Geschichte der Sprachwissenschaft

Seit Menschen Sprache nutzen, entwickelt  sich die Sprache stetig weiter. Doch seit wann machen sich Menschen Gedanken über Sprache und die Struktur von Sprachen? Das ist eine schwierige Frage, die sich wahrscheinlich nie ganz klären lässt. Doch wir können davon ausgehen, dass sich in Hochkulturen überall auf der Welt Menschen mit Sprachen beschäftig haben.

Die ältesten Schriftquellen, die wir kennen, stammen aus Indien. Dort haben sich Gelehrte lange vor unserer Zeitrechnung mit Grammatik und Etymologie beschäftigt und ihr Wissen niedergeschrieben. Leider ist dieses Wissen mit der Zeit in Vergessenheit geraten.

Aus europäischer Sicht beginnt die linguistische Wissenschaft erst im antiken Griechenland, wobei es ein Teil der Literaturwissenschaft darstellt, z.B. Morphemeinteilung  innerhalb der Metrik von Literaturwerken. Von Griechenland ausgehend verbreitet sich die Sprachwissenschaft ins Römische Reich, wobei auch hier noch nicht von der Sprachwissenschaft nach heutigem Verständnis gesprochen werden kann. Aber erste Grammatiken, die noch heute Bedeutung haben, entstanden im 4. und 5. Jahrhundert.

Im arabischen Raum entwickelte sich bis zum 8. Jahrhundert die Sprachwissenschaft zu einem angesehenen Fach, erste Arbeiten zu Phonologie und Grammatik entstanden. Diese Werke dienten nicht primär der Literaturwissenschaft als Ergänzung, sondern wurden als eigenständig betrachtet.

Im Mittelalter war die philosophische Betrachtung von Sprache, nach griechischen Vorbild, noch weit verbreitet. Eine Ausnahme stellten altisländische Grammatiken dar, die etwa 1150 verfasst wurden. Teilweise sind Ansätze moderner Theorien schon damals zu erkennen, unter anderem aus dem Strukturalismus.

Ab 17. Jahrhundert traten Sprachvergleiche, z.B. bei Sir William Jones, und die Suche nach dem Ursprung von Sprache in den Vordergrund. Die Reiselust vieler Forscher erweiterte den Blick auf die Sprachenvielfalt, auch wenn immer eine eurozentrische Interpretationsweise zur Bewertung der Fakten genutzt wurde. Ein typisches Beispiel ist die Forschung von Wilhelm von Humboldt (1767-1835), der zur damaligen Zeit als einer der Großen in der Spracherforschung galt. Die Beschäftigung mit alten Sprachen, außer Latein und Griechisch, wurde von vielen als produktives Feld angesehen und intensiv untersucht. In dieser Zeit wurde unter anderem die Stammbaumtheorie von Schleicher entwickelt. Zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden um die Leipziger Indogermanisten August Leskien, Karl Brugmann u.a. die Junggrammatiker, die Sprachen nach naturwissenschaftlichen Ansätzen untersuchten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägte der Schweizer Linguist Ferdinand de Saussure die Sprachwissenschaft und etablierte die Theorie des Strukturalismus. In dieser Zeit wurde die synchrone Betrachtung von Sprache immer wichtiger. In ganz Europa, v.a. in Prag und Genf, entwickelten Wissenschaftler Konzepte und Theorien, um das Phänomen ‚Sprache‘ zu beschreiben und zu erklären. Viele Namen z.B. Jakobson oder Trubetzkoy sind bis heute fester Bestandteil der Linguistik. Viele Forschungsarbeiten weiteten sich auf andere Bereiche wie der Anthropologie oder der Ethnografie aus, weil eine rein linguistische Betrachtungsweise nicht mehr ausreichte. Bekannte Vertreter dieser Interdisziplinarität sind Boas und Sapir aus den USA.

Der bekannteste Linguist des 20. Jahrhunderts ist unbestreitbar Noam Chomsky, der mit seiner Theorie der Generativen Grammatik berühmt wurde. Sie spaltete die Sprachwissenschaft bis heute. Die technischen Möglichkeiten bieten heute eine riesige Bandbreite an Untersuchungen aller Art. Die Sprachwissenschaft vereint zahlreiche Teildisziplinen z.B. die Sozio- oder Korpuslinguistik. Der globale Informationsfluss ermöglicht die Vernetzung von Forschenden weltweit und verändert unsere Sicht auf Sprache jeden Tag von Neuem.

Quellen

Brekle, Herbert Ernst. Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985

Bensen, Theodor. Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutschland: Seit dem Anfange des 19. Jahrhunderts mit einem Rückblick auf die früheren Zeiten. Reprint 2019. De Gruyter

Walisische Sprachinsel in Argentinien

Südamerika ist durch die Kolonisation der Spanier und Portugiesen geprägt, doch auch andere Länder schickten ihre Siedler in dieses oft nur schwer zugängliche Land. Diese Siedlungen sind meist bis heute erhalten und bewahren ihre europäischen Traditionen und Sprachen. Eine Sprache, die man aber kaum erwartet, ist das Walisische in der Provinz Chubut im Süden Patagoniens.

Die Geschichte der walisischen Siedler ähnelt denen der anderen eher kleinen Gruppen an Auswandern wie den Sorben in Texas oder den Hunsrückern in Brasilien. In der Heimat gab es wenig Arbeit, Missernten und politische Probleme, die eine Auswanderung und die Aussicht auf ein Leben in Wohlstand und Freiheit verlockend erschienen ließen.

Die argentinische Regierung benötigte im 19. Jahrhundert Siedler für die Küstenregionen der Provinz Chubut. Die dort ansässige indigene Bevölkerung wurde immer mehr vertrieben oder bei Militäreinsätze ermordet. Europäische Siedler sollten diese Regionen neu besiedeln und urbar machen. Der Prediger Michael D. Jones, der von einem freien Wales ohne englischen Einfluss träumte, sah seine Chance. Er handelte große Landabschnitte und freie Ausübung von Sprache und Religion mit der argentinischen Regierung aus und begann in Wales für sein Projekt zu werben. Auch andere wie Lewis Jones schlossen sich der Idee an.

Dem Ruf der Regierung folgte eine Gruppe von gut 150 walisischen Siedler, vor allem Handwerker und Bergleute mit ihren Familien, die sich am 28. Juli 1865 auf die lange Reise an die Argentinische Küste machten. Leider waren kaum Menschen mit Landwirtschaftserfahrungen dabei, obwohl der Plan vor allem die Urbarmachung des neuen Landes war. Das führte zu Frustration der Siedler und erschwerte den Start ins neue Leben erheblich. Mit Hilfe der noch in der Region lebenden Indigenen überlebten die Siedler die ersten Jahre und lernten von ihnen wie sie die Felder bestellen sollen und was sie anpflanzen können. Trotzdem gab es immer wieder Gewaltausbrüche und Kämpfe, da die Siedler Teile des Land der Indigenen einfach zu eigen gemacht hatten.

Als die ersten Siedlungen (Gaiman, Dolavon, Trelew) wuchsen, machten sich einige Siedler auf die Suche nach anderen Orten im Westen des Landes , um weitere Dörfer z.B. Trevelin zu gründen. 1886 begann der Bau einer Eisenbahn, was die Anwerbung weiterer Menschen aus Wales nach sich zog, da auch die Ingenieure aus Wales bzw. England stammten.

Es gab nach kurzer Zeit schon einige kleinere walisische Zeitungen, die unabhängig vom Mutterland berichteten. Die Siedlungen waren sprachlich recht homogen, so dass das gesellschaftliche Leben auf walisisch stattfand. Es wurden unter anderem Kapellen und Windmühlen gebaut, von denen einige bis heute die Landschaft prägen.

Immer wieder ereilten die Siedlungen und kleinen Städte Rückschläge, meist durch Überschwemmungen. Auch die politischen Freizügigkeiten der Regierung endeten ab den 1890er Jahren, so wurden z.B. junge Männer zur Armee eingezogen. Außerdem gab es Streitigkeiten zwischen den alteingesessenen und neuen Siedlern. Viele Menschen entschieden sich deshalb weiter in die USA oder Kanada zu ziehen.

Walisisch wird in den Städten, die aus den Siedlungen entstanden sind, weiterhin gepflegt, allerdings nimmt die Zahl der Sprecher*innen ab. Die Beschulung in Spanisch und die Mischung der Bevölkerung trägt maßgeblich dazu bei. Heute gehen optimistische Schätzungen von bis zu 5.000 Sprecher*innen aus. Seit 1997 wird das Walisische wieder aktiv gefördert, in Zusammenarbeit mit Wales. Unteranderem gibt es Sprachkurse und Stipendien für ein Studium in Wales. Festivals und sportliche Veranstaltungen finden in walisischer Sprache statt und auch heute noch entschließen sich junge Waliser und Waliserinnen nach Patagonien zu reisen, um diesen Teil ihrer Geschichte kennenzulernen.

Quellen

Walter Ariel Brooks, ‚Welsh print culture in y Wladfa: The role of ethnic newspapers in Welsh Patagonia, 1868-1933‘. Cardiff University PhD thesis, 2012

https://www.wales.com/de/ueber-wales/willkommen-wales/wales-und-die-welt/die-geschichte-der-waliser-patagonia

Warum ein Slawistik-Studium kein Russisch-Studium bedeutet!

Studierende der Slawistik kennen diese Situation meist sehr gut: Wir erzählen z.B. bei einem Kennenlernen, dass wir Slawistik studieren. Sofort kommen Fragen wie: Ist Russisch schwer zu lernen? Willst du nach Russland auswandern?

Mittlerweile machen mir solche Situationen nichts mehr aus und ich erkläre was genau Slawistik eigentlich bedeutet. Je öfter ich es erkläre, desto dringender erscheint mir ein Artikel zu Aufklärung. Also los geht’s!

Im deutschsprachigen Raum gibt es viele Bezeichnungen für das Studium der Slawistik. Ich selber habe im Bachelor ‚Slawische Sprachen und Literaturen‘ im Hauptfach studiert, aber man findet auch Studienfächer wie ‚Slawische Philologie‘, ‚Osteuropastudien‘ oder auch spezielle Richtungen wie Bohemistik oder Polonistik usw. Die Bandbreite zeigt schon wie vielfältig das Fach sein kann. Die Ausrichtung kann, je nach Fach, sprach-, literatur- oder kulturwissenschaftlich sein. Außerdem ist eine Kombination mit einem Zweitfach wie Politik-, Kulturwissenschaft oder Linguistik eine gute Basis für den späteren Beruf.

Das Studium ist immer interdisziplinär, umfasst also mehr als Sprach- oder Literaturkurse. Je nach Angebot der Universitäten wählt man meist ein oder zwei slawische Sprachen, die neben den Fachwissenschaften absolviert werden. Da viele Institute sehr klein sind, werden meist eine große Slawine (d.h. slawische Sprache) wie Russisch oder Polnisch angeboten. Die kleineren Sprachen wie Slowakisch oder Slowenisch sind selten vertreten.

Dies bedeutete in der Geschichte der Slawistik eine Dominanz zugunsten einer Sprache, was aus mehreren Gründen Russisch war: Russland ist einer der größten Handelspartner Deutschlands und in jedem Bundesland wird Russisch als Fremdsprache angeboten. Dementsprechend ist die Ausbildung der Lehrkräfte, besonders im Gebiet der ehemaligen DDR, immer noch eine zentrale Aufgabe der Slawistikinstitute.  

Aber schon traditionell waren andere Bereiche wie die Polonistik, Bohemistik oder Südslawistik ein fester Bestandteil des Lehrangebotes. Je nach Standort der Universität ändert sich der Schwerpunkt innerhalb der Slawistik. In Österreich ist beispielsweise der Bereich der Südslawistik viel stärker ausgebaut als in Deutschland. Der Abschluss im slawistischen Bereich eröffnet eine breite Palette an Berufsaussichten, je nach Interesse und Schwerpunkt z.B. in der Verlagsbranche, im diplomatischen Dienst oder im Kulturbereich.

Was von vielen Studierenden schon seit langem in den Universitäten kritisiert wird, ist der starke Fokus auf die Russistik, also ein Schwerpunkt auf die russische Sprache, Kultur und Literatur. Das ist einerseits historisch begründet, aber auch durch die höheren Studierendenzahlen in Fächern wie Russisch/Lehramt oder Russische Philologie begründet. Nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gehen diese Zahlen kontinuierlich runter, so dass sich vielerorts die Frage nach der  Wirtschaftlichkeit der Slawistikstudiengänge stellt. Doch das Interesse an den kleinen Slawinen wächst. In großen Instituten können die Studierenden ihren Schwerpunkt selbst bestimmen und wählen immer mehr nach persönlichen Interessen statt nach Größe der Sprache aus.

Diese Interessen sind ein Ergebnis der deutschen Geschichte. Vor allem nach der Wende lernten viele Menschen die Länder jenseits der Oder und Elbe erst richtig kennen. Auch mit der EU-Osterweiterung und dem dadurch verbesserten Austausch zwischen den Universitäten entstanden viele Möglichkeiten für Studierende und Forschende. Mittlerweile ist ein Auslandsjahr in Polen oder Kroatien nicht mehr die exotische Ausnahme, sondern ein fester Bestandteil eines Studiums. Die gängigen Vorurteile über Menschen aus dem Osten oder Südosten Europas können mit dem Studium und dem Austausch in produktive Zusammenarbeit verändert werden, von denen alle profitieren.

Das politische Klima kommt natürlich auch in der akademischen Welt an und beeinflusst die Lern- und Arbeitsatmosphäre. Die Kompetenz, zwischen Wissenschaft und politischen Streitigkeiten zu unterscheiden, ist eins der wichtigsten Dinge, die man zu Beginn des Slawistikstudiums lernt.

Ein Slawistikstudium kann, muss aber kein Studium mit Russistikschwerpunkt sein. Die Wahl liegt bei dir und deinen Interessen. Die Welt der Slawistik ist groß und vielfältig!

Quellen

https://www.slawistik.hu-berlin.de/dehttps://

www.hochschulkompass.de/sprach-und-kulturwissenschaften/slawistik.html

Kikimora

Im slawischen und auch finno-ugrischen Kulturraum haben sich trotz der Christianisierung viele alte Gottheiten erhalten, auch wenn sich die Namen oder Eigenschaften dieser Figuren verändert haben. Eins dieser überall verbreiteten Wesen ist die Kikimora, eine verschieden interpretierte Gestalt.

Der Ursprung der Kikimora liegt eventuell in der slawischen Göttin Mokosch, die als eine der wenigen weiblichen Gottheiten der Slawen bekannt ist. Im Laufe der Zeit wurden die heidnischen Götter durch das Christentum verdrängt bzw. verloren ihre (meist) positive Zuschreibung. Im Christentum war kein Patz für mehr als einen Gott, schon gar keine Göttin. So wurde aus der Göttin für Fruchtbarkeit und Weiblichkeit ein Poltergeist. Ein andere Herleitung der Kikimora beschreibt sie als Seele eines Menschen, der nachts umherstreift und Albträume verursacht. In einigen Regionen wird die Kikimora auch als Sumpf- oder Waldgeist beschrieben. Beide Orte hatten bei den Slawen eine wichtige Bedeutung.

Eine etwas andere Vorstellung der Kikimora, ist die eines Hausgeistes. Ähnlich wie viele andere Wesen soll die Kikimora in den Häusern der Menschen leben und ihnen manchmal sogar helfen z.B. beim Füttern der Hühner oder bei der Haushaltsarbeit. Sie legt dann Wert auf Ordnung und bestraft unordentliche Menschen in dem Sie nachts durch das Haus streift, Albträume bringt und Unordnung machet. Ihr Erscheinen wird oft auch als Todesomen für einen der Hausbewohner gedeutet.

Ob die Kikimora mit der Figur der Mora/Marzanna/ Morena gleichzusetzen ist, wie von manchen behauptet, ist umstritten.

Sie wird meist als alte Frau dargestellt, selten als Mädchen. Ihre Gestalt ist zwar einem Menschen ähnlich, weist aber auch animalische Züge auf z.B. ihre hühnerähnlichen Füße oder die Schnauze eines Hundes. Ihre Kleidung ist alt und zerfetzt, manchmal mit Moos oder Pflanzen besetzt, wenn sie eher als Wald- oder Sumpfwesen gelesen wird. Seltener wird die Kikimora als unsichtbar beschrieben, was aber gut zur Vorstellung eines Poltergeistes passt. Auf dem bekannten Bild von Ivan Bilibin (oben) sieht man einen Prototypen der Kikimora.

Quellen

Gieysztor, Aleksander. Mitologia Słowian, 3. Aufl., WUW, Warschau 2006

Váňa, Zdeněk. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Die geistigen Impulse Ost-Europas, Urachhaus, Stuttgart 1992

Die Färöische Sprache

Neben den großen Sprachen wie Deutsch oder Schwedisch weist die germanische Sprachfamilie auch sehr kleine Sprachen auf. Die kleinste, noch lebende germanische Sprache ist das Färöische.

Wie der Name schon nahelegt, wird Färöisch auf den Färöer-Inseln gesprochen. Jedoch leben auch viele Sprecher*innen in Dänemark und vereinzelt auch weltweit. Daher ist es schwierig eine genaue Zahl der Sprecher*innen zu bestimmen. Schätzungen gehen von 60.000 -100.000 Sprecher*innen aus.

Sprachtypologisch gehört Färöisch dem nordgermanischen Zweig an, zu dem unter anderem auch Isländisch und Norwegisch gehören. Obwohl die Sprache weniger Sprecher*innen hat als manch bedrohte Sprache, z.B. Jiddisch oder Baskisch, ist sie sehr vital und genießt durch die geografische Abgrenzung ihres Sprachgebietes und den Status einer Amtssprache ein hohes Prestige.

Das Färöische stammt sprachgeschichtlich von Altnordischen ab und machte im Laufe der Zeit viele Lautentwicklungen durch z.B. die Entwicklung der Langvokalen und Diphthongen, wobei hier dialektal Unterschiede bestehen. Die Schrift basiert auf dem lateinischen Alphabet, ergänzt durch ein paar spezifische Buchstaben wie <Æ, æ> oder <Ð, ð >. Die Formen des Altnordischen haben sich im Färöischen mehr erhalten als in anderen Sprachen z.B. im Genussystem. Das Kasussystem ähnelt dem Deutschen, der Genitiv ist ebenfalls auf dem Rückzug. Bei der Artikelnutzung setzt die Sprache sogar noch einen drauf und zeigt in manchen Fällen eine doppelte Artikelform. Wie im Deutschen unterschiedet man zwischen starker und schwacher Adjektivflexion.

Sprecher*innen des Färöischen können oft sehr gut Dänisch und verstehen dadurch auch andere skandinavische Sprachen, sind aber sehr stolz auf ihre eigene Sprache. Auf den Färöer-Inseln wird die frühere dänischsprachige Dominanz zugunsten des Färöischen immer weiter abgebaut, obwohl der Dänischunterricht noch einen hohen Stellenwert besitzt. In der Öffentlichkeit sieht man neben färöischen Beschriftungen immer mehr aus Englisch, was unter anderem für die Touristen hilfreich ist.

Offiziell gibt es heute keine Standardsprache, aber drei große Dialektgebiete: den Nordinseldialekt, den Tórshavner Dialekt und den Südinseldialekt. Aufgrund der höchsten Sprecherzahl wird der Tórshavner Dialekt oft als inoffizieller Standard gesehen, der auch in der Hauptstadt Tórshavn gesprochen wird. Die früheren Versuche einer Standardisierung stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Das älteste Dokument auf Färöisch stammt auch dem späten 13. Jahrhundert und zeigt Unterschiede zu den anderen skandinavischen Sprachen der Zeit. Der starke Einfluss des Dänischen und Norwegischen auf die Sprache ist politisch bedingt, wobei es heute im Verhältnis zur Bevölkerung viel Literatur aus Färöisch gibt. Neben traditionellen Liedern und Geschichten gibt es auch viel neuere Literatur.

Außerhalb des Landes ist es nur schwer möglich Färöisch zu lernen. Kinder aus färöischen Familien, die in Dänemark leben, haben keine Möglichkeit ihre Erstsprache im schulischen Kontext zu erwerben. Die Färöer-Inseln bieten als einzige ein Studium der Sprache an. Kurse für Interessierte findet man im deutschsprachigen Raum nur schwer. Da bietet sich eine Reise zu einem Sommerkurs auf die Färöer-Inseln an!

Quellen

Schäfer, Michael & Schäfke, Werner. Sprachwissenschaft für Skandinavisten: Eine Einführung. Narr Francke Attempto, Tübingen 2014

Gebel, Christian. Die Färöer – Geschichte und Sprachgeschichte, Schriftenreihe des Deutsch-Färöischen Freundeskreises – Heft 1, Düsseldorf 1988

Deutsche Minderheitenpolitik 2025

In Deutschland leben vier anerkannte Minderheiten: Dänen, Friesen, Sinti und Roma und Sorben. Sie leben seit Jahrhunderten hier und sind ein Teil von Deutschland. Ihrem Schutz hat sich Deutschland verpflichtet, was in unter anderem im Grundgesetz und im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz festgelegt ist.

Laut Grundgesetz Artikel 3 darf in niemand aufgrund seiner Sprache oder Herkunft diskriminiert werden. Und obwohl die Minderheiten in diesem Artikel nicht explizit genannt werden, schließt er sie mit ein. Dieser Artikel ist die Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus, dessen Rassismus und Menschenfeindlichkeit im neuen deutschen Staat keinen Platz mehr haben darf.

Im Laufe der Zeit kamen noch andere Gesetze dazu, viele davon gelten auf europäischer Ebene und sichern allen Minderheiten Rechte und Förderung zu. Ein gutes Beispiel dafür sind die Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten und die Europäische Charta der Regional- Minderheitensprachen, die in Deutschland gelten.

Im Mai 2025 wurde der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung veröffentlicht und mit Spannung von den Minderheiten und ihren Interessensvertretungen erwartet. Doch leider erwies sich das Papier als große Enttäuschung! Die Empfehlungen, die von den Minderheiten für eine neue und produktive Minderheitenpolitik vorgeschlagen wurden, sind mit keinem Wort erwähnt. In lediglich zwei kurzen Sätzen „Wir bekennen uns zu Schutz und Förderung der in Deutschland lebenden nationalen Minderheiten.“ und „Wir bekennen uns zum besonderen Schutz und einer spezifischen Förderung der gesetzlich anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland: die dänische Minderheit, die friesische Volksgruppe, die deutschen Sinti und Roma und das sorbische Volk.“ kommt das Thema Minderheiten zur Sprache. Beide Sätzen sind Floskeln, ohne eine Definition der Maßnahmen und ohne konkrete Ziele.

Wie sieht eine Politik aus, die lediglich zwei (fast) identische Sätze zu einem so wichtigen Thema verfasst und damit ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen signalisiert: Mehr als das seid ihr nicht wert!

Die massive Sparpolitik der neuen Bundesregierung bedroht die Arbeit der Interessensverbände, Projekte zur Förderung von Sprache und Kultur und signalisiert mangelnde Wertschätzung für die Vielfalt in Deutschland. Es scheint wegweisend für die nächste Legislaturperiode zu sein, dass Empfehlungen von Expert*innen zwar zur Kenntnis genommen werden, aber bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen keinerlei Beachtung finden.

Wie sollen Maßnahmen, z.B. Unterricht in Friesisch oder Niedersorbisch und die Sichtbarkeit in Rundfunk und Presse, in Zukunft aussehen? Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen wurde von Deutschland unterschrieben und ratifiziert, aber die fehlende Umsetzung hat keine rechtlichen Konsequenzen. Die dort beschriebenen Maßnahmen können ohne Rückhalt aus der Regierung nicht umgesetzt werden.

Wir brauchen ein Umdenken in Deutschland! Wir müssen die Sichtbarkeit und das Wissen über unsere Minderheiten verbessern, doch dafür brauchen wir mehr als zwei Sätze!

Quellen

Koalitionsvertrag: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag2025_bf.pdf

Minderheitensekretariat:https://www.minderheitensekretariat.de/

Das Burgenland

Das kleinste Bundesland Österreichs liegt im Osten des Landes und kann auf eine wechselhafte Geschichte zurückblicken: das Burgenland.

Das Burgenland ist ein langgezogenes Bundesland, das an Slowenien, Ungarn und die Slowakei grenzt. Diese Tatsache und historische Gegebenheiten sorgen für eine interessante Mischung von Kultur, Sprachen und Bevölkerung.

Geografisch lässt sich das Burgenland in drei Teile gliedern, was vor allem auf der unterschiedlichen landwirtschaftlichen Nutzung basiert. Der Norden ist flach, während der mittlere und südliche Teil bergig sind. Zahlreiche Naturschutzgebiete sind über das ganze Bundesland verteilt. Ein Natur- und Touristenjuwel ist der Neusiedler See, den sich Österreich und Ungarn teilen.

Die Besiedlung des Burgenlandes reicht bis in die Mittelsteinzeit zurück, erste Siedlungsfunde stammen aus der Jungsteinzeit. Durch die geografischen Gegebenheiten und Funde wie Hügelgräber und Werkzeuge kann man ab dieser Zeit von einer konstanten Besiedlung ausgehen. Als bekanntes Volk, das dort lebte, gelten die Kelten, die dort etwa ab 400 v.Chr. siedelten. Später eroberten die Römer das Gebiet, danach die Ostgoten, Hunnen, Awaren und andere.

Im 8. Jahrhundert siedelte Karl der Große Franken an, die aber schon ein Jahrhundert später von den Ungarn erobert wurden. Die militärischen Vorstöße der Türken ab dem 16. Jahrhundert und Kriege zwischen den Habsburgern und den Ungarn zeigen wie umkämpft die Region war. Die Herrschaften wechselten ständig, was die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen in der Region erklärt. Als Teil des Habsburger Reiches, unter ungarischer Verwaltung, verblieb Deutsch-Westungarn, so die frühere Bezeichnung, bis zum Ende in der Donau-Monarchie.

Ab 1918 wurde das Burgenland Teil der neu gegründeten Republik Deutschösterreich, ungeachtet der dort lebenden Bevölkerung. Aus dieser Zeit stammt auch der Name ‚Burgenland‘.  Bei Volkabstimmungen 1923 fielen einige kleinere Teile, unter anderem die Gegend um Sopron (damals Ödenburg), wieder an Ungarn zurück. 1938 teilen die Deutschen das Burgenland in zwei Reichsgaue bis nach den Krieg das Bundesland Burgenland wieder eingeführt wurde.

Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Sprachen des Burgenlandes sind eine Besonderheit. Hier leben z.B. die Burgenlandkroaten und -ungarn, genauso wie viele Roma. Die Sprachen der Minderheiten sind im Burgenland geschützt, was bedeutet, dass sie auch unterrichtet werden und im öffentlichen Raum zu sehen sind. Die Varietäten der Minderheiten wie Burgenlandkroatisch sind in der Forschung ein beliebtes Thema und gut erforscht. Die Sprachpolitik im Burgenland ist im Vergleich zum Rest des Landes viel offensichtlicher, muss sich aber auch gegen national-konservative Kräfte wehren, die die Mehrsprachigkeit der Region mit Argwohn betrachten.

Das Erbe des Vielvölkerstaates der Habsburger zeigt sich vor allem auch in der Kultur, besonders im Bereich Musik und Kulinarisches. Die im Landesnamen enthaltene Burgen findet man hier in rauen Mengen, ebenso wie Schlösser und wunderschöne Kirchen.

Das Wappen des Burgenlandes zeigt einen roten, gekrönten Adler auf einem schwarzen Berg. Über den Flügeln des Adlers schweben zwei Templerkreuze und auf der Brust trägt er ein Schild mit weißem Hermelin.

Quellen

Schottenberg, Michael. Burgenland für Entdecker. Amalthea, Wien, 2021

Strunz, Gunnar. Burgenland. Natur und Kultur zwischen Neusiedler See und Alpen. Trescher Verlag, Berlin, 3. Auflage 2017

Jan Brzechwa

Wer kennt es nicht? Man ist in Polen und sagt, dass man Polnisch lernt. Der Gesprächspartner lächelt und sagt: Wie cool! Sag mal „W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie.“! Diesen Zungenbrecher verdanken wir dem polnischen Autor Jan Brzechwa.

Jan Wiktor Lesman, wie Jan Brzechwa eigentlich heißt, wurde am 15. August 1898 in Żmerynka in der heutigen Ukraine geboren. Bis 1910 ging Bryechwa in Kiew zu Schule, zog dann aber mit der Familie nach Warschau, wechselte aber schon ein Jahr später erneut den Wohnort nach St. Petersburg und legte dort 1916 sein Abitur ab.

Er begann ein Studium der Tiermedizin, wechselte dann zu Polonistik und entschloss sich schließlich für ein Studium der Rechtswissenschaften in Warschau. Zeitgleich diente er in der Armee im Polnisch-Sowjetischen Krieg. Zwischen 1924 und 1939 arbeitete er als Anwalt bei der Vereinigung der Bühnenautoren und -komponisten (pol. Stowarzyszenie Autorów ZAiKS) und vertrat die Künstler bei Fragen des Urheberrechtes. Dieses Fachgebiet vertrat er auch beim Internationalen Schriftstellerverband PEN Club.

Brzechwa war dreimal verheiratet und hat eine Tochter, die später Malerin wurde. Sein Privatleben war kompliziert und gibt heute noch Anlass für Spekulationen.

Neben seiner Arbeit als Anwalt verfolgte Brzechwa auch schriftstellerische Interessen. Schon als Jugendlicher schreib er erste Gedichte, was er aber vorerst als Hobby ansah. Trotzdem konnte er ab 1920 Geld mit kleinere Arbeiten verdienen, die er unter den Namen  „Szer-Szeń” oder „Inspicjent Brzeszczot” veröffentlichte. Sein Pseudonym Jan Brzechwa, unter dem man ihn heute kennt, entstammt einer Idee seines Bruders Bolesław Leśmian. 1926 erschien das erste Gedicht für Kinder, der erste Gesamtband 1938.

In der Zeit des II. Weltkrieges lebte er in Krakau und Warschau, immer unter der Gefahr der Deportation aufgrund seiner jüdischen Herkunft, die er selber nie für sich fühlte. In dieser Zeit schrieb Brzechwa zwar, konnte aber nichts veröffentlichen. Das holte er nach Kriegende nach und in den ersten Jahren erschienen zahlreiche Werke von ihm, mitunter aber in zensierter Form. Außerdem übersetzte er Werke russischer Schriftsteller z.B. Puschkin und Majakowski ins Polnische. Obwohl sich Brzechwa nicht aktiv politisch engagierte, schrieb er für die Kommunistische Partei in Polen Gedichte und Artikel.

Brzechwas Liste an Veröffentlichungen ist lang, er erhielt mehrere Auszeichnungen in Polen und der Sowjetunion. Am 2. Juli 1966 verstarb Brzechwa in Warschau, wo er auch begraben wurde.

Quellen

https://poezja.org/wz/Jan_Brzechwa

https://culture.pl/pl/tworca/jan-brzechwa

Sprachenpolitik in der Ukraine

Ein Land wie die Ukraine beheimatet die verschiedensten Bevölkerungsgruppen. Schon allein durch die Geschichte des Landes kommen unzählige Ethnien zusammen, die genauso viele unterschiedliche Sprachen sprechen, seit Jahrhunderten. Doch durch den Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 ist die Frage nach sprachlicher Identität wieder in den Fokus gerückt.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der neugewonnenen Unabhängigkeit der Ukraine 1991wurde Ukrainisch alleinige Amtssprache. Das bedeutete aber nicht, dass andere Sprachen nicht gesprochen werden durften. Die meisten Menschen waren schon damals mehrsprachig. Die am meisten verbreitetste Sprache, neben Ukrainisch, war und ist bis heute Russisch, dass besonders im Osten und Süden der Ukraine verbreitet ist. Schätzungen von 2001 nach sprechen ein Drittel der Ukrainier*innen Russisch als Muttersprache. Auch eine Mischvarietät, das sogenannte Surschyk, wird bis heute gesprochen.

Seit 1991 ist die Zahl der Ukrainischsprecher*innen stetig gestiegen, was vor allem daran liegt, dass Ukrainisch als Bildungssprache immer stärker forciert wird. Das bedeutet, dass vor allem die Jüngeren prozentual mehr und kompetenter Ukrainisch sprechen als die Älteren. Im Laufe der letzten Jahrzehnte war die Sprachenpolitik oft an die politischen Ansichten der Regierung geknüpft.

So ratifizierte die Ukraine am 19. September 2005 die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, sogar früher als einige  Mitgliedsstaaten der EU. Darin sind u.a. Jiddisch, Krimtatarisch, Romani und Ungarisch als Minderheitensprachen anerkannt. Prozentual zur Gesamtbevölkerung der Ukraine machen die Minderheiten aber nur einen kleinen Teil aus, was ihren Schutz umso wichtiger macht.

Während der Regierungszeit von Wiktor Janukowytsch trat 2012 ein Gesetz in Kraft, nachdem neben der Amtssprache Ukrainisch auch regionale Sprachen als Verkehrssprachen genutzt werden konnten, sobald der Anteil der Sprecher*innen 10% innerhalb der Region beträgt. Das war nicht nur wichtig für die russische Sprache, sondern auch für Minderheitensprachen wie Ungarisch oder Rumänisch. Insgesamt bekamen 18 Sprachen diesen Status. Jedoch wurde diese Sprachenvielfalt 2018 wieder eingeschränkt, z.B. wurde Unterricht nicht mehr in den Minderheitensprachen angeboten. Besonders für die grenznahen Regionen zu Ungarn, Polen und Rumänien war das ein Rückschritt, den auch die Nachbarländer scharf kritisierten.

Die Kritik riss nicht ab als im Frühjahr 2019 weitere Verschärfungen vorgenommen wurden. Das Gesetz „Über die Gewährleistung des Funktionierens der ukrainischen Sprache als Staatssprache“ sah vor, dass im öffentlichen Raum, z.B. im Fernsehen, in Zeitungen usw., das Ukrainische weiter in den Fokus rückt und als einzige Sprache fungieren soll. Das betrifft zwar nicht den Alltagsgebrauch aller Sprachen, vermittelt aber den Eindruck einer Hierarchie, die nicht zum Bild der weltoffenen Ukraine zu passen scheint.

Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 hat sich die Sprachwahrnehmung stark verändert. Die ukrainische Sprache ist zu einem Symbol für Einheit und Identität geworden. Und obwohl das Russische weiterhin für einen großen Teil der Ukrainer*innen die erste Sprache ist, zeigen sich Tendenzen, dass viele Menschen die Sprache des Aggressors nicht mehr verwenden wollen. Das Russische verliert in der Ukraine zunehmend sein Prestige und auch außerhalb des Landes, z.B. in Westeuropa, assoziieren viele Menschen mit Russisch automatisch Russland. Diese fehlende Abtrennung zwischen Sprache und Staat ist bis heute Anlass für Konflikte.

Im Dezember 2022 trat in der Ukraine das Gesetz „über die nationalen Minderheiten“ in Kraft, dass angelehnt an die Europäische Charta, allen Sprachen der Minderheiten einen offiziellen Status einräumte. Es geht darüber hinaus auch um finanzielle Unterstützung und den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Das Gesetz ist ein weiterer Schritt zur Mitgliedschaft der EU.

Quellen

Zensus der Ukraine: https://2001.ukrcensus.gov.ua/eng/results/general/language/

Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/internationalepolitik/europa-nordamerika-ukraine-sprachenstreit-14927.html

Linguistic Landscape

Mehrsprachigkeit ist zur Zeit ein Riesenthema: Wir lernen Sprachen in der Schule oder in der Freizeit, die Forschung untersucht die Auswirkungen von Mehrsprachigkeit auf die Gesellschaft und das Individuum usw. Aber wie offen zeigt sich Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum? Genau dieser Frage gehen immer mehr Wissenschaftler*innen nach. Das Phänomen nennt sich Linguistic Landscape, dt. Sprachlandschaft, und ist ein interdisziplinärer Forschungsgegenstand.

Linguistic Landscape beschreibt die Forschung, die sich mit der Wahrnehmung und der Sichtbarkeit von Sprache(n) im öffentlichen Raum beschäftigt. Der besondere Fokus liegt dabei auf mehrsprachigen Gesellschaften und die Verwendung all ihrer Sprachen im öffentlichen Raum. Dabei gehen die Wissenschaftler*innen verschiedenen Fragen nach, z.B. wie die qualitative und quantitative Verteilung der Sprachen ist, an welchen Orten sich welche Sprachen finden oder von wem die Verwendung der Sprachen ausgeht.

Da diese Forschung noch sehr jung ist, gibt es momentan nur wenige Arbeiten und Artikel zu dem Thema, besonders in Deutschland. Ist in einem Land nur eine Sprache als Amtssprache festgeschrieben z.B. wie in Deutschland, würde man nur eine geringe Dichte an öffentlich sichtbarer Mehrsprachigkeit finden. Und in Ländern wie Kanada oder Belgien, deren Mehrsprachigkeit schon lange besteht, erwartet man ganz selbstverständlich mindestens zwei sichtbare Sprachen im öffentlichen Raum. Aber ist das wirklich so?

In der Linguistic Landscape-Forschung wird nach dem Prinzip der Wirkrichtung unterschieden: Top-Down und Bottom-Up. Wird beispielsweise eine zweisprachige Beschriftung aufgrund einer gesetzlichen Grundlage an einem Rathaus angebracht, ist die Wirkrichtung Top-Down. Das finden wir oft bei Zweisprachigkeit, die von staatlichen Institutionen ausgeht. Bottom-Up dagegen findet man im privaten bzw. kommerziellen Kontext, z.B. eine zweisprachige Speisekarte im Restaurant.

Von entscheidender Bedeutung bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum ist der Status und das Prestige der Sprachen. Ist eine Sprache als Minderheitensprache anerkannt, wie das Sorbische in der Lausitz, sind die Kommunen verpflichtet u.a. die Straßenbeschilderung zweisprachig bereitzustellen. Bei Sprachen, die von vielen Menschen gesprochen werden, jedoch keinen Staus besitzen, findet man keine offizielle Nutzung. Aber gerade in Städten findet man oft Geschäfte oder andere private Einrichtungen, die nicht die Amtssprache für ihre Beschilderung wählen (auch ein Beispiel für Bottom-Up).

Die Sichtbarkeit von Sprachen ist immer ein Indiz für den Umgang mit ihnen. Werden Sprachen öffentlich genutzt, schriftlich wie mündlich, steigt die Akzeptanz. Gerade für kleine Sprachen in ihren angestammten Sprachräumen ist die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum ein Teil der Sprachpflege, der nicht unterschätzt werden darf.

Kennst du Beispiele für sichtbare Mehrsprachigkeit in deiner Heimatstadt oder in der Umgebung?

Quelle

Jannis Androutsopoulos: Linguistic landscapes: Visuelle Mehrsprachigkeitsforschung als Impuls an die Sprachpolitik.