Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen. Seit meiner Schulzeit umgeben mich viele Sprachen, neben meiner Muttersprache Deutsch. Ich bin kurz nach der Wende eingeschult worden, in einem Bezirk im ehemaligen Ostteil Berlins. In meiner Grundschule war das Thema Mehrsprachigkeit oder sprachliche Verschiedenheit nicht präsent, zumindest kann ich mich nicht erinnern. In der fünften Klasse bekamen wir einen neuen Mitschüler aus der Türkei. Er wirkte auf uns sehr exotisch, sein Deutsch war gebrochen und wir mieden ihn. Er hatte es wirklich schwer bei uns.
Auch nach dem Wechsel auf die Oberschule rückten Sprachen und Mehrsprachigkeit vermehrt in meinen Fokus. Ich lernte zwar weiterhin nur Englisch, aber in meiner Klasse traf ich auf neue Mitschüler*innen u.a. mit vietnamesischen und kurdischen Wurzeln. Vielleicht lag es daran, dass die Bezirke meiner Grundschule und meiner Oberschule sehr unterschieden. Und auch die Zeiten ändern sich. Je älter ich wurde, desto spannender erschienen mir Sprachen. Und das Thema Sprachen nimmt mittlerweile einen Großteil meines Lebens ein.
Vor kurzem war ich für ein Workshop-Projekt in einer Neuköllner Grundschule in Berlin. Die Schule veranstaltete gerade eine Schulprojektwoche zum Thema ‚Weltreise‘. Jede Klasse wählte ein Land und beschäftigte sich die ganze Woche mit landestypischer Kultur, Geografie, Sprache usw. Unser Workshop beschäftigte sich mit Polen. Die Kinder lernten etwas über das Land, Sehenswürdigkeiten und natürlich ein wenig Polnisch. Dabei kam das Gespräch auch auf die Sprachen der Kinder bzw. der Klasse. Wir fragten welche Sprachen die Kinder sprechen und die Antworten der Kinder spiegelten eine typisch Berliner Schule wider: Arabisch, Englisch, Rumänisch, Türkisch, Deutsch, Iranisch (ich denke, es war Farsi gemeint) und Italienisch. Unsere kleinen Spiele zum Polnischen haben alle Kinder begeistert aufgenommen, sie gingen ganz unbefangen und neugierig an die Sache heran. Ich war begeistert!
Nach dem Workshop habe ich viel über dieses mehrsprachige Klassenzimmer nachgedacht. Unter Sprachwissenschaftler*innen ist es allgemein bekannt, dass Mehrsprachigkeit von Schülern weltweit die Norm ist, auch bei den Schüler*innen der Neuköllner Grundschule.
Doch warum wird Mehrsprachigkeit in der Schule von vielen Menschen als Lernhindernis gesehen? Warum hört man in den Medien immer wieder von einer ‚Deutschpflicht‘ auf dem Schulhof?
Eins vorweg: Mehrsprachigkeit ist NICHT schuld an Lernrückständen oder fehlender Integration!
In Europa sind historisch gesehen viele monolinguale Staaten entstanden, zumindest auf dem Papier. Je nach politischem System werden den anderen Sprachen mehr oder weniger Freiraum eingeräumt und Minderheitensprachen geschützt. Die letzten Jahrzehnte im Zuge der EU-Erweiterung wurden auf höchster politischer Ebene viele Sprachen als Amtssprachen der EU hinzugewonnen. Doch trotzdem sind viele Sprachen, unabhängig ob sie Amtssprachen der EU sind, in den Augen vieler Menschen nicht gleich viel wert.
Aus wissenschaftlicher Sicht sind alle Sprachen gleichwertig, aber die Gesellschaft schafft andere Tatsachen. Die altbekannte Aussage ‚In Deutschland wird Deutsch gesprochen!‘ ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, denn sie suggeriert ein unrealistisches Bild unserer Gesellschaft. Logischerweise braucht man in Deutschland Deutschkenntnisse, um sich barrierearm verständigen zu können. Auch in der Schule sind Deutschkenntnisse wichtig, um dem Unterricht folgen. Das deutsche Schulsystem ist leider nicht auf die Mehrsprachigkeit der Schüler*innen eingerichtet. Dazu fehlen, wie so oft, Personal und andere Ressourcen.
Schon früh werden die Kinder in der Grundschule mit Fremdsprachen vertraut gemacht. Die Politik hat längst erkannt, dass Sprachen ein Schlüssel zur wirtschaftlichen Stärkung des Landes sind. Doch welche Sprachen sollten, neben Deutsch als allgemeine Unterrichtssprache, angeboten werden? Meistens ist Englisch die erste Wahl. Als erste (Schul-)Fremdsprache der Mehrheit und als die Verkehrssprache der Welt, liegt dies sehr nahe. Die anderen modernen Fremdsprachen wie Spanisch oder Französisch usw. kommen meist erst später. Der Großteil der Familiensprachen von Schüler*innen in Deutschland werden wenig bis gar nicht beachtet. Je nach Schulprofil finden sich AGs oder Projekte, die sich mit Sprachen wie Türkisch, Paschtu oder Arabisch beschäftigen, doch sie sind rar gesät.
Erstsprachen, egal welche, prägen einen Menschen, schaffen Identität und geben Halt. Wie sollen sich Menschen, v.a. Kinder, entwickeln, wenn ihre Sprachen nicht präsent sind? Gehen wir nochmal zu dem Punkt der ‚Deutschpflicht‘ auf dem Schulhof zurück…Was ist der Grund für solche Maßnahmen? Offiziell soll es den Kindern helfen schneller Deutsch zu lernen, doch welches Kind unterhält sich z.B. mit einem Freund oder einer Freundin gebrochen auf Deutsch, wenn sie beide eine andere Erstsprache wie Albanisch haben? Der Zwang Deutsch zu sprechen, wird die Kommunikation eher bremsen und das Gefühl vermitteln, dass die Erstsprache es nicht wert sei in der Schule gesprochen zu werden. Welche Beziehung bauen Kinder dann zur deutschen Sprache auf?
Ich bin mir bewusst, dass es nicht möglich ist jede Sprache in der Schule zu repräsentieren. Das ist auch nicht der Punkt. Aber wir müssen aufhören in Sprachschubladen zu denken. Die Art, wie Kinder mit Sprachen umgehen, ist viel reflektierter als bei uns Erwachsenen. In unserem Workshop waren alle Kinder voll dabei als es um die polnische Sprache ging. Sie haben sich einfach darauf eingelassen, probiert und über ihre ‚Fehler‘ gelacht. Einige haben sogar Parallelen zu ihren Erstsprachen gezogen (Aus meiner Sicht als Sprachwissenschaftlerin ein absolutes Highlight!).
Diese spielerische und entdeckerische Art mit Sprache umzugehen, wünsche ich mir in den Schulen! Denn die Kinder lernen alles, auch Deutsch, wenn man ihnen Raum lässt und ihre Neugier unterstützt. Ich bin mir bewusst, dass diese Art des Unterrichtens schwer überall in der Praxis umzusetzen ist, aber ich bleibe in der Hinsicht Optimistin!