Bäume in der Mythologie

„Kein Baum, so heißt es, kann in den Himmel wachsen, wenn seine Wurzeln nicht in die Hölle reichen.“

Der Schweizer Psychoanalytiker C.G. Jung fasst das Wesen der Bäume in vielen Kulturen der Welt zusammen. Bäume wachsen überall auf der Welt, daher ist es nicht verwunderlich, dass sie eine so zentrale Rolle spielen. Denken wir an Yggdrasil in der nordischen Mythologie oder den Baum der Erkenntnis aus der Bibel.  

Zahlreiche Kulturen verehren Bäume, bestimmte Pflanzen oder Gewässer als Heiligtümer. Sie sind Teil der Natur und die Menschen haben verstanden, wie abhängig sie vom Kreislauf der Natur sind. Die logische Konsequenz aus diesem Abhängigkeitsverhältnis ist eine Verehrung der Natur. Um zu überleben, nutzten die Menschen den Wald und die Tiere z.B. als Nahrungsquelle, Brennholz, Baumaterial usw. Doch sie waren sich immer auch der Verantwortung bewusst nur so viel zu entnehmen wie nötig, um keinen dauerhaften Schaden anzurichten. Da sollte sich der Mensch von heute mal ‘ne Scheibe von abschneiden.

Welche Kultur oder Religion als erstes diese Sicht auf die Natur vertrat, ist heute nicht mehr zu klären. Doch die Forschung ist sich einig, dass der Baumkult einer der ersten Kulte überhaupt war.

In der nordischen Mythologie wurde der Kosmos, also alle neun Welten, von der Weltenesche Yggdrasil zusammengehalten. Ihre Wurzeln reichen an Wasserquellen, verschiedene Tiere leben in oder auf ihr und als Ganzes symbolisiert die Esche den Himmel, die mittlere Welt und die Unterwelt. In der Edda wird berichtet, dass die nordischen Götter am Fuße Yggdrasils ihren Thing abhielten. Manche Lieder der Edda benennen andere heilige Bäume wie Mimameid oder Lärad. Man kann davon ausgehen, dass es sich dabei lediglich um andere Namen für Yggdrasil handelt. Auch die Mythologie der Finnen beschreibt eine weltumfassende Eiche, Iso tammi genannt, ähnlich wie die Weltenesche. 

Eine Legende des heiligen Bonifatius erzählt, dass eine Eiche von den dort ansässigen Germanen im heutigen Hessen dem Donnergott geweiht war und im Jahr 723 von Bonifatius selbst gefällt wurde, um an dieser Stelle eine Kirche zu errichten. Die Germanen auf dem Kontinent zeigen in ihren Kulten ebenso viele Naturverbundenheit wie die Nordgermanen, mitunter unterscheiden sich nur die Namen etwas.   

Auch die Slawen und Balten sehen eine starke Verbundenheit mit der Natur und vor allem mit Bäumen. Die Balten nennen „ihren“ Weltenbaum Austras koks, eine Eiche, die die Weltordnung und den Lauf der Sonne symbolisiert.  Im Slawentum kannte man heilige Bäume oder heilige Haine, deren Bäume nicht gefällt werden durften.  

Auch in Kulturen wie dem alten Ägypten oder Mesopotamien wurden Bäume, die den Himmel und die Erde verbinden, verehrt. Die Liste ist lang, die Namen und Geschichten unterscheiden sich meist nur minimal. Da muss man sich also fragen, ob dieser Glaube nicht eins der zentralsten Themen des menschlichen Glaubens schlechthin ist.

Die großen Weltreligionen beinhalten alle solche Elemente, angefangen mit dem Baum der Erkenntnis im Christentum, der Tubabaum in der islamischen Lehre bis zur heiligen Pappelfeige im Buddhismus.

Auch heute noch faszinieren uns Bäume. Wie kaum etwas anderes in der Natur zeigen sie uns den Lauf der Zeit, das Wachstum und das Ende, was nicht unbedingt Zerstörung bedeutet, sondern eher den Anfang von etwas Neuem. Der Erhalt und der Schutz der Bäume sichern uns ein Leben auf dieser Welt. In den letzten Jahren mussten wir uns dessen immer stärker bewusstwerden, denn wir sind nah daran den Wald und das Leben darin zu zerstören. Damit nehmen wir uns nicht nur unsere Lebensgrundlage, sondern zerstören auch den Glauben unserer Vorfahren in den Kulturen der Welt.

Quellen

Grimal, Pierre. Mythen der Völker III. Fischer Bücherei. Hamburg 1963

Stimek, Rudolf. Lexikon der germanischen Mythologie. 3. Auflage. Kröner, Stuttgart 2006

Woelm, Elmar. Mythologie, Bedeutung und Wesen unserer Bäume. Monsenstein & Vannerdat, Münster 2007

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