Das Burgenland

Das kleinste Bundesland Österreichs liegt im Osten des Landes und kann auf eine wechselhafte Geschichte zurückblicken: das Burgenland.

Das Burgenland ist ein langgezogenes Bundesland, das an Slowenien, Ungarn und die Slowakei grenzt. Diese Tatsache und historische Gegebenheiten sorgen für eine interessante Mischung von Kultur, Sprachen und Bevölkerung.

Geografisch lässt sich das Burgenland in drei Teile gliedern, was vor allem auf der unterschiedlichen landwirtschaftlichen Nutzung basiert. Der Norden ist flach, während der mittlere und südliche Teil bergig sind. Zahlreiche Naturschutzgebiete sind über das ganze Bundesland verteilt. Ein Natur- und Touristenjuwel ist der Neusiedler See, den sich Österreich und Ungarn teilen.

Die Besiedlung des Burgenlandes reicht bis in die Mittelsteinzeit zurück, erste Siedlungsfunde stammen aus der Jungsteinzeit. Durch die geografischen Gegebenheiten und Funde wie Hügelgräber und Werkzeuge kann man ab dieser Zeit von einer konstanten Besiedlung ausgehen. Als bekanntes Volk, das dort lebte, gelten die Kelten, die dort etwa ab 400 v.Chr. siedelten. Später eroberten die Römer das Gebiet, danach die Ostgoten, Hunnen, Awaren und andere.

Im 8. Jahrhundert siedelte Karl der Große Franken an, die aber schon ein Jahrhundert später von den Ungarn erobert wurden. Die militärischen Vorstöße der Türken ab dem 16. Jahrhundert und Kriege zwischen den Habsburgern und den Ungarn zeigen wie umkämpft die Region war. Die Herrschaften wechselten ständig, was die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen in der Region erklärt. Als Teil des Habsburger Reiches, unter ungarischer Verwaltung, verblieb Deutsch-Westungarn, so die frühere Bezeichnung, bis zum Ende in der Donau-Monarchie.

Ab 1918 wurde das Burgenland Teil der neu gegründeten Republik Deutschösterreich, ungeachtet der dort lebenden Bevölkerung. Aus dieser Zeit stammt auch der Name ‚Burgenland‘.  Bei Volkabstimmungen 1923 fielen einige kleinere Teile, unter anderem die Gegend um Sopron (damals Ödenburg), wieder an Ungarn zurück. 1938 teilen die Deutschen das Burgenland in zwei Reichsgaue bis nach den Krieg das Bundesland Burgenland wieder eingeführt wurde.

Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Sprachen des Burgenlandes sind eine Besonderheit. Hier leben z.B. die Burgenlandkroaten und -ungarn, genauso wie viele Roma. Die Sprachen der Minderheiten sind im Burgenland geschützt, was bedeutet, dass sie auch unterrichtet werden und im öffentlichen Raum zu sehen sind. Die Varietäten der Minderheiten wie Burgenlandkroatisch sind in der Forschung ein beliebtes Thema und gut erforscht. Die Sprachpolitik im Burgenland ist im Vergleich zum Rest des Landes viel offensichtlicher, muss sich aber auch gegen national-konservative Kräfte wehren, die die Mehrsprachigkeit der Region mit Argwohn betrachten.

Das Erbe des Vielvölkerstaates der Habsburger zeigt sich vor allem auch in der Kultur, besonders im Bereich Musik und Kulinarisches. Die im Landesnamen enthaltene Burgen findet man hier in rauen Mengen, ebenso wie Schlösser und wunderschöne Kirchen.

Das Wappen des Burgenlandes zeigt einen roten, gekrönten Adler auf einem schwarzen Berg. Über den Flügeln des Adlers schweben zwei Templerkreuze und auf der Brust trägt er ein Schild mit weißem Hermelin.

Quellen

Schottenberg, Michael. Burgenland für Entdecker. Amalthea, Wien, 2021

Strunz, Gunnar. Burgenland. Natur und Kultur zwischen Neusiedler See und Alpen. Trescher Verlag, Berlin, 3. Auflage 2017

Jan Brzechwa

Wer kennt es nicht? Man ist in Polen und sagt, dass man Polnisch lernt. Der Gesprächspartner lächelt und sagt: Wie cool! Sag mal „W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie.“! Diesen Zungenbrecher verdanken wir dem polnischen Autor Jan Brzechwa.

Jan Wiktor Lesman, wie Jan Brzechwa eigentlich heißt, wurde am 15. August 1898 in Żmerynka in der heutigen Ukraine geboren. Bis 1910 ging Bryechwa in Kiew zu Schule, zog dann aber mit der Familie nach Warschau, wechselte aber schon ein Jahr später erneut den Wohnort nach St. Petersburg und legte dort 1916 sein Abitur ab.

Er begann ein Studium der Tiermedizin, wechselte dann zu Polonistik und entschloss sich schließlich für ein Studium der Rechtswissenschaften in Warschau. Zeitgleich diente er in der Armee im Polnisch-Sowjetischen Krieg. Zwischen 1924 und 1939 arbeitete er als Anwalt bei der Vereinigung der Bühnenautoren und -komponisten (pol. Stowarzyszenie Autorów ZAiKS) und vertrat die Künstler bei Fragen des Urheberrechtes. Dieses Fachgebiet vertrat er auch beim Internationalen Schriftstellerverband PEN Club.

Brzechwa war dreimal verheiratet und hat eine Tochter, die später Malerin wurde. Sein Privatleben war kompliziert und gibt heute noch Anlass für Spekulationen.

Neben seiner Arbeit als Anwalt verfolgte Brzechwa auch schriftstellerische Interessen. Schon als Jugendlicher schreib er erste Gedichte, was er aber vorerst als Hobby ansah. Trotzdem konnte er ab 1920 Geld mit kleinere Arbeiten verdienen, die er unter den Namen  „Szer-Szeń” oder „Inspicjent Brzeszczot” veröffentlichte. Sein Pseudonym Jan Brzechwa, unter dem man ihn heute kennt, entstammt einer Idee seines Bruders Bolesław Leśmian. 1926 erschien das erste Gedicht für Kinder, der erste Gesamtband 1938.

In der Zeit des II. Weltkrieges lebte er in Krakau und Warschau, immer unter der Gefahr der Deportation aufgrund seiner jüdischen Herkunft, die er selber nie für sich fühlte. In dieser Zeit schrieb Brzechwa zwar, konnte aber nichts veröffentlichen. Das holte er nach Kriegende nach und in den ersten Jahren erschienen zahlreiche Werke von ihm, mitunter aber in zensierter Form. Außerdem übersetzte er Werke russischer Schriftsteller z.B. Puschkin und Majakowski ins Polnische. Obwohl sich Brzechwa nicht aktiv politisch engagierte, schrieb er für die Kommunistische Partei in Polen Gedichte und Artikel.

Brzechwas Liste an Veröffentlichungen ist lang, er erhielt mehrere Auszeichnungen in Polen und der Sowjetunion. Am 2. Juli 1966 verstarb Brzechwa in Warschau, wo er auch begraben wurde.

Quellen

https://poezja.org/wz/Jan_Brzechwa

https://culture.pl/pl/tworca/jan-brzechwa

Sprachenpolitik in der Ukraine

Ein Land wie die Ukraine beheimatet die verschiedensten Bevölkerungsgruppen. Schon allein durch die Geschichte des Landes kommen unzählige Ethnien zusammen, die genauso viele unterschiedliche Sprachen sprechen, seit Jahrhunderten. Doch durch den Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 ist die Frage nach sprachlicher Identität wieder in den Fokus gerückt.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der neugewonnenen Unabhängigkeit der Ukraine 1991wurde Ukrainisch alleinige Amtssprache. Das bedeutete aber nicht, dass andere Sprachen nicht gesprochen werden durften. Die meisten Menschen waren schon damals mehrsprachig. Die am meisten verbreitetste Sprache, neben Ukrainisch, war und ist bis heute Russisch, dass besonders im Osten und Süden der Ukraine verbreitet ist. Schätzungen von 2001 nach sprechen ein Drittel der Ukrainier*innen Russisch als Muttersprache. Auch eine Mischvarietät, das sogenannte Surschyk, wird bis heute gesprochen.

Seit 1991 ist die Zahl der Ukrainischsprecher*innen stetig gestiegen, was vor allem daran liegt, dass Ukrainisch als Bildungssprache immer stärker forciert wird. Das bedeutet, dass vor allem die Jüngeren prozentual mehr und kompetenter Ukrainisch sprechen als die Älteren. Im Laufe der letzten Jahrzehnte war die Sprachenpolitik oft an die politischen Ansichten der Regierung geknüpft.

So ratifizierte die Ukraine am 19. September 2005 die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, sogar früher als einige  Mitgliedsstaaten der EU. Darin sind u.a. Jiddisch, Krimtatarisch, Romani und Ungarisch als Minderheitensprachen anerkannt. Prozentual zur Gesamtbevölkerung der Ukraine machen die Minderheiten aber nur einen kleinen Teil aus, was ihren Schutz umso wichtiger macht.

Während der Regierungszeit von Wiktor Janukowytsch trat 2012 ein Gesetz in Kraft, nachdem neben der Amtssprache Ukrainisch auch regionale Sprachen als Verkehrssprachen genutzt werden konnten, sobald der Anteil der Sprecher*innen 10% innerhalb der Region beträgt. Das war nicht nur wichtig für die russische Sprache, sondern auch für Minderheitensprachen wie Ungarisch oder Rumänisch. Insgesamt bekamen 18 Sprachen diesen Status. Jedoch wurde diese Sprachenvielfalt 2018 wieder eingeschränkt, z.B. wurde Unterricht nicht mehr in den Minderheitensprachen angeboten. Besonders für die grenznahen Regionen zu Ungarn, Polen und Rumänien war das ein Rückschritt, den auch die Nachbarländer scharf kritisierten.

Die Kritik riss nicht ab als im Frühjahr 2019 weitere Verschärfungen vorgenommen wurden. Das Gesetz „Über die Gewährleistung des Funktionierens der ukrainischen Sprache als Staatssprache“ sah vor, dass im öffentlichen Raum, z.B. im Fernsehen, in Zeitungen usw., das Ukrainische weiter in den Fokus rückt und als einzige Sprache fungieren soll. Das betrifft zwar nicht den Alltagsgebrauch aller Sprachen, vermittelt aber den Eindruck einer Hierarchie, die nicht zum Bild der weltoffenen Ukraine zu passen scheint.

Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 hat sich die Sprachwahrnehmung stark verändert. Die ukrainische Sprache ist zu einem Symbol für Einheit und Identität geworden. Und obwohl das Russische weiterhin für einen großen Teil der Ukrainer*innen die erste Sprache ist, zeigen sich Tendenzen, dass viele Menschen die Sprache des Aggressors nicht mehr verwenden wollen. Das Russische verliert in der Ukraine zunehmend sein Prestige und auch außerhalb des Landes, z.B. in Westeuropa, assoziieren viele Menschen mit Russisch automatisch Russland. Diese fehlende Abtrennung zwischen Sprache und Staat ist bis heute Anlass für Konflikte.

Im Dezember 2022 trat in der Ukraine das Gesetz „über die nationalen Minderheiten“ in Kraft, dass angelehnt an die Europäische Charta, allen Sprachen der Minderheiten einen offiziellen Status einräumte. Es geht darüber hinaus auch um finanzielle Unterstützung und den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Das Gesetz ist ein weiterer Schritt zur Mitgliedschaft der EU.

Quellen

Zensus der Ukraine: https://2001.ukrcensus.gov.ua/eng/results/general/language/

Heinrich-Böll-Stiftung: https://www.boell.de/de/internationalepolitik/europa-nordamerika-ukraine-sprachenstreit-14927.html

Linguistic Landscape

Mehrsprachigkeit ist zur Zeit ein Riesenthema: Wir lernen Sprachen in der Schule oder in der Freizeit, die Forschung untersucht die Auswirkungen von Mehrsprachigkeit auf die Gesellschaft und das Individuum usw. Aber wie offen zeigt sich Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum? Genau dieser Frage gehen immer mehr Wissenschaftler*innen nach. Das Phänomen nennt sich Linguistic Landscape, dt. Sprachlandschaft, und ist ein interdisziplinärer Forschungsgegenstand.

Linguistic Landscape beschreibt die Forschung, die sich mit der Wahrnehmung und der Sichtbarkeit von Sprache(n) im öffentlichen Raum beschäftigt. Der besondere Fokus liegt dabei auf mehrsprachigen Gesellschaften und die Verwendung all ihrer Sprachen im öffentlichen Raum. Dabei gehen die Wissenschaftler*innen verschiedenen Fragen nach, z.B. wie die qualitative und quantitative Verteilung der Sprachen ist, an welchen Orten sich welche Sprachen finden oder von wem die Verwendung der Sprachen ausgeht.

Da diese Forschung noch sehr jung ist, gibt es momentan nur wenige Arbeiten und Artikel zu dem Thema, besonders in Deutschland. Ist in einem Land nur eine Sprache als Amtssprache festgeschrieben z.B. wie in Deutschland, würde man nur eine geringe Dichte an öffentlich sichtbarer Mehrsprachigkeit finden. Und in Ländern wie Kanada oder Belgien, deren Mehrsprachigkeit schon lange besteht, erwartet man ganz selbstverständlich mindestens zwei sichtbare Sprachen im öffentlichen Raum. Aber ist das wirklich so?

In der Linguistic Landscape-Forschung wird nach dem Prinzip der Wirkrichtung unterschieden: Top-Down und Bottom-Up. Wird beispielsweise eine zweisprachige Beschriftung aufgrund einer gesetzlichen Grundlage an einem Rathaus angebracht, ist die Wirkrichtung Top-Down. Das finden wir oft bei Zweisprachigkeit, die von staatlichen Institutionen ausgeht. Bottom-Up dagegen findet man im privaten bzw. kommerziellen Kontext, z.B. eine zweisprachige Speisekarte im Restaurant.

Von entscheidender Bedeutung bei Zwei- oder Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum ist der Status und das Prestige der Sprachen. Ist eine Sprache als Minderheitensprache anerkannt, wie das Sorbische in der Lausitz, sind die Kommunen verpflichtet u.a. die Straßenbeschilderung zweisprachig bereitzustellen. Bei Sprachen, die von vielen Menschen gesprochen werden, jedoch keinen Staus besitzen, findet man keine offizielle Nutzung. Aber gerade in Städten findet man oft Geschäfte oder andere private Einrichtungen, die nicht die Amtssprache für ihre Beschilderung wählen (auch ein Beispiel für Bottom-Up).

Die Sichtbarkeit von Sprachen ist immer ein Indiz für den Umgang mit ihnen. Werden Sprachen öffentlich genutzt, schriftlich wie mündlich, steigt die Akzeptanz. Gerade für kleine Sprachen in ihren angestammten Sprachräumen ist die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum ein Teil der Sprachpflege, der nicht unterschätzt werden darf.

Kennst du Beispiele für sichtbare Mehrsprachigkeit in deiner Heimatstadt oder in der Umgebung?

Quelle

Jannis Androutsopoulos: Linguistic landscapes: Visuelle Mehrsprachigkeitsforschung als Impuls an die Sprachpolitik.

Das Deseret – Alphabet

Jede Person, die heute Englisch schreiben lernt, egal ob als Erst- oder Fremdsprache, fragt sich ständig: Warum schreibt man dieses oder jenes Wort so? Die heutige Schreibung des Englischen hat wenig mit der tatsächliche Aussprache zu tun. Und obwohl diese Diskrepanz fast allen bewusst ist, gibt es keine großen Bemühungen die englische Rechtschreibung zu reformieren. Dass das nicht immer so war und sich Menschen durchaus Verbesserungen initiieren wollten, zeigt ein interessantes Beispiel aus den USA: das Deseret-Alphabet.

Die beiden Entwickler, Parley Pratt und George Watt, gehörten den Mormonen an und schufen die Schrift von 1847 bis 1854 als eine Art Reform , die eine Transformation für die Gesellschaft bedeuten würde. Das Ziel war die Verbreitung des neuen Alphabetes anstelle des lateinschen.  Abgesehen von ihrer religiösen Überzeugung stellt das Alphabet eine durchaus gelungene phonetische Schreibung des Englischen dar.

Doch die Entwickler dachten schon weiter und planten die Schrift auch für andere Sprachen, woraus allerdings nichts wurde.

Die Planung für die Schaffung des Alphabets erforderte nicht nur kreative Köpfe, sondern auch große finanzielle Mittel, damit sofort mit dem Druck von Bibeltexten usw. begonnen werden konnte. Das große Netzwerk der Mormonen ermöglichte schon zu Beginn des Projekts starke Finanzmittel.

Das Deseret – Alphabet besitzt Groß- und Kleinbuchstaben, wobei der Unterschied nicht die Form, sondern ausschließlich die Größe ist. Es gibt insgesamt 40 Buchstaben, mehr als im Standardenglischen, weil vor allem mehr Vokalzeichen nötig waren.

Die Kosten für den Druck neuer Bücher und Zeitungen war einer der Hauptgründe dafür, dass das Alphabet kaum Verbreitung über die Mormonengemeinschaft hinaus fand.

Heutige Linguisten haben trotzdem ein großes Interesse an gedruckten Werken, vor allem an allem was keine direkten Übersetzungen sind. Diese Ausgaben geben einen sonst unmöglichen Einblick an die gesprochene Sprache dieser Zeit, auch wenn es regional begrenzt ist. Andere Schriftquellen, in englischer Standardrechtschreibung, können keine Aussagen über phonetische Besonderheiten des damaligen Englisch liefern. Wäre die Schrift in den ganzen Staaten verbreitet gewesen, ergäbe sich für die Dialektforschung in den USA ein unvorstellbarer Datenschatz.

Interessanteweise haben in den letzten Jahrzehnten wieder mehr Menschen Gefallen am Deseret – Alphabet gefunden. Es gibt mittlerweile auch Klassiker z.B. von Jane Austen oder Mark Twain in diesem Alphabet. Es ist nicht nur eine interessante Art zu lesen, sondern trainiert auch die Lese- und Verständnisfähigkeit, ähnlich wie das Lesen in einer Fremdsprache. Und auch wenn die Schrift nicht verbreitet ist, würden sich doch viele Kinder beim Leseerwerb des Englischen leichter tun.

Quellen

Walker, Neil Alexander. A Complete Guide to Reading and Writing the Deseret Alphabet. 2005

Wintersteen, Larry Ray. A History of the Deseret Alphabet. 1970

Die Ranen auf Rügen

Die Jaromarsäule in den Wallanlagen der
Jaromarsburg auf Kap Arkona

Eine der beliebtesten Inseln Deutschland war Jahrhunderte lang die Heimat eines heute fast vergessenen Volkes: die Ranen.

Die Ranen waren ein ostseeslawisches Volk, die wie die Pomoranen und Wilzen entlang der Ostseeküste siedelten. Ihr Hauptsiedlungsgebiet war Rügen und die Küste um Stralsund bis nach Wolgast. Dort fanden sie nach der Völkerwanderung eine neue Heimat. In nächster Nachbarschft siedelten weitere slawische Stämme. Heute geht man sicher davon aus, dass das Gebiet der heutigen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Teile von Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen so gut wie vollständig von unterschiedlichen westslawischen Völkern besiedelt war.

Die Namensherkunft der Ranen ist nicht sicher geklärt, möglicherweise lautete die Eigenbezeichnung ‚Rugani‘ oder ‚Rujani‘. Überliefert ist der Name in einem Text aus dem 11. Jahrhundert eines Chronisten.

In ihrem Herrschaftsgebiet errichteten die Ranenfürsten Wallburgen und viele Kultstätten, am bekanntesten ist die Stätte am Kap Arkona auf Rügen. Bis ins 12. Jahrhundert war die dort erbaute Jaromarsburg die wichtigste Kultstätte der Ranen. Die Ostsee hat im Laufe der Zeit große Teile der Kreidefelsen abbrechen lassen, so dass heute nur noch anhand der Reste des Walls vermutet werden kann wie groß die Anlage ursprünglich war.

Die Ranen beteten viele Götter an, unter anderem Svantevit, dem die Kultstätte am Kap Arkona gewidmet war. Im ganzen Siedlungsgebiet des Volkes befanden sich große Holzstauten mit Gottheiten z.B. Porevit und Porenut. Viele Gottheiten der Ranen hatten mehrere Köpfe bzw. Gesichter.

Als die Christianisierung des Ostseeraumes im 12. Jahrhundert voranschritt, geritten die Gottheiten in Konkurrenz zum christlichen Gott, der so anders war als die heidnischen Gottheiten. Auch ihre Unabhängigkeit büßten die slawischen Stämme mit der Zeit ein und gerieten unter dänische Herrschaft. In dieser Zeit siedelten sich immer mehr Menschen aus anderen Gebieten wie Niedersachsen, Holstein oder auch Flandern an, was nicht nur Einfluss auf die slawische Kultur hatte.

Auch die Sprache der Ranen, ein Dialekt des Polabischen, wurde durch die neuen Siedler immer weiter zurückgedrängt. Zum Beginn des 15. Jahrhunderts starb das Polabische aus. Da die Sprache nicht verschriftlicht war, sind Rückschlüsse nur durch erhaltene Orts- und Flurnamen zu ziehen. Die meisten Ortsbezeichnungen lassen sich auf slawischen Ursprung zurückführen, was die Besiedlung des Gebietes durch die Ranen und anderen Stämmen beweist.

Die slawische Bevölkerung assimilierte sich nach der Christianisierung schnell und heute sind sich die meisten der slawische Geschichte ihrer Familien kaum noch bewusst. Die Geschichte der Region erfreut in den letzten Jahrzehnten in der Forschung und bei den Hobby-Historikern wieder großer Beliebtheit.

Quellen

Ziemann, Peter. Ranen, Rügen und Meer. Die Geschichte eines versunkenen, slawischen Volksstammes. Edition Pommern, Elmenhorst/Vorpommern 2015

Petrick, Fritz. Rügen. Die Geschichte einer Insel. Wachholtz, Kiel/Hamburg 2017

Bild: Von Mars 2002 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30410684

Wilmesaurisch

Deutsch hört man in Polen nicht selten, das ist unumstritten. Doch es versteckt sich noch eine andere kleine Sprache in Schlesien, die eine kaum jemand kennt, wenn er sich nicht intensiv mit germanischer bzw. slawischer Sprachwissenschaft beschäftigt: Wymysiöeryś.

Diese Sprache, manche bezeichnen sie auch nur als mitteldeutsche Dialekt, ist mit nur knapp 100 Sprecher*innen vom Aussterben bedroht. Sie gehört zur Familie der westgermanischen Sprachen und verfügt über eine Standardschreibung.

Wymysiöeryś (deutsch Wilmesaurisch, polnisch Język wilamowski) wird von Menschen gesprochen, dessen Vorfahren im 13. Jahrhundert aus dem niederdeutschen, flämischen und friesischen Raum nach Schlesien eingewandert sind, wahrscheinlich auf Einladung eines Herrschers. Dort gründeten sie im Herzogtum Cieszyn und Oświęcim erste Siedlungen, die unter deutschem Recht standen und schnell wuchsen.

Die Bevölkerung in dieser Region war gemischt, aber im Laufe der Zeit assimilierten sich die Siedler und sprachen immer mehr polnisch, ohne jedoch ihre Herkunft zu vergessen. Noch heute erzählen die Sprecher*innen von ihrer flämischen Abstammung. Die deutsche Abstammung wird eher abgelehnt.

Trotz der Anpassung an die polnische Sprache blieb die Gruppe meist unter sich, heiratete innerhalb der Gruppe und bewahrte ihre Traditionen über die Jahrhunderte hinweg. Unter der Herrschaft Österreichs nach den polnischen Teilungen verstärkte sich die Identitätsbildung nochmals. In dieser Zeit war auch das Deutsche als Amtssprache neben Polnisch zu einem wichtigen Kommunikationsmittel, was das Wymysiöeryś immer mehr zu einer reinen Familiensprache machte.

In der Zeit der Nationalsozialisten wurden die Menschen als Deutsche in den Listen geführt, unabhängig von ihrer eigentlichen Identität. Der Sprache wurde keinerlei Beachtung von politischer Seite geschenkt. Das war aber keine Neuerung, denn kaum jemand interessierte sich in den letzten Jahrhunderten für die Sprache. Forschung gab es kaum, unter anderem existieren einige Wenker-Bögen in Wymysiöeryś. Eine Ausnahme bildet Florian Biesik, der eigentlich Eisenbahner war. Er schrieb Gedichte und Geschichten in Wymysiöeryś, was man als Beginn der Literaturgeschichte ansieht. Ihm ist unter anderem eine geregelte Orthographie zu verdanken, in der er die polnischen Buchstaben verwendete, weil sie die Lautung besser wiedergeben.

Sprachtypologisch ist Wymysiöeryś eine westgermanische Sprache. Sie verfügt über 11 Vokale und 7 Diphthonge, was viel mehr ist als im Standardpolnischen. Aus dem Polnischen haben sich aber viele palatalisierte, d.h. weiche, Konsonanten eingebürgert, die im Deutschen nicht verwendet werden.

Das Artikelsystem ist reduziert auf einen bestimmten und einen unbestimmten Artikel. Das Genussystem folgt den polnischen phonologischen Prinzipien, was auf Sprachkontakt zurückgeführt werden kann, ebenso wie die Nutzung des Verbalaspektes.  Anders als das heutige Standarddeutsch verfügt Wymysiöeryś über einen Vokativ (Ruffall), der aber selten gebraucht wird. Der Wortschatz ist größtenteils aus dem Deutschen, einige Anteile stammen aber aus dem Schlesischen und Polnischen, was durch den engen Kontakt der Sprachen zu erklären ist. Generell ist die Wortstellung wie im Deutschen, obwohl es bei Wymysiöeryś weniger streng geregelt ist und auch aus dem Polnischen gängige Stellungen möglich sind.

Die Zukunft der Sprache ist ungewiss, da die Sprecher*innen fast alle schön älter sind und die Umgebungssprache Polnisch sehr dominant ist. Doch das Interesse steigt, ebenso wie die Forschung intensiver wird. Beides sind gute Zeichen für den Erhalt dieser einzigartigen Sprache.

Quellen

Wicherkiewicz, Tomasz. The Making of a Language: The Case of the Idiom of Wilamowice, Southern Poland. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2003

Andrason, Alexnder & Król Tymoteusz. A Grammar of Wymysorys. Duke University, Slavic and East European Language Resource Center – SEELRC, 2016.

Bildquelle

Von Silar – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=110286070

Die Revitalisierung von Sprachen

Von den schätzungsweise 7000 Sprachen, die es weltweit gibt, werden es mindestens die Hälfte (manche sprechen sogar von 90%) nicht ins nächste Jahrhundert schaffen. Die Gründe dafür sind vielfältig, z.B. Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, Vertreibung aus dem angestammten Sprachgebiet usw.

Allgemein könnte man sagen: Je kleiner eine Sprache ist, desto schwieriger ist ihr Erhalt. Kleine Sprachen haben oft wenig Prestige im Vergleich zu den Mehrheitssprachen und verfügen prozentual gesehen weniger über eine Schrift, die ihr Bestehen zumindest schriftlich dokumentieren kann.

Der Verlust von Sprachen bedeutet aber nicht nur weniger Sprachen weltweit, sondern auch den Verlust von kleinen Kulturen, Traditionen und Identität der Sprecher*innen. Es gibt Sprachen wie das Lateinische, von der wir viel Wissen und die immer Sprecher*innen hatte, wenn auch nicht als Erstsprache. In anderen Fällen wie z.B. Sprachen in Südamerika, bei dem es weder Schrift noch andere dokumentierte Quellen gibt, haben wir keine Möglichkeit die Sprache zu erforschen. Der Verlust von Sprachen wurden vorsätzlich durch Vertreibung, Ermordung und Kolonisation der Sprecher*innen in Kauf genommen bzw. sogar forciert.

Die meisten heutigen Sprachwissenschaftler*innen haben ein anderes Bild von Sprachen. Sie interessieren sich grundsätzlich für alle Sprachen und bewerten sie nicht. Mittlerweile wird auch immer mehr versucht bedrohte Sprachen zu erhalten und die Sprecher*innenzahl zu stabilisieren. Dafür gibt es verschiedene Methoden, aber das wichtigste Mittel ist die politische Unterstützung in Form von Schutzgesetzen und finanziellen Hilfen z.B. zur Ausbildung von Lehrer*innen, Sichtbarkeit in den Medien wie Radio oder Fernsehen usw. Doch ohne das Engagement motivierter Menschen werden diese Hilfen langfristig nichts bringen.

Damit das jetzt nicht zu pessimistisch klingt und alle gleich die Flinte ins Korn werfen, wollen wir uns ein paar hoffnungsvolle positive Beispiele anschauen, von denen andere Sprecher*innengruppen lernen können. Das bekannteste Beispiel einer Revitalisierung ist das Ivrit, das moderne Hebräisch. Als der Staat Israel 1948 gegründet wurde, sprachen die Menschen viele verschiedene Sprachen. Sie kamen aus der ganzen Welt, um sich in Israel niederzulassen. Von oberster Ebene wurde die Verbreitung der Sprache gefördert. Heute sprechen es fast 10 Millionen Menschen in Israel.

Auch in anderen Teilen der Welt finden wir Revitalisierungsbemühungen. Die EU hat eine Charta zum Schutz der kleinen Sprachen geschaffen, in dem sich die Mitgliedsstaaten verpflichten für den Erhalt und die Pflege aller Sprachen zu sorgen. In Deutschland betrifft das die sogenannten anerkannten Minderheitensprachen Dänisch, Niederdeutsch, Niedersorbisch, Nordfriesisch, Romanes, Saterfriesisch und Obersorbisch. Die Menschen dürfen ihre Sprachen nicht nur sprechen, sondern haben auch Anspruch auf Bildung in ihrer Sprache. Das leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der meist sehr bedrohten Sprachen.

Einige wenige ausgestorbene Sprachen Europas sind durch den Einsatz einer weniger wiederbelebt worden. Dazu zählen unter anderem Manx, eine keltische Sprache, das auf der Isle of Man gesprochen wird. Heute gibt es eine Schule und viele Kindergärten, wodurch langsam eine neue Generation von Erstsprecher*innen heranwachsen kann. An einer Standardisierung der Schriftsprache wird momentan gearbeitet, denn sie bildet die Grundlage für Lehrbücher und andere Veröffentlichungen.

Ein zweites Beispiel ist Kornisch, ebenfalls eine keltische Sprache, die in Cornwall beheimatet ist. Hier wurde zur Rettung der Sprache ein künstlicher Standard geschaffen. Das heutige Kornisch ist dementsprechend anders als das ursprüngliche, ähnlich wie beim Ivrit. Mittlerweile kann man kurze Radiobeiträge in Kornisch hören, außerdem gibt es fakultativen Unterricht. Anders als bei Manx sind die kleinen Gruppen untereinander zerstritten, wenn es um linguistische Fragen und Sprachneuerungen geht. Das schwächt ihre Position und bremst die Revitalisierung aus.

Ob sich viele bedrohte Sprachen retten lassen, ist nicht vorherzusehen. Es braucht viel Engagement, Zeit und vor allem politischen Willen, um solche Projekte umzusetzen. Das Wichtigste ist den Menschen ihre Sprache nutzbar zu machen, damit sie sie im Alltag sprechen und sich nicht gezwungen fühlen die Mehrheitssprache zu verwenden!

Quellen

Haarmann, Harald. Lexikon der untergegangenen Sprachen (= Beck’sche Reihe. 1456). Beck, München 2002

Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen: Gesamtverzeichnis

Sprache im Wandel – Muss das sein?

Keiner kann bestreiten, dass sich Sprache stetig verändert. Die Veränderungen unserer Gesellschaften, der Umwelt und unsere persönliche Entwicklung bewirken einen Wandel, der sich durch die gesamte Sprachgeschichte zieht.

Am einfachsten kann man Sprachwandel natürlich im Verlauf betrachten. Wie wurde vor 60, 100 oder sogar vor 250 Jahren gesprochen? Um das zu ermitteln, schauen sich Linguisten alte Quellen wie Briefe an, die eine gewisse Mündlichkeit zeigen. Dokumente wie Urkunden, Berichte oder Inventarlisten lassen nur wenig Interpretationsspielraum zu.

Sprachliche Innovationen auf lexikalischer Ebene treten naturgemäß häufig auf, unterliegen aber meist nicht dem Sprachwandel auf pragmatischer Ebene. Seit die technischen Möglichkeiten es erlauben auch mündliche Sprachdaten zu archivieren und zu analysieren, kann sich die Forschung dem Sprachwandel auf mündlicher Ebene völlig neu nähern.

In welcher Weise kann man heute eine Veränderung in der Sprache wahrnehmen?

Die deutlichste Veränderung sind, wie schon erwähnt, neue Wörter. Das können Entlehnungen oder Neukreationen sein, die sich ganz selbstverständlich in unseren Sprachgebrauch schleichen. Auch Umdeutungen oder der Ersatz von Begriffen durch „coolere“ sind Teil des Sprachwandels. Viele Menschen sehen das als eine Art Generationswechsel, der meist akzeptiert wird.

Kommt dann aber auch noch eine Veränderung im Bereich der Grammatik dazu, ist bei vielen das Ende der Toleranz erreicht. Nebensätze, die eigentlich eine Verbletztstellung verlangen (Ich meine hier das Standarddeutsche), werden zusehends wie Hauptsätze gebildet. So hört man beispielsweise immer häufiger: Ich komme heute nicht zur Vorlesung, weil ich bin krank. Je öfter man solche ‚neuen‘ Konstruktionen zu hören bekommt, desto eher neigt man dazu sie als korrekt zu akzeptieren und eventuell sogar irgendwann selbst zu verwenden.

Solche und andere Prozesse sind in jeder Sprache zu beobachten. Sprachen neigen generell zu Vereinfachung. Schon unsere sprachlichen Vorfahren wie das Germanische passte sich mit der Zeit an und vereinfachte z.B. das Kasussystem oder die Anzahl an Konsonanten. Nahverwandte Sprachen wie das Englische oder das Dänische kennen die ursprünglich indoeuropäische Unterscheidung zwischen Maskulinum, Femininum und Neutrum nicht mehr. Das bedeutet nicht automatisch, dass diese Prozesse irgendwann auch im Deutschen umgesetzt werden, zeigt aber die sprachlichen Möglichkeiten.

Auch die Art und Weise wie wir miteinander sprechen, verändert sich. Das ist keine Frage von neuen Wörtern oder einer veränderten Grammatik, sondern einer gesellschaftlichen Veränderung. Das früher übliche ‚Sie‘ ist in vielen Situationen dem informellen ‚Du‘ gewichen, was besonders die älteren Sprecher*innen als unangebracht empfinden. In diesem Fall zähle ich mich auch zu den Älteren, während mich andere Veränderungen weniger stören.

Einige Beispiele, die ich durchaus angemessen finde, sind gendersensible Sprache oder die Nutzung entlehnter Wörter, solange sie sich ins deutsche Sprachsystem eingliedern lassen. Auch die Sprachökonomie spielt eine Rolle. Natürlich könnte ich ‚Brotröster‘ und ‚Baumwollhemd mit kurzen Ärmeln‘ sagen, aber ‚Toaster‘ und ‚T-Shirt‘ ist einfach schneller.

Manche mögen es Verfall der Sprache nennen. Für mich als Linguistin ist der Sprachwandel kein Dämon, den es zu bekämpfen gilt. Und wenn wir uns in der Sprachgeschichte, egal in welcher Sprache, umschauen, erkennen wir die Unaufhaltbarkeit des Sprachwandels.

Marija Prymatschenko 

Dass Krieg auch Kunst nicht verschont, zeigt das Beispiel der Werke einer der bekanntesten ukrainischen Künstlerin des letzten Jahrhunderts: Marija Oksentijiwna Prymatschenko.  

Ende 1908 in eine Bauernfamilie geboren, wuchs Marija Prymatschenko in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Ihre Kindheit im Dorf, das in der Nähe von Kyiv liegt, ließ eigentlich keinen Raum für Kunst. Mit vier Jahren erkrankte Marija an Kinderlähmung, deren Folgen sie ihr Leben lang einschränkten. Doch schon als Kind entdeckte sie ihr künstlerisches Talent, ihre Mutter und Großmutter brachten ihr sticken, zeichnen und malen bei. Auch die Liebe zur Natur bot ihr Inspiration. Über das Sticken fand Marija Prymatschenko Anschluss an Künstlerkreise und eine Förderin, die Künstlerin Tetiana Floru, lud sie 1935 nach Kyiv ein.

Dort versuchte sich Marija Prymatschenko vermehrt in der Malerei, obwohl sie der Stickerei immer treu blieb. Sie bekam ein Stipendium und konnte sich intensiver mit ukrainischer Kunst zu beschäftigen. Die Ausstellungen Mitte der 1930er Jahre, in Moskau, Warschau und Paris, machten Marija Prymatschenko über die Grenzen der Sowjetunion bekannt.

Kurz darauf lernte sie Vasyl Marynchuk kennen, mit dem sie einen Sohn hatte. Noch vor der Heirat wurde Vasyl zur Armee eingezogen und fiel kurz darauf. Marija ging daraufhin mit ihrem kleinen Sohn nach Iwankiw.

Im Laufe ihres Lebens erhielt die Künstlerin zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem die Goldmedaille 1937 der Pariser Weltausstellung und den Taras-Schewtschenko-Preis.

Ihre Werke sind inspiriert von der Natur, Märchen und Legenden. Sie zeigt besonders viele traditionelle Motive, die eine identitätsstiftende Wirkung auf die Menschen in der Ukraine erzeugt. Mit der Zeit wurden die Bilder immer farbenfroher und kontrastreicher. Auch kurze Sprüche bzw. Sätze schrieb Marija Prymatschenko auf Werke aus ihrer späteren Schaffenszeit.

Marija Prymatschenko starb 1997 in Bolotnja in der Nähe von Kyiv. Sie hinterlässt eine große Sammlung von Bildern, Stickereien und anderen Gegenständen mit ihrer Kunst. Ihre Nachfahren traten in ihre Fußstapfen, ihr Sohn und ihre Enkel sind alles bekannte Künstler. Als Anerkennung ihrer Kunst erscheinen in der Ukraine regelmäßig Briemarken mit ihren Werken. Sogar ein Planet wurde 1998 nach ihr benannt.

Der Großteil ihrer Bilder kann man in Kyiv besichtigen. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges wurde das Iwankiw-Museum von Raketen getroffen, in dem auch viele ihrer Bilder ausgestellt sind. Viele Werke wurden dabei zerstört, aber einige konnten aus den Flammen retten werden. Der kulturelle Schaden solcher Angriffe, die alle möglichen Institutionen in der Ukraine betreffen, kann nur geschätzt werden.

Das ukrainische Museum in New York hat 2023 eine große Ausstellung mit Prymatschenkos Bilder und vieler weiterer Kunstgegenstände gezeigt. Einige weniger Bekannte Werke sind heute in Privatbesitz und werden nur selten gezeigt, unter anderem 2022 im Ukrainischen Haus in Kyiv.

Quellen

Ruban, Marija. Marija Prymatschenko (Wydatni ukrajinzi. Ljudy, jaki tworyly istoriju). Ahenzija IRIO, Kyjiw 2020

https://ukrmystetstvo.blogspot.com/2012/07/blog-post_9.html