Die Heimat zu verlassen, fällt keinem Menschen leicht. Doch gibt es immer wieder Gründe es zu tun. Im 19. Jahrhunderts ließen viele Menschen aus ganz Europa ihr altes Leben zurück und versuchten einen Neuanfang. Die Gründe für diesen Schritt sind vielfältig: schlechte wirtschaftliche Verhältnisse, keine Berufsperspektiven, Glaubensfragen usw.
Im Siedlungsgebiet der Sorben, entweder zu Preußen oder Sachsen gehörend, kamen viele Gründe für die Auswanderung zusammen. Besonders die wirtschaftliche Not und die Uneinigkeit der Kirche setzten den Menschen zu. Die Berichte von erfolgreichen Auswanderern und ihrem Wohlstand wirkte verführerisch. Die typischen Auswanderungsländer wie Australien und Amerika standen auch für religiöse Freiheit, was für die Sorben ein wichtiger Baustein ihres Lebens darstellte.
Die ersten sorbischen Auswandererwellen nach Australien in den späten 1940er Jahren schürten die Sehnsucht der Daheimgebliebenen. Doch schon bald kamen Briefe aus der neuen Welt, die sehr ernüchternd klangen. Die Auswanderer hatten mit Problemen wie fehlenden Sprachkenntnisse, Geldengpässe und dem ungewohnten Klima zu kämpfen. Dies waren u.a. Gründe die geplante Auswanderung von Australien nach Amerika zu ändern. Die Reise war wesentlich kürzer und damit günstiger, sodass sich 1853 die erste kleine Gruppe von Sorben auf die Reise nach Texas machte. Sie reisten von Bautzen nach Bremen und bestiegen in Bremerhaven die „Reform“. Kurz vor der Ankunft lief das Schiff an der kubanischen Küste auf einen Felsen. Die Passagiere wurden gerettet, doch ihr Hab und Gut versank ins Meer. Die Schiffbrüchigen wurden mit Hilfe der Deutschen Gesellschaft in Havanna versorgt und mit bescheidenem Geldbeträgen ausgestattet, so dass sie ihre Reise fortsetzen konnten. Ihre Zielorte New Ulm und Industry erreichten sie unbeschadet. Die kleine Gruppe schrieb Briefe nach Hause, in denen sie die günstigen Lebensbedingungen beschrieben und so die Daheimgebliebenen in größerer Zahl zur Auswanderung ermunterten.
Die größere Gruppe, bestehend aus 558 Personen, machte sich nach langer Vorbereitungszeit im August 1854 auf die Reise. Sie hatten nicht nur ihre Habseligkeiten dabei, sondern auch eine Sammlung sorbischer religiöse Bücher und eine Glocke für die dort geplante Kirche. Als Geistlicher begleitete Jan Killian die Auswanderer. Die Reise war von vielen Todesfällen überschattet, meist Cholera und Masern. Im Dezember kam die Gruppe in Hafen von Galveston in Texas an und brach nach einer kurzen Rast in Houston in Richtung New Ulm auf. Dort konnten die vielen Menschen auf Dauer nicht leben, so sah man sich nach einer Möglichkeit, um Land für einen eigene Siedlung zu erwerben. Fündig wurden die Sorben circa 30 Kilometer von New Ulm entfernt. Das Land war bewaldet, es gab Flüsse, jedoch eignete sich der Boden nur bedingt für die Landwirtschaft. Doch da die finanziellen Mittel der Siedler begrenzt waren, blieb ihnen nichts anderes übrig. Jede Familie bekam je nach finanziellen Mitteln ein Stück Land zugewiesen. Die Siedlung wurde Serbin genannt, eine Ableitung der sorbischen Abstammung.
Die Sorben hatten die ersten Jahre stark zu kämpfen: das ungewohnte Klima, der karge Boden, auf dem sich fast nur Mais und Baumwolle anbauen ließ, und das Heimweh. Ein Vorteil bot das Weideland, auf dem sich das Vieh selbst versorgte. Doch die Erträge waren knapp und die wenigsten brachten es zu Reichtum. Die Probleme beschränkten sich nicht nur auf die Landwirtschaft. Auch in Fragen der Religion traten Schwierigkeiten auf. Einige Sorben wendeten sich von Killian als geistigen Führer ab, suchten in den umliegenden Gemeinden nach seelischem Beistand.
Der amerikanische Bürgerkrieg 1861 veränderte das Leben der Sorben von Grund auf. Texas gehörte den Konföderierten an, die weiter Sklaven halten wollten. Schon das allein widerstrebte den Sorben grundsätzlich, doch nun mussten sie als Bürger ihrer Wehrpflicht nachkommen und Kriegsdienst leisten. Zahlreiche Gefallene hatte die Serbiner Gemeinde zu beklagen. Doch in einem Punkt profitierten die Sorben von dem Bürgerkrieg, denn sie konnten ihre Baumwolle jetzt zu besseren Konditionen über Mexiko in alle Welt verkaufen. Während des Krieges vergrößerte sich die Bevölkerungszahl Texas, denn die Kampfhandlungen geschahen woanders. Viele Deutschstämmige zogen zu und so wurde das Sorbische Schritt für Schritt zur Sprache der Minderheit. Die Sorben und Deutsche lebten fortan in ständigem Zwist, die in eine Spaltung der Gemeinden in eine deutsche und eine sorbische mündete. In den Jahrzehnten nach dem amerikanischen Bürgerkrieg kamen immer weiter Sorben nach Amerika, besonders nach Serbin und Umgebung. Es entstanden zahlreiche Siedlungen wie Fedor, Warda oder Lincoln.
Die Behörden in der Lausitz sahen mit Unbehagen zu wie weitere Gruppen das Land verließen, was v.a. die Niederlausitz vor ein wirtschaftliches Problem stellte. Vor allem die strikte antisorbische Politik Preußens veranlasste die Menschen immer weiter zu diesem Schritt.
Trotz der sorbischen Siedlungen entwickelte sich das Deutsche zur dominanten Sprache, in der Kirche wie in der Verwaltung, obwohl die Deutschen zahlenmäßig unterlegen waren. Die neuen sorbischen Siedler aus Deutschland waren zweisprachig, so dass Deutsch von fast allen verstanden wurde. Vor allem die „alteingesessenen“ sorbischen Siedler fühlten sich von der deutschen Sprache und der Dominanz der Deutschen ausgegrenzt. So nahmen die sorbischen Gottesdienste immer mehr ab, nur in Serbin blieben sie bestehen. Dort hielt man auch am sorbischen Schulunterricht fest. Die Kinder lernten zusätzlich Deutsch und Englisch.
Das Sorbische wurde zur Familiensprache, während Deutsch und Englisch die Umgebungssprachen im öffentlichen Leben wurden. Diese Assimilation der Sorben verlief ähnlich wie die in der Lausitz. Innerhalb von zwei Generationen war bei fast allen Texaner Sorben Deutsch die Erstsprache.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, verstärkt nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, verschob sich die Sprachnutzung dann von Deutsch zu Englisch, auch die Kirchen- und Verwaltungssprache wurde auf Englisch umgestellt.
Während die Sprache schwand, hielten sich die sorbischen Bräuche und Traditionen noch lange. Die kirchlichen Feiertage und Hochzeiten wurden nach sorbischer Art gefeiert. Auch die Mythen und Legenden aus der Heimat wie die Mittagsfrau (Pśezpołdnica) oder der Wassermann (Wódny muž) waren Bestandteil der sorbisch-texanischen Kultur. Auch Bücher und Zeitungen in Sorbisch gelangten regelmäßig nach Texas, vor allem religiöser Werke. Der Druck einer eigenen sorbischsprachigen Zeitung in Texas verlief nicht erfolgreich.
Die Verbindungen der Texaner Sorben in die Heimat beschränkte sich meist auf Briefe. Heute erinnern meist nur noch einzelne Grabsteine und die Ortsnamen an das Erbe der Sorben. Aber in den letzten Jahren haben sich einige Texaner Interesse an ihrer sorbischen Herkunft und Geschichte entwickelt und nehmen wieder erste Kontakte zu sorbischen Institutionen in Deutschland auf.
Quellen
Kunze, Peter. Kurze Geschichte der Sorben. Ein kulturhistorischer Überblick. Domowina Verlag, Bautzen 2017
Malinkowa, Trudla. Ufer der Hoffnung. Sorbische Auswanderer nach Übersee. Domowina-Verlag. Bautzen 1995