In der slawischen Mythologie kommen Drachen häufig vor. Sie sind aber keine slawische Erfindung. Das Wort Drache kommt vom Griechischen ‚drakōn‘- ‚Schlange‘, über das Lateinische ‚draco‘ in unseren (deutschen) Wortschatz.
Drachen sind in der Mythologie nicht per se böse. Sie treten in unterschiedlichen Gestalten auf, manche können fliegen oder Feuer spucken. Bekannt sind z.B. die Schlange Nidhöggr aus der nordischen Sagenwelt oder der Drache aus dem Nibelungenlied, der einen Schatz hütet. In diesen Fällen nehmen die Menschen die Drachen als böse wahr. Die Angst vor ihnen ist allgegenwärtig und die Menschen trachten Drachen oft nach dem Leben, wenn sie sich in der Nähe von Siedlungen aufhalten. Durch Opfergaben wie Nahrung ist es möglich die Drachen milde zu stimmen, so dass sie die Menschen in Ruhe lassen.
Die Niedersorben, ein westslawisches Volk in der Niederlausitz, kennen viele Geschichten über Drachen. Bei ihnen heißt er Plón (andere Schreibweise Plon) und ist eigentlich ein positiv besetztes Wesen, anders als beispielsweise der Wawel-Drache aus Krakau. Der Plón kann fliegen und ist in der Lausitz auf Wanderschaft. Geschichten erzählen, dass man ihn manchmal in den Abendstunden am Himmel sehen kann, wenn er auf der Suche nach einer Bleibe ist.
Der Plón gilt als Hausgeist, der durch den Schornstein auf den Dachboden oder in die Scheune fliegt und sich von den Menschen versorgen lässt. Sein Lieblingsessen ist Hirsebrei, was die Menschen ihm in einer Schüssel hinstellen, um ihn freundlich zu stimmen. Versorgt man den Plón gut, d.h. füttert man ihn regelmäßig, dann beschert er dem Haus Reichtum und Wohlstand. Doch dieser Reichtum währt nur so lange wie man sich gut um den Drachen kümmert. Verärgert oder vernachlässigt man ihn, nimmt er alles wieder mit, was er gebracht hat.
Aber der Plón bringt nicht nur Geld. Er sorgt auch für viel Getreide oder dafür, dass die Kühe oder Ziegen viel Milch geben. Logischerweise sollten die Menschen, bei denen er lebt, ihn gut behandelt, wenn sie ihren Reichtum nicht verlieren wollen. Aber einige Geschichten erzählen von genau dieser Schwäche der Menschen. Sie wissen nicht, dass der Plón ihnen den Reichtum wieder wegnimmt, wenn sie ihn schlecht behandeln. Und wird er schlecht behandelt, kehrt er nicht mehr zurück.
Eine Geschichte berichtet von einem Bauern, der den Plón mit einer List aus dem Haus treiben wollte. Er hing einen Strumpf auf den Dachboden, der ein großes Loch hatte und befahl dem Drachen ihn zu füllen. Es werde erst wieder Futter geben, wenn der Strumpf gefüllt sei. Der Plón durchschaute die List und verließ das Haus des Bauern mit allem Geld.
Man erkennt in der Geschichte sehr gut den moralischen Wert, den Sagen und Legenden meist mit sich tragen. Auf der gegenseitigen Hilfe basiert eine funktionierende Gemeinschaft, denn früher mussten die Menschen sich oft gegenseitig aushelfen.
Die Faszination für Drachen füllt bis heute die Seiten vieler Bücher und manchmal überlebt die Legende auch in Ortsnamen. Der kleine Ort Drachhausen im Landkreis Spree-Neiße im Bundesland Brandenburg ist stolz auf „seinen“ Drachen. Er weilt als Skulptur auf dem Dorfanger und ziert sogar das Drachhausener Wappen. In der Geschichte des Ortes heißt es, dass er bei einem Bauer lebte, dessen Frau den Brei des Drachen verbrannte, worauf der Drache den Hof und die Kirche des Ortes zerstörte.
Dieses Gleichgewicht von Gut und Böse ist ein typisches Motiv in der Mythologie. Verschiedene Taten fallen immer wieder auf uns zurück. Tun wir Gutes, widerfährt uns Guten und umgekehrt. Welches Kind ist nicht voller Ehrfurcht, wenn es an die Geschichten mit Drachen denkt. Der erzieherische Charakter schwingt immer mit.
Die Faszination für diese mythischen Wesen bleibt uns erhalten, ob wir an ihre Existenz glauben oder nicht, spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Quellen
Schneider, Erich (Hrsg.). Sagen der Lausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 1982
Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1993