Die Expolingua 2024

Letztes Jahr war ich als Teilnehmerin auf der Expolingua, einer Messe rund um das Thema Sprachen und Sprachenlernen. Für dieses Jahr stand ein größeres Projekt an: Das Institut für Slawistik & Hungarologie der Humboldt-Universität war als Aussteller mit dabei, mit mir als Organisatorin.

Das Wichtigste vorab: Ich habe den organisatorischen Aufwand völlig unterschätzt, aber es hat sich gelohnt! Die zahlreichen E-Mails, der Kostenantrag, die Kostenbewilligung und die Überzeugungsarbeit, die im Vorfeld geleistet wurde, musste ich neben dem Studium und der Arbeit irgendwie unterbringen. Und je näher die Messe rückte, desto mehr Energie steckte ich in die Materialbeschaffung und die Organisation der Standteams.

Die Expolingua vereint mehrere Bereiche und spricht ganz unterschiedliche Zielgruppen an. Für uns als Institut für Slawistik & Hungarologie waren besonders Studien- und Sprachinteressierte als Zielgruppe relevant. Mein Ziel war es die Sichtbarkeit der Sprachen Mittel- und Osteuropas sichtbar zu machen, denn sie kommen auf solchen Messen oft zu kurz.

Die Messe findet immer freitags und samstags statt. Das bedeutet, dass beide Tage sehr unterschiedliche Leute auf der Messe sind, freitags viele Schulklassen und samstags eher Einzelpersonen. Dementsprechend haben wir uns vorbereitet. Wir haben Material über das Studium bei uns, verschiedene Sprachen und einige Give-aways eingepackt, dazu noch Plakate zur besseren Wiedererkennung des Standes.

Freitag früh musste das Material rechtzeitig auf der Messe sein. Wir haben den Stand zusammenaufgebaut und kurz vor zehn strömten die ersten Schulklassen über die Messe. Die ersten zwei Stunden kamen wir kaum zu Atem, weil die Menge der Besucher riesig war. Am Nachmittag hielt unser Professor Roland Meyer einen Vortrag zum Thema ‚Interkomprehension- Eine slawische Sprache sprechen, alle verstehen‘, der sehr gut angenommen wurde.

Der Samstag startete ruhiger, die meisten Leute kamen erst gegen 11.30 Uhr, schlenderten ganz gemütlich und blieben hier und da stehen. Viele ließen sich gerne von uns über das Studium und unsere Sprachenvielfalt informieren, einige Ehemalige kamen sogar vorbei und erzählen von alten Zeiten am Institut.

Als Austeller hat man weniger Zeit sich andere Stände anzuschauen, aber eine kleine Runde und ein Plausch hier und da mussten sein. Wir konnten uns am Stand immer abwechseln, so dass jeder sich umschauen oder sich einen der vielen Vorträge anhören konnte.

Meine persönlichen Highlights waren die Gespräche am Stand der Stiftung des sorbischen Volkes und der Vortrag von Maksimilian Hasacki vom Projekt ‚Zorja‘. Das Projekt beschäftigt sich mit der Revitalisierung des Niedersorbischen und ist ein absolutes Novum in Deutschland.

Eine Messe ist auch immer Networking, so ich konnte viele Leute endlich persönlich kennenlernen, die ich nur digital kennen. Für die nächsten Monate stehen also schon ein paar spannende Projekte und Zusammenarbeiten an! Aber mehr wird noch nicht verraten …

Ist der Begriff ‘Muttersprache’ noch zeitgemäß?

Jedes Jahr am 21. Februar feiern wir den UNESCO-Tag der Muttersprache. Aber was genau bedeutet der Begriff ‚Muttersprache‘ eigentlich und warum wird er in der Sprachwissenschaft so kritisch gesehen?

Den Ursprung des Wortes kann man heute nicht mehr klar nachweisen, eine Lehnübersetzung vom lateinischen ‚lingua materna‘ wäre eine Möglichkeit. Aber das Wort ‚Muttersprache‘ lässt sich nicht in alle Sprachen übersetzen. Einige Sprachen nutzen den Begriff ‚Vatersprache‘ wie z.B. das Polnische (język ojczysty) oder zwei Varianten wie z.B. Latein (sermo patrius oder lingua matera).

Das Konzept scheint also etwas mit den nächsten Verwandten, meist die Eltern, zu tun zu haben. Dabei ist in vielen Kulturen die Mutter, zumindest in den ersten Jahren, die engste Bezugsperson eines Kindes. Doch auch andere Personen wie die Tanten, Großeltern usw. umsorgen in vielen Kulturen ein Kind und sorgen für sprachlichen Input, der nicht immer einsprachig ist. Außerdem gibt es weltweit viele Familienkonzepte, die den Begriff ‚Muttersprache‘ nicht rechtfertigen.

In der Wissenschaft hat sich mittlerweile der neutrale Begriff ‚Erstsprache‘ oder ‚L1-Sprache‘ durchgesetzt, der keine direkte Zuordnung zur Mutter aufweist, sondern die zuerst erlernte Sprache beschreibt. Es ist natürlich möglich, dass ein Kind mehrere Erstsprachen erwirbt z.B. in einer bilingualen Familie und beide Sprachen gleichberechtigt gesprochen und verstanden werden. Studien zeigen, dass monolingual aufwachsende Kinder weltweit eher die Ausnahmen sind.

Umgangssprachlich ist Mutter- oder Vatersprache weit verbreitet und wird im allgemeinen Kontext mit der Bedeutung ‚Erstsprache‘ genutzt. Auch in anderen Konstruktionen wie ‚eine Sprache auf muttersprachlichem Niveau beherrschen‘ finden wir diesen Begriff im Alltag.

Nun kann man sich fragen, wer sich an der Bezeichnung ‚Muttersprache‘ wirklich stört. Im Alltag wahrscheinlich die wenigsten. Aber in der Sprachwissenschaft, besonders der Spracherwerbsforschung ist man übereingekommen die Sprachen nach dem Prinzip Erstsprache-Zweitsprache-Fremdsprache zu klassifizieren, um ein neutrales Konzept zu schaffen.

Viele sehen in dem Begriff ‚Muttersprache‘ eine veraltete Zuordnung klassischer Rollenbilder: Die Mutter kümmert sich um das Kind und das Kind erwirbt dann die Sprache der Mutter. Auch wenn uns diese Zuordnung natürlich erscheint und in vielen Fällen auch stimmt, beschreibt es nicht die weltweite Norm.

Außerdem überwiegt oft noch die Auffassung, Kinder sollten erstmal eine Sprache richtig lernen, um dann weitere Sprachen zu erwerben. Dass aber Kinder so flexibel sind und schon als Babys verschiedene Sprachen unterscheiden und den Bezugspersonen zuordnen können, z.B. anhand der Sprachmelodie oder bestimmten Lautfolgen, zeigt ihre kognitive Fähigkeit sich nicht nur auf die Sprache der Mutter oder einer anderen Person zu beschränken. In diesen Fällen ist die Muttersprache vielleicht gar nicht die Erstsprache, sondern eine der anderen Familiensprachen. Hier greift die Bezeichnung Erstsprache also viel besser, denn sie beschreibt neutraler in welcher Sprache sich ein Kind bewegt.

Ein anderer Punkt, der oft im politischen Kontext eine Rolle spielt, ist die Zuordnung durch Sprache. Spricht ein Mensch zwei Erstsprachen und wird nach seiner Muttersprache gefragt, was wird er wohl antworten? Gibt er die Sprache seiner Mutter an, wenn er überhaupt spricht? Oder ist es dann die Sprache, von der er glaubt, sie an besten zu beherrschen. Historisch war es oft vorteilhaft, die Mehrheitssprache als ‚Muttersprache‘ anzugeben, auch wenn es nicht die wirkliche Erstsprache war. Zumal meist nur eine Antwort zugelassen war und alle anderen Sprachen einer Person nicht erfasst wurden. Das erschuf eine statistische Einsprachigkeit der Menschen, die nicht die Realität abbildete.  

Welchen Begriff man heute verwenden möchte, steht natürlich jedem frei und in der Umgangssprache ist Mutter- oder Vatersprache an weitesten verbreitet. Doch wenn der Begriff z.B. auf ein spezifisches Familienmodell nicht passt, sollten auch andere Begriffe wie Familiensprache, Erstsprache oder Herkunftssprache verwendet werden können, die die Situation vielleicht besser beschreiben.

Quellen

Jung, Britta & Günther, Herbert. Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprache: Eine Einführung. Beltz, Weinheim/ Basel 2004

Kauschke, Christina. Kindlicher Spracherwerb im Deutschen: Verläufe, Forschungsmethoden, Erklärungsansätze. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2012

Die Sprachenpolitik in Frankreich

In Frankreich ist die die französische Sprache verfassungsrechtlich geschützt. Das zeigt sehr deutlich welchen Stellenwert sie im Land hat und lässt erahnen, dass andere Sprachen einen niedrigeren Stellenwert haben.

Seit dem 16. Jahrhundert ist Französisch die Amtssprache des Landes, auch wenn nicht alle Menschen Französisch sprechen. Schon ein Jahrhundert später wurde die Académie française gegründet, um über die Einhaltung der Sprachnormen zu wachen. Die einzige Schulsprache ist Französisch, bis ins 21. Jahrhundert hinein.

Doch es regte sich Widerstand gegen diese Art von Bevormundung. Die Menschen, deren Muttersprache nicht Französisch ist, forderten das Recht Unterricht in ihrer Sprache zu erhalten, Medien zu konsumieren usw.

Die sprachliche Vielfalt in Frankreich ist genauso groß wie in anderen Ländern, egal ob andere Sprachen oder Dialekte. Doch die Dominanz des Französischen ist bis heute ein Zeichen für die fehlende Wertschätzung des Staates gegenüber seinen Bürger*innen mit einer anderen Muttersprache. Seit 2008 sind die Regionalsprachen als ‚kulturelles Erbe‘ des Landes anerkannt. Aber was bringt eine Anerkennung, wenn nichts für die Pflege und den Spracherhalt getan wird?

Frankreich hat 1999 die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen unterschrieben, aber bis heute nicht ratifiziert. Ein Grund ist das Argument, dass die Charta gegen einige Punkte der französischen Verfassung verstoße und somit nicht ratifiziert werden könne. Die Frage, warum sie dann überhaupt unterschrieben wurden, stellt sich umgehend…

Fakt ist, dass sich Frankreich durch sein politisches System schon immer schwer getan hat Entscheidungsgewalt z.B. für Kultur und Bildung an seine Verwaltungsregionen abzugeben, anders als in Deutschland.

Das sprachliche Erbe des Landes lässt sich jedoch nicht leugnen. In der langen Geschichte finden sich viele Sprachen wieder, die bis heute gesprochen werden. Und dabei gehen wir vorerst nur von den Sprachen in Frankreich aus, die Sprachen der Überseegebiete sind noch zahlreicher.

Neben den bekannteren Sprachen Bretonisch und Baskisch gibt es viele weitere wie Korsisch, Ligurisch, Wallonisch, Katalanisch, Okzitanisch, Romani oder Jiddisch. Dazu kommen viele Dialekte und Sprachen der Nachbarstaaten wie Deutsch oder Flämisch sowie die Langue des signes française (Französische Gebärdensprache).

Frankreich gesteht keiner dieser Sprachen einen Schutzstatus zu, obwohl viele akut gefährdet sind. Auch in den Schulen werden eher die klassischen Fremdsprachen als die regionalen Sprachen angeboten. Bei Volkszählungen fehlt die Möglichkeit eine andere Sprache als Muttersprache einzutragen.

Viele Minderheiten wehren sich gegen die französische Sprachpolitik, weil sie ihre Persönlichkeitsrechte eingeschränkt sehen, und kämpfen seit Jahrzehnten um Anerkennung. Einzelne Siege konnten seitdem errungen werden. Die Bretonen sind das bekannteste Beispiel. Sie haben erreicht, dass Bretonisch wieder unterrichtet wird, jedoch werden Schulen mit bilingualem Angebot (sogenannte Diwan-Schulen) besonders stark kontrolliert. Die Erhöhung der Bretonisch-Sprecherzahl zeigt aber, dass das Konzept funktioniert. Das Prestige des Bretonischen hat sich merklich verbessert.

Auch andere Minderheiten bemühen sich um solche Erfolge. Korsisch oder Baskisch wird regional vermehrt unterrichtet, wenn auch nur als Fremdsprachenunterricht, doch Wertschätzung von staatlicher Seite fehlt.

Die Vielfalt der ‚alten‘ Sprachen in Frankreich wird durch die Ignoranz des Staates in den nächsten Jahren abnehmen. Das Ziel der Charta, Sprachen als Kulturerbe zu schützen und zu fördern, kann ohne Ratifizierung und wirksamer Maßnahmen von Seiten Frankreichs nicht erreicht werden.

Quellen

Braselmann, Petra. Sprachpolitik und Sprachbewusstsein in Frankreich heute. Max Niemeyer Verlag. Tübingen 2013

https://www.coe.int/de/web/european-charter-regional-or-minority-languages

Die Brüder Lech, Čech und Rus

Legenden und Erzählungen über die Entstehung von Ländern gibt es viele. Sie werden oft nur mündlich erzählt und verändern sich im Laufe der Zeit. In Polen wurde Ende des 13. Jahrhunderts eine Chronik der polnischen Geschichte verfasst, die darüber berichtet wie die Polen, Böhmen und das Reich der Rus entstanden sind. Die Version aus Tschechien weicht etwas ab, doch der Kern bleibt derselbe.

Die bekannteste ist die polnische Version der Großpolnischen Chronik von 1295, doch auch die Tschechien haben ihre Version in der Dalimil-Chronik und den Erzählungen von Alois Jirásek, wenn auch später, geprägt.

Zu Beginn der Geschichte, laut Chronik im 7. Jahrhundert, leben die drei Brüder Lech, Čech und Rus als Oberhäupter ihrer slawischen Stämme, wahrscheinlich im Gebiet zwischen Weichsel und Dnjepr.  Die Stämme wurden immer größer und das angestammte Land reichte nicht mehr aus, um alle Menschen zu ernähren. Also beschlossen die Brüder sich auf die Suche nach einer neuen Heimat zu machen.

Nach einem gemeinsamen Start trennte sich Rus von seinen Brüdern, um mit seinem Stamm in Richtung Osten zu ziehen, wo später das Reich der Kiewer Rus entstand. Lech und Čech zogen mit ihren Stämmen weiter in Richtung Westen und trennten sich etwa dort, wo heute die polnische Stadt Krakau liegt. Lech wandte sich nach Norden, Čech nach Süden.

Laut der Chronik gelangte Čech zum Berg Říp, dt. Georgsberg. Er betrachtete das Land ringsherum, erblickte fruchtbare Weiten und Wälder und entschied sich zu bleiben. Der Berg Říp gilt den Tschechen bis heute als heiliger Berg.

Der dritte Bruder Lech kam mit seinem Stamm in die Gegend um das heutige Gniezno, dt. Gnesen. Die Menschen waren erschöpft von der wochenlangen Wanderung und Lech beriet sich mit seinen Beratern, um darüber abzustimmen zu bleiben oder weiterzuziehen. Sie entschieden sich fürs Bleiben und begannen mit dem Bau einer Burg. Die Siedlung erhielt den Namen Gniezno (poln. gniazdo -dt. Nest), denn während der Arbeiten an der Burg erschien ein weißer Adler, was von den Menschen als gutes Omen empfunden wurde. Noch heute ist der Adler das Wappentier der Polen und der Stadt Gniezno.

Die Version der Tschechen aus der Dalimil-Chronik von 1314 erwähnt nur die Brüder Lech und Čech, die aus den Osten Europas einwanderten. Hier wird die enge Bindung der beiden Brüder sehr hervorgehoben, was sich geschichtlich in engen Verbindungen der Polen und Tschechien zeigt.

Die Geschichts- und Sprachwissenschaft kann die enge Verwandtschaft der slawischen Völker bestätigen, auch wenn es zahlreiche andere Einflüsse zu individuellen Entwicklungen beigetragen haben. Besonders die Namen der drei Brüder als Namensgeber werden von der Forschung nur bedingt als bewiesen anerkannt.

Der historische Kern der Legend dürfte wahr sein, denn viele Stämme und Völker waren in dieser Zeit auf Wanderschaft, nicht nur die Slawen. 

Historisch kann die Existenz des dritten Bruders Rus angezweifelt werden, denn die Rus stammen laut neuster Forschung aus dem Norden Skandinaviens. Vielleicht könnte man die frühe Trennung von Rus in der Chronik als Hinweis sehen, dass seine Existenz dazu gedichtet wurde. Denn auch Chroniken sind nicht fehlerfrei bzw. ihre Verfasser nicht neutral und selten selber dabei gewesen. 

Trotzdem ist die Legende eine identitätsstiftende und über Generationen überlieferte Geschichte, die vielen Slawen wahrhaftig erscheint. Ein gemeinsamer Ursprung prägt das Gemeinschaftsgefühl über viele Jahrhunderte bis heute.

Quellen

Małkowska, Katarzyna. Lech, Czech i Rus. Astra, Krakau 2004

„Kronika wielkopolska”, UNIVERSITAS Poznań 2010

Bündnerromanisch

Die meisten Länder haben nur eine, höchstens zwei Amtssprachen. Anders in der Schweiz, wo es vier Amtssprachen gibt: Deutsch, Französisch, Italienisch und Bündnerromanisch.

Die kleinste der vier Sprachen, Bündnerromanisch, gehört zur Familie der romanischen Sprachen und ist mit knapp 60 Tausend Sprecher*innen eine gefährdete Sprache. Sie wird im v.a. im Kanton Graubünden, im Osten des Landes, gesprochen.

Es existieren heute fünf unterschiedliche Varietäten: Surselvisch, Sutselvisch, Surmeirisch, Puter und Vallader. Die Standardschriftsprache für den offiziellen Schriftverkehr, seit 2001, nennt man Rumantsch Grischun.

Die verbreitete Bezeichnung ‚rätoromanisch‘ ist eigentlich nicht korrekt, denn die in Graubünden gesprochene Sprache heißt genauer gesagt Bündnerromanisch. Spricht man von rätoromanischen Sprachen, sind auch Ladinisch (in Südtirol) und Friaulisch (gesprochen im Nordosten Italiens an der Grenze zu Slowenien) gemeint.

Die Verbreitung des Bündnerromanisch beschränkt sich heute auf Graubünden. Die Unterwerfung der in diesem Gebiet siedelnde Stämme durch die Römer verdrängte die angestammte Sprache und es entwickelte sich im Laufe der Zeit eine Romanisierung. Heute findet man noch vereinzelte Wörter, deren Ursprung nicht im Lateinischen liegt und daher aus der vorrömischer Zeit stammen könnten.

Ab dem 8. Jahrhundert drängte das Deutsche nach Graubünden, es entstand eine Spaltung der Sprachen nach gesellschaftlicher Stellung. Das Bündnerromanisch wurde zumeist von einfachen Leuten gesprochen und daher von vielen nicht wertgeschätzt. 

Es ist hinsichtlich dieses Prestigeverlustes kaum verwunderlich, dass die ersten schriftlichen Quellen, meist übersetzte Predigten, erst ab dem 16. Jahrhundert angefertigt wurden bzw. erhalten sind. Die Wirren der Reformation haben zur Standardisierung des Bündnerromanischen geführt, obwohl die Sprechergruppe kaum politische Macht besaß. Wichtige Dokumente oder Werke wurden in deutscher Sprache verfasst und nur selten übersetzt.

Die Zugehörigkeit zu den italischen Sprachen wurde von den italienischen Faschisten als Vorwand genutzt diese Gebiete Italien zuzusprechen, wogegen sich die Menschen in Graubünden wie auch dem Kanton Tessin erfolgreich wehrten. Um diese Einheit mit den anderen Schweizer Kantonen zu unterstreichen, erfolgte 1938 die Anerkennung des Bündnerromanisch als vierte Amtssprache der Schweiz.

In den letzten Jahrzehnten nahm die Anzahl der Sprecher*innen immer weiter ab. Seit der Einführung des Rumantsch Grischun als Schriftsprache, auch in den Schulen, gibt es viele Diskussionen, ob die Varietäten dadurch weiter abbauen. Der Dachverband Lia Rumantscha vereint die verschiedenen Institutionen, die sich mit der Pflege von Kultur und Sprache beschäftigen.

Quelle

Liver, Ricarda. Rätoromanisch – Eine Einführung in das Bündnerromanische. Gunter Narr, Tübingen 1999

Romanisch – Facts & Figures (Memento vom 10. Oktober 2006 im Internet Archive)

Jan Kochanowski

Wer sich mit polnischer Literatur beschäftigt, kennt vor allem die Klagelieder von einem der bekanntesten polnischen Dichter: Jan Kochanowski.

Geboren 1530 in Sycyna Północna, in der Nähe von Radom, entstammte Jan Kochanowski einer angesehenen Familie. Er wuchs mit vielen Geschwistern auf und erhielt schon früh eine intensive Bildung. Er wurde teilweise zu Hause unterrichtet, nicht unüblich bei vermögenden Eltern.

Kochanowski studierte zunächst in Krakau, doch der Tod seines Vaters im Frühjahr 1547, zwang ihn zurück und er übernahm den geerbten Gutshof. Nach einem Rechtstreit, wahrscheinlich wegen des Erbes, konnte er ab 1550 nach Königsberg und ab 1552 nach Padua reisen und weiterstudieren, wo er auch erste literarische Werke verfasste.

Wahrscheinlich kehrte er 1555 nach Polen zurück, um ein knappes Jahr später erneut nach Italien zu reisen, diesmal allerdings seiner Gesundheit wegen. Dort erfuhr er vom Tod seiner Mutter und musste sich mit seinen Geschwistern einigen wie das Vermögen, bestehend aus Grundbesitz und verschiedenen Gebäuden, aufzuteilen war.

Er selbst schien kaum Interessen an dem Hof und der Arbeit dort zu haben, sondern verpachtete ihn. Kochanowski arbeitete die nächsten Jahre als Sekretär von Piotr Myszkowski, dem Bischof von Płock und Krakau.

Seine Karriere beendete er 1574, ließ sich auf dem väterlichen Hof nieder und heiratete Dorota Podlodowska. Mit ihr hatte er insgesamt sieben Kinder, wobei schon drei früh starben. Der Tod seiner Tochter Urszula traf ihn dabei besonders hart und er widmete ihr seine berühmt gewordenen ‚Treny‘ (dt. Trauerlieder). Neben seiner schriftstellerischen Arbeit war Kochanowski auch politisch für den Sejm tätig.

Das Leben auf dem Hof und die Erziehung seiner Kinder wurde für Kochanowski immer wichtiger. Er kaufte verschiedene Grundstücke und Dörfer dazu, vermutlich als Absicherung. Er schrieb in den Jahren nach seiner Hochzeit und Niederlassung viele religiöse Werke, verfasste Übersetzungen und viele Gedichte.

Jan Kochanowski starb auf einer Reise in Lublin, wo er einer Versammlung besuchte, wahrscheinlich an den Folgen eines Schlaganfalles. Seine letzte Ruhe fand er in der Nähe seines Hofes in Czarnolas.

Kochanowski schrieb in Latein und Polnisch, was für die damalige Zeit eher ungewöhnlich war, denn die Sprache von Literatur und Wissenschaft war Latein.

Die berühmten ‚Treny‘ sind nach traditioneller Art geschrieben, in drei Stufen (Beweinen, Lob und Trost) und bilden einen Zyklus von 19 Liedern. Besonders die Lieder, in denen Kochanowski um seine Tochter weint, zeichnen das innere Bild des Vaters. Für heutige Leser völlig verständlich, síst die Trauer um ein Kind, vor allem um eine Tochter, in der damaligen Zeit eher Privatsache. Die Tatsache, dass Kochanowski ihren Tod so zentriert darstellt, wirkt seltsam. Den Tod der anderen Kinder erwähnt er zwar, aber Urszulas Tod ist das Hauptthema.

Die Werke Jan Kochanowskis gehören heute zur Pflichtlektüre in polnischen Schulen. Seine Art zu schreiben, besonders über private Dinge, erlaubt einen Zugang zu seinen Gefühlen und Gedanken, was uns von vielen andere Autoren verwehrt wird.

Quellen

Pelc, Janusz. Jan Kochanowski. Szczyt renesansu w literaturze polskiej, Warszawa 2001.

Walecki, Waclaw Walecki. Polnische Literatur. Annäherungen: Eine Literaturgeschichte von den Anfängen bis heute, Igel Verlag 1999

Das abenteuerliche Leben des Remus

Eine Sprache lebt meist nicht nur in gesprochener Form, mit ihr schafft eine Sprecher*innengruppe eine Identität in geschriebener Form. Oft genug entwickelt sich erst mit dem Schrifttum eine Standardsprache. Ein gutes Beispiel ist das Kaschubische, das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Bühne der europäischen Literaturen unsicher macht. Ein Meisterwerk der kaschubischen Literatur erschien ab 1935: Żëcé i przigòdë Remùsa (dt. Das abenteuerliche Leben des Remus).

Der Roman wurde von dem bekannten Kaschuben Aleksander Majkòwsczi (polnisch Majkowski) verfasst, der in Berlin und Greifwald lebte und studierte. Neben seiner Tätigkeit als Arzt schrieb er für verschiedene Zeitungen, ausschließlich in kaschubischer Sprache. Im Ersten Weltkrieg entstanden die ersten Entwürfe für Majkòwsczis Roman als Einträge in sein Tagebuch. Nach dem Krieg erschienen Teile des Romans bei der kaschubischsprachigen Zeitung ‚Gryf‘.

Ab 1935 veröffentlichte er den ersten Teil seines Romanes. Das Erscheinen des ganzen Werkes 1938 erlebte Aleksander Majkòwsczi nicht mehr, er starb wenige Monate vorher. Die ersten Übersetzungen ins Polnische, Deutsche und Französische machten den Roman über die Grenzen der Kaschubei bekannt.

Der Roman spielt Ende des 19. Jahrhunderts als Polen schon fast einhundert Jahre nicht mehr auf der Landkarte zu sehen war. Im ersten Teil des Romans ist Remus, die Hauptfigur, noch ein kleiner Junge. Er ist Waise, lebt bei Bauern und unterscheidet sich von anderen Kindern. Er sieht Dinge, träumt von Gottheiten. Als junger Mann wandert er, im zweiten Teil, durch die Kaschubei, begegnet Menschen und Teufeln. Als Ritter tritt Remus im dritten Teil gegen andere Ritter und Götter an. Immer wieder ist er auf der Suche nach Kaschuben, die für ihre Heimat kämpfen. Die Menschen, denen er begegnet, sind teilweise historisch belegt. Auch wenn Majkowski manche Figuren etwas abwandelt, sind  sie wiederzuerkennen.

Seit der ersten Veröffentlichung erschienen mehrere Auflagen mit teilweise neuen, noch unbekannten Abschnitten, sowie Erläuterungen zum Werk. Sogar eine Hörbuchfassung entstand, die zweisprachig aufgenommen wurde. Neben Verlagen interessiert sich auch das Theater für das Buch. Nach erfolgreicher Inszenierung in den 1980er Jahren folgten Verfilmungen. Noch heute gehört ‚Das abenteuerliche Leben des Remus‘ zum Repertoire vieler Theater Polens, besonders in der Kaschubei.

Quellen

Bömelburg, Hans-Jürgen. Grenzüberschreitende kaschubische Biographien mit schmaler zeitgenössischer Resonanz: Gulgowski, Lorentz und Majkowski. Nationale und interkulturelle UrsachenOldenburger Beiträge zur Kultur und Geschichte Osteuropas. 2009

Daniel Kalinowski. „Remus” teatralizowany. Z problemów inscenizacji i poetyki. „Acta Cassubiana, Tom XIII”, 2011. Instytut Kaszubski

Bild: Joergsam – Praca własna, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44239498

Podlachien

Im Nordosten Polens liegt eine Region, die einen der letzten Urwälder Europas beheimatet und eine so multikulturelle Geschichte aufweist wie kaum eine andere Region in Polen: Podlachien.

Die Woiwodschaft Podlachien (pol. Podlasie) umfasst größtenteils die historische Region Podlachien und grenzt an Litauen und Belarus. Der Großteil der Region wird land- und forstwirtschaftlich genutzt, außerdem befindet sich im Südosten das Weltnaturerbe des Białowieża-Urwaldes, ein Nationalpark entlang der polnisch-belarusischen Grenze, der für seine Wisente weltbekannt ist. In der Region gibt es noch zahleiche weiter Schutzgebiete. Das Klima ist eher kühl, die Winter besonders kalt, obwohl es keine Bergregion ist. Der kälteste Punkt Polens liegt hier, in der Gegend um Suwałki.

Die Region ist im landesweiten Vergleich nur dünn besiedelt, größere Städte sind u.a. Białystok, Suwałki und Łomża. Die Zahl der Einwohner geht seit Jahren zurück, da es wenig gute Zukunftsperspektiven für die junge Generation gibt. Historisch bedingt leben hier litauische und belarusische Minderheiten sowie verschiedene tatarische Gruppen. Neben der katholischen Kirche spielt auch die Polnisch-Orthodoxe Kirchen eine große Rolle. Die Größe der Minderheiten erlaubt es einigen Gemeinden auch Litauisch und Belarusisch als Amtssprache zu verwenden.

Besiedelt wurde Podlachien schon im Frühmittelalter, gefunden wurden Festungsreste u.a. in Zbucz und Klukowicze, wahrscheinlich im Herrschaftsgebiet der Piasten. Einige Gebiete der Region standen zeitweise unter der Herrschaft der Kiewer Rus. Grenzverschiebungen waren nicht ungewöhnlich und erklären die bis heute multikulturelle Bevölkerung Podlachiens.

Als Woiwodschaft wurde Podlachien 1513 unter König Sigmund I. erwähnt und war Teil des Großfürstentums Litauen. Ab 1569 verband die Union von Lubin Litauen und Polen zu einem Königreich unter König Sigismund II. August. Viele einflussreiche Familien besaßen große Güter, u.a. die Radziwiłłs, die im späteren Preußen großen politischen Einfluss ausübten.

Das 17. Jahrhundert bescherte Podlachien zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen mit den Schweden, den Ungarn und Russen. Nach der dritten Teilung 1795 gehörte ein Teil Podlachiens zu Preußen, der andere zu Österreich. Die Russen annektierten später große Teile rund um Białystok. Gegen die Herrschaft der Russen lehnten sich die Polen 1830 und 1863 in zwei großen Aufständen auf, was aber nur zu einer Niederschlagung und Verschärfung der ohnehin schon unterdrückenden Politik führte.

Die Neugrüngung Polens nach dem Ersten Weltkrieg  umfasste auch das heutige Podlachien, jedoch wurde das Gebiet nach dem deutschen Angriff auf Polen von Deutschland und der Sowjetunion abermals aufgeteilt, was erst nach 1945 wieder rückgängig gemacht wurde.

Die Architektur der Region ist durch die verschiedenen Einflüsse geprägt. Unter anderem wurden in der russischen Besatzungszeit orthodoxe Kirchen gebaut, die heute noch zu bewundern sind. Eine weltweit  bekannte Persönlichkeit aus der Region ist der Augenarzt und Esperanto-Schöpfer Ludwik Lejzer Zamenhof.

Das Wappen Podlachiens ist ein zweigeteiltes rotes Schild. Der obere Teil zeigt einen weißen Adler mit Krone, der untere Teil einen Ritter auf silbernen Pferd mit Schwert und Schild.

Quellen

https://podlaskie.eu/

https://literat.ug.edu.pl/glogre/0036.htm

Das Moon-Alphabet

Wenn man Blindenschrift denkt, fällt den meisten zuerst das Braille-Alphabet ein. Doch es ist nur eins von vielen existierenden Alphabeten für blinde bzw. sehbehinderte Menschen. Der Englänger William Moon entwickelte in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Alphabet, das auf erhabenen geometrischen Zeichen beruht: das Moon-Alphabet.

Diese Reliefschrift basiert auf der lateinischen Schrift, die von der Form der einzelnen Buchstaben an die jeweiligen Buchstaben des Schwarzschriftalphabets erinnert. Sie sind erhaben, sodass sie wie andere Blindenschriften z.B. Braille durch Ertasten von den Lesenden erfühlt werden können.

William Moon verlor sein Augenlicht nach einer Scharlacherkrankung. Er arbeitet als Lehrer in einer Blindenschule und kannte verschiedene Blindenschriften, mit denen er aber nicht zufrieden war. 1845 veröffentlichte er sein eigenes Alphabet, von dessen besserer Lesbarkeit er überzeugt war.

Die Grundidee des Alphabets sind 6 geometrische Zeichen, die sehr markant sind. Man erkennt bei Moons Buchstaben gut die Ableitung von lateinischen Alphabet, wobei Moon zum verbesserten Kontrast besonders auf Spiegelungen von Buchstaben setzt, wie z.B. bei P und Q. Durch die eindeutigen Formen minimierte Moon die Verwechslungsgefahr beim Lesen. Die Zahlen haben keine eigenen Zeichen, sondern werden durch die Buchstaben A – J und ein vorheriges Startsymbol wiedergegeben.

Moons Alphabet stand von Beginn an in Konkurrenz zur Braille-Schrift. In England gab es damals noch keine einheitliche Verwendung einer bestimmten Schrift. Moon ließ viele Werke, u.a. die Bibel, in seinem Alphabet drucken, damit sie in Schulen und im Alltag wirklich eingesetzt werden konnten. Da diese Drucke viel Geld kosteten, sah sich Moon nach Unterstützern um. Sir Lowther, wie Moon ebenfalls durch Scharlach erblindet, finanzierte Moons Arbeit. Moon druckte in vielen verschiedenen Sprachen.

Das Moon-Alphabet bietet gegenüber der Braille-Schrift einige Vorteile. Menschen, die erst im Laufe ihres Lebens erblinden und evtl. schon lesen gelernt haben, fällt das Erlernen des Moon-Alphabets leichter als Braille. Auch die Lesbarkeit für Menschen mit einem Restsehvermögen können die Form der Buchstaben als Orientierung zum Fühlen nutzen. Im englischsprachigen Raum war das Moon-Alphabet lange Zeit viel verbreiteter als die Braille-Schrift. Und auch heute findet man viele Schriften im Moon-Alphabet z.B. in Lateinamerika.

Ein Nachteil des Moon-Alphabets besteht aber in der Schreibung der Buchstaben, weil die Winkel und Rundungen von blinden Menschen nur schwer exakt geschrieben werden können. Daher bleibt das Moon-Alphabet in den meisten Fällen eine reine Leseschrift.

Das Anliegen William Moons, Bildung aller Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit, hat in den Jahrzehnten seines Wirkens richtig an Fahrt aufgenommen. Blinde Menschen wurden oft als geistig eingeschränkt abgestempelt und hatten selten eine Chance auf Bildung. Die Arbeit von Moon (und natürlich all den anderen) bildete die Grundlage der heutigen Blinden- uns Sehbehindertenpädagogik.   

Quellen

 www.fakoo.de (Moonalphabet online lernen)

“Learning Moon”. rnib.org.uk. Royal National Institute for the Blind. Archived from the original on 24 December 2012.

    Die Kartoffeldeutschen

    Etwa 1 Millionen Deutsche, die nicht in Deutschland leben, gibt es weltweit. Doch wir müssen nicht bis nach Übersee schauen, um deutsche Sprachinseln zu finden. In unserem nördlichen Nachbarland Dänemark lebt seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine deutsche Minderheit: die Kartoffeldeutschen.

    Der Name ‚Kartoffeldeutsche‘ ist, anders als man vermuten würde, keine abwertende Bezeichnung für diese Siedlergruppen, sondern beinhaltet die Vorliebe der Deutschen die Kartoffel zu essen und nicht, wie die Dänen zu dieser Zeit, als Futter für die Tiere zu betrachten.

    Ähnlich wie viele deutschen Siedler in Russland oder Polen folgten die Menschen der Einladung eines Landesherren, in Dänemark die des dänischen Königs Friedrich V.. Er plante die riesigen Heideflächen seines Landes in Ackerflächen umzuwandeln, hatte aber nicht genug Siedler für dieses Unterfangen. Kurzerhand warb er Siedler, besonders aus Baden, der Pfalz und Hessen, an. Dort lebten viele Menschen, v.a. Bauern, in ärmlichen Verhältnissen und träumten von eigenem Land und ein wenig Wohlstand.

    Als Anreiz versprach er den Deutschen nicht nur das Land zur Bewirtschaftung, sondern auch Steuerfreiheit und die Befreiung vom Militärdienst. Außerdem bekamen die Familien Starthilfe in Form von Haushaltsgegenständen und durften ihre Bräuche und Sprache weiterhin pflegen. Diese Zugeständnisse waren fast überall zu finden, nicht nur in Dänemark. Und wie überall stießen die Siedler bei der ansässigen Bevölkerung nicht auf uneingeschränktes Verständnis.  

    Die Flächen für die Kultivierung lagen in Jütland und im Herzogtum Schleswig. Die Regionen waren zu der Zeit nur dünn besiedelt und schlecht zugängig. Die Aufgabe bestand u.a. darin Moore trocken zu legen und Wälder zu roden, was schwere körperliche Arbeit war. Knapp 1000 Personen folgten dem Ruf des Königs, was für diese Region zu viele waren und nach kurzer Zeit verließen einigen Familien die Gegend wieder, entweder zurück in die Heimat oder in andere Länder. Auch die erste Unterbringung der Siedler ließ zu wünschen übrig. Es gab keinen angemessenen Wohnraum. Die Verbliebenen hatten es mit kargen Böden und schlechten Bedingungen zu tun. Doch die Deutschen blieben hartnäckig und gründeten erste Siedlungen.

    Mitte des 19. Jahrhunderts endete für die Siedler die Unterstützung der Dänen. Die Höfe mussten von den Deutschen entweder gekauft oder gepachtet werden, was viele Familien finanziell nicht tragen konnten. Ein Teil kehrte nach Deutschland zurück. Andere entschieden sich zu bleiben, vermischten sich mit der dänischen Bevölkerung, blieben ihren Traditionen und ihrer Sprache treu, bis heute. Interessant ist, dass die Kartoffeldeutschen das verbreitete Niederdeutsch, das in Norddeutschland gesprochen wird, nicht sprechen, da ihre Vorfahren aus südlicheren Gebieten stammten. Es wird fast ausschließlich Standarddeutsch gesprochen, vereinzelt kann man Nordschleswiger Platt hören.  

    Die Deutschen in Dänemark sind als nationale Minderheit anerkannt, das bedeutet die Menschen haben ein Anrecht auf die freie Verwendung der deutschen Sprache, Schulbildung in Deutsch usw. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, man geht von ca. 20 Tausend Menschen aus. Die dort lebenden Deutschen sind vollständig in die Gesellschaft integriert, sprechen auch Dänisch. Ähnlich wie die dänische Minderheit in Deutschland sind sie in das politische System Dänemarks eingebunden, vermehrt aber auf kommunaler Ebene.

    Quellen

    Otto Clausen: Chronik der Heide- und Moorkolonisation im Herzogtum Schleswig. Husum 1981

    https://www.migrazioni.altervista.org/deu/1migration/3.3_kartoffeldeutsche.html

    https://www.gfbv.it/3dossier/eu-min/schleswig.html#r5