Sibirien ist ein Begriff, den die meisten mit Eis, Schnee und Kälte verbinden. Doch in diesem scheinbar unendlichen Land mit sehr wenigen Bewohnern findet man uralte Mythen und Legenden, die Verbindungen mit der Mythologie der Finnen und anderen finno – ugrischen Völker zeigen.
Die Besiedlung Sibiriens ist wie ein Schmelztiegel unterschiedlichster Völker; Skythen, Samojeden, Jukaten, Komi, Magyaren, Nenzen u.v.m. Sie alle siedelten in verschiedensten Gebieten Sibiriens und prägten die Kultur. Einige, wie die Magyaren, verließen ihre Heimat wegen fehlender Nahrungsgrundlage, Kriegen u.a. Die schiere Weite der Landschaft macht es kaum möglich von der einen sibirischen Mythologie zu sprechen, denn die Trennung der Völker hat eine Individualität und Vielfalt hervorgebracht, die das Wort ‚Eingrenzung‘ nicht zulässt.
Historisch muss man auch noch die Eroberung Sibiriens durch von Westen kommenden Russen (gemeint ist hier der ostslawische Stamm der Russen, der sich abermals aus kleineren Stämmen zusammensetzt) ab dem 16. Jahrhundert, deren ethnische Herkunft einen andere als die der sibirischen Völker war. Während die sibirischen Völker zahlenmäßig klein waren, wuchs die Zahl der sie umgebenden stetig und führte oft zu einer Anpassung von Sprache und Kultur. Die Parallelen der sibirischen und slawischen Mythologie könnten aufgrund dieser Anpassung zustande gekommen sein, bewiesen ist es nicht, da schriftliche Quellen aus der frühen Zeit, vor allem vor den Missionierungen, fehlen.
Wie jede Kultur ranken sich um die Weltschöpfung und das Universum viele Geschichten. Die Welt ist in drei Stufen, oben-mittel-unten, bzw. in Schichten geteilt. Drei Bäume, eine Birke, eine Lärche, eine Eiche, durchziehen alle Schichten. Das erinnert an den Weltenbaum Yggdrasil aus der nordischen Mythologie. Auch die Schaffung von Pflanzen, Tieren und Menschen aus Erde oder Körperteilen von Riesen o.ä. erinnert daran.
In vielen sibirischen Völkern gibt es ein Schöpfungspaar, oft Mann und Frau oder zwei Brüder, die in einem Wettkampf zueinander stehen, wer der bzw. die Stärkste sei und Großes auf der Erde vollbringen. Man findet in den Geschichten die Paare ‚Num und Ngaa‘, ‚Ülgün und Erlik‘ oder auch ‚Buchan und Cholmus‘. Sie wettstreiten miteinander, versuchen die Taten des anderen zu übertreffen
Bei den Sibiriern stellen Schamanen die Verbindung zwischen der Irdischen und den Göttern dar. Sie sind Beschützer der Menschen, führen Schutzzauber für Tier und Mensch durch und übermitteln die Aufgaben, die die Götter für die Menschen haben. Auch die Interpretation von Naturphänomenen gehören in das Aufgabengebiet der Schamanen, denn nur sie stehen ja mit den Göttern in Verbindung. Die Komplexität der schamanischen Rituale ist erstaunlich und unterscheiden sich je nach Region.
Der Himmel mit all seinen Himmelskörpern wie Sonne, Planeten und Monde spielen je nach Volk unterschiedlich wichtige Rollen, auch Sternenbilder wie der Große Bär treten in Geschichten auf. Die Ähnlichkeiten von Göttern mit Attributen wie Blitz oder Hammer sind wahrscheinlich nicht zufällig und werden mit dem Männlichen assoziiert. Dem Mond und der Sonne werden magische Kräfte nachgesagt, sie können Krankheiten heilen und sogar Tote wiedererwecken.
Die Erde, mit dem Weiblichen assoziiert, wird als Spenderin des Lebens aller Geschöpfe auf Erden verehrt. Viele Völker benennen sie verschieden u.a. Ätügän, Umai oder Itchitä, Ynachsyt und Ajysyt, die sich die Aufgaben der Erdgöttin zu dritt teilen. Oft wird auch das Feuer mit dem Weiblichen verknüpft, vielleicht in Anlehnung an die Flamme des Lebens oder des Herdes, der traditionell in das Aufgabengebiet der Frau fällt.
Auch die Tiere wie Hirsche, Adler, Elche, Fische usw. tragen Geister in sich, die den Göttern dienen. Oftmals fungieren Tiere als Verbindung zwischen Himmel, Erde und Wasser.
Gerade das Wasser bzw. die Gewässer spielen eine große Rolle in den Mythen der Sibirier. In ihnen leben Ungeheuer oder Tote, herrschen böse Götter, die mitunter Krankheiten schicken. Den Vögeln, die an Gewässern leben, werden ähnlich böse Eigenschaften nachgesagt. Flüsse, als fließende Gewässer, bringen die Toten ins Totenreich. Doch bringen sie durch Bewegung auch Bewegung ins Leben der Menschen, es ist dynamisch. Selbst der Tod ist im Glauben der Sibirier nicht endgültig. Die Schamanen können sich zwischen diesen Welten bewegen.
Die Überlieferungen des alten Wissens wurde durch die europäische Besiedlung Sibiriens und die Anpassung an deren Lebensstil im Laufe der Zeit immer schwieriger. Die kleinen Völker haben kaum die Möglichkeit ihre Kultur weiterzugeben, was vor allem an den fehlenden rechtlichen Gegebenheiten liegt. Der Kampf um die Anerkennung und rechtlicher Schutz ihrer Kultur ist ein Kampf gegen Windmühlen.
Quellen
Gorbatcheva, Valentina & Federova, Marina. Die Völker des Hohen Nordens. Kunst und Kultur Sibiriens. Parkstone Press, New York 2000
Grimal, Pierre. Mythen der Völker III. Fischer Bücherei. Hamburg 1963
Korn, Viviana. Schamanismus. In: Kurzinformation Religion des Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes e. V., Marburg 2010