Jan Baudouin de Courtenay

Die slawische Sprachwissenschaft ist seit der Zeit des Nationalen Erwachsens in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein gefragter Bereich auf universitärer Ebene und das ist u.a. einem Mann zu verdanken: dem Polen Jan Baudouin de Courtenay.

Am 13. März 1845 wurde Jan Ignacy Niecisław Baudouin de Courtenay in Radzymin, unweit von Warschau, geboren. Sein Familienname klingt nicht polnisch, denn die Vorfahren der Familie sind 100 Jahre zuvor aus Frankreich nach Polen gekommen. Mit 17 Jahren begann der junge Mann ein Studium an der Warschauer Universität und erwarb einen Abschluss in historischer Sprachwissenschaft. Er studierte dann weiter, u.a. in Prag und Berlin, und promovierte mit 25 Jahren in Leipzig zum Thema ‚Über die altpolnische Sprache vor dem 14. Jahrhundert‘.

Danach ergab sich die Möglichkeit in Sankt Petersburg als Dozent zu arbeiten. Baudouin de Courtenay bekam 1875 eine Professur in Kasan, wechselte 1883 nach Dorpat (das heutige Tartu in Estland) und lehrte ab 1983 an der Jagiellonen-Universität in Krakau, das zu der Zeit zum Habsburger Reisch gehörte. Aufgrund seiner Arbeit im Sinne des Panslawismus wurde Baudouin de Courtenays Vertrag in Krakau nicht verlängert und er zog 1900 wieder nach Sankt Petersburg.

Auch dort setzte er sich weiter politisch ein, besonders für die Rechte der Minderheiten in den Großreichen Russland und Österreich, was ihm 1913 zwei Jahre Gefängnis einbrachte, weil er verbotene Flugblätter in Umlauf brachte. Als Polen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder unabhängig wurden, kehrte Baudouin de Courtenay umgehend nach Warschau zurück und lehrte an der dortigen Universität.

Im Privatleben musste Baudouin de Courtenay einige Schicksalsschläge verkraften, u.a. verstarb seine erste Frau Cezaria schon 1878. Mit seiner zweite Frau Romualda, einer Historikerin, hatte er fünf Kinder. Untypisch für einen Polen war Baudouin de Courtenay Atheist und trat 1927 sogar offiziell aus der Kirche aus.

Als Professor lehrte und forschte er im Bereich der vergleichenden Grammatik, Geschichte der polnischen Sprache sowie der Geschichte der Linguistik. Baudouin de Courtenay war Mitbegründer der Kasaner Schule, einem Vorläufer der strukturellen Linguistik. Er arbeitete eng mit Mikołaj Kruszewski zusammen. Sie entwickelten u.a. Konzepte für die Erforschung synchroner und diachroner Sprachdimensionen und prägten den Begriff ‚Phonem‘ als funktionelle Einheit wie wir ihn heute kennen.

Baudouin de Courtenay veröffentlichte seine Arbeiten in verschiedenen Sprachen z.B. polnisch, russisch, aber auch deutsch, italienisch oder slowenisch. Außerdem forschte er im Bereich des kindlichen Spracherwerbs und verfasste pädagogische Werke. Die Bildung von Kindern im Bereich der Fremdsprachenbildung lag ihm besonders am Herzen, was im neugegründeten Polen eine wichtige Rolle spielte, da dort viele Menschen mit anderen Erstsprachen als Polnisch lebten.

Seine unbeirrbare Art, sein politisches Engagement und die Vielfältigkeit seiner Arbeit machen Baudouin de Courtenay zu einem der interessantesten Sprachwissenschaftler.

Quellen

Mugdan, Joachim. Jan Baudouin de Courtenay (1845–1929): Leben und Werk. Wilhelm Fink, München 1984

Stankiewicz, Edward. Baudouin de Courtenay a podstawy współczesnego językoznawstwa. Ossolineum, Wrocław 1986

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