Übernatürliche Wesen, die mit dem Element Wasser assoziiert werden, gibt es in allen Kulturkreisen. Das Wasser wird einerseits als lebensspendend und heilig angesehen, andererseits birgt es aber auch das Geheimnisvolle und Gefährliche in sich. Diese Ambivalenz zeigt sich auch in den mythischen Wesen, die im oder am Wasser leben. Sie sind weder grundsätzlich gut oder böse, je nach Situation treten sie als Helfer oder als todbringende Figur auf. Übernatürliche Wesen sind eine Art Schnittstelle zwischen menschlich und göttlich. Sie vereinen Eigenschaften beider in sich. Im Unterschied zu Göttern sind diese Geisterwesen oft an Elemente oder ortsgebundene Kräfte gebunden z.B. an das Wasser.
Eins dieser Wesen ist der Wódny muž (Wassermann) aus den sorbischen Legenden, in der slawischen Mythologie auch als Wodjanoi, Vodyanoy oder Vodník (tschechisch) bekannt. Die Verbindung zum Wasser ist in der Lausitz und dem Spreewald allgegenwärtig. Wasserwege wurde seit jeher zum Transport genutzt und die Mühlen funktionieren mit Wasserkraft. Der Glaube an mythische Wesen ließ den Wassermann zu einer festen Größe, vor allem in der nördlichen Oberlausitz, werden. In der Niederlausitz kennt man ihn weniger und dann eher als Nix.
Der Wódny muž hält sich besonders gerne am Wasser auf, wohnt an Mühlen oder Teichen. Er wird, je nach Literatur, als menschliche Gestalt, blass, hässlich, manchmal als eine Art Wasserleiche (obwohl er nicht als tot angesehen wird), mit trüben Augen, als alter oder junger Mann beschrieben. Das Aussehen passt meistens auch zu seinen wechselnden Eigenschaften.
Im sorbischen Raum wird der Wódny muž entweder als böse Figur beschrieben, die die Menschen ins Wasser lockt (früher konnten nur wenige Menschen schwimmen) und sie verschlingt oder, ähnlich wie viele andere ambivalente Wesen als hilfsbereit, wenn man ihm freundlich und ebenfalls hilfsbereit gegenübertritt.
Einige Geschichten berichten darüber, dass Fischer den Wódny muž in ihren Fischernetzen fingen und ihn auf sein Bitten wieder frei ließen, nachdem er ihnen reiche Entlohnung versprochen hatte oder ihnen beim Fischen die Fische ins Netz trieb. Auch armen Bauern half der Wódny muž, in dem er ihnen Saatgut lieh o.ä. Wer die Freundlichkeit des Wódny muž ausnutzte, musste mit Strafen rechnen. Dieses System kennen wir auch aus vielen Märchen. Es hat einen erzieherischen Charakter z.B. erzählen Eltern ihren Kindern Geschichten über den Wódny muž, damit sie nicht allein an Teichen oder Flüssen spielen.
Wasserwesen wie der Wassermann stehen aber auch im Zusammenhang mit Wetterphänomenen wie Regen oder Gewitter, da die Abhängigkeit von Wetter und Jahreszeiten für die Menschen überlebenswichtig waren. Nicht nur die Hilfsbereitschaft des Wódny muž nutzte den Menschen, sondern auch seine Gunst sie vor Naturkatastrophen wie Überschwemmung oder Unwetter zu schützen bzw. zu warnen.
In der Mythologie werden auch die Frau und die Töchter des Wódny muž erwähnt. Eine Familie zu gründen, erscheint irgendwie sehr menschlich. Natürlich sind auch diese Frauen bzw. Mädchen Wasserwesen, die man meist als Nixen bezeichnet, während die seltenere Bezeichnung Nix für den Wassermann kaum verwendet wird. Im Gegensatz zu dem eher hässlich und alt beschriebenen Wódny muž, sind die Frauen oft jung und hübsch.
Der Wódny muž wohnt häufig am Grund des Teiches oder Flusses und den Menschen ist es verboten sie zu sehen oder zu betreten. Eine Geschichte erzählt, dass eine Hebamme an einem Teich vorbei ging und vom Wassermann um Hilfe gebeten worden ist. Seine Frau lag in den Wehen und die Hebamme stiegt in den Teich, um zu helfen. Sie wurde für ihre Taten reich belohnt und kehrte heil aufs Trockene zurück.
Überall in der Lausitz erzählt man sich solche Geschichten, mal mit mehr oder weniger schlechten Attributen des Wódny muž. Gerade diese Ambivalenz macht ihn für Geschichten so geeignet und wandelbar.
Quellen
Schneider, Erich. Sagen der Lausitz. Eine Auswahl. 4. Auflage. Domowina-Verlag, Bautzen 1965
Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Die geistigen Impulse Ost-Europas, Urachhaus, Stuttgart 1992