Viele polnische Schriftstellerinnen sind in Polen bekannt, doch das Ausland beachtet sie kaum. Eine davon ist Zofia Nałkowska, deren Werke nicht nur zahlreich, sondern auch Pflichtlektüre an polnischen Schulen sind.
Zofia Nałkowska wurde am 10. November 1884 in Warschau geboren und wuchs zusammen mit ihrer Schwester Hanna behütet auf. Sie studierte Geschichte, Geografie und Linguistik an einer ‚fliegenden‘ Universität, polnisch Uniwersytet Latający, denn Warschau lag damals im Russischen Reich und Bildung war für die meisten Polen nur über solche Untergrunduniversitäten möglich.
Schon als 14-Jährige begann sie ihre produktive Schreibarbeit und sie veröffentlichte Gedichte in Zeitungen. Rasch danach folgten Romane und Kurzgeschichten. In ihnen beschäftigte sich Nałkowska überwiegend mit dem damaligen Frauenbild und dem aufkommenden Feminismus. Der Liebe zur Prosa blieb sie zeitlebens treu. Ihre Schreibtätigkeit weitete sie aus und arbeitete für verschiedene fortschrittlich geprägte Zeitungen. 1904 heiratete Nałkowska den Journalisten Leon Rygier, lebte in Wołomin und Kielce. Die Ehe hielt allerdings nicht lange und wurde 1918 geschieden.
Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete sie für die polnische Regierung, wohnte wieder in ihrer Heimatstadt Warschau und reiste durch Europa. Ihre zweite Ehe mit Jan Jur-Gorzechowski, von 1922–1929, verlief leider auch nicht glücklich.
Mitte der 1930er Jahre zog Nałkowska mit ihrer Mutter in eine Wohnung und zusammen betrieben sie einen kleinen Laden, der ihnen in der Besatzungszeit den Lebensunterhalt sicherte. Während dieser Zeit waren keine Publikationen möglich, doch hatte Nałkowska sich schon vorher einen Namen gemacht, der ihr nach 1945 die erneute schriftstellerische Tätigkeit möglich und lohnenswert machte.
Nałkowska war, schon immer, sehr patriotisch. Daher verwundert es nicht, dass sie nach 1945 als einer der ersten an der Aufklärungsarbeit der deutschen Verbrechen in Polen beteiligt war. Ihre 1946 erschiene Sammlung ‚Medaliony‘ (dt. ‚Medaillons‘) beschreibt ihre Eindrücke u.a. aus dem Konzentrationslager Ausschwitz, das sie im Rahmen ihrer Tätigkeit bei einer internationalen Untersuchungskommission zu den Verbrechen der Wehrmacht in Polen besuchte, und aus Erzählungen von Überlebenden des Holocausts. Diese acht Kurzgeschichten gehören heute zur Pflichtlektüre an polnischen Schulen. Das ist umso überraschender, weil nicht nur die deutschen Verbrechen, sondern auch die in Polen oft anzutreffende antisemitische Einstellung der polnischen Bürger thematisiert wird.
Neben der Schreibtätigkeit engagiert sich Nałkowska politisch. Ihr Augenmerk liegt dabei u.a. auf den Frauenrechten und ihre Umsetzung in Polen. Die ungleiche Behandlung und Stellung von Mann und Frau, hat Nałkowska schon seit ihrer Jugend beobachtet und kritisiert.
Der plötzliche Tod der Schriftstellerin am 17. Dezember 1954 beendete ein arbeitsreiches Leben, das sicherlich noch produktiver gewesen wäre. Mehrere ihrer Werke, z.B. ‚An den Bahngleisen‘ aus ‚Medaliony‘, wurden auch schon verfilmt. Zahlreiche Straßen, Schulen und Plätze sind nach Zofia Nałkowska benannt.
Die allmähliche Bekanntheit Nałkowskas im deutschsprachigen Raum ist u.a. dem gesellschaftlichen Bewußtsein für die Gleichstellung der Geschlechter und der Aufarbeitung der Geschichte, besonders der deutsch-polnischen Geschichte geschuldet. Nałkowskas Prosa liest sich gut und nachvollziehbar, auch das verhilft ihr zu mehr Popularität. Viele Texte liegen schon in deutscher Übersetzung vor.
Quellen
Urbanowski, Maciej. Słownik pisarzy polskich. Kraków: Zielona Sowa, 2003
Literarisches Porträt: Zofia Nałkowska. In: Deutsches Polen Institut. Abgerufen am 17. Januar 2023