Jeder Forschende versucht ein bleibendes Stück Wissenschaft zu schaffen. Edward Sapir ist in der Hinsicht ein Meisterwerk gelungen, denn er hat unter anderen zahlreiche vom Aussterben bedrohte indigene Sprachen Nordamerikas untersucht und dokumentiert.
Edward Sapir wurde 1884 in Lauenburg in Pommern (heute Lębork in Polen) in eine jüdische Familie hineingeboren. Seine Eltern wanderten 1889 mit ihm in die USA aus. Dort studierte er Germanistik und Indogermanistik in New York und beschäftigte sich schon im Studium mit dem Ursprung von Sprachen, was später ein Tätigkeitsschwerpunkt seiner Arbeit werden sollte.
Angeregt durch die Arbeit des Anthropologen Franz Boas verbrachte Sapir lange Zeit mit der Erforschung indigener Sprachen, die er gründlich beschrieb und für die Nachwelt bewahrte. Die Verbindung der Linguistik und Anthropologie war dabei ein Novum, das uns heute aber als selbstverständlich erscheint. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts steckte die Interdisziplinarität als fester Bestandteil in der Wissenschaft noch in den Kinderschuhen.
Sapirs arbeitete ab 1907 als Assistent am anthropologischen Institut der University of California und beschäftigte sich besonders mit den indigenen Sprachen, die in Kalifornien beheimatet sind. Dabei kam ihm seine linguistische Ausbildung zugute, denn eine gründliche Beschreibung von Grammatik und Lexik war für ihn genauso wichtig wie die Erforschung der Kultur der jeweiligen Sprachgemeinschaft.
1909 promovierte Edward Sapir über die Grammatik des Takelma, einer indigenen Sprache im Südwesten Oregons. Die folgenden Jahre (bis 1925) forschte er in verschiedenen Bundesstaaten und Kanada, wobei seine Arbeit nicht nur in der Beschreibung der Sprachen bestand. Er versuchte auch Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Sprachen festzustellen und mögliche Lautwandelprozesse zu erklären.
Die Bemühungen seine Arbeit interdisziplinär zu gestalten, konnte er als Professor an der University of Chicago (1925-1931) und der Yale-University (ab 1931) weiter ausbauen. Er versuchte seine Art zu denken und zu forschen zu etablieren, doch wurde ihm von konservativer Seite wenig Unterstützung geboten. Ob es an seiner Art zu arbeiten lag oder an dem Fakt, dass er Jude war, lässt sich nicht genau sagen. Mitte der 1930er Jahren war Sapir gesundheitlich angeschlagen und er zog sich aus der universitären Forschung zurück. Edward Sapir starb 1939 in New Haven.
Sein wissenschaftliches Erbe ist beachtlich. Er beschrieb 39 indigene Sprachen, die heute teilweise ausgestorben sind. Auch das Wissen um die Kultur der Sprachen konnte er, zumindest dokumentarisch, bewahren. Als Linguist achtete er auf eine exakte Beschreibung der Grammatik, vor allem der Phonologie. Er nutzte Methoden der vergleichenden Sprachwissenschaft und maß jeder Sprache eine wichtige Bedeutung bei. Für ihn gab es keine bessere oder schlechtere Sprache, was zu der Zeit noch ein weit verbreiteter Gedanke war.
Auch die theoretische Forschung Sapirs ist beachtlich vor allem im Bereich der Phonologie und Psycholinguistik. Seine Sicht auf Sprachen schuf neue linguistische Disziplinen wie z.B. die Ethnolinguistik. Seine Annahme, dass die Sprache das Denken beeinflusst, wurde von seinen Schülern weiterentwickelt. Daraus entstand die bekannte Sapir-Whorf-Hypothese, die heute allerdings teilweise widerlegt ist.
Nach Sapirs Tod hatten es die Verfechter der interdisziplinären Forschung schwer sich durchzusetzen. Erst in den letzten Jahrzehnten ist die gemeinsame Arbeit von Wissenschaftsdisziplinen, unabhängig welcher Bereich, eine Selbstverständlichkeit geworden. Edward Sapir hat gezeigt wie es gehen kann und warum es die Wissenschaft voranbringt, wenn viele Disziplinen zusammenarbeiten.
Quellen
Regna, Darnell. Edward Sapir: linguist, anthropologist, humanist. University of California Press, Berkeley 1989
Sapir, Edward. Die Sprache: eine Einführung in das Wesen der Sprache. Hueber, München 1972