Die Revitalisierung von Sprachen

Von den schätzungsweise 7000 Sprachen, die es weltweit gibt, werden es mindestens die Hälfte (manche sprechen sogar von 90%) nicht ins nächste Jahrhundert schaffen. Die Gründe dafür sind vielfältig, z.B. Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, Vertreibung aus dem angestammten Sprachgebiet usw.

Allgemein könnte man sagen: Je kleiner eine Sprache ist, desto schwieriger ist ihr Erhalt. Kleine Sprachen haben oft wenig Prestige im Vergleich zu den Mehrheitssprachen und verfügen prozentual gesehen weniger über eine Schrift, die ihr Bestehen zumindest schriftlich dokumentieren kann.

Der Verlust von Sprachen bedeutet aber nicht nur weniger Sprachen weltweit, sondern auch den Verlust von kleinen Kulturen, Traditionen und Identität der Sprecher*innen. Es gibt Sprachen wie das Lateinische, von der wir viel Wissen und die immer Sprecher*innen hatte, wenn auch nicht als Erstsprache. In anderen Fällen wie z.B. Sprachen in Südamerika, bei dem es weder Schrift noch andere dokumentierte Quellen gibt, haben wir keine Möglichkeit die Sprache zu erforschen. Der Verlust von Sprachen wurden vorsätzlich durch Vertreibung, Ermordung und Kolonisation der Sprecher*innen in Kauf genommen bzw. sogar forciert.

Die meisten heutigen Sprachwissenschaftler*innen haben ein anderes Bild von Sprachen. Sie interessieren sich grundsätzlich für alle Sprachen und bewerten sie nicht. Mittlerweile wird auch immer mehr versucht bedrohte Sprachen zu erhalten und die Sprecher*innenzahl zu stabilisieren. Dafür gibt es verschiedene Methoden, aber das wichtigste Mittel ist die politische Unterstützung in Form von Schutzgesetzen und finanziellen Hilfen z.B. zur Ausbildung von Lehrer*innen, Sichtbarkeit in den Medien wie Radio oder Fernsehen usw. Doch ohne das Engagement motivierter Menschen werden diese Hilfen langfristig nichts bringen.

Damit das jetzt nicht zu pessimistisch klingt und alle gleich die Flinte ins Korn werfen, wollen wir uns ein paar hoffnungsvolle positive Beispiele anschauen, von denen andere Sprecher*innengruppen lernen können. Das bekannteste Beispiel einer Revitalisierung ist das Ivrit, das moderne Hebräisch. Als der Staat Israel 1948 gegründet wurde, sprachen die Menschen viele verschiedene Sprachen. Sie kamen aus der ganzen Welt, um sich in Israel niederzulassen. Von oberster Ebene wurde die Verbreitung der Sprache gefördert. Heute sprechen es fast 10 Millionen Menschen in Israel.

Auch in anderen Teilen der Welt finden wir Revitalisierungsbemühungen. Die EU hat eine Charta zum Schutz der kleinen Sprachen geschaffen, in dem sich die Mitgliedsstaaten verpflichten für den Erhalt und die Pflege aller Sprachen zu sorgen. In Deutschland betrifft das die sogenannten anerkannten Minderheitensprachen Dänisch, Niederdeutsch, Niedersorbisch, Nordfriesisch, Romanes, Saterfriesisch und Obersorbisch. Die Menschen dürfen ihre Sprachen nicht nur sprechen, sondern haben auch Anspruch auf Bildung in ihrer Sprache. Das leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der meist sehr bedrohten Sprachen.

Einige wenige ausgestorbene Sprachen Europas sind durch den Einsatz einer weniger wiederbelebt worden. Dazu zählen unter anderem Manx, eine keltische Sprache, das auf der Isle of Man gesprochen wird. Heute gibt es eine Schule und viele Kindergärten, wodurch langsam eine neue Generation von Erstsprecher*innen heranwachsen kann. An einer Standardisierung der Schriftsprache wird momentan gearbeitet, denn sie bildet die Grundlage für Lehrbücher und andere Veröffentlichungen.

Ein zweites Beispiel ist Kornisch, ebenfalls eine keltische Sprache, die in Cornwall beheimatet ist. Hier wurde zur Rettung der Sprache ein künstlicher Standard geschaffen. Das heutige Kornisch ist dementsprechend anders als das ursprüngliche, ähnlich wie beim Ivrit. Mittlerweile kann man kurze Radiobeiträge in Kornisch hören, außerdem gibt es fakultativen Unterricht. Anders als bei Manx sind die kleinen Gruppen untereinander zerstritten, wenn es um linguistische Fragen und Sprachneuerungen geht. Das schwächt ihre Position und bremst die Revitalisierung aus.

Ob sich viele bedrohte Sprachen retten lassen, ist nicht vorherzusehen. Es braucht viel Engagement, Zeit und vor allem politischen Willen, um solche Projekte umzusetzen. Das Wichtigste ist den Menschen ihre Sprache nutzbar zu machen, damit sie sie im Alltag sprechen und sich nicht gezwungen fühlen die Mehrheitssprache zu verwenden!

Quellen

Haarmann, Harald. Lexikon der untergegangenen Sprachen (= Beck’sche Reihe. 1456). Beck, München 2002

Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen: Gesamtverzeichnis

Sprache im Wandel – Muss das sein?

Keiner kann bestreiten, dass sich Sprache stetig verändert. Die Veränderungen unserer Gesellschaften, der Umwelt und unsere persönliche Entwicklung bewirken einen Wandel, der sich durch die gesamte Sprachgeschichte zieht.

Am einfachsten kann man Sprachwandel natürlich im Verlauf betrachten. Wie wurde vor 60, 100 oder sogar vor 250 Jahren gesprochen? Um das zu ermitteln, schauen sich Linguisten alte Quellen wie Briefe an, die eine gewisse Mündlichkeit zeigen. Dokumente wie Urkunden, Berichte oder Inventarlisten lassen nur wenig Interpretationsspielraum zu.

Sprachliche Innovationen auf lexikalischer Ebene treten naturgemäß häufig auf, unterliegen aber meist nicht dem Sprachwandel auf pragmatischer Ebene. Seit die technischen Möglichkeiten es erlauben auch mündliche Sprachdaten zu archivieren und zu analysieren, kann sich die Forschung dem Sprachwandel auf mündlicher Ebene völlig neu nähern.

In welcher Weise kann man heute eine Veränderung in der Sprache wahrnehmen?

Die deutlichste Veränderung sind, wie schon erwähnt, neue Wörter. Das können Entlehnungen oder Neukreationen sein, die sich ganz selbstverständlich in unseren Sprachgebrauch schleichen. Auch Umdeutungen oder der Ersatz von Begriffen durch „coolere“ sind Teil des Sprachwandels. Viele Menschen sehen das als eine Art Generationswechsel, der meist akzeptiert wird.

Kommt dann aber auch noch eine Veränderung im Bereich der Grammatik dazu, ist bei vielen das Ende der Toleranz erreicht. Nebensätze, die eigentlich eine Verbletztstellung verlangen (Ich meine hier das Standarddeutsche), werden zusehends wie Hauptsätze gebildet. So hört man beispielsweise immer häufiger: Ich komme heute nicht zur Vorlesung, weil ich bin krank. Je öfter man solche ‚neuen‘ Konstruktionen zu hören bekommt, desto eher neigt man dazu sie als korrekt zu akzeptieren und eventuell sogar irgendwann selbst zu verwenden.

Solche und andere Prozesse sind in jeder Sprache zu beobachten. Sprachen neigen generell zu Vereinfachung. Schon unsere sprachlichen Vorfahren wie das Germanische passte sich mit der Zeit an und vereinfachte z.B. das Kasussystem oder die Anzahl an Konsonanten. Nahverwandte Sprachen wie das Englische oder das Dänische kennen die ursprünglich indoeuropäische Unterscheidung zwischen Maskulinum, Femininum und Neutrum nicht mehr. Das bedeutet nicht automatisch, dass diese Prozesse irgendwann auch im Deutschen umgesetzt werden, zeigt aber die sprachlichen Möglichkeiten.

Auch die Art und Weise wie wir miteinander sprechen, verändert sich. Das ist keine Frage von neuen Wörtern oder einer veränderten Grammatik, sondern einer gesellschaftlichen Veränderung. Das früher übliche ‚Sie‘ ist in vielen Situationen dem informellen ‚Du‘ gewichen, was besonders die älteren Sprecher*innen als unangebracht empfinden. In diesem Fall zähle ich mich auch zu den Älteren, während mich andere Veränderungen weniger stören.

Einige Beispiele, die ich durchaus angemessen finde, sind gendersensible Sprache oder die Nutzung entlehnter Wörter, solange sie sich ins deutsche Sprachsystem eingliedern lassen. Auch die Sprachökonomie spielt eine Rolle. Natürlich könnte ich ‚Brotröster‘ und ‚Baumwollhemd mit kurzen Ärmeln‘ sagen, aber ‚Toaster‘ und ‚T-Shirt‘ ist einfach schneller.

Manche mögen es Verfall der Sprache nennen. Für mich als Linguistin ist der Sprachwandel kein Dämon, den es zu bekämpfen gilt. Und wenn wir uns in der Sprachgeschichte, egal in welcher Sprache, umschauen, erkennen wir die Unaufhaltbarkeit des Sprachwandels.

Marija Prymatschenko 

Dass Krieg auch Kunst nicht verschont, zeigt das Beispiel der Werke einer der bekanntesten ukrainischen Künstlerin des letzten Jahrhunderts: Marija Oksentijiwna Prymatschenko.  

Ende 1908 in eine Bauernfamilie geboren, wuchs Marija Prymatschenko in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Ihre Kindheit im Dorf, das in der Nähe von Kyiv liegt, ließ eigentlich keinen Raum für Kunst. Mit vier Jahren erkrankte Marija an Kinderlähmung, deren Folgen sie ihr Leben lang einschränkten. Doch schon als Kind entdeckte sie ihr künstlerisches Talent, ihre Mutter und Großmutter brachten ihr sticken, zeichnen und malen bei. Auch die Liebe zur Natur bot ihr Inspiration. Über das Sticken fand Marija Prymatschenko Anschluss an Künstlerkreise und eine Förderin, die Künstlerin Tetiana Floru, lud sie 1935 nach Kyiv ein.

Dort versuchte sich Marija Prymatschenko vermehrt in der Malerei, obwohl sie der Stickerei immer treu blieb. Sie bekam ein Stipendium und konnte sich intensiver mit ukrainischer Kunst zu beschäftigen. Die Ausstellungen Mitte der 1930er Jahre, in Moskau, Warschau und Paris, machten Marija Prymatschenko über die Grenzen der Sowjetunion bekannt.

Kurz darauf lernte sie Vasyl Marynchuk kennen, mit dem sie einen Sohn hatte. Noch vor der Heirat wurde Vasyl zur Armee eingezogen und fiel kurz darauf. Marija ging daraufhin mit ihrem kleinen Sohn nach Iwankiw.

Im Laufe ihres Lebens erhielt die Künstlerin zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem die Goldmedaille 1937 der Pariser Weltausstellung und den Taras-Schewtschenko-Preis.

Ihre Werke sind inspiriert von der Natur, Märchen und Legenden. Sie zeigt besonders viele traditionelle Motive, die eine identitätsstiftende Wirkung auf die Menschen in der Ukraine erzeugt. Mit der Zeit wurden die Bilder immer farbenfroher und kontrastreicher. Auch kurze Sprüche bzw. Sätze schrieb Marija Prymatschenko auf Werke aus ihrer späteren Schaffenszeit.

Marija Prymatschenko starb 1997 in Bolotnja in der Nähe von Kyiv. Sie hinterlässt eine große Sammlung von Bildern, Stickereien und anderen Gegenständen mit ihrer Kunst. Ihre Nachfahren traten in ihre Fußstapfen, ihr Sohn und ihre Enkel sind alles bekannte Künstler. Als Anerkennung ihrer Kunst erscheinen in der Ukraine regelmäßig Briemarken mit ihren Werken. Sogar ein Planet wurde 1998 nach ihr benannt.

Der Großteil ihrer Bilder kann man in Kyiv besichtigen. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges wurde das Iwankiw-Museum von Raketen getroffen, in dem auch viele ihrer Bilder ausgestellt sind. Viele Werke wurden dabei zerstört, aber einige konnten aus den Flammen retten werden. Der kulturelle Schaden solcher Angriffe, die alle möglichen Institutionen in der Ukraine betreffen, kann nur geschätzt werden.

Das ukrainische Museum in New York hat 2023 eine große Ausstellung mit Prymatschenkos Bilder und vieler weiterer Kunstgegenstände gezeigt. Einige weniger Bekannte Werke sind heute in Privatbesitz und werden nur selten gezeigt, unter anderem 2022 im Ukrainischen Haus in Kyiv.

Quellen

Ruban, Marija. Marija Prymatschenko (Wydatni ukrajinzi. Ljudy, jaki tworyly istoriju). Ahenzija IRIO, Kyjiw 2020

https://ukrmystetstvo.blogspot.com/2012/07/blog-post_9.html

Karpatenvorland

Die polnische Verwaltungsreform von 1999 hat die Gliederung des Landes stark verändert. Im Südosten entstand aus drei kleineren Woiwodschaften die große Woiwodschaft Karpatenvorland, polnisch Województwo podkarpackie. Sie grenzt an die Slowakei und die Ukraine, was sich besonders in der Sprachenlandschaft und der Geschichte der Region zeigt.

Wie der Name schon verrät, liegt die Region im Gebiet der Karpaten. Das Gebiet ist von Nord ausgehend hügelig, Ausläufer der Roztocze-Kette, bis zum südlichen Teil, der in den Karpatengebirgszug übergeht. Dieses Gebirge zieht sich weiter durch die Slowakei und die Ukraine bis nach Rumänien. Zahlreiche Flüsse durchziehen die Woiwodschaft, der größte ist der San, der später in die Weichsel mündet. Die Region konnte durch die hohen Niederschlagsmengen in den Bergen in den tiefer gelegenen Landstrichen optimale Bedingungen für Wassertourismus schaffen. Auch die vielen Naturschutzgebiete, u.a. der Bieszczady-Nationalpark, sind ein Paradies für Naturliebhaber.

Große Teile der heutigen Woiwodschaft gehörten vor den polnischen Teilungen zu Kleinpolen. Nach den Teilungen lag die Region im habsburgischen Einflussbereich und bildeten den zentralen Teil Galiziens. Durch die verschiedenen Mächte, die in der Region wirkten, gilt das Karpatenvorland als eine Art Schmelztiegel. In früherer Zeit lebte viele Juden besonders in der Stadt Rzeszów bis zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Nähe zur Ukraine führte 2022 zu einer Welle von Flüchtlingen nach Rzeszów, da sie eine der wenigen Großstädte in Grenznähe ist.

Die Woiwodschaft ist nur dünn besiedelt. Etwa die Hälfte der Einwohner*innen lebt in Städten, die meisten in der einzigen Großstadt der Region: Rzeszów. Interessanterweise ist die Lebenserwartung im Vorkarpatenvorland die höchste in ganz Polen.

Wirtschaftlich ist die Region ein wichtiger Standort. Der Abbau von Rohstoffen wie Schwefel und kleinen Mengen an Erdgas sowie Industriezweige z.B. Maschinenbau und Luftfahrttechnik sind neben der Landwirtschaft große Wirtschaftsgaranten. Der Tourismus ist durch die vielen Schutzgebiete und die Berge ein Magnet für Touristen aus aller Welt.

Neben der Amtssprache Polnisch werden in der Region auch Slowakisch und Ukrainisch gesprochen, was nicht nur historisch bedingt ist, sondern auch den aktuellen Gegebenheiten geschuldet ist. Das Gebiet gehört allgemein zum Dialektgebiet des Kleinpolnischen, doch auch die Gruppe der neu-gemischten Dialekte findet sich vor allem an der Grenzlinie, was sich auf die Umsiedlung der polnischen Bevölkerung aus den ehemalig polnischen Gebieten weiter im Osten zurückzuführen lässt. In der Forschung sind diese Dialekte noch nicht hinreichend erforscht, weil es vor den Zerfall der Sowjetunion nicht als Forschungsgegenstand angesehen wurde und heute nur schwer umsetzbar ist, da bei der Umsiedlung nicht auf sprachliche Gruppen geachtet wurde. Das Forschungsfeld der neu-gemischten Dialekte (übrigens auch im Norden und Westen Polens zu finden) würde auch die Arbeit von Historikern erfordern, um die Herkunft der Sprecher*innen korrekt zu ermitteln.

Das Wappen zeigt einen silbernen Greif auf rotem Grund und einen goldenen Löwen auf blauem Grund, über denen ein weißes Tatzenkreuz steht. Der Greif ist das Wappentier der ehemaligen Woiwodschaft Bels (polnisch Bełz), der Löwe der historischen Woiwodschaft Ruthenien (Ruskie).

Quellen

Heyde, Jürgen. Geschichte Polens. Beck, München 2006

Website der Woiwodschaft Karpatenvorland: https://rzeszow.uw.gov.pl/

Minderheiten in Litauen

Im Vergleich zu Deutschland ist Litauen ein recht kleines Land. Aber es hat eine lange und wechselhafte Geschichte und darum auch so viele nationale Minderheiten. Der heutige Staat Litauen ist mit der Größe des historischen Litauens nicht zu vergleichen, doch trotzdem leben in Litauen zahlreiche nationale Minderheiten, die meisten davon schon seit vielen Generationen.

Im baltischen Raum hatte Litauen schon lange vor den andere Staaten Lettland und Estland ein eigenes Staatswesen und dementsprechend eine Rechtsprechung, die sich auch für die Minderheiten verantwortlich fühlte. Einige Minderheiten wie Polen oder Russen spielten früher oft bedeutende Rollen in der litauischen Politik.

Von den 3 Millionen Einwohnern Litauens sind ca. 85% ethnische Litauer. Die Zahl hat sich in den letzten Jahrzehnten leicht erhöht, da die Zahl der Minderheitsangehörigen rückläufig ist. Gründe dafür sind unter anderem der Zerfall der Sowjetunion und die Abwanderung nicht- litauischer Gruppen in andere Staaten wie Deutschland oder Russland. Seit dem EU-Beitritt Litauens im Mai 2004 ist eine vermehrte Rückkehr von Litauer*innen aus dem Ausland nach Litauen zu erkennen, was mit der verbesserten Wirtschaftslage des Landes zu tun hat.

Der Status der Minderheiten ist in der litauischen Verfassung geregelt. Schon 1922 wurden Minderheiten, die eine bestimmte Größe hatten, grundlegende Rechte wie Bildung und Vereinsgründungen gewährt, auch eine staatliche finanzielle Unterstützung war inbegriffen. Diese Privilegien wurden leider schon wenige Jahre später massiv eingeschränkt, nachdem sich Antanas Smetona 1926 an die Macht putschte und das Land diktatorisch regierte. Die deutsche Besatzung Litauens verbesserte die Situation der Minderheiten nicht, mit Ausnahme der deutschen Minderheit.

Nach dem Ende des II. Weltkrieges stand Litauen unter sowjetischer Kontrolle, zum Vorteil für die russische Minderheit. Die Zahl der litauischen Einwohner verringerte sich u a. durch Deportationen. Doch während den Litauer nach und nach bestimmte Rechte in Bezug auf ihre Sprache und Kultur zugestanden wurden, verloren alle anderen Minderheiten ihre Rechte. Der Zerfall der Sowjetunion ermöglichte die Stärkung der Minderheitenrechte in Litauen. Schon Ende 1989 trat ein Minderheitenschutzgesetz in Kraft.

Damit waren aber bei Weitem nicht alle Differenzen der Bevölkerung beigelegt. Relativ große Minderheiten wie die russische und polnische hatten im neuen politischen System keine einfache Position, was die Beziehungen der Länder zueinander belastete.

Seit 1992 verbietet die Verfassung Litauens die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit. Artikel 37 erlaubt allen Volksgruppen die freie Ausübung ihrer Kultur und Sprache. Alle Angelegenheiten sollen die Minderheiten selbstständig regeln. Unterstützung wird vom Staat zwar zugesagt, aber nicht genauer definiert. Damit sind Minderheiten, die sich nicht auf Unterstützung eines Nationalstaat als ‚ursprüngliches Herkunftsland‘ stützen können, eindeutig im Nachteil.  

Außerdem hat Litauen bisher die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen weder unterschrieben noch sonst eine Gesetzesgrundlage innerhalb des litauischen Staatsgebietes geschaffen.

Die letzte Volkzählung ist aus dem Jahr 2021. Die größte Minderheit ist die polnische, die zwischen 6-7% der Bevölkerung Litauens ausmachen. Ähnlich groß (5%) ist die russische Minderheit, die aber seit 1989 deutlich abgenommen hat. Andere Gruppen wie Deutsche, Tataren oder Letten machen zusammen kaum 1% der Bevölkerung aus und sind gut integriert.

Quellen

Schmidt, Carmen. Minderheitenschutz im östlichen Europa Litauen: https://iorr.uni-koeln.de/sites/ostrecht/forschung/Minderheitenschutz_im_oestlichen_Europa/Litauen_Schmidt.pdf

Litauische Verfassung: https://www.verfassungen.eu/lt/index.htm

Der Stintkönig

Tiere sind in jedem Kulturkreis fester Bestandteil der Sagen- und Legendenwelt. In Masuren, dem Land der tausend Seen, liegt die kleine Stadt Mikołajki (der frühere Name war Nikolaiken), die ein ganz besonderes Wappentier besitzt: den Stintkönig oder Król Sielaw.

Mikołajki liegt mitten in Masuren, ist nach dem Schutzpatron der Fischer, dem Sankt Nikolaus, benannt und trägt ein Wappen mit einem Fisch. Da ist nicht verwunderlich, dass auch die bekannteste Sage der Stadt von einem Fisch handelt.  Es existieren verschiedene Versionen, mal mit blauen (d.h. könglichen) Blut mittendrin, mal ohne.

Früher lebten die meisten Menschen in der Region vom Fischfang. Sie fuhren in kleinen Booten raus auf den See, jedoch nie zu weit. Im See sollte ein riesiger Fisch, der Stintkönig, leben und die Fischer hatten Angst vor ihm. Der Fisch konnte ihre Boote umwerfen und viele Menschen konnten damals nicht schwimmen, selbst die Fischer nicht. Mit der Zeit wurden die Boote größer und die Fischer mutiger. Sie fuhren weiter auf den See raus, um mehr zu fischen.  Das verärgerte den Stintkönig, der sich von den Fischern sehr gestört fühlte. Er warf die Boote um, was die Fischer so verängstigte, dass sie es nicht mehr wagten im See zu fischen.

Doch ohne den See und das Fischen verloren die Menschen ihre Lebensgrundlage und verarmten. Viele verließen ihre Heimat und zogen weg. Eine Fischersfrau wollte dieses Elend beenden und brachte dem Gott Puskaitis ein Lamm als Opfer dar. Sie betete lange und bemerkte dann eine Metallscheibe neben sich, die sie mit nach Hause nahm. Ihr Mann fertigte daraus eine Metallnetz, band es an zwei Baumstämme und fuhr zum Fischen auf den See.

Der Stintkönig wurde rasend vor Wut als er den Fischer bemerkte und wollte sein Boot versenken, doch er verfing sich im Netz des Fischers. So gefangen und hilflos, musste der Stinthengst sich seinem Schicksal fügen und wurde von dem Fischer in die Stad gebracht, wo ein Gericht über ihn urteilte. Die vielen zerstörten Boote und die dadurch verursachte Not der Menschen ließen das Gericht das Todesurteil fällen. Der Stintkönig flehte um sein Leben und appelierte an die Menschen, dass sein Tod auch das Verschwinden aller anderen Fische im See zur Folge haben werde. Die Menschen lenkten daraufhin ein und sahen vom Todesurteil ab.

Seit diesem Tag blieb der Stintkönig gefangen und wurde an der Stadtbrücke angebunden. Dort lebt er bis heute und sorgt für den bescheidenen Reichtum der Menschen in der Stadt.

Die Brücke, an der der Stintkönig lebte, ist im Krieg zerstört worden. Nach dem Wiederaufbau der Brücke schwamm der Fisch wieder an einem der Brückenpfeiler, bis heute. Die Bewohner*innen der Stadt sind überzeugt, dass ihre Stadt so lange wirtschaftlich erfolgreich ist wie der Stintkönig dort lebt.

In der Stadt gibt es zu Ehren des Stintkönigs einen Brunnen in dessen Mitte eine Skulptur zu sehen ist. Außerdem kann man den Stintkönig an der Stadtbrücke begrüßen, auch wenn sich sein Aussehen mit der Zeit verändert hat.

Die Geschichte zeugt von der Verbundenheit von Mensch und Tier, wie abhängig alle voneinander sind und welche Wertschätzung Fische in der Region haben. Heute sind die Masuren ein Touristenmagnet und genau deshalb ist der Schutz der Natur in der Region ein großes Anliegen der Menschen, die dort leben. Ohne ausreichenden Naturschutz verschlechtert sich die Lebensqualität und das führt zum Einbruch der Touristenzahlen.

Wer mal nach Mikołajki kommt, sollte dem Stintkönig unbedingt einen Besuch abstatten. Er ist an seiner Krone, mit der er durch das Wasser schwimmt, schon von Weitem zu erkennen!

Quellen

Lihs,Helmut. Rund um den Nikolaiker Stinthengst. In: Erlebtes Ostpreußen, Erinnerungsbilder aus fünf Jahrzehnten. Hrsg. Wilhelm Matull, Leer 1997

https://web.archive.org/web/20070928063529/http://www.mikolajki.pl/deutsch/miasto_de.htm

Treny – Klagelieder

Meine Vorliebe für Lyrik ist überschaubaren, aber einige Werke liebe ich! Durch mein Studium (B.A. Slawische Sprachen und Literaturen) kam ich im Grundstudium mit viel Literatur in Berührung, vor allem mit polnischer und tschechischer Literatur. Dort las ich zum ersten Mal Gedichte von Jan Kochanowski  (1530 – 1584) und war sofort verliebt in eins seiner bekanntesten Werke: Treny – Klagelieder.

Jan Kochanowski war ein polnischer Dichter, der nicht nur schrieb, sondern auch politisch aktiv war. Als Angehöriger des polnischen Adels war das eine Selbstverständlichkeit in Polen. Er war vielseitig gebildet und hatte zahlreiche Studienreisen nach Italien unternommen.

Als einer der ersten schrieb Kochanowski neben Latein auch Werke auf Polnisch, was dem neuen Zeitgeist des Nationalbewusstseins entsprach. Doch auch die Rückbesinnung auf die Antike ist ein typisches Merkmal der Renaissance. Neben vielen geistlichen Werken, verfasste Kochanowski 1580 seinen berühmten Gedichtszyklus „Treny“.

Der Zyklus besteht aus 19 Klageliedern, wie sie z.B. in der Antike verbreitet waren, die in Reimform geschrieben wurden. Bestehen aus drei Abschnitte ‚Beweinen‘- ‚Lob‘ und ‚Trost‘ spiegeln sich die Trauerphasen in dem Werk wider.

Neu in der Renaissance ist die Tradition der Kindertotenlieder. Kinder wurden in dieser Zeit noch nicht so gesehen wie heute. Ihr früher und häufig auftretender Tod ist ein oft erlebtes Schicksal für viele Eltern. Doch gerade Kochanowski, der insgesamt sieben Kinder hatte, beweint den Tod eines Kindes ganz besonders: seiner Lieblingstochter Orszula.

Orszula war drei Jahre alt als sie starb und sie riss ein so großes Loch in das Herz des Vaters, dass er ihr diesen Klagelieder-Zyklus widmete. Es mag heute ganz normal erscheinen, aber in früherer Zeit als Mann um ein kleines Kind zu weinen und dann auch noch um ein Mädchen, schien den Zeitgenossen schon verwunderlich. Doch warum sollte der Schmerz weniger sein nur weil das Kind ein Mädchen war? Kochanowski gibt nichts auf die Gesellschaft und lässt seinen Gefühlen in den Klageliedern freien Lauf.

Er folgt dem antiken Aufbau. Zuerst wird der Schmerz des Todes und die Wut auf den Tod beschrieben.  Beim Lesen spürt man förmlich, wie der Autor beim Schreiben weint und mit sich selbst und der Welt ringt.

Es folgen Beschreibungen der Tochter als u.a. klügstes Kinde der Familie, liebreizend und dem Vater so ähnlich. Kochanowski beschreibt Orszula als Erbin seines Wissens und wie sehr sie schon in dem jungen Alter ihrer Pflichten im Haus nachging. Die Tochter scheint das artigste und hilfsbereiteste Kind gewesen zu sein, so schreibt der trauernde Vater. Ob ein Vater sich damals so intensiv mit seinen Kindern beschäftigt hat, um solche Charaktereigenschaften zu bemerken? Wenn ja, muss es wirklich ein bemerkenswertes Kind gewesen sein.

Immer wieder wird Orszula mit Wesen wie Engeln oder Tieren wie die Nachtigall verglichen, um ihre Reinheit und Lieblichkeit zu betonen. Der Vater fragt sich, wie es der Kleinen im Paradies wohl ergehen mag, ob sie gut umsorgt wird. Er findet Trost in dem Glauben, dass sie im Paradies ein besseres Leben hat.

Ganz am Ende findet sich eine etwas merkwürdige Passage, die einer weiteren toten Tochter, Hanna, gewidmet ist. Sie ist nur vier Zeilen lang und ist weniger von Schmerz und Verzweiflung durchzogen. Es ist nicht ganz klar, warum. Es mag daran liegen, dass Orszula die Lieblingstochter war, aber der Schmerz beim Verlust eines anderen Kindes ist sicherlich ebenso groß.

Manche Passagen in den Treny wirken chaotisch und manche Details unwirklich stark betont. Auch springt Kochanowski in den Lebensphasen seiner Tochter umher, beschreibt kleine Erlebnisse mit ihr usw. Er wiederholt sich oft, besonders bei den Beschreibungen von Orszulas Charakter und hält beim Schreiben inne, als müsste er seine Gedanken ordnen oder eine Schweigepause einlegen, um weiterschreiben zu können.

In kaum einem anderen Gedicht kann ich solch starke Gefühle spüren wie in diesen Klageliedern. Jan Kochanowski schafft es, dass der Leser seinen Schmerz beim Lesen spürt und sich trotzdem von der Schönheit der Sprache begeistern lässt!

Quellen
Grzeszczuk, Stanisław. „Treny“ Jana Kochanowskiego. Wydawn. Szkolne i Pedag. . Warszawa, 1988

Pelc, Janusz. Jan Kochanowski. Szczyt renesansu w literaturze polskiej, Warszawa 2001

Banater Schwaben

Wenn wir an deutsche Auswanderer denken, kommen uns als erstes die großen Auswanderungswellen nach Amerika in den Sinn. Aber auch innerhalb Europas suchten viele Deutsche nach einem neuen Zuhause.

Im 18. Jahrhundert kam es zu einer großen Ansiedlung von verschiedenen deutschen Bevölkerungsgruppen im Banat. Diese Region erstreckt sich heute über Teile Ungarns, Serbien und Rumäniens, gehörte aber damals zum Habsburger Reich. Kriege hatten ganze Landstreiche entvölkert, die wieder besiedelt und genutzt werden sollten. Dafür wurden zuerst nur katholische Siedler, u.a. aus Franken, Rheinpfalz, Elsass, Österreich und dem Sauerland, angeworben. Die namengebenden Schwaben machten dabei nur einen kleinen Teil der neuen Siedler aus.

Die Menschen stammten größtenteils aus Bauernfamilien und hatten durch den Kinderreichtum in ihrer Heimat kaum Aussicht auf einen eigenen Hof. Die finanzielle Unterstützung, die sie in der neuen Heimat bekamen, machte vielen die Entscheidung leichter. Auch andere Berufsgruppen wie Pfarrer, Lehrer und Handwerker folgten dem Ruf.

Die systematische Besiedlung des Banats begann nach 1718 als Habsburg diese Region übernahm. Verwaltungsbeamte der Monarchie wiesen den Siedlern ihre neuen Höfe und ihr Land zu, eine Durchmischung der Siedlergruppen war durchaus gewollt. Die Maßnahmen zur Ansiedlung kostete Österreich viel Geld, so dass sich in Wien Unmut gegen die deutschen Siedler regte. Die Region war in den ersten Jahren völlig abhängig und erwirtschaftete nur wenig. Der Strom der Siedler ließ merklich nach, weil das Banat einen schlechten Ruf hatte.

Die ersten Jahre waren für die Siedler hart. Die Landschaft besaß keine Infrastruktur, es fehlte an Wohnraum, Schulen, Kirchen etc. Bis zur Kultivierung der Felder und funktionierender Dorfgemeinschaften vergingen mehrere Jahre. Dazu kamen noch Krankheitsausbrüche wie die Pest und die Arbeit in der österreichischen Armee, die viele Männer von der Feldarbeit und dem Hausbau fernhielt.

Die Erschließung durch Sumpftrockenlegung legte den Grundstein für den Erfolg der Banater Schwaben. Die Erde eignete sich gut zum Anbau von Feldfrüchten und ab dem 19. Jahrhundert  konnte man davon sprechen, dass die Siedler sich einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet hatten. Die rechtliche Lage der Bauern und Handwerker war jedoch nicht besser als beim Rest der Bevölkerung. Daher traten viele Genossenschaften zusammen, um sich rechtlich besser aufzustellen.

In den Städten wie Temeswar (heute Timișoara) entwickelten sich eine reiche Kulturszene, aber auch eine deutsche Arbeiterschicht, die sich gegen die zunehmende Magyarisierung der erstarkenden Ungarn ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Wehr setzte. Besonders wichtig war den Banater Schwaben der Deutschunterricht, den sie auch verbotenerweise gewährleisteten. Viele Deutsche entschieden sich in dieser Zeit nach Übersee auszuwandern. Diese Auswanderungswelle hielt bis zur Ausbruch des I. Weltkrieges an.

Nach dem Krieg und auch die folgenden Jahrzehnte waren die deutschen Minderheiten ein Spielball der großen Mächte. Es wurde kaum Rücksicht auf die historisch gewachsenen Gebiete und Bevölkerungsgruppen genommen. Nach dem II. Weltkrieg standen die Banater Schwaben vor der Frage ob sie nach Deutschland gehen oder für ihre Rechte in Rumänien kämpfen sollten. Die politische Stimmung wandte sich unter Ceaușescu gegen die Minderheiten, wodurch sich viele zum Auswandern entschlossen.

Heute lebt nur noch eine kleine Minderheit der Banater Schwaben in Rumänien. Genaue Zahlen sind unverlässlich, aber es sind einige Tausend (zusammen mit anderen deutschen Minderheiten geht man von insgesamt 40.000 aus). Trotzdem haben sie sich ihre Eigenständigkeit in Hinblick auf Sprache und Traditionen bewahrt. Besonders bekannt sind der Lyriker Nikolaus Lenau und die Schriftstellerin Herta Müller.

Quellen

Berend, Nina (Hrsg.). Sprachinselwelten : Entwicklung und Beschreibung der deutschen Sprachinseln am Anfang des 21. Jahrhunderts. Lang. Frankfurt am Main 2006

Hügel, Kaspar. Die Banater Schwaben in und aus Rumänien : zum Ausklang einer südostdeutschen Stammesgemeinschaft. Österreichische Landsmannschaft. Wien 1998

Baskisch

Das eigentliche Rätsel ist die Dauer der baskischen Sprache,
nicht die Herkunft. (Koldo Mitxelena)

In Europa gehören die meisten Sprachen zur indoeuropäischen Sprachfamilie oder lassen sich einer kleineren Familie zuordnen. Aber einer Sprache Europas kann bislang keine Verwandtschaft zu einer anderen Sprache nachgewiesen werden: Baskisch.

Baskisch (baskisch Euskara) wird im Baskenland, einer Region an der spanisch-französischen Grenze, und in den benachbarten Navarra gesprochen. Die Sprecher*innenzahl beträgt ca. 1,2 Millionen weltweit, begrenzt auf das Baskenland sind es etwa 750.000. Die Mehrheit der Sprecher*innen lebt in Spanien, aber ein kleiner Teil der Region liegt in Frankreich. Die Schätzungen gehen von 50.000 Sprecher*innen in Frankreich aus.

Die Basken sind  wahrscheinlich Nachfahren der indigenen europäischen Bevölkerung, worauf auch die isolierte Sprache hinweist. Das Sprachgebiet war früher viel größer, vor allem die Ausdehnung nach Osten.

Heute kämpfen die Basken um Anerkennung und grundlegende Rechte für ihre Sprache. Spanien erkennt Baskisch als Minderheitensprachen und Amtssprachen in den beiden Regionen an, was zu einer Verbesserung der Sprachsituation führt. Hingegen gibt es in Frankreich keinen Schutzstatus der Baskischsprecher*innen, was auf die französische Sprachpolitik zurückzuführen ist, die den Regional- und Minderheitensprachen kaum Platz einräumt.

Das baskische Sprachgebiet gliedert sich in sieben Dialektgruppen, die untereinander gut verständlich sind und von den jeweiligen Kontaktsprachen beeinflusst wurden. Heute existiert eine Standardsprache, die seit dem Ende der spanischen Diktatur ausgearbeitet wurde.

Die aktiven und passiven Sprachkenntnisse der Sprecher*innen sind sehr heterogen, was auf die fehlende Beschulung in baskischer Sprache zurückzuführen sein könnte. Baskisch war lange Zeit nur Familiensprache. Doch in den letzten Jahrzehnten haben sich die Basken stark für den Erhalt und die Sprachpflege eingesetzt. Es gibt mittlerweile Unterricht, Medien und viele Institutionen, was sich an der steigenden Sprecher*innenzahlen bemerkbar macht.

Die baskische Sprache wird in lateinischer Schrift geschrieben, frühere Vermutungen einer eigenen Schrift konnten bis jetzt nicht bestätigt werden.

Bei den einzelnen Lauten der Sprache fällt auf, dass besonders die Vokale und Diphthonge (Zweilaute wie <au>) im Baskischen sehr variantenreich sind. Die Verschlusslaute z.B. [p] oder [t] werden aspiriert gesprochen, ähnlich wie im Deutschen. Die unmarkierte Wortstellung ist SOV und es gibt kein grammatisches Genus.

Ein besonderes Merkmal des Baskischen ist die Verwendung des Ergativs, den wir in Europa kaum antreffen, unter anderem im Georgischen. Je nach Klassifikation weist Baskisch 7 – 16 Kasus auf, wobei vor allem Suffixe genutzt werden. Baskisch gilt daher als agglutinierend, ähnlich wie Ungarisch oder Türkisch. Es existieren viel Suffixe, mit denen z.B. Substantive von Adjektiven etc. abgeleitet werden können. Außerdem können zwei Substantive einfach zusammengesetzt werden. Das komplexeste Element ist im Baskischen das Verb, dessen zahlreiche Formen durch eine Dreifachmarkierung zustande kommt.

Baskisch zu lernen ist eine echte Herausforderung, lohnt sich aber auf alle Fälle!

Quellen

Bendel, Christiane. Baskische Grammatik. Buske Verlag, Hamburg 2006

Kausen, Ernst. Die Sprachfamilien der Welt. Teil 1: Europa und Asien. Buske, Hamburg 2013

Stenographie

Um Sprache zu verschriftlichen, gibt es weltweit viele Schriften. Aber sprechen können wir immer viel schneller als schreiben. Will jemand das Gesprochene mitschreiben, bleiben nur zwei Möglichkeiten: langsamer sprechen oder schneller schreiben. Und weil langsamer reden z.B. bei Reden im Bundestag nicht praktikabel wäre, muss derjenige schneller schreiben. Das ist die Idee der Stenographie.

Die Stenographie ist eine Schrift, die es den Schreibenden ermöglicht Gesprochenes mitzuschreiben. Sie wird auch als Kurzschrift bezeichnet. Der Begriff ‚Stenographie‘ leitet sich vom griechischen ‚stenós‘ – ‚eng‘ und ‚gráphein‘ – ‚schreiben‘ ab. Schreibtechniken dieser Art gibt es schon seit der Zeit der Römer, mit unterschiedlicher Systematik und Verbreitung.

Generell sind solche Schreibsysteme Buchstabenschriften, also unserem lateinischen Alphabet ähnlich. Um effizient zu sein, gibt es aber auch Zeichen für Silben und häufige Wörter. Durch die Struktur und die Komplexität der verschiedenen Sprachen, ist eine Stenographie meistens nur für eine Sprache geeignet.

In Deutschland wurde die erste Stenographie im 17. Jahrhundert genutzt, die aus England übernommen wurde. Die bekannteste deutsche Schrift stammt von dem bayrischen Beamten Franz Xaver Gabelsberger aus dem Jahr 1834. Seine Schrift wurde von vielen Ländern Europas in großen Teilen übernommen und entsprechend angepasst. Auch andere Deutsche entwickelten ihre eigenen Schriftsysteme, sodass eine Vereinheitlichung nötig wurde. Diese Stenographie beruht in großen Teilen auf dem System von Gabelsberger, Scholze und Schrey.

Heute kennen wir Stenograph*innen meist aus dem Bundestag oder von Konferenzen, doch früher lernten auch Schüler*innen die Kurzschrift, um bspw. Notizen oder Mitschriften anzufertigen, die dann später ins Reine geschrieben wurden. Der Beruf der Stenotypistin war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der neuen Berufe, mit denen Frauen ihren Lebensunterhalt selber verdienen konnten.

Geübte Stenograph*innen erreichen eine beachtliche Schreibgeschwindigkeit, etwa 500 Silben pro Minute. Zum Vergleich: In normalem Tempo sprechen wir etwa 350 Silben pro Minute.

Die Stenographie besteht aus Zeichen, Kürzeln und Kürzungen. Zeichen bezeichnen die einzelnen Buchstaben, wobei Konsonanten, Vokale sowie Buchstabenverbindungen z.B. <sch> oder <qu> unterschiedlich verschriftlicht werden. Kürzel sind Zeichen für hochfrequente Wörter wie Artikel oder Konjunktionen wie ‚und‘. Kürzungen sind systematische Wortabkürzungen, die genauen Regeln unterliegen. Diese drei ‚Werkzeuge‘ ermöglichen die hohe Schreibgeschwindigkeit, müssen aber intensiv und stetig geübt werden. Eine Grundvoraussetzung ist selbstverständlich die Beherrschung der deutschen Sprache und der Rechtschreibung.

Innerhalb der Kurzschrift gibt es wiederum verschiedene Systeme, um noch effektiver zu schreiben. Unter anderem wird auf Großschreibung oder Doppelkonsonanten verzichtet, die in der Abschrift natürlich wieder eingefügt werden. Ebenso können Buchstaben von Nebensilben wie in Wass-er oder Anlaute wie bei Z-ug gekürzt werden, wobei hier genau festgelegt ist was weggelassen werden kann. Nicht immer erscheinen die Kürzungen usw. logisch, sie sind aber systematisch und nicht zufällig.

Die Stenographie wird heute immer weniger im Berufsalltag genutzt und da die technischen Möglichkeiten immer besser werden, ist die Beherrschung für die meisten Menschen eher ein Hobby. Die Beherrschung fordert unser Gehirn kognitiv und kann mit anderen Gehirnjoggingstrategien verglichen werden.

Quellen

Sander-Jaenicke, Beate & Karpenstein, Hans. Art und Bau der wichtigsten Kurzschriften. Winkler, Darmstadt 1988

Wagner, Wolf-Rüdiger. Die Beschleunigung der Schrift: Geschichte der Stenografie im 19. und frühen 20. Jahrhundert. transcript Verlag, Bielefeld 2024