In jeder Mythologie findet man Drachen, unabhängig vom Kulturkreis. In der slawischen Mythologie wimmelt es geradezu von Drachen. Anders als im Deutschen, wo der Name vom Griechischen ‚drakōn‘- ‚Schlange‘ abgeleitet ist, findet man in den slawischen Sprachen die slawische Entsprechung für Schlange: poln. Żmija, russ. Змей (zmej) oder kroat. Zmaj usw. Die abweichende Bezeichnung ‚Smok‘, wie beim Wawel-Drachen, ist in Polen sehr verbreitet.
In der Mythologie der Slawen werden weibliche und männliche Drachen unterschieden. Weibliche Drachen sind Wasserwesen oder wohnen unterhalb der Erde. Männliche Drache werden eher mit Luft und Feuer assoziiert, sie können fliegen und speien Feuer. Beide wirken wie zwei Gegensätze bzw. ergänzen die vier Elemente Erde, Feuer, Luft und Wasser miteinander zu einem großen Ganzen. Ihr Aussehen ähnelt sich: Groß, geschuppt, aber verschieden farbig und auch die Kopfanzahl ist variabel.
Die slawische Mythologie ist nicht überall gleich. Es gibt mehrere, oft ähnlich erscheinende, kleinere Kulturkreise, in denen man verwandte Wesen und Gottheiten findet. Sie lassen auf einen gemeinsamen Ursprung schließen, jedoch spielen andere Einflüsse eine große Rolle.
Schon allein der Gedanke an Drachen lässt die Menschen an das ultimative Böse denken. Die Eigenschaften von Drachen sind aber verschieden und abhängig vom Kulturkreis. Die Dämonisierung ist auch Teil des christlichen Glaubens, der Drachen mit dem Teufel gleichsetzt. Das führte u.a. dazu, dass ein ursprünglich mit positiven Eigenschaften besetztes Wesen wie ein Drache, plötzlich als böse angesehen wurde. Eine bekannte Geschichte ist die vom Heiligen Georg, der einen Drachen tötet, damit sich die Menschen dem Christentum zuwenden. Das Narrativ des Kampfes Gut gegen Böse mit dem Drachen als absolut Böses kommt immer wieder vor.
Im südslawischen Raum kennt man Drachen mit mehreren Köpfen, die Zahl variiert von Region zu Region, und er richtet mit seinem Feuer große Schäden an. Das erinnert an den Wawel-Drachen in Krakau. Auch er terrorisierte die Menschen und wurde am Ende durch eine List getötet. Eine Legende im russischsprachigen Raum erzählt von dem Drachentöter Dobrynja Nikititsch, dessen Taten sich u.a. mit dem deutschen Helden Siegfried vergleichen lassen.
Doch es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Drachen in der slawischen Mythologie ausschließlich böse seien. Vor allem die weiblichen Drachen werden durch die Assoziation mit Wasser und Erde als Teil der lebendigen Natur, der Vegetation und der Ernte angesehen. Es war wichtig sich mit diesen Wesen gut zustellen, sie zu füttern und zu ehren.
In der sorbischen Sagenwelt gibt es Plón, einen fliegenden Drachen, der den Menschen wohlgesonnen ist, solange sie ihn füttern. Er sorgt dann für einen Geldsegen im Haus oder auch für eine gute Ernte. Behandelt man ihn schlecht, verschwindet er aus dem Haus und mit ihm der Reichtum. Diese Legende ist auch im deutschen Raum bekannt, v.a. im ostdeutschen Raum, was für eine Übernahme der Geschichte aus der sorbischen bzw. elbslawischen Sagenwelt spricht.
Bis heute hält sich die Faszination für Drachen. Sei es in Filmen wie ‚Der Hobbit‘, wo der Drache Smaug viele typische Elemente in sich vereint, oder in freundlicher Version wie ‚Der kleine Drache Kokosnuss‘, ein Star der Kinderbuchliteratur.
Quellen
Canby, Sheila R.: Drachen. In: John Cherry (Hrsg.): Fabeltiere. Von Drachen, Einhörnern und anderen mythischen Wesen. Reclam, Stuttgart 1997
Sächsische Sagen. Regionale Legenden und Geschichten, Verlag Tosa, Wien 2017