Serbski Kral – der Wendenkönig

Die Lausitz war schon früh, etwa ab dem 6. Jahrhundert, von westslawischen Stämmen besiedelt. Ihre Namen u.a. Milzener oder Lusitzi, kennt man nur aus Chroniken anderer Völker wie den Franken, weil die Slawen noch nicht über eine eigenen Schrift verfügten. Diese Stämme bildeten keine Einheit im Sinne eines Herrschaftsgebietes. Ein Fakt jedoch einte sie: der Kampf gegen die Missionierung ab dem 7. Jahrhundert. Doch im 9. Jahrhundert drang das Christentum in weite Teile des slawischen Siedlungsgebietes, auch in die Lausitz.

Die Menschen in der Lausitz erzählen sich bis heute die Geschichten vom Serbski Kral – dem Wendenkönig, der angeblich im Hochmittelalter lebte und sein Land gegen deutschstämmige Heere verteidigen musste. Laut der Überlieferung aus der Chronik des Fredegars im 7. Jahrhunderts war der Wendenkönig ein fränkischer Kaufmann namens Samo, der von den Wenden im 7. Jahrhundert zum König bestimmt wurde. Andere Sagen berichten von den Königen Miliduch und Přibislaw. Nach den Kämpfen um die Gebiete der Lausitz, gelangte der Titel ‚König der Wenden‘ in den Besitz der Dänen, die ihn aber im 20. Jahrhundert ablegten. Er war ein rein historischer Titel ohne Besitz o.ä.

Doch warum lebt die Legende des Wendenkönigs so intensiv in der Sagenwelt der Sorben weiter?

Der Wendenkönig wird verschieden dargestellt. In den meisten Erzählungen ist der Wendekönig ein älterer Mann, gut gekleidet und oftmals zu Pferd. Er besaß ein Schloss in der Nähe der Stadt Burg in der Lausitz. Der Wendenkönig kämpfte mit seinen Gefolgsleuten ständig gegen fremde Heere, die sich seines Gebietes bemächtigen wollten, vor allem gegen Deutsche.  Die Übermacht der Feinde hätte ihn eigentlich besiegen müssen, doch er konnte sich immer wieder gut verteidigen, wobei ihm dabei angeblich magische Fähigkeiten halfen.

Der Wendenkönig war unverwundbar und konnte sich seine Krieger aus Hafer und gehäckseltem Stroh erschaffen, die wie er unverwundbar waren. Durch diese Fähigkeiten verteidigte er mit seinem Heer sein Reich. Die Tatsache, dass der Serbski Kral unverwundbar war, legt nahe, dass er auch unsterblich sein könnte. Einer Geschichte nach vergrub er nach einer langen Regierungszeit seinen Schatz und verschwand einfach im Nichts. Auch sein Schloss verschwand im Morast des Spreewaldes und niemand hat es je wieder gesehen.

Damit könnte die Geschichte schon zu Ende sein. Die Lausitz gehört schon seit Jahrhunderten zu verschiedenen Reichen wie Sachsen, Preußen oder heute zu Deutschland. Es gibt also kein Reich eines sorbischen oder wendischen Herrschers mehr. Aber Legenden leben bekanntermaßen vom Erzählen der Geschichten. Noch heute erzählen die Leute in der Niederlausitz, dass es einen geheimen König unter den Bewohnern gibt. Er wird von ihnen immer wieder von Neuem aus der Gemeinschaft ausgewählt und alle müssen sich ihm unterordnen. Auch in der Oberlausitz soll es Familien geben, die in der Vergangenheit einen König stellen.

In vielen Erzählungen kommt der Wendenkönig als unchristlicher Herrscher vor: Er soll, um seine Herrschaft zu behalten, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein. Da ihm der christliche Glaube von den Deutschen aufgezwungen war, er aber immer an seinem alten Glauben festhielt, musste er im Verborgenen leben. Er stahl Kinder von den Deutschen, um sie umzuerziehen. Inwiefern solche Erzählungen auf wahren Gegebenheiten beruhen, ist nicht festzustellen.

Weder die Figur noch die Herrschaft des echten Wendenkönigs ist historisch belegt, aber es zeigt den Wunsch der Sorben/Wenden nach Eigenständigkeit und Nationalstolz. Vor allem die Kluft zwischen den Deutschen und den Sorben kommt in den Geschichten des Wendenkönigs offen zu Tage. Die Sorben haben immer unter der Vorherrschaft der Deutschen gelebt und ihr König gab ihnen Hoffnung auf ein eigenständiges Land.

Doch mittlerweile gehört der Serbski Kral in den Sagenschatz, genauso wie Wódny muž (Wassermann), Plón (der sorbische Drache), die Lutki und viele andere.

Quellen

Haupt, Karl. Sagenbuch der Lausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 1991

Kunstmann, Heinrich. Dagobert I. und Samo in der Sage. Zeitschrift für Slavische Philologie, Nr. 2 (1975)

Schneider, Erich (Hrsg.). Sagen der Lausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 1982

Belarusisch

Jede Sprache ist politisch, denn sie prägt die Gesellschaft und unser Denken. Besonders stark politisiert eine Sprache in einem Land, in dem Unruhen und politische Missstände herrschen. Eins der aktuellsten Beispiele in Europa ist Belarusisch.

Belarusisch (беларуская мова), früher auch Weißrussisch genannt, ist die Erstsprache von ca. acht Millionen Menschen. Die meisten Erstsprecher*innen leben in Belarus, doch auch in anderen Staaten wie Lettland, Deutschland oder den USA finden sich größere Sprecher*innengruppen. Die im Ausland lebenden Belarusischsprecher*innen werden mit unter auf drei Millionen geschätzt.

Belarusisch ist die Amtssprache in Belarus, neben Russisch, und eine anerkannte Minderheiten- bzw. Regionalsprache in Polen, Russland, Litauen und der Ukraine. Die Sprache gehört zur ostslawischen Sprachfamilie, ist also u.a. eng mit Ukrainisch verwandt, und ging aus dem Rusinischen hervor.

Die Herausbildung des Belarusischen hängt eng mit historischen Ereignissen zusammen, denn die Machtverhältnisse änderten sich ständig. Während im späten Mittelalter das Großfürstentum Litauen zahlreiche Kanzleisprachen wie Rusinisch (oft wird der Begriff Ruthenisch verwendet), Polnisch oder Latein verwendete, dominierte nach der Personalunion mit Polen 1569 das Polnische und verdrängte die anderen v.a. slawischen Sprachen aus dem offiziellen Gebrauch. Es wurde eher zur Sprache des einfachen Volkes, was seinem Ansehen leider ziemlich schadete.

Die Sprachsituation heutzutage ist durch den starken Einfluss des Russischen, wie in vielen ehemaligen Sowjetstaaten, zweigeteilt. Die Jahrzehnte mit russischsprachiger Monopolstellung und die historische Abwertung des Belarusischen als ‚einfache‘ Sprache werden erst nach und nach aufgearbeitet.

Belarusisch besitzt 6 Vokale und 39 Konsonanten. Da die meisten Konsonanten paarig (d.h. im Kontrast stimmhaft- stimmlos und hart-weich) vorkommen, wäre eine Zählung von 48 Konsonanten auch möglich. Die Vokale werden in ihrer Betonung je nach Vorkommen im Wort unterschieden.

Wie in den slawischen Sprachen üblich bringt das Belarusische ein reiches Flexionssystem mit: drei Genera, sechs Kasus und zwei Numeri. Das Verb, immer in Aspektpaaren vorkommend, besitzt die gewohnten drei Tempora Präsens, Perfekt und Futur. Allerdings gibt es noch Reste vom Plusquamperfekt, die aber fast nur im Mündlichen zu finden sind.

Trotz der starken Beeinflussung anderer slawischer Sprachen zeigt sich im Belarusischen eine Neigung untypischer syntaktischer Konstruktionen, deren Herkunft oft in volkstümlichen Sprachvarianten gesucht wird.

Wie alle slawischen Sprachen stammt der Großteil des Wortschatzes aus dem slawischen Erbwortschatz, jedoch sind über die Jahrhunderte viele Entlehnungen über das Polnische und vor allem Russische eingewandert. Die Differenzierung, was ist urslawisch, was aus anderen Slawinen stammt, ist mühsam. Neueres Vokabular z.B. aus der Technik, sind aber gut nachvollziehbar, meist aus dem Russischen stammend. Der Anteil nichtslawischer Wörter stammt v.a. aus dem Baltischen, Deutschen und Englischen.

Interessanterweise gibt es für das Belarusische zwei kodifizierte Schriften, die kyrillische und die lateinische Łacinka. Die Łacinka stammt aus dem 17. Jahrhundert und war sogar als offizielle Schrift in Gebrauch. In der ersten Zeit des Belarusischen gab es auch Varianten in arabischer und hebräischer Schrift, die von Tataren oder Juden verwendet wurden.

Das heutige kyrillische Alphabet umfasst 32 Buchstaben. Die Schreibung erfolgt meist phonetisch, das zeigt sich im Kontrast zum Russischen vor allem in der Schreibung der unbetonten Vokale. Jedoch werden nicht alle Lautveränderungen z.B. bei Stammalternationen zu 100% verschriftlicht. Die Kodifizierung der jetzt gültigen Rechtschreibung fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt, mehrere Reformen spaltete die Schreibung in eher russisch orientiert und konsequent belarusisch; bis heute.

Neben dem standardisierten Belarusisch teilt sich das Sprachgebiet in ein von Nordosten nach Südwesten verlaufendes Dialektkontinuum, die sich v.a. in phonologischen Aspekten unterscheiden z.B. die Aussprache des ‚weichen R‘.

Die Nähe zum Polnischen, Ukrainischen und Russischen ermöglicht zwischen den Sprecher*innen eine gute Verständigung untereinander. Die politische Situation in Belarus führt in den letzten Jahren zu einem Prestigegewinn des Belarusischen in der Bevölkerung. Die Machthaber in Belarus kümmern sich jedoch kaum um Möglichkeiten das Belarusische zu fördern, weder in den Medien noch in der Bildungspolitik. Das Interesse der Menschen für die belarusische Sprache ist zu einer Frage nach Freiheit und eigener Identität geworden.

Quellen

Bieder, Hermann. Das Weißrussische. In: P. Rehder (Hrsg.): Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt 1998

Cychun, Hienadź. Weißrussisch. In: Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Marchant, Chris. Fundamentals of Modern Belarusian, http://www.vitba.org/fofmb/fofmb.pdf

Jan Arnošt Smoler

Das 19. Jahrhundert war in Europa eine Zeit des Nationalen Erwachens. Die vorangegangenen Kriege, der Wiener Kongress und die Herausbildung des Bürgertums schafften die Voraussetzungen für die Belebung des Nationalbewusstseins, vor allem in Mitteleuropa. Auch im sorbischen Gebiet etablierten sich die Forderungen nach mehr Rechten und der freien Auslebung der sorbischen Kultur, die durch viele Sorben aktiv gefordert und gelebt wurde. Einer der bekanntesten ‚Väter‘ der sorbischen Wiedergeburt war der Philologe und Schriftsteller Jan Arnošt Smoler.

Geboren am 03.März 1816 in Merzdorf (obersorbisch Łućo), einem Ort in der Oberlausitz, war Jan Arnošt Smoler, sein deutscher Name ist Johann Ernst Schmaler, das älteste von fünf Kindern. Sein Vater Johann arbeitete als Lehrer und Kantor und brachte den Kindern die sorbische Kultur näher. Seine Schulzeit am Bautzener Gymnasium war vor allem deutschsprachig geprägt, jedoch setzte er sich schon in Bautzen für den Sorbischunterricht ein. Auch in Breslau, wo er ab 1836 Theologie und ab 1841 slawische Philologie studierte, konnte Smoler seine Mitmenschen für sorbische Themen gewinnen und gründete den Akademischen Verein für lausitzische Geschichte und Sprache.

Zwischen den beiden Studienaufenthalten lebte er wieder in der Lausitz und engagierte sich im Sorbentum, sammelte Lieder und Geschichten, die er mit anderen Mitstreitern in einem Band herausgab. Smoler korrespondierte intensiv mit bedeutenden Vertretern der slawischen Welt, u.a. Ján Kollár und Václav Hanka. 1847 gründete er mit anderen den Verein Maćica Serbska, einer wissenschaftlichen Gesellschaft, die sich bis heute mit der Pflege der sorbischen Kultur beschäftigt.

Die politischen Ereignisse 1815 und 1848 betrafen auch die sorbischen Gebiete. Die Teilung der Lausitz in zwei Staaten, Sachsen und Preußen, litten die Sorben unter starkem politischem Druck sich zu assimilieren. Das Revolutionsjahr 1848 verschärfte die Repressalien gegen alle Minderheiten in Preußen. In dieser Zeit erhöhte sich die Anzahl der sorbischen Auswanderungen nach Amerika und Australien. Jan Arnošt Smoler setzte sich für die Rechte der Sorben ein. Die sächsische Regierung behandelte die sorbische Minderheit weniger restriktiv als die preußische. Ab 1850 wurde in Sachsen der Schulunterricht in sorbischer Sprache eingeführt, Smoler war als einer der ersten Lehrer in Bautzen tätig. Zusätzlich zu seiner Lehrtätigkeit verfasste er Sorbisch-Lehrbücher, denn durch die Einschränkungen standen keine geeignete zur Verfügung.

Die Lehr- und Schriftstellertätigkeiten führten Smoler 1852 zur Gründung einer Buchhandlung in Bautzen. Außerdem verlegte er ab 1854 eine sorbische Zeitung und brachte im Laufe der Zeit viele Schriften zu sorbischen Themen heraus. Smoler reiste viel in den Ländern Osteuropas, knüpfte Kontakte und versuchte für die Sorben Fürsprecher bei anderen Staaten zu gewinnen. Für ihn war die Verbindung der slawischen Sprachen der Schlüssel für die Verständigung zwischen der Völker.

Seine Publikationen sind zahlreich und themenübergreifend. Von Lehrbüchern, über Grammatiken und Geschichtensammlungen bis hin zu Folkloresammlungen war alles dabei. Seine verlegten Werke umfassten ebenfalls die ganze Bandbreite der slawistischen Themen.

Smoler war nicht nur im Beruf sehr aktiv. Mit seiner ersten Frau Amalia Christa hatte er sieben Kinder, jedoch starb seine Frau schon 1868. Seine zweite Frau war Ernestine, geb. Heinzelmann, die Ehe blieb kinderlos. Jan Arnošt Smoler starb am 13. Juni 1884 in Bautzen.

Sein Wirken ist bis heute überall in der Lausitz sichtbar. Die Buchhandlung in Bautzen und eine Begegnungsstätte in Lohsa tragen seinen Namen. Die von ihm geschaffene Werke sind Zeugnisse der tiefen Verbundenheit zu einem Volk, das in der Vergangenheit und auch in der Zukunft um seine Rechte und Anerkennung kämpfen muss.

Quellen

Kunze, Peter Kunze. Johann Ernst Schmaler. In: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (Hrsg.): Sächsische Biografie.

Schön, Franz & Scholze, Dietrich (Hrsg.). Sorbisches Kulturlexikon. Domowina-Verlag, Bautzen 2014

Lesen als kultureller Teil des Menschen

Lesen ist uns Menschen nicht angeboren, es ist eine Kulturtechnik.  Sie geht einher mit der Technik des Schreibens, denn Lesen ist das Umformen von Schrift in Sprache. Die Frage nach dem ‚Was war zuerst?‘ Ist dennoch nicht pauschal zu beantworten, denn auch Zeichnungen oder Bilder etc. können eine Art des Lesens erfordern. Doch für die meisten Menschen denken beim Begriff ‚Lesen‘ an Schrift und geschriebene Texte.

Die Fähigkeit zu lesen ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Neben Büchern und Zeitschriften begegnet uns überall Text, auf Straßenschildern, Verpackungen, Busanzeigen uvm. Ohne die Fähigkeit zu lesen, würde man sich bei uns kaum zurechtfinden. Können wir uns ein Leben ohne Lesen vorstellen? Und damit meine ich jetzt nicht die vielen Menschen, die sich am liebsten mit einem Buch ins Bett oder auf die Couch verkrümeln, sondern unser Alltagsleben.

Seit wann liest der Mensch? Einfachste Antwort: seit es Schrift gibt. Doch so einfach ist es auch wieder nicht. Schreiben und Lesen bedingen sich zwar, aber sind zwei getrennte Techniken. Ein Mensch kann lesen, ohne zu schreiben und umgekehrt. Und bis in die Neuzeit war es eher die Ausnahme, dass Menschen lesen und schreiben konnten.

Lesen erfordert ein hohes Maß an Abstraktionsvermögen. Schriften bilden Sprache auf eine abstrakte Art und Weise ab, deren ‚Entschlüsselung‘ nicht minder komplex ist. Einem Kind erscheinen Buchstaben oder Schriftzeichen wie Magie, nicht anders ist die Faszination kleiner Kinder am Lesen lernen zu erklären. Die Erwachsenen lesen ihnen vor, die komischen Zeichen scheinen Sprache zu sein, das wollen sie erforschen. Viele Kinder schaffen es sich selbst lesen beizubringen, ihre Neugier, ihr Gedächtnis und ein gutes Abstraktionsvermögen helfen ihnen dabei.

Lesen lernen ist eine der ersten Fähigkeiten der elementaren Schulbildung, die Methoden unterscheiden sich jedoch. Es geht nicht nur darum einzelne Buchstaben zu identifizieren und aus ihnen Wörter zu bilden, sondern auch Phrasen und Sätze zu verstehen. Dabei erkennen wir Wörter im Allgemeinen als Ganzes. Doch diese Fähigkeit entwickelt sich erst nach und nach. Zu Beginn lernen Kinder die gelernten Buchstaben lautlich aneinanderzureihen und zu verbinden.  Häufige Wörter wie ‚ist‘, ‚und‘ oder ‚das‘ werden mit einiger Übung kaum noch als einzelne Buchstaben wahrgenommen. Die Lesegeschwindigkeit nimmt durch Üben und der richtigen Technik rasch zu, so dass Kinder nach einiger Zeit ganze Texte lesen und verstehen können. Tritt ein unbekanntes oder seltenes Wort im Text auf, greifen fast alle Leser*innen auf das Buchstabieren zurück, um sich den Sinn des Wortes zu erschließen. Je vertrauter man mit dem Thema des Textes ist, desto schneller liest man.

Es stellt sich noch die Frage nach der Motivation des Lesens. Die Menschen lesen aus unterschiedlichsten Gründen, meist aus Freude und Wissensdurst. Für die Kinder und Erwachsenen, die gerade lesen lernen, ist Lesen eine enorme Anstrengung. Sie müssen die Buchstaben in Wörter und Sätze fassen und gleichzeitig ihren Sinn begreifen.

Ich erinnere mich gut daran, dass ich mich als Kind schwer getan habe zu lesen. Meine Mutter hat viel mit mir üben müssen, aber irgendwann hat es Klick gemacht. Die Nachmittage meiner Grundschulzeit habe ich häufig in der Bibliothek verbracht. Noch heute streife ich am liebsten durch Bibliotheken und Antiquariate oder über Flohmärkte, um ein paar Schätzchen zu finden. Fremde Schriften, die ich nicht verstehe, wecken in mir den Wunsch sie lesen zu lernen, obwohl das natürlich eher Wunschdenken als Realität ist.

Ich versuche mir auch oft vorzustellen, wie es wäre in einer Kultur ohne Schrift zu leben. Aus heutiger Sicht für mich undenkbar, denn sobald man sein Lesen automatisiert hat, kann man es nicht mehr verlernen. Aber Kulturen ohne Schrift sind deshalb nicht weniger kultiviert, nur auf eine andere Art, sie sind über Mündlichkeit geprägt. Geschichten, Legenden oder medizinisches Wissen werden von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Das erfordert viel Gedächtniskapazität, die wir durch unsere Möglichkeit Wissen zu konservieren nicht mehr nutzen.

Die Speicherung von Wissen ist durch die Verschriftlichung gesichert, wir sind es gewohnt schnell alles nachlesen zu können, in Büchern, im Internet usw. Doch das Beste ist das Lesen aus purer Freude, ohne Recherche im Hinterkopf. Einfach das Lieblingsbuch an der Lieblingsstelle aufschlagen und eintauchen in eine andere Wirklichkeit.

Quellen

Birkenbach, Matthias. Von den Möglichkeiten einer ›inneren‹ Geschichte des Lesens. Max Niemeyer Verlag. Tübingen 2017

Rühr, Sandra. Sinn und Unsinn des Lesens: Gegenstände, Darstellungen und Argumente aus Geschichte und Gegenwart. V&R Unipress. Göttingen 2013

Wolf, Maryanne. Das lesende Gehirn – Wie der Mensch zum Lesen kam – und was es in unseren Köpfen bewirkt. Spektrum. Heidelberg 2009

Berlin – eine Stadt mit Ecken und Kanten

Die Hauptstadt Deutschlands mit bald vier Millionen Einwohner*innen aus aller Herren Ländern ist nicht nur eine coole Socke, sondern auch meine Heimatstadt! Das allein ist schon ein Pluspunkt für einen Artikel für eine Region, die mit Geschichte und Vielfalt glänzen kann.

Berlin liegt im Nordosten Deutschlands an der Spree und wird von dem Bundesland Brandenburg völlig umschlossen. Neben der Spree hat Berlin noch zahlreiche andere Gewässer u.a. die Havel, die Wuhle, den Großen Wannsee und den Großen Müggelsee. Auch die Waldgebiete und großen Parks machen Berlin grüner als viele andere deutsche Städte.

Der Name Berlins geht auf slawische Ursprünge zurück. Polabische Stämme siedelten etwa seit dem siebten Jahrhundert auf dem Gebiet. Der Name Wort ‚Birlin‘ stammt vom polabischen ‚birl‘ oder ‚berl‘ und bedeutet ‚Sumpf‘, versehen mit der Endung ‚-in‘ für eine Ortsbezeichnung.

Das Wappen, der berühmte Bär, ist entgegen vielen Behauptungen nicht der Namensgeber, denn er erscheint erst nach der urkundlichen Erwähnung Berlin aus dem Stadtsiegel, und verdrängt später den Adler als Wappentier der Stadt.

Archäologische Funde im ganzen Stadtgebiet weisen darauf hin, dass erste Siedlungen schon in der Jungsteinzeit errichtet wurden, aber weit verstreut und noch nicht in der Größe wie im Mittelalter. Die Besiedlung lässt sich wahrscheinlich germanischen Stämmen zuordnen bis ab dem 6. Jahrhundert slawische Stämme im Berliner Gebiet niederließen. Die Besiedlung des historischen Berliner Kerns datieren Forscher auf das 12. Jahrhundert.

Erstmalig erwähnt wurde die Stadt im Mittelalter in einer Urkunde aus dem Jahr 1244. Die Siedlung bestand aber mit Sicherheit schon etliche Jahre früher. Ihre günstige Lage an der Spree macht sie zu einem idealen Handelspunkt. Zusammen mit Kölln (man findet auch die Schreibweise Cölln) bildetet es einen Art Doppelstadt, beide wurden aber eigenständig verwaltet.

Im Spätmittelalter nutzten die Hohenzollern Berlin als Residenz, was der Wirtschaft und Kultur großen Aufschwung verlieh. Diese Blütezeit endete mit dem Dreißigjährigen Krieg, der die Bevölkerung Berlins erheblich dezimierte. Die liberale Religionspolitik ließ Raum für Glaubensflüchtlinge z.B. den Hugenotten, deren Wirken noch heute zu sehen ist. Berlin wuchs unter der Regierung der Hohenzollern immer weiter, die Stadt Kölln wurde 1710 zu einem Teil Berlins, die Bevölkerungszahl stieg stetig an. 1877 lebten eine Million Menschen in Berlin.

Als Hauptstadt Preußens zog Berlin immer mehr Menschen an, Fabriken und Handelszentren entstanden, weitere Gemeinden wurden der Stadt einverleibt z.B. 1861 Moabit und Wedding, sodass nicht nur die Zahl der Einwohner zunahm, sondern auch die Armut, besonders der Arbeiter. Die Kluft zwischen Arm und Reich lässt sich noch heute in den Bezirken sehen.

Im 20. Jahrhundert war Berlin Schauplatz für zahlreiche historische Ereignisse z.B. der Spartakusaufstand 1919, der Reichstagsbrand 1933, die Luftbrücke 1948-1949, den Bau der Berliner Mauer 1961 u.v.m.

Als geteilte Stadt war sie jahrzehntelang ein Symbol für das geteilte Deutschland, für unterschiedliche politischen Systeme und für die Wiedervereinigung Deutschlands.

Heute steht Berlin für Vielfalt und Weltoffenheit, auch wenn sich einige politische Kräfte in der Stadt wieder vermehrt für Nationalismus einsetzen (leider ein gesamtdeutsches Phänomen). Berlin ist ein Schmelztiegel, die vielfältige Kulturlandschaft ermöglicht den Berliner*innen Einblicke in die Welt ohne Berlin verlassen zu müssen. Heute leben Menschen aus fast 200 Ländern in Berlin. Überall hört man verschiedenste Sprachen, kann jede erdenkliche ausländische Küche genießen oder Menschen aus anderen Ländern treffen. Das Angebot ist riesig und wird immer größer.

Die Grenzen zwischen Berlin und seinem Nachbarn Brandenburg verschwimmen durch die Bebauung der Außenbezirke und des ‚Speckgürtels‘ immer mehr, viele Berliner*innen wohnen außerhalb der Stadt. Es ist ruhiger und (noch) bezahlbarer als in der Stadt.

Ich liebe diese Stadt mit all ihren Macken! Hier fühle ich mich nicht nur als Deutsche und Berlinerin, sondern auch als Europäerin!

Quellen

Jens Bisky: Berlin. Biographie einer großen Stadt. Rowohlt Berlin, Berlin 2019

Volker Spiess (Hrsg.): Berliner biographisches Lexikon. 2. Auflage. Haude & Spener, Berlin 2003

Sorbische Sprachinseln in Australien

Die großen Auswanderungswellen des 19. Jahrhunderts erfassten große Teile der Bevölkerung des deutschen Kaiserreiches. Finanzielle Nöte, schlechte Ernten, Glaubenskonflikte und viele andere Gründe bewegten die Menschen dazu alles hinter sich zu lassen und in der Ferne ein neues Leben zu beginnen. Die unterschiedlichen Gruppen brachten aus ihrer Heimat nicht nur die Sehnsucht eines besseren Lebens mit, sondern auch ihre Bräuche, Traditionen und Sprachen. Es entstanden in der neuen Heimat kleine Sprachinseln, weit weg vom Kerngebiet der Sprache.

Auch aus dem sorbischen Siedlungsgebiet machten sich mehrere tausend Menschen, genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, auf die Reise ins Ungewisse. Die gesellschaftlichen Strukturen im deutschen Kaiserreich veränderten sich zusehends. Viele Sorben auf dem Land, vor allem in der Niederlausitz, lebten in großer Armut, arbeiteten als Tagelöhner, Knechte oder Mägde, ohne die Chance zu haben gesellschaftlich auszusteigen. Es ist also nicht verwunderlich, dass sie empfänglich waren für Erzählungen von Land und Freiheit. Die Sorben aus der Oberlausitz hatten eher mit Glaubensfragen zu kämpfen, die sie in die Ferne zog. Galten doch die klassischen Auswanderungsländer wie Amerika und Australien als liberal in religiösen Fragen.

Die ersten Auswanderungsgruppen machten sich 1848 auf den Weg nach Australien. Nach monatelanger Vorbereitung (Ausreisepapiere besorgen, evtl. sein Land verkaufen etc.) dauerte die Reise mit dem Schiff nochmal einige Monate und für viele war schon die Fahrt aus der Heimat bis zu den großen deutschen Häfen wie Hamburg die erste Reise ihres Lebens. Auf den Schiffen herrschten Enge, Schmutz und Langeweile. Die Route führte über Rio de Janeiro, zur Aufstockung der Vorräte, nach Melbourne im Bundesstaat Victoria. Von dort aus fuhren die sorbischen Auswanderer ins Landesinnere oder in die benachbarten Bundesstaaten New South Wales oder South Australia. Wer mit Geld aus der Heimat kam, konnte Land erwerben, doch viele Ärmere verdingten sich als Arbeiter auf Farmen oder in Städten wie Adelaide, Portland oder Melbourne. Aufgrund fehlender Englisch-Kenntnisse waren die Menschen oft Opfer von Ausbeutung.  

Die Anfänge für die Landwirte waren schwer, da das Land erst urbar gemacht werden mussten und das Baumaterial für Behausungen knapp war. Der Wassermangel machte den Landwirten die Bewirtschaftung zu einer nie dagewesenen Kraftanstrengung.  Einige wenige schafften es dennoch sich Rinder- oder Schafsherden auszubauen und gelangten zu einem gewissen Wohlstand.

Das größte Problem für die sorbischen Auswanderer war die fehlende geistliche Unterstützung. Den meisten Auswanderungsgruppen fehlte der geistliche Beistand, denn es war schwer einen Geistlichen zu überzeugen mit ihnen zusammen auszuwandern. Und weil viele Sorben unterschiedlichen Glaubensrichtungen z.B. Altlutheraner und reformierten Lutheranern anhingen, schlossen sich die Gemeinden auch nicht zusammen. Daraus resultierten nur kleine Gemeinden, die alleine kaum überlebensfähig waren. Sie schlossen sich im Laufe der Zeit mit deutschen Gemeinden zusammen, die ihnen aber zahlenmäßig weit überlegen waren.

Erste Siedlungen wurden in der Nähe von Penshurst (Siedlung Gnadenthal) und Bethanien (Siedlung Rosenthal) errichtet, weitere kleinere wie Walla Walla in New South Wales folgten, wurden aber oft nach einigen Jahren wieder aufgegeben. Die Lebensbedingungen waren oft einfach zu schlecht, das Land schwer zu bewirtschaften oder es fehlten Arbeitskräfte.

In der neuen Heimat verloren die sorbischen Bräuche und Traditionen schnell an Bedeutung. Die Sorben passten sich schnell die deutschen Siedler an, trugen die sorbischen Trachten selten und feierten ihre Feste auf andere Art. Die Jahreszeiten waren in Australien verkehrt herum, Weihnachten im heißen Sommer zu feiern kam vielen unwirklich vor. Die alten Legenden und Geschichten verloren hier an Bedeutung, es fehlten auch Medien wie Bücher, um dieses Wissen weiterzugeben.

Auch die sorbischen Sprachen (Nieder- und Obersorbisch) hatten einen denkbar ungünstigen Stand. Durch die wenigen Geistlichen, die in Sorbisch predigten, wichen die Auswanderer und ihre Nachkommen auf deutsche Gottesdienste aus. Die Verwaltung Australiens war außerdem englischsprachig. Die Kinder in den sorbischen Gemeinden sprachen meist nur zu Hause Sorbisch, manchmal lernten sie es auch in der Schule lesen und schreiben, aber nach einigen Generationen verlor das Sorbische auch seinen Status als Familiensprache. Im familiären Umfeld war das Deutsche einfach zu dominant. Viele Mischehen zwischen Sorben und Deutschen verstärkten diese Tendenz. Oft konnten Kinder zwar noch sorbische Lieder oder Gebete singen, verstanden aber die Sprache im Alltag nicht und gaben sie schließlich auch nicht an die nächste Generation weiter. Lediglich Briefe an die Verwandten wurden auf Sorbisch geschrieben, bis die Sprecher*innen es schriftlich nicht mehr beherrschten.

Der australische Staat hatte natürlich kein Interesse an der Erhaltung des Sorbischen. Die komplette Verwaltung in den Städten und höhere Bildungseinrichtungen funktionierten nur auf Englisch. Genaue Zahlen der Sorbischsprecher*innen existierten. Die letzten Muttersprachler*innen starben, nach Schätzungen, etwa in den 1930er Jahren. Heute finden sich nur einige Grabsteine mit sorbischen Inschriften, sonstige Zeugnisse sind kaum erhalten.

Quellen

Kunze, Peter. Kurze Geschichte der Sorben. Ein kulturhistorischer Überblick. Domowina Verlag, Bautzen 2017

Malinkowa, Trudla. Ufer der Hoffnung. Sorbische Auswanderer nach Übersee. Domowina-Verlag. Bautzen 1995

Albanisch

Mit fast 8 Millionen Sprecher*innen gehört Albanisch (alb. gjuha shqipezur) zu den sogenannten balkanindoeuropäischen Sprachen, gemeinsam mit u.a. Griechisch und Armenisch, wobei nur von einer entfernten Verwandtschaft dieser Sprachen ausgegangen wird.  

Albanisch ist heute die Amtssprache Albaniens, des Kosovos, Nordmazedoniens und in Teilen Montenegros. Außerdem ist die albanische Sprache in Italien, Rumänien und Serbien als Minderheits- bzw. Regionalsprache anerkannt, doch die Mehrheit der Albanischsprecher*innen lebt außerhalb Albaniens.

Historisch belegt ist Albanisch bzw. das Volk der Albaner etwa ab dem 11. Jahrhundert, die schriftlichen Quellen stammen aus Byzanz. Das erste und damit älteste Schriftstück in albanischer Sprache ist ein Taufspruch in einem Brief aus dem Jahr 1462. Gedruckte Werke sind ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zu finden, vor allem religiöse Werke z.B. ein Messbuch von Gion Buzuku, geschrieben 1555. Ab dem 17. Jahrhundert zeigt sich eine produktive Buchdruckphase, neben religiösen Texten auch Wörterbücher, Grammatiken und Volkserzählungen.

Das Albanische besitzt 7 Vokal- und 29 Konsonantenphoneme. Der Kontrast ‚stimmhaft‘-‚stimmlos‘ ist bei den Konsonanten in der Standardvarietät sehr entscheidend, jedoch dialektal unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Vokallängen lang-mittel-kurz beziehen sich auf die Silbenstruktur. Auch Diphthonge, in betonten Silben aus zwei Vokalen oder in unbetonten Silben aus Vokal und Gleitlaut bestehend, kommen vor.

Grammatisch ähnelt das Albanische vielen indoeuropäischen Sprachen. Es besitzt zwei Genera, maskulin und feminin. Das Neutrum ist nur noch in Resten zu finden. Zu den 4 Kasus, die wir auch im Deutschen kennen, kommt noch der Ablativ dazu, und die Deklination erfolgt größtenteils über Suffixe. Artikel werden vor allem zum Verbinden von Substantiven mit Adjektiven gebraucht, weisen also nicht die determinierende Funktion wie im Deutschen auf. Die Verbkonjugation ist sehr komplex z.B. mehr Modi als im Deutschen. Die grundlegende Satzgliedfolge ist Subjekt-Prädikat-Objekt, kann aber kontextuell stark variiert werden.

Durch Sprachkontakt findet man im albanischen Wortschatz eine große Anzahl von Entlehnungen aus u.a. dem Lateinischen, Griechischen, Slawischen und Türkischen, häufig bezogen auf Wortfelder wie Landwirtschaft oder Religion. Hinzu kommen in jüngerer Zeit Internationalismen und Anglizismen. Die albanische Sprache besitzt vielfältige Wortbildungsmechanismen, so dass aus Entlehnungen und Erbwortschatz leicht neue Lexeme entstehen können, die systematisch der albanischen Orthografie angepasst werden.

Geschrieben wird Albanisch heute in lateinischen Buchstaben, fehlende Phoneme werden meist durch Doppelgrapheme oder Diakritika z.B. <xh> oder <ë> ergänzt. Die Schreibung erfolgt in der Regel phonetisch, d.h. ein Phonem entspricht einem Graphem.

Die Standardisierung des Albanischen erfolgte in der Zeit der ‚Nationalen Wiedergeburt‘ (‚Rilindja Kombëtare‘) etwa ab 1870, die nicht nur die Sprache betraf, sondern auch die Bildung einer Nation als Einheit. Bei der Staatsgründung Albaniens 1912 wurde Albanisch als einzige Amtssprache festgelegt. Trotzdem ist das Land multilingual, vor allem Italienisch und Griechisch sind verbreitet, was auch für die kleinen Gemeinden von Albanern in diesen Ländern spricht.

Neben der albanischen Standardsprache existieren zwei große Dialektgruppen: das Gegische und das Toskische, die sich vor allem in ein Nord-Südkontinuum einordnen lassen, dass sich von Albanien bis in den Kosovo erstreckt. Das Tokische ist die Basis für das Standardalbanisch. Die Unterschiede der beiden Dialektgruppen sind weniger phonetisch als vielmehr morphologisch und lexikalisch.

Die albanische Literatur ist seit der ‚nationalen Wiedergeburt‘ ein stetig wachsender Fundus verschiedenster Genres. Zu Beginn noch an europäischen Vorbildern erinnernd, schufen die albanischen Schriftsteller*innen wie Pasko Vasa oder Naim Frashëri Zeugnisse der albanischen Kultur und Geschichte, in denen man den Stolz der Albaner spürt. In West- und Mitteleuropa sind albanische Autoren und deren Werke kaum bekannt. Erst langsam müssen sie sich die Aufmerksamkeit der Leserschaft erarbeiten. Innerhalb Albaniens gab es in der Vergangenheit oft Kritik an Schriftsteller*innen, die in Dialektformen schrieben, aber das scheint heute allgemein akzeptiert zu sein.

Quellen

Fiedler, Wilfried. Einführung in die Balkanphilologie. In: Einführung in die slavischen Sprachen. (Mit einer Einführung in die Balkanphilologie). 3., verbesserte und erweiterte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998

Okuka, Miloš & Gerald Krenn (Hrsg.). Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Albanisch. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Sibirische Mythologie

Sibirien ist ein Begriff, den die meisten mit Eis, Schnee und Kälte verbinden. Doch in diesem scheinbar unendlichen Land mit sehr wenigen Bewohnern findet man uralte Mythen und Legenden, die Verbindungen mit der Mythologie der Finnen und anderen finno – ugrischen Völker zeigen.

Die Besiedlung Sibiriens ist wie ein Schmelztiegel unterschiedlichster Völker; Skythen, Samojeden, Jukaten, Komi, Magyaren, Nenzen u.v.m. Sie alle siedelten in verschiedensten Gebieten Sibiriens und prägten die Kultur. Einige, wie die Magyaren, verließen ihre Heimat wegen fehlender Nahrungsgrundlage, Kriegen u.a. Die schiere Weite der Landschaft macht es kaum möglich von der einen sibirischen Mythologie zu sprechen, denn die Trennung der Völker hat eine Individualität und Vielfalt hervorgebracht, die das Wort ‚Eingrenzung‘ nicht zulässt.

Historisch muss man auch noch die Eroberung Sibiriens durch von Westen kommenden Russen (gemeint ist hier der ostslawische Stamm der Russen, der sich abermals aus kleineren Stämmen zusammensetzt) ab dem 16. Jahrhundert, deren ethnische Herkunft einen andere als die der sibirischen Völker war. Während die sibirischen Völker zahlenmäßig klein waren, wuchs die Zahl der sie umgebenden stetig und führte oft zu einer Anpassung von Sprache und Kultur. Die Parallelen der sibirischen und slawischen Mythologie könnten aufgrund dieser Anpassung zustande gekommen sein, bewiesen ist es nicht, da schriftliche Quellen aus der frühen Zeit, vor allem vor den Missionierungen, fehlen.

Wie jede Kultur ranken sich um die Weltschöpfung und das Universum viele Geschichten. Die Welt ist in drei Stufen, oben-mittel-unten, bzw. in Schichten geteilt. Drei Bäume, eine Birke, eine Lärche, eine Eiche, durchziehen alle Schichten. Das erinnert an den Weltenbaum Yggdrasil aus der nordischen Mythologie. Auch die Schaffung von Pflanzen, Tieren und Menschen aus Erde oder Körperteilen von Riesen o.ä. erinnert daran.

In vielen sibirischen Völkern gibt es ein Schöpfungspaar, oft Mann und Frau oder zwei Brüder, die in einem Wettkampf zueinander stehen, wer der bzw. die Stärkste sei und Großes auf der Erde vollbringen. Man findet in den Geschichten die Paare ‚Num und Ngaa‘, ‚Ülgün und Erlik‘ oder auch ‚Buchan und Cholmus‘. Sie wettstreiten miteinander, versuchen die Taten des anderen zu übertreffen

Bei den Sibiriern stellen Schamanen die Verbindung zwischen der Irdischen und den Göttern dar. Sie sind Beschützer der Menschen, führen Schutzzauber für Tier und Mensch durch und übermitteln die Aufgaben, die die Götter für die Menschen haben. Auch die Interpretation von Naturphänomenen gehören in das Aufgabengebiet der Schamanen, denn nur sie stehen ja mit den Göttern in Verbindung. Die Komplexität der schamanischen Rituale ist erstaunlich und unterscheiden sich je nach Region.

Der Himmel mit all seinen Himmelskörpern wie Sonne, Planeten und Monde spielen je nach Volk unterschiedlich wichtige Rollen, auch Sternenbilder wie der Große Bär treten in Geschichten auf. Die Ähnlichkeiten von Göttern mit Attributen wie Blitz oder Hammer sind wahrscheinlich nicht zufällig und werden mit dem Männlichen assoziiert. Dem Mond und der Sonne werden magische Kräfte nachgesagt, sie können Krankheiten heilen und sogar Tote wiedererwecken.

Die Erde, mit dem Weiblichen assoziiert, wird als Spenderin des Lebens aller Geschöpfe auf Erden verehrt. Viele Völker benennen sie verschieden u.a. Ätügän, Umai oder Itchitä, Ynachsyt und Ajysyt, die sich die Aufgaben der Erdgöttin zu dritt teilen. Oft wird auch das Feuer mit dem Weiblichen verknüpft, vielleicht in Anlehnung an die Flamme des Lebens oder des Herdes, der traditionell in das Aufgabengebiet der Frau fällt.

Auch die Tiere wie Hirsche, Adler, Elche, Fische usw. tragen Geister in sich, die den Göttern dienen. Oftmals fungieren Tiere als Verbindung zwischen Himmel, Erde und Wasser.

Gerade das Wasser bzw. die Gewässer spielen eine große Rolle in den Mythen der Sibirier. In ihnen leben Ungeheuer oder Tote, herrschen böse Götter, die mitunter Krankheiten schicken. Den Vögeln, die an Gewässern leben, werden ähnlich böse Eigenschaften nachgesagt. Flüsse, als fließende Gewässer, bringen die Toten ins Totenreich. Doch bringen sie durch Bewegung auch Bewegung ins Leben der Menschen, es ist dynamisch. Selbst der Tod ist im Glauben der Sibirier nicht endgültig. Die Schamanen können sich zwischen diesen Welten bewegen.

Die Überlieferungen des alten Wissens wurde durch die europäische Besiedlung Sibiriens und die Anpassung an deren Lebensstil im Laufe der Zeit immer schwieriger. Die kleinen Völker haben kaum die Möglichkeit ihre Kultur weiterzugeben, was vor allem an den fehlenden rechtlichen Gegebenheiten liegt. Der Kampf um die Anerkennung und rechtlicher Schutz ihrer Kultur ist ein Kampf gegen Windmühlen.

Quellen

Gorbatcheva, Valentina & Federova, Marina. Die Völker des Hohen Nordens. Kunst und Kultur Sibiriens. Parkstone Press, New York 2000

Grimal, Pierre. Mythen der Völker III. Fischer Bücherei. Hamburg 1963

Korn, Viviana. Schamanismus. In: Kurzinformation Religion des Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes e. V., Marburg 2010

Eliza Orzeszkowa

Eine der wenigen weiblichen Schriftstellerinnen, die es in Polen zu großer Bekanntheit gebracht haben, ist Eliza Orzeszkowa.

Geboren als Elżbieta Pawłowska, am 6. Juni 1841 in Grodno (damals Russisches Kaiserreich, heute Belarus), kennt man Eliza Orzeszkowa als Vertreterin des polnischen Positivismus, dessen Zeitraum sich von 1863-1890 erstreckte. Orzeskowas Kindheit war vom frühen Tod des Vaters überschattet, die Mutter ermöglichte ihr eine standesgemäße Bildung (die Familie gehörte dem Landadel an), sie las viel und schrieb schon in Jugendjahren erste Geschichten. 1852 zog Orzeszkowa nach Warschau, besuchte eine Internatsschule und lernte dort auch Literatur kennen, die von der Russland verboten waren wie die von Adam Mickiewicz.

Mit sechszehn Jahren kehrte sie nach Hause zurück und lernte auf einem Ball den deutlich älteren Piotr Orzeszka kennen, den sie 1858 heiratete. Die ersten Ehejahre verbrachte sie auf dem Gut ihres Mannes in Ludwinów mit gesellschaftlichen Verpflichtungen und viel Lektüre. Orzeszkowa genoss das Landlaben, ganz im Gegensatz zu ihrem Mann. 1862 lebte sie vorübergehend in Warschau, wo sie sich mit politischen und religiösen Fragen auseinandersetzte. Im Januaraufstand 1863 unterstützte sie die Aufständischen. Der Beteiligung ihres Mannes am Aufstand folgte die Verbannung nach Sibirien, während Orzeszkowa in Ludwinów blieb (ein ungewöhnlicher Schritt, denn meist begleiteten die Ehefrauen die Männer in die Verbannung). Die Erlebnisse während des Ausstandes beschrieb sie in der Kurzgeschichte „Gloria victis“ (erst 1910 veröffentlicht). Orzeszkowa verkaufte das Gut und ließ sich 1869 scheiden bzw. der Scheidungsprozess wurde da rechtsgültig. Sie ließ sich dauerhaft in Grodno nieder.

Ihre neu gewonnene Freiheit nutzte sie vor allem zum Schreiben, die Menge der Werke zeigt ihre Produktivität. Einige ihrer Erzählungen und Romane fanden großen Anklang und sind zeitnah in andere Sprachen übersetzt worden. Deren Veröffentlichungen machten Orzeszkowa auch im Ausland bekannt.

1894 heiratete sie erneut, den Juristen Stanisław Nahorski, der sich wie Orzeszkowa für soziale Themen stark machte.  Er starb aber schon im November 1896. Die Schriftstellerin verlor damit eine wichtige Stütze und einen Gleichgesinnten in sozialen und politischen Fragen.

1904 wurde Orzeszkowa für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen, verlor aber gegen Henryk Szienkiewicz, deren Werke als patriotischer angesehen wurden. Vielleicht sind die Themen Orzeszkowas wie Soziales, Frauenrechte etc. noch nicht so akzeptiert worden….

Orzeszkowa starb am 18. Mai 1910 in Grodno. Ihre Beerdigung verzögerte sich einige Zeit, da der Pfarrer der Gemeinde sich weigerte sie zu bestatten. Er warf ihr fehlende religiöse Aktivitäten in der Gemeinde vor, aber der zuständige Bischof schritt ein, sodass sie am 23. Mai ihre letzte Ruhe fand.

Der literarische Nachlass der Schriftstellerin ist immens, ihre Erzählungen und Roman behandeln Themen wie Frauenrechte, Bildung, Politik u.v.m. All ihre Werke auszuschreiben würde den Rahmen sprengen, einige der wichtigsten sind: „Marta“ (1873), „Nad Niemnem“ (1888, dt. „An der Memel“) und „Dziurdziowie“ (1885, dt. „Die Hexe“)

Durch ihre Verbindungen zu den klugen Köpfen ihrer Zeit und den scharfen Beobachtungen der Gesellschaft zeichnet Orzeszkowa ein deutliches Bild aus dem Leben in ihrer Zeit. Ihre eigene Geschichte, gespickt durch Scheidung, selbstständiger und schriftstellerischer Arbeit, fließt in ihre Werke mit ein, ohne dass sie zu autobiographisch sind. Ihre eigene Lebensgeschichte hat Orzeszkowa nie aufgeschrieben. Schon früh hat sie den Wert von Bildung von Mädchen und Frauen erkannt und gefordert, ohne dabei einen radikalen Ton anzuschlagen. Die Gleichstellung von Mann und Frau war ein damals undenkbarer Fakt, der laut Orzeszkowa aber der Schlüssel für einen bessere Gesellschaft darstellte.

Ihr Lebensmittelpunkt in Grodno und ihr Lebensstil mit den Konventionsbrüchen heben Orzeszkowa zeigen den untypischen, aber möglichen Weg von Frauen aus dieser Zeit. Ihre Beobachtungsgabe, ihre Milieubeschreibungen und die stetigen Forderungen nach Bildung für Mädchen und Frauen wirken bis die heutige Zeit nach, ohne zu romantisieren.

Quellen

Jankowski, Edmund. Eliza Orzeszkowa. Państwowy Instytut Wydawniczy, Warszawa 1964

Miłosz, Czesław. Geschichte der polnischen Literatur. Narr Francke Verlag, Tübingen 2013

Die Kaschubei

In Polen leben viele ethnische Minderheiten, unter anderem die Kaschuben in der Kaschubei (kaschubisch Kaszëbë oder Kaszëbskô, polnisch Kaszuby), die seit der Besiedlung verschiedenster slawischen Stämme dort siedelten. Die Schwierigkeit des Begriffes „Kaschubei“ liegt auch in der geografischen Ungenauigkeit, denn es gab kein kaschubisches Herrschaftsgebiet, sodass eher der Umstand zählt: Die Kaschubei ist dort, wo Kaschuben leben.

Die Kaschubei, oft auch Kaschubien genannt, liegt an der Ostseeküste Polens rund um das Städtedreieck Danzig-Gdingen-Sopot und reicht circa 50 Kilometer südwestlich ins Landesinnere hinein. Es gibt zahlreiche Seen, die zur Pommerschen Seenplatte gehören, und einige hügelige Erhebungen, die größte ist der Wieżyca (dt. Turmberg) mit 329 m. Die Landschaft ist geprägt durch die Moränen der letzten Eiszeit.

Die erste Erwähnung der Kaschubei findet sich im dreizehnten Jahrhunderts in der Chronica Poloniae Maioris, einer frühen Chronik der polnischen Geschichte. Wobei sich die Bezeichnung Kaschubei bzw. das Volk der Kaschuben erst im sechszehnten Jahrhundert konkret auf das heutige Gebiet und den Volksstamm bezieht. Die Ostbesiedlung der Deutschen in Westpommern führte zur Verminderung des kaschubischen Gebietes und die Kaschuben wurden dort zu einer Minderheit, die sich assimilierten, so dass die Westkaschuben heute nicht mehr als Kaschuben gesehen werden. Der ostwärts gelegene Teil der Kaschubei, der mehr unter polnischer Kontrolle stand bewahrte seine kulturelle Eigenständigkeit.

Nach den Teilungen Polens stand die Region unter preußischer Kontrolle. Im Gegensatz zu den Preußen waren die Mehrheit der Kaschuben katholisch und bildeten eine feste Gemeinschaft, die sich dem Germanisierungsdruck widersetzten und sich als Landbevölkerung etablierten, während die deutsche Bevölkerung eher in den Städten wie Danzig lebte. Die Kaschuben sicherten sich ihr Bestehen oftmals durch den Erwerb der deutschen Sprache, der ihnen auch die Türen in die städtische Gesellschaft ermöglichte. Ihre Mutter- bzw. Erstsprache blieb aber Kaschubisch (kaszëbsczi jãzëk), eine westslawische Sprache.

Die Bedeutung der Region zeigt sich auch nach dem Ersten Weltkrieg, die Aufteilung in ein deutsches und ein polnisches Gebiet und die Freie Stadt Danzig (kaschubisch Gduńsk, polnisch Gdańsk), die unter der Aufsicht des Völkerbundes stand. Die politische Situation blieb fortan angespannt. Der Überfall der Deutschen auf Polen u.a. über die Danziger Westerplatte und die Eingliederung ins Deutsche Reich sind einer der dunkelsten Kapitel der Region. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen vertrieben, viele Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten (polnisch Kresy) angesiedelt. Die Kaschuben waren wieder mal in der Minderheit. Der polnische Staat betrieb eine starke Polonisierungspolitik. Erst in den letzten dreißig Jahren erlebt die Kaschubei einen kulturellen Aufschwung.

Die Sprache der Kaschuben ist heute eine geschützte Regionalsprache, was ein wichtiger Schritt zur Erhaltung der kaschubischen Kultur und Sprache ist. Die wirtschaftliche Lage der Menschen in dieser Region ist ein wichtiger Umstand, um hier leben und arbeiten zu können. Denn die Abwanderung schwächt das kulturelle Leben, deren Sprecherzahlen nicht merklich steigen.

Manche Wissenschaftler zweifeln die Existenz der Kaschuben als Volksgruppe an, die Kaschuben selber fühlen sich in der Mehrheit als Kaschuben und Polen, wobei diese Dualität von vielen Polen als Beweis für mangelnden Patriotismus angesehen wird.

Doch die reiche Kultur der Kaschuben wie Trachten, Bräuche etc. zeigt deutlich das slawische Erbe dieser Region. Der Stolz vieler Kaschuben auf ihre Herkunft sollte nicht mit mangelndem Nationalstolz verwechselt werden!

Die individuellen Merkmale wie Sprache und Symbolik charakterisiert viele historischen Regionen. Das Symbol der Kaschubei ist der Greif, ein antikes Wesen, auf goldenem Grund, und auch die Flagge ist in Schwarz-Gold gehalten.

Quellen

Borzyszkowski, Józef & Albrecht, Dietmar (Hg.). Kaschubisch-pommersche Heimat. Geschichte und Gegenwart / Pomorze – mała ojczyzna Kaszubów. Historia i współczesność. Gdańsk, Lübeck 2000.

Lorentz, Friedrich. Geschichte der Kaschuben. Berlin 1926

Obracht-Prondzyński, Cezary. The Kashubs: past and present. Lang, Oxford 2011