Bündnerromanisch

Die meisten Länder haben nur eine, höchstens zwei Amtssprachen. Anders in der Schweiz, wo es vier Amtssprachen gibt: Deutsch, Französisch, Italienisch und Bündnerromanisch.

Die kleinste der vier Sprachen, Bündnerromanisch, gehört zur Familie der romanischen Sprachen und ist mit knapp 60 Tausend Sprecher*innen eine gefährdete Sprache. Sie wird im v.a. im Kanton Graubünden, im Osten des Landes, gesprochen.

Es existieren heute fünf unterschiedliche Varietäten: Surselvisch, Sutselvisch, Surmeirisch, Puter und Vallader. Die Standardschriftsprache für den offiziellen Schriftverkehr, seit 2001, nennt man Rumantsch Grischun.

Die verbreitete Bezeichnung ‚rätoromanisch‘ ist eigentlich nicht korrekt, denn die in Graubünden gesprochene Sprache heißt genauer gesagt Bündnerromanisch. Spricht man von rätoromanischen Sprachen, sind auch Ladinisch (in Südtirol) und Friaulisch (gesprochen im Nordosten Italiens an der Grenze zu Slowenien) gemeint.

Die Verbreitung des Bündnerromanisch beschränkt sich heute auf Graubünden. Die Unterwerfung der in diesem Gebiet siedelnde Stämme durch die Römer verdrängte die angestammte Sprache und es entwickelte sich im Laufe der Zeit eine Romanisierung. Heute findet man noch vereinzelte Wörter, deren Ursprung nicht im Lateinischen liegt und daher aus der vorrömischer Zeit stammen könnten.

Ab dem 8. Jahrhundert drängte das Deutsche nach Graubünden, es entstand eine Spaltung der Sprachen nach gesellschaftlicher Stellung. Das Bündnerromanisch wurde zumeist von einfachen Leuten gesprochen und daher von vielen nicht wertgeschätzt. 

Es ist hinsichtlich dieses Prestigeverlustes kaum verwunderlich, dass die ersten schriftlichen Quellen, meist übersetzte Predigten, erst ab dem 16. Jahrhundert angefertigt wurden bzw. erhalten sind. Die Wirren der Reformation haben zur Standardisierung des Bündnerromanischen geführt, obwohl die Sprechergruppe kaum politische Macht besaß. Wichtige Dokumente oder Werke wurden in deutscher Sprache verfasst und nur selten übersetzt.

Die Zugehörigkeit zu den italischen Sprachen wurde von den italienischen Faschisten als Vorwand genutzt diese Gebiete Italien zuzusprechen, wogegen sich die Menschen in Graubünden wie auch dem Kanton Tessin erfolgreich wehrten. Um diese Einheit mit den anderen Schweizer Kantonen zu unterstreichen, erfolgte 1938 die Anerkennung des Bündnerromanisch als vierte Amtssprache der Schweiz.

In den letzten Jahrzehnten nahm die Anzahl der Sprecher*innen immer weiter ab. Seit der Einführung des Rumantsch Grischun als Schriftsprache, auch in den Schulen, gibt es viele Diskussionen, ob die Varietäten dadurch weiter abbauen. Der Dachverband Lia Rumantscha vereint die verschiedenen Institutionen, die sich mit der Pflege von Kultur und Sprache beschäftigen.

Quelle

Liver, Ricarda. Rätoromanisch – Eine Einführung in das Bündnerromanische. Gunter Narr, Tübingen 1999

Romanisch – Facts & Figures (Memento vom 10. Oktober 2006 im Internet Archive)

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*