennung zwischen Sprache, Literatur oder Poesie gibt. Sie bedingen einander und sollten deshalb auch nicht isoliert betrachtet werden. Ein Schlagwort ist z.B. die ‚poetische Funktion der Sprache‘ oder ‚Poetizität‘, was Literaturliebhabern bekannt vorkommen dürfte. Die Verknüpfung der Sprachwissenschaft mit Literatur und Kunst, die er in Schriften und in der Lehre aufzeigt, verweisen auf Jakobsons großes interdisziplinäres Wissen.

Er schreibt und publiziert in verschiedenen Sprachen, zu ganz unterschiedlichen Themen, aber immer interdisziplinär gesehen, so dass viele Fachrichtungen unter seinem Namen vereint arbeiten können. Das ist ein wichtiger Schritt, denn zu oft noch schauen wir als Menschen ungern über unseren Tellerrand oder bewerten andere Fachgebiete schlechter oder als weniger wertvoll als unser eigenes.

Als Roman Jakobson am 18. Juli 1982 in Boston starb, hinterließ er der Welt eine Unmenge an Wissen, festgehalten in seinen zahlreichen Veröffentlichungen. Und noch heute werden seine Theorien gelehrt und haben nichts an ihrer Allgemeingültigkeit verloren.

Quellen

Birus, Hendrik. Roman Jakobson. In: Matías Martínez, Michael Scheffel (Hrsg.): Klassiker der modernen Literaturtheorie. Von Sigmund Freud bis Judith Butler (= Beck’sche Reihe. 1822). Beck, München 2010

Jakobson, Roman. Linguistik und Poetik, in: Jens Ihwe (Hg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Frankfurt/M. 1971

Bildquelle:

Von Philweb Bibliographical Archive – http://www.phillwebb.net/history/Twentieth/Continental/(Post)Structuralisms/Structuralism/Jakobson/Jakobson3.jpg, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16924084

Rumänisch

Das rumänischsprachige Kerngebiet liegt inmitten des Balkansprachbundes, in der viele Sprachen unterschiedlicher Familien wie Griechisch, Albanisch oder Mazedonisch liegen. Sie grenzen mit ihren Sprachgebieten zwar aneinander, sind aber nicht oder nur entfernt verwandt, was ungewöhnlich ist.

In Rumänien und Moldau ist Rumänisch Amtssprache, Regionalsprache in Teilen Serbiens und Griechenlands und seit 2007 auch eine der Amtssprachen der EU. Rumänisch hat etwa 20 Mio. Muttersprachler in Rumänien, ca.3 Mio. in Moldau und etwa 1,5 Mio. außerhalb dieser beiden Länder. Das heutige Rumänisch als Standardsprache bezieht sich eigentlich auf das Dakorumänische, das zusammen mit Aromunisch, Meglenorumänisch, Istrorumänisch und Dalmatisch (ausgestorben) die Gruppe der balkanromanischen Sprachen bildet.  Es ist die östlichste romanische Sprache in der romanischen Sprachfamilie, die großen „Geschwister“ Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch liegen weit entfernt. Das hat historische Gründe: In den römischen Provinzen Dakien und Moesien, die an der Donau liegen, wurde Latein gesprochen. Daraus entwickelte sich zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert, räumlich getrennt von der Sprachfamilie, das Rumänische, mit vielen Einflüssen der anderen Sprachen des Balkansprachenbundes, vor allem slawische.

Als ältestes schriftliches Dokument in rumänischer Sprache wird der Brief des Neacșu aus Câmpulung aus dem 16. Jahrhundert angesehen. Anders als viele Sprachen des Balkansprachbundes schreibt man das Rumänische heute in lateinischer Schrift. Bis 1862 galt aber die kyrillische Schrift, die Änderungen zur lateinischen Schrift wurde von der Rumänischen Akademie 1881 mit einer Reform der Schreibung zugunsten des phonetischen Prinzips durchgesetzt, wobei davon in den letzten drei Jahrzehnten wieder abgewichen wurde. Eine einheitliche Orthografie ist trotz offizieller Richtlinien noch nicht überall der Standard. Buchstaben, die es im deutschen Alphabet nicht gibt: <ă, â, î, ș, ț>.

Das Phoneminventar besteht aus 33 Phonemen: 7 Vokalen, 2 Halbvokalen, 2 Halbkonsonanten (aus Halbvokalen und -konsonanten entstehen zahlreiche Diph- und Triphthonge) und 22 Konsonanten. Der Wortakzent ist sehr dynamisch, die Regeln besitzen jedoch jede Menge Ausnahmen.

Entgegen den anderen romanischen Sprachen besitzt das Rumänische noch Teile von Kasusdeklinationen, außerdem theoretisch ein neutrales Genus, jedoch ohne eigene Form. Ungewöhnlich ist die Tatsache, dass der Artikel hinter dem Substantiv steht, das ist in romanischen Sprachen ungewöhnlich. Die Verben werden in zwei Konjugationsklassen aufgeteilt, Ausnahmen bilden ein paar Auxiliarverben. Außerdem verwendet das Rumänische sowohl analytische als auch synthetische Verbformen. Allgemein gilt die Wortstellung Subjekt-Verb-Objekt, aber ähnlich wie im Lateinischen gibt es viele Möglichkeiten zur Umstellung der Satzglieder.

Der größte Teil des Wortschatzes stammt aus dem Lateinischen, aber die starken Einflüsse der umgebenden Sprachen sind unverkennbar. Die rumänische Sprache nimmt ohne Probleme Lehnwörter auf. Mindestens 10% des Wortschatzes sind slawischen Ursprungs (unterschiedlich viel aus verschiedenen slawischen Sprachen) z.B. ‚corenie‘ – ‚Ursprung, Familie‘, kleinere Anteile aus dem Türkischen z.B. ‚cioban‘ – ‚Hirte‘, Griechischen z.B. ‚proaspăt‘ – ‚frisch‘, Albanischen z.B. ‚gata‘ – ‚fertig, bereit‘, Ungarischen z.B. ‚oraș‘ – ‚Stadt‘  und Deutschen z.B. ‚pantof‘ – ‚Schuh‘ , was oft an der geografischen Nähe der Sprachen liegt oder an historischen Gegebenheiten wie Herrschaftsgebiete oder Ansiedlungen von fremden Siedlern. Die stetige Einflussnahme des Russischen im 18. Jahrhundert bis zum Ende des Kalten Krieges hinterließ deutliche Spuren. Je nach Region zeigen sich die sprachlichen Einflüsse aus den verschiedenen Sprachen als Regiolekte, nicht alle haben es bis in das Standardrumänisch geschafft. Mittlerweile nimmt auch die Übernahme von Anglizismen zu, wie überall.

Die Überschneidungen mit den romanischen Verwandten in Westeuropa betragen teilweise 80%, was nicht heißt, dass sich Sprecher:innen romanischer Sprachen miteinander unterhalten können. Die Rumänischsprecher:innen sind sich ihres romanischen Erbes wohl bewusst. Trotz der langen Geschichte der Sprache erlangte sie bei weitem nicht so ein Prestige wie ihre westlichen Verwandten.

Quellen

Bochmann, Klaus & Stiehler, Heinrich. Einführung in die rumänische Sprach- und Literaturgeschichte. Romanistischer Verlag, Bonn 2010.

Iliescu, Maria. Rumänisch. In: Miloš Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Das Fingeralphabet des deutschsprachigen Raumes

Wer im Alltag schon mal mit Gehörlosen oder Menschen mit Hörschädigung kommunizieren wollte, stand vielleicht, wie ich auch, vor einem Kommunikationsproblem, denn die wenigsten hörenden Menschen beherrschen Gebärdensprache bzw. die grundlegenden Gebärden. In Zeiten von Corona wird dieses Problem noch größer, weil die Masken es zusätzlich erschweren zu kommunizieren. Das eigentliche Problem ist aber die geringe Sichtbarkeit der Gebärdensprache im Alltag der hörenden Menschen. Ein erster Schritt zur verbesserten Kommunikation wäre das Erlernen des deutschsprachigen, ja es gibt viele verschiedene, Fingeralphabetes.

Fingeralphabete sind seit der Antike in unterschiedlichen Formen bekannt. Mönche kommunizierten mit Hilfe von Fingeralphabeten, um das Schweigegelübde nicht zu brechen. Gehörlose und Menschen mit Hörschädigung haben in der Vergangenheit häufig unter schwierigen Umständen gelebt, wurden ausgegrenzt und hatten meist keinen Zugang zu Bildung oder einem Beruf. Sie galten als nicht bildungsfähig, ähnlich wie Blinde bzw. sehbehinderte oder körperlich eingeschränkte Menschen.  Das änderte sich langsam in der Zeit der Aufklärung, Schulen wurde geschaffen, gehörlose und schwerhörige Menschen lernten lesen und schreiben usw. Um sich zu verständigen, vor allem miteinander, entstanden erste Gebärdensprachen und verschiedene Fingeralphabete.

Wie der Name schon sagt, beschreibt man mit den Fingern ein Alphabet, also einzelne Buchstaben. Und da Sprachen unterschiedliche Buchstaben haben können, sind die Fingeralphabete häufig sprachspezifisch (z.B. Silbenalphabete) bzw. durch Zeichen werden ergänzt wie im Deutschen die Umlaute oder das ‚ß‘. Fingeralphabete sind praktisch, vor allem um seinen Namen oder unbekannte Wörter wie Fachbegriffe oder auch Abkürzungen zu buchstabieren. Das Alphabet kann in diesen Situationen ein gutes Hilfsmittel sein.

Das deutschsprachige Fingeralphabet wird mit einer Hand ausgeführt, normalerweise Rechtshänder mit rechts, Linkshänder mit links.

Im deutschsprachigen Raum wird eine standardisierte Form des Alphabetes genutzt, mit einigen Abweichungen meist in der französischsprachigen Schweiz.

A = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen seitlich angelegt

B = flache Hand vom Körper weg, Finger nach oben, Daumen auf der Handfläche

C = Daumen und Finger bildet einen offenen Halbkreis

D = Zeigefinger nach oben, Daumen und restliche Finger bilden einen geschlossenen Kreis

E = Daumen vor der Handfläche, restliche Finger berühren den Daumen mit den Fingerspitzen

F = Daumen und Zeigefinger bilden einen geschlossenen Kreis, die restlichen drei Finger parallel nach oben gespreizt.

G = geschlossene Hand zum Körper, Zeigefinger zeigt nach links

H = geschlossene Hand zum Körper, Zeige- und Mittelfinger zeigen parallel nach links

I = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen davor, kleiner Finger nach oben

J = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen davor, kleiner Finger nach oben, Drehbewegung der Hand um vertikale Achse

K = Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen nach oben gespreizt, restliche Finger auf der Handfläche

L = Handfläche von Körper weg, Zeigefinger nach oben, Daumen nach links, restliche Finger auf der Handfläche

M = Handfläche nach unten, Zeige-, Mittel und Ringfinger nach unten gestreckt, Daumen unter den Fingern

N = Handfläche nach unten, Zeige- und Mittelfinger nach unten gestreckt, restliche Finger auf der Handfläche, Daumen unter den gestreckten Fingern

= Daumen und restliche Finger bildet einen geschlossenen Kreis

P = Handfläche nach unten, Zeigefinger nach vorn, Mittelfinger nach unten, Daumen berührt den Mittelfinger, restliche Finger auf der Handfläche

Q = Zeigefinger und Daumen nach unten gestreckt, restliche Finger auf der Handfläche

R = geschlossene Hand von Körper weg, Zeige- und Mittelfinger zeigen gekreuzt nach oben

S = geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen vor den Fingern

T = geschlossene Hand nach links, Zeigefinger nach links gestreckt, Daumen auf dem Zeigefinger nach vorn

U = geschlossene Hand vom Körper weg, Zeige- und Mittelfinger zusammen nach oben, Daumen auf der Handfläche

= geschlossene Hand vom Körper weg, Zeige- und Mittelfinger gespreizt nach oben, Daumen auf der Handfläche

W = flache Hand vom Körper weg, Zeige-, Mittel- und Ringfinger gespreizt nach oben, Daumen auf der Handfläche

X  = geschlossene Hand nach links, Zeigefinger nach oben, aber angewinkelt

Y = geschlossene Hand vom Körper weg, Daumen und kleiner Finger nach oben abgespreizt

Z = geschlossene Hand vom Körper weg, Zeigefinger nach oben schreibt ein ‘Z’ in die Luft (Zick-Zack-Bewegung)

SCH = flache Hand vom Körper weg, alle Finger gespreizt

CH = Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger bilden einen offenen Halbkreis, Ringfinger und kleiner Finger sind geschlossen, nur in der deutschsprachigen Schweiz und in Liechtenstein, in Luxemburger Fingeralphabet: Geschlossene Faust vom Körper weg, Daumen ganz offen

Ä, Ö, Ü, ß    =wie A, O, U, S mit kurzer Bewegung der Hand nach unten

Die Akzentzeichen in den französischsprachigen Regionen werden in das Buschstabenzeichen bzw. in die Bewegung integriert.

Die Buchstaben sind mit ein wenig Übung gut zu erlernen, das Tempo hängt von der Routine ab und natürlich vom Gegenüber, schließlich soll der ja auch mitkommen! Einfach mal ausprobieren!

Natürlich ist das Fingeralphabet keine adäquate Alternative zur Gebärdensprache. Eine Unterhaltung mit dem Fingeralphabet zu führen wäre auf Dauer ermüdend. Wer regelmäßig mit Gehörlosen oder Menschen mit Hörschädigung zu tun hat, kommt um die Gebärdensprache nicht herum.

Quellen

Schneider,Emma. Gebärdensprache lernen für Anfänger: Erlernen Sie die Deutsche Gebärdensprache – Kommunikation, Körpersprache, Gestik und Mimik. (DGS, Gebärdensprache Buch) Independently published 2021

Bildquelle

Von Landesverband Bayern der Gehörlosen e. V. – Infokarte des Landesverband Bayern der Gehörlosen e. V., CC BY-SA 4.0, Link

Die Niederlausitz

Die Niederlausitz (niedersorbisch Dolna Łužyca) im Süden Brandenburgs und Norden Sachsens ruft bei den meisten Menschen Bilder des Spreewaldes und des Kohlebergbaus hervor. Im Vergleich zu anderen deutschen Regionen umfasst sie ein kleines Areal des gesamtdeutschen Bundesgebietes. Ein kleiner Teil der Niederlausitz liegt zudem der polnischen Woiwodschaft Lebus im heutigen Polen. 

Geografisch wird die Niederlausitz vor allem durch Flüsse begrenzt: Die Spree nördlich, der Bober (ein Nebenfluss der Oder) östlich, die Schwarze Elster (ein Nebenfluss der Elbe) südlich und die Dahme westlich. Diese „Grenzen“ zeigen deutlich, dass sich die Niederlausitz ein wasserreiches Gebiet ist, was historisch und wirtschaftlich bedeutend ist. Bedeutende Städte wie Cottbus (Chóśebuz) als größte Stadt, Lübben/Spreewald (Lubin), Lübbenau/Spreewald (Lubnjow), Vetschau (Wětošow), Spremberg (Grodk) und Guben (Gubin) wurde alle an Flüssen gegründet.

Wirtschaftlich nutzte der Mensch die Gegend traditionell holzwirtschaftlich, großflächige Landwirtschaft ist durch das niederschlagsarme Klima aber nur eingeschränkt möglich. Ab den 1930er Jahren und besonders zu DDR-Zeiten entstanden große Tagebaue, die die Landschaft prägten und in nächster Zeit stillgelegt und renaturiert werden sollen.

Die Besiedlung der Niederlausitz begann wahrscheinlich während der Jungsteinzeit. Archäologische Funde zeigen, dass bis 600 n.Chr. verschiedene Gruppen dort lebten, mehr oder weniger sesshaft, denn die kontinuierliche Versorgung mit Lebensmitteln ist dort schwierig gewesen. Sicher ist aber, dass sich um 600 n.Chr. westslawische Stämme, v.a. die Lusitzi, niederließen und Siedlungen gründeten. Die Nachfahren der Lusitzi und anderer westslawischer Stämme bilden die ethnische Gruppe der heutigen Sorben.

Um das 10. Jahrhundert kam das Gebiet unter deutsche Herrschaft als Teil des römisch-deutschen Kaiserreichs. Damit entstanden immer mehr deutsche Siedlungen, die im Laufe der nächsten Jahrhunderte unter verschiedene Herrscher gerieten, z.B. Wettiner, Wittelsbacher, Böhmen oder die sächsischen Kurfürsten. Trotz der Fremdherrschaft behielten die Sorben vorerst ihre Eigenständigkeit, meist siedelten die Deutschen in den Städten und die Sorben auf dem Land, so dass die Durchmischung der Bevölkerung wenig stattfand. Ab dem 16. Jahrhundert, verstärkten die Herrscher ihre Bemühungen die Sorben ihrer Sprache und Kultur zu entledigen. Einen Teil trug die Kirche zu dieser Entwicklung bei, denn die Niederlausitz schloss sich der protestantischen Kirche an, die ihre Gottesdienste auf Deutsch und Sorbisch abhielt und viele deutsche Geistliche in das Gebiet versetzte.

Nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses von 1815 gehörte die Niederlausitz zu Preußen, war somit von der Oberlausitz auch staatlich getrennt (die Oberlausitz verblieb beim Königreich Sachsen). Preußen gliederte das Gebiet in die brandenburgische Verwaltung ein, die die bisherige Autonomie der Sorben aufhob, was sich vor allem auf die Sprache und die Kultur der Sorben auswirkte und eine starke Abwanderung der sorbischen Bevölkerung zur Folge hatte. Unter den Nationalsozialisten verstärkte sich dieser Assimilationszwang noch weiter.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Niederlausitz hing eng mit dem Kohleabbau zusammen, mittlerweile ist der Kohleausstieg beschlossen und die Region muss sich umorientieren. Der Energiesektor ist immer noch ein großer Arbeitgeber, es wird nun aber vermehrt in erneuerbare Energien investiert. Außerdem nimmt die touristische Nutzung der gesamten Lausitz stark zu, das wachsende Interesse der Deutschen im eigenen Land Urlaub zu machen, stärkt die Tourismusbranche.

Auch das vielfältige kulturelle Erbe erfährt in den letzten Jahren einen Aufschwung. Das Land Brandenburg hat in seiner Verfassung den Schutz der sorbischen Kultur und Sprache verankert. Zahlreiche Institutionen und Kulturvereine setzten sich für den Erhalt und die Stärkung des Sorbischen ein. Die Traditionen wie das Zampern (camprowanje), Hahnrupfen (kokot), die Trachten oder die kunstvolle Verzierung der Ostereier sind nur ein kleiner teil des sorbischen Erbes. Viele Grundschulen der Region bemühen sich darum Sorbischlehrer zu finden, die die Sprache vermitteln, auch an Kinder ohne sorbische Wurzeln. Zahlreiche Medien wie die Zeitschrift NOWY CASNIK und das Programm Łužyca des RBBs sowie Radiosendungen und der sorbische DOMOWINA-Verlag (veröffentlicht in beiden sorbischen Sprachen) bieten die Möglichkeit die Niederlausitz als Region kennenzulernen bzw. die sorbische Sprache zu nutzen bzw. zu erlernen. Der Erfolg, eine Sprache mit höchstens 10.000 Sprechern (Niedersorbisch) zu retten, ist ein schwieriges, aber nicht unmögliches Vorhaben.

Die Niederlausitz als traditionsbewusste Region mit Entwicklungspotential bringt alle Voraussetzungen mit, die zum Erfolg führen können.

Quellen

Pohontsch, Anja et. al. Wo der Wendenkönig seine Schätze versteckt hat – Unterwegs in der sorbischen Niederlausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 2011

Wetzel, Günter. Germanen – Slawen – Deutsche in der Niederlausitz. In: Bericht der Römisch-Germanischen Kommission. Band 83, 2002

Radegast

Der slawische Gott Radegast hat viele Namen, je nachdem wo man sich befindet: Svarožić oder Dažbog im ost- und südslawischen Raum, bei den Elb- und Ostseeslawen Radegast, Radogast oder Redigast.

Die Herkunft des Namens Svarožić wird meist als ‚Sohn des Svarog‘ umschrieben, eine mögliche Verwandtschaft mit dem indoeuropäischen Wort swar mit der Bedeutung ‚Sonne‘ oder ‚Schein‘ passt zu seiner Funktion als Sonnengott. Der von den Elb- und Ostseeslawen verwendete Name ‚Radegast‘ stammt am ehesten von der Siedlung ‚Radegast‘ der Redaren, ist also keine Abwandlung von Svarožić. Seine Funktion wandelte sich im Laufe der Zeit; zuerst als Gott des Feuers und des Lichtes angebetet, verehrten die Elb- und Ostseeslawen Radegast eher als Kriegsgott, meist mit Schild und Lanze bewaffnet dargestellt.

Im 11. Jahrhundert wird ein Tempel, der dem Gott Radegast geweiht sein soll, von den Chronisten Adam von Bremen und Thietmar von Merseburg erwähnt. Dieser Tempel lag wohl auf einer Insel, die durch eine Brücke mit dem Festland verbunden war und von den dort lebenden Menschen auch für andere Gottheiten genutzt wurde. Als Holzbau mit Tierhörnern verziert, beherbergte der Tempel zahlreiche Skulpturen slawischer Götter. Die Slawen brachten den Göttern Opfer wie Lebensmittel, Tiere etc., manche Quellen sprechen auch von Menschenopfern. Zwei wichtige Attribute des Kriegsgottes sind das Pferd und der Eber, ersteres als Zugtier des Sonnenwagens und Orakeltier für Kriegsfragen, letzteres ebenfalls als Orakeltier.

Die Verehrung von Tieren und Himmelskörpern wie der Sonne ist elementar in der slawischen Mythologie. Die Menschen waren abhängig vom Kreislauf der Natur, Opfer zu Ehren der vielen Götter eine normale Sache. Die Verehrung der Sonne und des Feuers auf Erden, dessen Beherrschung das Überleben sicherte, galt als zentrales Ritual.

Schlechte Ernten aufgrund des Wetters wurde meist auf den Zorn der Götter zurückgeführt. Kriegerische Auseinandersetzungen wurden nach Befragung des Orakels begonnen. Eine typische Methode war das Führen eines Pferdes über zwei gekreuzte Lanzen durch einen Priester. Je nachdem mit welchem Bein das Pferd zuerst über das Kreuz stieg, sagte es Erfolg oder Misserfolg des Krieges voraus. Die Wahl der Lanzen bezeugt den Einfluss des Kriegsgottes Radegast.

Es ist nicht geklärt, ob es außer dem Tempel in Radegast noch andere gab. Die slawischen Stämme lebten eher verstreut, daher liegt die Vermutung nahe. Sicher ist, dass auf Rügen ein weiteres religiöses Zentrum der Slawen war, am Kap Arkona. Heute ist die Tempelanlage verschwunden. Die Verehrung Radegast fand sicherlich auch dort statt, obwohl im Laufe der Zeit seine Dominanz abnahm und Svantovit, ein anderer Gott der Slawen, die Rolle des Kriegsgottes übernahm.

Ein weiteres Indiz für die Verehrung von Radegast über die nordostdeutsche Region hinaus, ist der Berg Radhošť in dem tschechischen Teil der Beskiden. Radhošť ist der tschechsiche Name für Radegast.

Schriftlichen Quellen aus der Zeit vor der Christianisierung der Slawen sind leider nicht vorhanden, so dass die allermeisten Beschreibungen von Gottheiten, Riten und der Lebensweise der Slawen von Chronisten mit christlicher Weltanschauung geschrieben wurden, was nicht immer zu 100% authentisch gewesen sein wird.

Mit der Christianisierung der Slawen ging der Einfluss der Gottheiten zurück, doch in jüngerer Zeit kehren immer mehr Menschen zu ihren Ursprüngen zurück und verehren die alten Götter, pflegen Traditionen und heidnische Feste.

Quellen

Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1992

Grimal, Pierre (Hrgs.). Mythen der Völker 3. Fischer, Frankfurt am Main: Fischer 1967

Ferdinand de Saussure

Der Name Saussure begegnet jedem Linguistik-Studierenden im ersten Semester und begleitet durch das ganze Studium, ob man will oder nicht.

Der Schweizer Ferdinand de Saussure prägte die Linguistik wie kaum ein anderer. Am 26. November 1857 in Genf geboren, studierte er in Leipzig und Berlin Indogermanistik, promovierte und lehrte in Paris und bis zu seinem Tod in Genf. Seiner Familie entstammten viele angesehene Wissenschaftler und Künstler, der akademische Weg war demnach ein Muss für den jungen Mann. Nach seinem Studium heiratete er Marie Faesch, aus einer angesehenen Schweizer Familie, mit der er einen Sohn bekam, Raymond de Saussure, der später als Psychoanalytiker bekannt wurde. Ferdinand de Saussure starb am 22. Februar 1913 auf Schloss Vufflens in der Schweiz.

Saussures Studium sowie seine Lehrtätigkeit ließen zahlreiche Forschungsarbeiten entstehen, die sich im Kern mit vergleichender Linguistik und Rekonstruktion des Indogermanischen befassten.

Doch viel bekannter als die zu Lebzeiten erschienenen Arbeiten, sind die Theorien des Strukturalismus. Saussures Schüler Charles Bally und Albert Sechehaye veröffentlichten nach seinem Tod das Buch „Cours de linguistique générale“ (dt. „Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft“), in dem Saussures Theorie „Sprache als Zeichen“ dargestellt ist. Er durchleuchtet jeden Aspekt der Sprache, hinterfragt und gibt mögliche Antworten. Wer es schon mal gelesen hat, wird feststellen, dass es durchaus zu Diskussionen anregt und zusätzliche Fragen aufwirft.

Ein klassisches Modell zur Definition bzw. Frage „Was ist Sprache?“ von Saussure teilt sich in drei Aspekte:

Langage →die Fähigkeit des Menschen zu sprechen

Langue → Sprache als Einzelsprache mit grammatischen Regeln etc., die innerhalb einer Gruppe von Menschen vorherrscht

Parole → der Sprechakt mit seinen individuellen Komponenten, die Veränderungen der Langue einleiten kann

Diese drei Aspekt bedingen einander, ohne ihre Kombination wäre die Kommunikation durch Sprache nicht möglich. Damit ist Sprache ein von Menschen für Menschen gemachtes System, das nur durch sie lebendig gehalten und verändert wird. Die stark theoretischen Ausführungen können das Thema „Sprache“ sehr abstrakt erscheinen lassen, denn im Alltag denken wir selten darüber nach wann wir etwas wie sagen.

Die Veränderlichkeit von Sprache(n) ist für Saussure abhängig von den Sprecher*innen, die Veränderungen einfließen lassen, aber andererseits unterliegen Sprachen Gesetzen z.B. historische Lautwandel, die unbewusst gesehen.

Saussure sah die Sprachwissenschaft als interdisziplinäre Wissenschaft an. Nur mit Hilfe der Soziologie, Geschichte, Ethnologie u.v.a. waren seiner Meinung nach konkrete Aussagen und Beweisführungen möglich. Für unser heutiges Verständnis von Wissenschaft ist das selbstverständlich, aber zu Saussures Zeiten ein recht neuer Gedanke.

Seine Zeichenlehre (weiter Stichworte→ semiotisches Dreieck, Signifikat, Signifikant, Arbitrarität des Zeichens etc.) begründete innerhalb der Linguistik ein neues Forschungsfeld, die Semiotik. Saussures Ideen des Strukturalismus wurde von vielen Forscher wie Roman Jakobsen oder Nikolai Trubetzkoy genutzt und ausgebaut, griffen in der 1930er Jahren aber auch auf andere Wissenschaftszeige wie der Anthropologie und Literaturwissenschaft über. Bekannte Vertreter sind z.B. Levi-Strauss und Roland Barthes.

Das Werk Saussures wird in der Sprachwissenschaft als Grundlage für viele weitere Forschungen genutzt. Die Allgemeingültigkeit seiner Theorien überdauern bislang die Schnelllebigkeit der Wissenschaftslandschaft.

Quellen

Jäger, Ludwig. Ferdinand de Saussure zur Einführung. Junius, Hamburg 2010

Joseph, John. Saussure. Oxford University Press, Oxford 2012

Saussure, Ferdinand. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. De Gruyter, Berlin 1967

Estnisch

Trotz der relativ kleinen Sprecherzahl von etwa 1,1 Millionen in und außerhalb Estlands, weist Estnisch (estn. eesti keel) eine lange Historie und interessante Sprachcharakteristika auf.

Es ist eine von 12 Sprachen des ostseefinnischen Zweiges der finno-ugrischen Sprachen, am engsten verwandt mit dem ausgestorbenen Livischen und Finnischen, aber auch entfernt mit Ungarisch. Als einzige Amtssprache Estlands gilt Estnisch seit dem EU-Beitritt 2004 auch als EU-Amtssprache, was der Sprecherzahl aber wenig nützt.

Wie die anderen Mitglieder der finno-ugrischen Sprachfamilie ist Estnisch eine flektierend-agglutinierende Sprache, was sich sprachhistorisch aber zu Gunsten der Flexion verschoben hat. Historisch beeinflusst wurde das Estnische stark vom Deutschen (Christianisierung durch den Deutschen Orden), Schwedischen (Zeit der Gegenreformation) und Russischen (Zugehörigkeit zum Russischen Reich und als Teil der Sowjetunion). Nach der Unabhängigkeit Anfang der 90er Jahre forcierte die estnische Regierung den flächendeckenden Ausbau des Estnischunterrichtes, Verwendung als Verwaltungssprache etc. Die im Land lebenden Minderheiten, vor allem ethnische Russen, müssen Estnischkenntnisse nachweisen, um entweder die Staatsbürgerschaft zu erhalten oder im Staatsdienst (weiter-)arbeiten zu können. Man kann sich gut vorstellen, dass diese sprachlichen Voraussetzungen bei den nationalen Minderheiten Ärger hervorrufen. Seit der Einführung dieser Regulierungen sind durch konsequenten Estnischunterricht in allen Schulen und ein gutes Kursangebot im Erwachsenenbereich deutliche Fortschritte zu erkennen.

Anders als viele europäischen Sprachen gibt es in Estnischen, im Verhältnis zur Sprecherzahl, massenhaft Mundarten innerhalb der Dialekte, was vor allem auf die Gesellschaftsstrukturen der letzten 250 Jahre zurückzuführen ist. Die Landbevölkerung war größtenteils an ihre Gemeinden gebunden, durch Leibeigenschaft und Frondienst. Daher waren ganze Bevölkerungsgruppen räumlich isoliert, was die Herausbildung von Dialekten begünstigt. Die heutige Standardsprache orientiert sich dabei an den Dialekten des Nordens, aber im Allgemeinen gleichen sich alle Dialekte mit der Zeit an.

Im NordenWest-Dialekt
Zentral-Dialekt
Ost-Dialekt
Im SüdenMulk-Dialekt
Tartu-Dialekt
Võru-Dialekt
Seto-Dialekt
 Nicht klassifiziertNordostküsten-Dialekt
Insel-Dialekt

Die Sprachstruktur des Estnischen unterscheidet sich deutlich von den Sprachen ihrer Nachbarstaaten wie Russland oder Lettland, was auf die unterschiedlichen Sprachzweige zurückzuführen ist und ein möglicher Grund dafür ist, dass viele ethnische Russen in Estland die Sprachprüfungen nicht zufriedenstellend absolvieren.

Estnisch wird in lateinischer Schrift geschrieben, dabei unterscheiden sich vom deutschen Alphabet nur die Buchstaben <š>, <ž> und <õ>. Das Vokalsystem ist, für deutsche Verhältnisse, reichhaltiger und regelintensiv. Alle Vokale (a, e, i, o, u, ü, ä, ö und õ) haben drei verschiedene Längen (kurz-lang-überlang), die distinktiv, d.h. bedeutungsunterscheidend, sind. Außerdem sind auch die Merkmale ‚Lippen gerundet-ungerundet‘ und ‚Zunge vorne-hinten‘ wichtig. Je nach Definition zählt das Estnische mindestens 20 oder mehr als 30 Diphthonge!

Das Konsonantensystem ist nicht übersichtlicher. Zwar gibt es nur 17 Konsonantenphoneme, die aber wie die Vokale über drei distinktive Längenstufen verfügen. Anders als im Deutschen werden die Plosive nicht behaucht.

Der Wortakzent estnischer Wörter liegt generell auf der ersten Silbe, bei Fremdwörtern bleibt der ursprüngliche Akzent meist erhalten. Da es im Estnischen, ähnlich wie im Deutschen, zahlreiche lange Wörter (meist Komposita) gibt, liegt der Nebenakzent auf einer der weiteren ungraden Silben.

Allgemein gibt es keine grammatischen Geschlechter, viele Personenbezeichnungen gelten sowohl für männlich und weiblich. Zusätzlich kennt das Estnische keine Artikel, weder bestimmt noch unbestimmt. Die zugrundeliegende Wortstellung ist SVO, wobei zwischen normalen Aussagesätzen und inversen Sätzen unterschieden werden muss. Die Variante OVS ist seltener, aber grammatisch korrekt. In Nebensätzen findet man, wie im Deutschen, das Verb an finaler Position. Ein interessanter Punkt ist die Verwendung von Partikelverben, die laut Wissenschaftlern eine deutsche Entlehnung darstellen. Die 14 Kasus machen auf Deutschsprechende schon ziemlich Eindruck, die Hälfte davon sind Lokalkasus.

Die Lexik des Estnischen ist durch die historischen Einflüsse, z.B. des Deutschen Ordens, mit mehreren tausend Entlehnungen durchsetzt. Diese stammen aus dem Nieder- und Hochdeutschen z.B. ‚müts‘ – ‚Mütze‘ oder ‚vürts‘ – ‚Gewürz‘. Heute findet man, wie überall, auch Entlehnungen aus dem Englischen. Die aus dem Russischen stammende Wörter werden auf etwa 300 geschätzt und wurden an die estnische Phonologie angepasst.

Quellen

Winkler, Eberhard. Estnisch. In: Miloš Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Laanest, Arvo. Einführung in die ostseefinnischen Sprachen. Buske-Verlag, Hamburg 1975

Sütterlin

Heutzutage beherrschen nur noch ganz wenige eine 1911 in Preußen eingeführte Schreibschrift, die von Ludwig Sütterlin entwickelt wurde: Das Sütterlin oder die Sütterlinschrift.

Die Sütterlinschrift ist eine spezielle Schreibschrift, die als Vorstufe der Kurrentschrift klassifiziert ist. Da die Kurrentschrift für Schreibanfänger der damaligen Zeit schwer zu erlernen war, beauftragte das preußische Kultur- und Schulministerium Ludwig Sütterlin damit eine vereinfachte Ausgangsschrift zu entwickeln.

Strenger als in Europa üblich, war der preußische Staat darauf aus den Schrifterwerb und allgemein Schreibkompetenzen aller Schüler möglichst effizient zu gestalten. Dazu gehörte auch eine effiziente Schreibung, die nicht nur einfach zu lernen, sondern auch schnell und leserlich zu schreiben war. Das Schreiben mit einer Metallfeder erfordert einen gleichmäßigen Druck und eine gute Hand-Auge-Koordination. Die sonst übliche Kurrentschrift erschwerte dies, sodass Ludwig Sütterlin die Buchstaben vereinfachte, das Verhältnis anpasste und sie vertikaler ausrichtete.

Seit 1915 lernten Kinder in Preußen Sütterlin, jedoch stand diese Schrift in großer Konkurrenz zur lateinischen Ausgangsschrift, die in den meisten europäischen Ländern mit lateinischer Schrift vorherrschte. Man kann auch vermuten, dass Preußen mit einer anderen Schrift ein politisches Statement setzen wollte, obwohl die lateinische Ausgangsschrift im Handel etc. unverzichtbar war.

Nach der Einführung der Sütterlinschrift ging die Verwendung der Kurrentschrift Schritt für Schritt zurück und ab 1935 wurde nur noch Sütterlin als Deutsche Volksschrift unterrichtet, dabei aber noch weiter vereinfacht. Die klassische Sütterlinschrift wurde 1941 sogar komplett abgeschafft. Ein denkbarer Grund wäre der Umstand, dass die Menschen in den von Deutschland besetzten Gebieten das klassische Sütterlin weder lesen noch schreiben konnten. Damit entstanden Probleme im Schriftverkehr und in der Durchsetzung von Anordnungen, daher wurde die einfachere Schrift als Standard festgesetzt.

Nach dem Krieg reaktivierte man Sütterlin nicht mehr und die Menschen, die es lesen und schreiben können, weil sie es in der Schule gelernt hatten, wurden naturgemäß mit der Zeit weniger.

Die Menschen, die heute oder auch schon die letzten Jahrzehnte schreiben gelernt haben, werden große Schwierigkeiten beim Entziffern der Sütterlinschrift haben. Vielleicht hat man noch Großeltern, die Sütterlin gelernt haben. An Schriftstücken fehlt es sicher nicht. Es gibt genug Archive, aus denen man sich Schriftproben holen kann. Freunde der schönen Handschrift lernen Sütterlin oft, um miteinander zu korrespondieren oder Briefe und Karten besonders ansprechend zu beschriften.

Nostalgiker und Sütterlinliebhaber versuchen seit dem Verschwinden der Schrift aus dem Lehrplan der Deutschen Schulen die Erinnerung lebendig zu halten. Sie geben Workshops zum Schrifterwerb oder führen Interessierte in Archive, um gemeinsam Dokumente in Sütterlin lesen zu üben. Das ist natürlich nur eine kleine Gruppe von Personen, aber sie pflegen ihre Leidenschaft treu.

Wer also interessiert ist, kann sich an die Hamburger Sütterlinstube und die „Sütterlin-Schreibstube“ in Konstanz wenden.

Quellen

Sütterlin, Ludwig. Neuer Leitfaden für den Schreibunterricht. Berlin 1926

Bartnitzky, Horst. Welche Schreibschrift passt am besten zum Grundschulunterricht heute? In: Grundschule aktuell, Heft 91, 2005