Jede Sprache ist einzigartig und variantenreich. Das weiß jeder, der schon mal in einem anderen Teil seines eigenen Landes Urlaub gemacht hat und sich erstmal in die Sprache dort hineinhören musste, weil ihm der Dialekt nicht so geläufig war. Oder eine Person, die beispielsweise Deutsch als Fremdsprache lernt und dann nach Hessen oder Bayern reist; da kann es schnell zu Verständigungsschwierigkeiten kommen.
Warum spricht man in Deutschland nicht ein einheitliches Deutsch, könnte man sich fragen? Tja, Sprache ist halt vielfältig! Diese Vielfalt ist ein Schatz, den es zu bewahren gilt. Das haben sich die Menschen schon früh gedacht und waren mit Recht stolz auf ihre Dialekte, die Teil der kulturellen und persönlichen Identität ist.
Die Sprachwissenschaftler sind bemüht diese Vielfalt zu dokumentieren. Am Ende des 19. Jahrhundert wurde im Deutschen Kaiserreich eine Erfassung aller Dialekte des Deutschen in Auftrag gegeben. Dabei versuchte man auch die außerhalb des Reiches existierenden deutschen Gemeinden mit einzubeziehen (Kolonien etc.).
Der Mann, der mit dieser Mammutaufgabe betraut wurde, war der deutsche Sprachwissenschaftler Georg Wenker (1852 – 1911). Er bekam 1876 den Auftrag einen Sprachatlas der Dialekte im deutschsprachigen Raum zu erstellen. Dafür entwickelte er einen Fragebogen, der alle lautlichen Besonderheiten der deutschen Sprache umfassen sollte. Die erste Version beinhaltet 42 Sätze (z.B. Das Wort kam ihm von Herzen.), die sogenannten rheinischen Sätze. Dieser Fragebogen wurde an alle Lehrer im Raum Düsseldorf geschickt, die dann die Sätze im jeweiligen Dialekt aufschreiben sollten. Die Befragung wurde im Laufe der Zeit über das ganze Reich ausgedehnt, der Fragebogen speziell angepasst, da z.B. in Norddeutschland oder Bayern auch einzelne Stichwörter erfasst wurden.
Die Befragung war 1887 im deutschen Raum abgeschlossen. Die Auswertung dieser riesigen Datenmenge nahm einige Jahre in Anspruch. Wenker und seine Nachfolger kartografierten die Dialekte und zeichneten, per Hand, 1668 Karten mit Isoglossen (Grenze zweier Sprachmerkmale z.B. Apfel- Appel) und Dialektausprägungen einzelner Sprachphänomene.
Die deutschsprachigen Gebiete außerhalb des Deutschen Reiches wurden zwischen 1888 und 1939 befragt, wenn auch in kleineren Umfang (mit dabei waren auch jiddische Bögen).
Der Atlas wurde ständig erweitert, die Karten immer umfangreicher, bis in die 1950er Jahre hinein. Man kann sich kaum vorstellen wie mühsam diese Arbeit ohne die Hilfe der heute vorhandenen Technik gewesen sein muss!
In der 1980er Jahren begann man Wenkers Arbeit wieder neu zu betrachten und zu überarbeiten. Seit 2001 sind alle Karten digital einsehbar, als Projekt „Digitaler Wenker-Atlas (DiWA). Das hat den großen Vorteil, dass viele Forschende darauf zugreifen können, ohne die Originale (von denen es nur noch ein paar gibt) zu benötigen. Außerdem kann durch den digitalen Zugriff die Arbeit beschleunigt werden und auf andere Forschungsbereiche wie die Kulturwissenschaft oder Geschichtswissenschaft ausgedehnt werden. Zusätzlich werden die digitalen Karten mit Audioaufnahmen erweitert. Das Archiv befindet sich an der Universität Marburg, wo Georg Wenker arbeitete und bis zu seinem Tod lebte.
An der Methodik der ersten Befragungen ist aus heutiger Sicht einiges zu bemängeln, unter anderem die Datenerhebung, die von Laien durchgeführt wurde und nicht nach genormten linguistischen Gesichtspunkten von Forschenden. Das Projekt war für damalige Zeit einfach riesig und langwierig, sodass man Abstriche machen musste.
Doch trotz allem ist der gesammelte Datenschatz im Wenker-Atlas so reichhaltig und durch die Karten sehr gut dokumentiert, dass noch viele Forschende damit arbeiten können und werden.
Quellen
Lameli, Alfred. Erläuterungen und Erschließungsmittel zu Georg Wenkers Schriften. Hildesheim, New York, Zürich 2014.
Niebaum, Hermann & Macha, Jürgen. Einführung in die Dialektologie des Deutschen. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014.
hier geht’s zur Uni Marburg: https://regionalsprache.de/