Von den wenigen ostgermanischen Sprachen (von denen wir wissen) ist Gotisch am längsten erhalten geblieben bzw. liegt in schriftlicher (Teil-) Form vor. Es gehört zur germanischen Sprachfamilie, die sich in ost-, west- und nordgermanisch aufteilt.
Die Geschichte des Gotischen zu rekonstruieren ist nicht ganz einfach. Das Volk der Goten stammt wahrscheinlich aus dem Weichselgebiet, eventuell auch aus Skandinavien, und kam im 3. Jahrhundert durch die spätantike Völkerwanderung ins südliche und östliche Europa. Dabei teilten sich die Stämme in west- und ostgotisch. Die gemeinsame gotische Sprache blieb, aber die Goten assimilierten schnell und so starb die Sprache in weiten Teilen bis zum 7. Jahrhundert aus.
Ein Teil der gotischen Stämme zog im Zuge der Völkerwanderung bis an die Krim. Dort konnte sich die Sprache bis ins 18. Jahrhundert halten. Vom Gotischen gibt es leider nur wenig schriftliche Quellen, daher lassen sich viele Aspekte der Sprache nur rekonstruieren.
Die qualitativ besten Quelle ist die Wulfilabibel. Sie wurde vom Bischof Wufila (311–383) aus den Griechischen ins Gotische übersetzt. Dabei erschuf Wufila nicht nur eins der wichtigsten Zeugnisse der gotischen Sprache, sondern auch die gotische Schrift. Sie orientiert sich stark am griechischen Alphabet. Bis dahin verwendeten die Goten eine Runenschrift. Dabei zeigt sich das Erbe der Runen, weil die gotischen Buchstaben, wie die Runen, Namen tragen, und einen Laut repräsentieren.
Durch die mangelnde Datenlage und die Tatsache, dass die gotischen Text Übersetzungen aus anderen Sprachen sind, kann man davon ausgehen, dass die Einflüsse anderer Sprachen auf das Gotische groß sind.
Neben der Wulfilabibel gibt es noch den Codex Argenteus, ein Textfragment, dass die vier Evangelien umfasst, und die Codices Ambrosianus und Taurinensis, die als Teilabschriften der Wulfilabibel zu sehen sind. Die Texte sind religiöse Texte, daher beinhalten sie zahlreiche Entlehnungen aus dem Lateinischen und Griechischen, wie das oft in Sprachen christianisierter Völker zu finden ist.
Bei einer ausgestorbenen Sprache ist es schwierig die korrekte Aussprache zu belegen. Die von Wulfila geschaffene Schrift orientiert sich am Griechischen, also liegt es nahe daraus Bezüge zwischen der griechischen und gotischen Artikulation zu ziehen bzw. die Unterschiede in der Schreibung als Unterschiede der Aussprache zu klassifizieren.
Im Gotischen gab es 5 kurze und 7 lange Vokale, deren Unterscheidung häufig vom Ursprung des Wortes abhing. Die im Germanischen zahlreich vorkommenden Diphtonge, sind auf einen einzigen, [iu] <iu> reduziert. Das Konsonantensystem ist komplex und unterliegt nicht wenigen phonologischen Regeln. Bei der Rekonstruktion der Laute geht man davon aus, dass sich das Gotische nicht allzu weit vom Urgermanischen wegentwickelt hat. Das gilt auch für die Betonung, die wahrscheinlich meist auf der ersten Silbe lag, so wie wir das aus dem Deutschen kennen.
Auch die Beschreibung der gotischen Grammatik beruht auf den Daten, die man aus der Wulfilabibel gewonnen hat. Dabei zeigt die Sprache deutlich seine Verwandtschaft zu anderen germanischen Sprachen. Es hat vier Fälle, die Reste des Instrumentals und ein Schwinden Vokativs werden in der Grammatikbeschreibung nur am Rande erwähnt.
Die Numeruskategorien Singular und Plural sowie die Genuskategorien männlich, weiblich und sächlich werden wie im Deutschen verwendet. Zwei archaische Dualformen sind zwar erhalten geblieben, zeigt sich aber nur bei Verben. Die Verben werden in starke und schwache Verben eingeteilt, eine typische germanische Eigenschaft.
Die Satzstellung ist, anders als in vielen germanischen Sprachen wie Englisch oder Dänischen, relativ frei. Die gotische Sprache weist einen hohen Teil an fremder Lexik auf, was nicht verwundert. Der überwiegende Teil stammt, durch die Christianisierung, aus dem Lateinischen und Griechischen. Diese Entlehnungen wurden in die Grammatik des Gotischen eingegliedert, nach denselben Mustern wie der Erbwortschatz.
Die Sprache der Goten ist ein Fenster in die Vergangenheit. Durch sie lassen sich zahlreiche Rückschlüsse auf die Ursprünge des Germanischen ziehen. Herausragend sind dabei die frühen schriftlichen Zeugnisse, die es für andere germanische Sprachen nicht aus solch frühen Zeiten gibt. Auch die Kultur der Goten kann durch Schriftstücke besser untersucht werden, zusätzlich zu archäologischen Funden.
Der Untergang der gotischen Stämme und daraus folgend auch der gotischen Sprache, ist weniger auf Krieg und Eroberungen zurückzuführen als auf Assimilation der gotischen Stämme an mächtigere Volkgruppen. Die gotische Sprache verlor an Wichtigkeit und wurde im Laufe der Zeit immer weniger genutzt, bis sie schließlich (je nach Gebiet unterschiedlich schnell) verschwand.
Quellen
Haarmann, Harald. Gotisch. In: Miloš Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.
Streitberg, Wilhelm: Das Gotische Elementarbuch 5. Aufl. Winter, Heidelberg 1920