Schreiben als Kulturtechnik

Schreiben, egal ob mit der Hand oder technischen Mitteln, erscheint uns heute als Selbstverständlichkeit. Doch Schreiben ist keine angeborene Fähigkeit, sondern muss von uns mühsam erlernt werden. Es geht meist einher mit Lesen lernen. Beide gelten als elementare Techniken der Menschen. Es gibt aber auch (Sprach-)Gemeinschaften, die ohne Schrift und das Schreiben leben, genannt Illiteralität.

Schon der die Herleitung des Begriffs ‚Schreiben‘ zeigt, wie sehr sich diese Tätigkeit wandelt. Abgeleitet vom Lateinischen ‚scribere‘- ‚mit einem Griffel in eine Tafel ritzen‘ über das Althochdeutschen ‚scriban‘ haben sich Schrift und Schreibutensilien komplett verändert.

Wann die ersten Menschen schrieben, lässt sich nur ungefähr auf einige Jahrtausende v.Chr. schätzen, wahrscheinlich sind die heute als älteste geltende Schriftdenkmäler doch nicht die ersten. Man hat Schriftstücke auf Stein, Holz, Leder oder Metall gefunden. Gerade Holz oder Leder sind je nach Umgebungsbedingen nicht gut konserviert. Auch der berühmte Papyrus währt nicht ewig. Die Schreibutensilien variieren, je nachdem ob die Schrift geritzt, gemeißelt oder gemalt wurde.

Schreiben war zu Beginn eher eine kulturelle Handlung, wichtig für Rituale oder Kultgegenstände. Man kann davon ausgehen, dass nur wenige Menschen einer Gemeinschaft in der Kunst des Schreibens unterrichtet waren. Im Laufe der Zeit erwarben auch ‚normale‘ Menschen die ‚Kunst‘ des Schreibens, soweit, dass man aus Freude am Schreiben schrieb. Man schreibt an Leser*innen, die den Text vielleicht erst später lesen würden wie in Briefen. Auch die Fähigkeit Gedanken anderer,  auch fiktiver Personen, zu verschriftlichen erfordert Übung und massive kognitive Kapazitäten.

Mit Gründung von Verwaltungseinheiten wie Städte etc. wurde die Schrift und die Fähigkeit Informationen auf einem Medium festzuhalten unumgänglich für die Verwaltung. Mit der Größe der Menschheit stieg der Wirtschaftszweig, der sich mit dem Schreiben, den nötigen Utensilien und der Weitergabe des Wissens beschäftigte.

Theoretisch kann man heute alle beliebigen Informationen schriftlich festhalten, egal ob Briefe, Noten, Rechenwege, selbst simpel erscheinende Einkaufszettel.

Wie schreiben wir eigentlich? Warum fällt es uns als Grundschulkindern oft so schwer zu schreiben? Die Antwort wurde oben schon erwähnt: Schreiben ist nicht angeboren, sondern erlernt. Die Prozesse, die wir durchlaufen müssen, um Sprache in Schrift umzuwandeln, sind vielfältig.

Nehmen wir die Bausteine mal auseinander: Wir müssen Wissen und eine Sprache erwerben, bevor wir es aufschreiben können. In der jeweiligen Sprache lernen wir während des Schreibprozesses die wichtigsten Regeln zur Orthografie, Wortschatz und Textsorten. Normalerweise lesen wir nach dem Schreiben das Geschriebene, also brauchen wir einen bestimmten Grad an Lesekompetenz zur Überprüfung des Geschrieben. Und, ganz wichtig und mir in sehr guter Erinnerung, müssen wir lernen mit einem Schreibwerkzeug die Schrift auf ein Medium zu bringen. Unser Gehirn ist während so gefordert alle Aspekte des Schreibens umzusetzen, dass sich die Hand krampfhaft um den Stift krallt, manchmal so doll aufgerückt wird, dass wir unsere Buchstaben noch auf den nächsten zehn Seiten lesen können und wir kaum ansprechbar sind. Zu Beginn ist die Auge-Hand-Koordination schier unüberwindlich. Doch schon nach einiger Übung fliegen unsere Stifte über die Heftseiten und die meisten von uns sind fasziniert vom Schreiben. Haben wir die Fähigkeit schreiben erworben, verfeinern wir sie immer weiter. Wir schreiben Gedichte, Erzählungen, überlegen uns Überschriften usw. Daraus entsteht Literatur, die zwar eine Kunstform darstellt, aber nur durch den Erwerb einer Fähigkeit abhängt.

Das Konservieren von Wissen wird heute immer durch Verschriftlichung jeglicher Art gewährleistet. Sich Dinge zu merken, ohne sie aufzuschreiben, erscheint uns fast unmöglich.

Während einige Gemeinschaften keine Schrift und das Schreibens kennen, gibt es auch in Gesellschaften mit Schrift Menschen, die trotz Schulbildung oder durch individuelle Einschränkungen nicht schreiben, und oft auch lesen, können (Hier muss man zwischen fehlende Schreibfähigkeit und Schreibkompetenz unterscheiden.). Je nach Gesellschaft geht man von fünf Prozent aus, genaue Zahlen liegen aufgrund der hohen Tabuisierung nicht vor.

Bisher stand der Inhalt des Geschriebenen im Fokus, doch ähnlich wie bei dem Ursprünglichen Sinn des Schreibens, gibt es auch Kunstformen wie die Kalligrafie, die sich mit der Kunst der Schrift beschäftigt. Das erinnert ein wenig an die Note, die wir früher für unsere Handschrift bekommen haben. Doch egal, wie wir schreiben, oftmals denken wir kaum noch darüber nach. Wir denken erst darüber nach, wenn wir beispielsweise eine neue Schrift lernen, die uns in den mühsamen Prozess der Grundschule zurückbringt und uns daran erinnert wie komplex das Schreiben doch ist.

Quelle

Haarmann, Harald. Geschichte der Schrift. (= C.H. Beck Wissen. Band 2198). München 2002

Bräuer, Gerd. Schreibend lernen. Grundlagen einer theoretischen und praktischen Sprachpädagogik. Studienverlag, Innsbruck 1998.

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