Ja, der Titel ist etwas provokant! Denn ich mag das Wort Minderheitensprachen nicht besonders gerne.
Minderheitensprachen – das klingt, als ob diese Sprachen nicht vollwertig wären. Diesen Gedanken kann man 100%ig vergessen!!!! Ich verwende lieber den Begriff „kleine Sprachen“, zum besseren Verständnis beim Lesen bleibe ich aber bei „Minderheitensprache“.
Der Begriff bedeutet vor allem, dass diese Sprache in einem bestimmten Gebiet gesprochen wird und nicht die Sprache der Bevölkerungsmehrheit ist, die dort lebt (ist nicht immer so). Außerdem ist die bestimmte Minderheitensprache nicht National- bzw. Amtssprache eines Landes. Das findet man in allen Teilen der Welt.
Jetzt könnte man sich fragen: Was falsch daran ist, wenn die Menschen einer Region oder eines Landes alle eine gemeinsame Sprache sprechen? Aber diese Frage zeigt auch wie wenig wir von Minderheitensprachen wissen.
Wer sollte entscheiden welche Sprache besser zum allgemeinen Verständigen ist? Ich bin der Meinung: Niemand!
Sprachen, die von einer bestimmten Gruppe gesprochen werden, tragen nicht nur sprachliche Merkmale, sondern zeigen auch Aspekte der Kultur dieser Menschen. Dabei gehen Sprache und Kultur meist Hand in Hand.
In Europa fallen mir da Sprachen wie Baskisch, Sorbisch oder Jiddisch ein. Das sind natürlich nicht alle, im Gegenteil. Betrachten wir Baskisch mal etwas näher. Es wird in einem Gebiet zwischen Spanien und Frankreich (nur ein kleines Gebiet) gesprochen, besitzt keinen Nationalsprachen-status, ist aber gesetzlich geschützt. Mit Baskisch verbinden viele Menschen Gedanken an Terroranschläge der ETA (Euskadi ta Askatasuna, dt. „Baskenland zur Freiheit“), an Freiheitskämpfe und Patriotismus. Natürlich sind nicht alle Sprecher von Minderheitensprachen politisch interessiert bzw. aktiv, aber viele leben ihre „Andersartigkeit“ und ihre gesetzlich zugesicherten Rechte aus.
Eine Übersicht europäischer Minderheitensprachen kann man in der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (von 1992) nachlesen. Die Charta ist eine Zusammenstellung europäischer Sprachen. Sie zeigt nicht nur Minderheiten- und Regionalsprachen, sondern auch Nationalsprachen, die einen Schutzstatus in anderen Ländern besitzen z.B. Dänisch in Deutschland. Leider sie weist (noch) einige Lücken auf. Beispielsweise sind die verschiedenen Gebärdensprachen nicht vertreten, obwohl sie laut Definition dazu gehören.
Doch was macht den Erhalt der Minderheitensprachen so schwierig? Warum verschwinden immer mehr davon? Die Gründe sind, wie meistens, vielfältig.
Einer der wichtigsten Gründe ist, dass Sprecher von Minderheitensprachen meist keine oder kaum Anteile der Regierungen (auf nationaler sowie auf regionaler Ebene) stellen, d.h. nur eingeschränkte politische Macht besitzen. Und es ist ja klar, dass die Interessen kleiner Sprachen dann keine Lobby haben. Das sieht man sehr deutlich an ethnischen Minderheiten in Ländern wie Australien oder USA. Die Sprachen der indigenen Völker verschwinden mit der Zeit, weil sich kaum jemand für ihren Erhalt und Schutz einsetzt. Dazu kommen häufig noch wirtschaftliche Engpässe und eine schlechtere Infrastruktur in den Regionen der Minderheitensprachen, die die Menschen zum Wegzug zwingt und damit den Verlust der Sprache beschleunigt.
Stirbt eine Sprache aus, lässt sie sich nur schwer wiederbeleben. Mitunter ist das überhaupt nicht möglich, wenn es keine schriftlichen Dokumentationen oder Audioaufnahmen gibt anhand deren man Grammatik, Wortschatz oder Aussprache rekonstruieren kann. Viele Sprachen sind bereits verschwunden, ohne dass man sie erforschen konnte. Doch auch mit genug Dokumentationsmaterial ist das Wiederbeleben schwierig. Das wohl bekannteste Beispiel ist Hebräisch, die Amtssprache Israels, die vor der Gründung Israels nicht mehr als Alltagssprache gesprochen wurde. Die Wiederbelebung funktionierte durch den politischen Druck des Staates. Heute ist das moderne Hebräisch nicht mehr wegzudenken.
Ein interessantes Beispiel in Europa ist das Kornische. Es wird in Cornwall, im äußersten Südwesten Englands gesprochen bzw. wieder gesprochen. Nachdem es Ende des 18. Jahrhunderts ausgestorben ist, begann man es in den 1980er Jahren wieder zubeleben. Mittlerweile gibt es ungefähr 300 fließende Sprecher, aber die Zukunft des Kornischen bleibt ungewiss.
Wie würde es im Idealfall einer Minderheitensprache aussehen?
Eine Gedankenspiel: In einem Land sind alle Sprachen der Minderheiten (ethnisch wie national) geschützt. In jeder dieser Sprache ist es möglich seine Kinder beschulen zu lassen, Anträge auf Ämtern auszufüllen, sich beim Finanzamt beraten zu lassen usw.
Das klingt eigentlich super! ABER: Wie realistisch ist diese Idee? Welche Ressourcen bräuchte man dafür? Keine Gesellschaft könnte diese bürokratische Vielsprachigkeit in ihrem System leisten.
Denkt man aber etwas kleinschrittiger, ist der Erhalt kleiner Sprachen durchaus realistisch. Wie immer ist der Schlüssel zu allem die Aufklärung. Die Menschen in den Gebieten der Sprachminderheiten brauchen das Gefühl, dass man ihre Sprache ernst nimmt, sie fördert, ihre Kultur anerkennt und sich aktiv um den Erhalt der Sprachen kümmert. Das kann bilingualer Unterricht an allen Schulen in der Region sein, Erscheinen von Zeitungen und Zeitschriften in der jeweiligen Sprache, Förderung von Kunst und Kultur der Region oder die Nutzung der digitalen Medien zur verbesserten Sichtbarkeit. Auch die Politik muss diese Bemühungen auf regionaler und nationaler Ebene stärker berücksichtigen, finanzielle Ressourcen bereitstellen und durch verbesserte Infrastrukturen den Menschen Perspektiven geben in ihrer „Sprachregion“ zu bleiben. Die bürokratischen Hürden zur Förderung der Sprachen müssen niederschwellig sein!
Kein Sprecher einer Sprache möchte seine Sprache absichtlich nicht mehr sprechen, es ist der Druck von außen, der ihn dazu bringt und auch die Weitergabe an die nächste Generation verhindert!
Wie man sieht, sind die Gründe für das Verschwinden kleiner Sprachen vielfältig und nur durch ebenso viele Anstrengungen ist der Erhalt zu schaffen!