Sachsen

Das Bundesland Sachsen, wie wir es heute kennen, kann auf eine lange Geschichte im Herzen Europas zurückblicken. Sachsen liegt im Osten Deutschlands, es grenzt an Tschechien und Polen und hat eine vielfältige Landschaft, die von flach bis gebirgig reicht. Die bekanntesten Städte sind Dresden, Leipzig, Bautzen und Meißen.

Die ersten Funde menschlicher Anwesenheit reichen bis in die Altsteinzeit zurück, erste Siedlungsfunde stammen aus der Jungsteinzeit. Dabei lassen sich verschiedenartige Einflüsse z.B. von Kelten oder Slawen feststellen. In der Zeit der Völkerwanderung (ca. 375/376 n.Chr.) entbrannte Kämpfe um das sächsische Gebiet zwischen v.a. germanischen Stämmen. Im 6. Jahrhundert war das Gebiet des heutigen Sachsen geteilt, der Süden war fränkisch, der Norden sächsisch. Doch die Franken verloren ihre Gebiete schnell wieder an die Sorben, die sie bis heute besiedeln. Unter Karl dem Großen gerieten die Sorben unter die Tributpflicht, blieben jedoch weitgehend eigenständig. Die vorschreitende Christianisierung der Stämme rund um Elbe und Saale fand um das 10. Jahrhundert statt.

Im Mittelalter blühte der Handel, die Elbe und andere kleine Flüsse waren dabei wichtige Wirtschaftswege. Der wichtigste Wirtschaftszweig Sachsens war im Mittelalter der Erzabbau.

Ab dem 12. Jahrhundert taucht der Name des Hauses Wettin in den Quellen auf, der über lange Zeit mit Sachsen verbunden bleiben wird. Auch die Adelsgeschlechter der Welfen, Askanier u.a. spielten eine wichtige Rolle im sächsischen Herrschaftsgebiet. Die Kurwürde erlangte Sachsen unter der Herrschaft der Askanier.

Die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts begann in Sachsen, das im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) mehrfach die Seiten wechselte und sich nach 1635 neutral verhielt. Nach dem Krieg blühten der Handel und das kulturelle Leben in Sachsen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts geriet es immer mehr unter Druck, denn seine Lage zwischen den europäischen Großmächten wie Österreich oder Preußen ließ keine Neutralität zu. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Kurfürstentum Sachsen zum Königreich Sachsen, geriet aber ab 1871 als Bundesstaat innerhalb des Deutschen Kaiserreiches zunehmend unter preußische Kontrolle und wurde nach dem Ersten Weltkrieg in die Weimarer Republik eingegliedert.

Ähnlich wie in der Niederlausitz hat sich in der Oberlausitz, also an der Grenze zu Brandenburg, das Volk der Sorben ihren Platz als ethnische Minderheit behauptet. Als Nachfahren eines westslawischen Stammes haben sie nicht nur ihre eigene Kultur und Sprache bewahrt, sondern sich ihre Rechte auch auf gesetzlicher Ebene schützen lassen.

In Sachsen werden zahlreiche Dialekte, vor allem ostmitteldeutsche, gesprochen. Doch jede Region hat ihre spezifischen Varietäten z.B. im Erzgebirge.  Das heutige Neuhochdeutsch ist historisch aus den Dialekten Sachsen entstanden. Die wurde durch die Dichte an Städten und Bildungseinrichtungen unterstützt, die zu Luthers Zeiten in ganz Europa einen besonderen Ruf genossen. Noch heute profitiert der Tourismus von den reichen Kulturschätzen wie der Semperoper in Dresden oder der Moritzburg. Zahlreiche Veranstaltungen für Kunst und Musik werden jährlich veranstaltet. Andererseits biete Sachsen eine Vielzahl an Naturschätzen, die von Touristen besucht werden, z.B. die Sächsische Schweiz.

Namen wie August der Starke, Clara Schumann, Erich Kästner, Sigmund Jähn, Handrij Zejler, Gottfried Wilhelm Leibniz sind nur einige Beispiele für die vielen Sachsen, die sich durch Kunst, Wissenschaft oder Herrschaft einen Platz im historischen Gedächtnis Sachsens erarbeitet haben.

Das Wappen Sachsen zeigt das Familienwappen der Askanier, deren Laubkranz auf eine Begegnung mit Kaiser Barbarossa Mitte des 12. Jahrhunderts zurückgeht.

Quellen

Kroll, Frank-Lothar. Geschichte Sachsen. C.H. Beck. München 2014

Raßloff, Steffen. Kleine Geschichte Sachsens. Rhino, Ilmenau 2018

Mein Jahresrückblick 2022

2023 geht’s wieder mehr bergauf!

Puh, das Jahr ist rum und wie immer ist es gerannt! Als ich vor anderthalb Jahren anfing zu bloggen, war das Ganze eher eine Experiment. Ich wollte mich ausprobieren, besser und schneller schreiben. Es gibt mehr als genug interessante Themen, in die ich tiefer eintauchen wollte bzw. immer noch will. Doch dieser Blog ist mehr Arbeit als ich es zu Beginn dachte! Zusätzlich zur Arbeit und der Uni habe ich mir hier ein Riesenprojekt angelacht, doch ich muss sagen: Bis jetzt hat es sich für mich mehr als gelohnt. Nicht nur, dass ich meine Schreibfähigkeiten stetig weiterentwickle, die beste Fähigkeit ist eigentlich sich kurz zu fassen, ich habe auch durch das Schreiben eine Routine entwickelt. Vor allem die Anfänge der Artikel sind der Knackpunkt, habe ich den überwunden, schreibe ich eher zu viel und muss dann nochmal kürzen. Wer kennt das nicht?

Thematisch war das letzte Jahr so verschieden wie die Welt. Meine Planung im Januar 2022 hatte nach einigen Wochen an Gültigkeit verloren, denn die Weltgeschehnisse veränderten meine Perspektive und meine Prioritäten. Die Unsicherheit der politischen Situation in Europa ließen mich am Sinn dieses Blogs zweifeln, auch am Sinn meines Studiums. Doch ich bin von Hause aus ein sehr pragmatischer Mensch, angefangene Dinge machen ich zu Ende und mit der Unsicherheit lernte ich zu leben, auch wenn sie oft meine Gedanken beherrschte.

Jede Woche einen Artikel zu schreiben kostet mich viel Zeit. Von der Idee, über die Recherche und Das Schreiben bis hin zum fertigen Artikel vergehen schon einige Stunden, je nachdem wie gut ich schon im Thema stehe. Da ich zeitlich oft knapp dran bin, schaffe ich es so gut wie nie Artikel auf Vorrat zu schreiben. Dafür habe ich einfach zu viel anderes zu tun. Ich habe aber das Glück, mein Studium und diesen Blog verknüpfen zu können, was mir viel bedeutet. Mein Ziel war meine Interessen auch für andere interessant zu machen, vor allem Themen, die eher Randthemen sind. Meine Leidenschaft für slawische Sprachen und Kulturen beinhaltet aber so viel mehr. Der Themenkreis erweitert sich mit jedem neuen Thema.

Das letzte Jahr habe ich genutzt den Blog mit einer Struktur aufzubauen, die mir logisch und sinnvoll erscheint. Die einzelne Rubriken füllen sich nach und nach, neue Rubriken kommen hinzu oder werden umsortiert, wenn ich mal wieder die Struktur umwerfe.

Ich freue mich auch über die wachsende Anzahl an Kommentaren, also kommentiert gerne und schreibt mir eure Meinung!

Das Jahr 2023 wird ein wichtiges für mich. Ich möchte meine Bachelorarbeit schreiben und einige Sprachkenntnisse erweitern und festigen. Genauere Pläne gibt es heute, an Neujahr, noch nicht. Aus Erfahrung weiß ich, dass Neujahrsvorsätze eh nur selten den Januar überleben.

Ich wünsche euch allen ein frohes neues Jahr 2023!

Swantewit – der Gott vom Kap Arkona

Rügen war lange Zeit ein kulturelles und religiöses Zentrum der Slawen, vor allem der Ranen, einem westslawischen Stamm auf Rügen und der angrenzenden Küste, der Polabisch sprach. Am Kap Arkona stand eine Statue des obersten Gottes Swantewit. Sein Name leitet sich wahrscheinlich vom slawischen ‚svet‘- ‚heilig‘ und ‚-vit‘- ‚Herrscher‘ ab und damit ist er schon vom Namen her der mächtigste aller Götter (in diesem Kulturkreis). Je nach Quelle findet man auch andere Schreibweisen z.B. Svantovit, Svantevit oder Sventevit.

Swantewit ist der Kriegsgott, dargestellt mit vier Köpfen, die in jede Himmelsrichtung schauen. Wahrscheinlich war jeder der Köpfe mit einer Farbe assoziert (Norden weiß, Westen rot, Süden schwarz und Osten grün) und symbolisieren die Allgegenwärtigkeit des Gottes. Die Statue des Swantewit im Tempel auf Rügen wurde 1168 bei der Eroberung durch die Dänen unter König Waldemar zerstört. Jüngere Ausgrabungen auf Rügen brachten teilweise Funde wie Waffen oder Münzen zum Vorschein, die den Standort und das Datum der Tempelzerstörung untermauern.

Der 1168 mitgereiste Chronist Saxo Grammaticus beschrieb die Heiligtümer der Ranen und war von der Statue Swantewits beeindruckt. Er beschrieb ihn als riesig, mit vier Köpfen und zwei Hälsen. Die Haare und die Bärte waren sorgsam frisiert, der Gott trug ein Trinkhorn. Sein Unterkörper schien mit dem Boden verschmolzen. Weitere Attribute wie Schwert, Sattel und Zaumzeug kennzeichnen seine Aufgabe als Kriegsgott. In dem Tempel lebte wohl auch ein Pferd, das in vielen Mythen einem Kriegsgott zu Seite gestellt wurde. Hier zeigen sich Überschneidungen zur nordischen Mythologie.

Im Tempel auf Rügen waren Priester für die Pflege der Anlage und die Opfergaben zuständig. Swantewit wurde oft für Weissageungen angerufen, Met und Honigkuchen galten dabei als wichtigste Utensilien. Regelmäßig brachten die Menschen Opfergaben, die im Tempel aufbewahrt und von Kriegern bewacht wurden. Die Weissagungen gaben Auskunft über den Ernteerfolg und das Kriegsgeschehen.

Der Tempel am Kap Arkona stand auf der Jaromarsburg, von der nur noch Überreste zu erkennen sind. Grund dafür sind die häufigen Abbrüche der Rügener Küste. Doch nicht nur auf Rügen wurde Swantewit verehrt. Auch an der Ostseeküste vor Rügen wurde vereinzelt Abbilder gefunden, die der Statue auf Rügen stark ähneln. Andere weiter entfernte Funde z.B. in Polen, können nicht eindeutig dem Swantewit-Kult zugeordnet werden. Forscher zweifeln eine weitere Verbreitung an bzw. überschneiden sich die Kulturkreise in Richtung anderer Slawenstämme und Baltikum. Eine Möglichkeit, wie Figuren oder Abbilder mit ähnlichem Aussehen in weit entfernten Gebieten kommen konnten, wäre Handels- oder Verschwandtschaftsbeziehungen der slawischen Stämme.

Im Vergleich mit anderen slawischen Kulten ist der Machtbereich Swantevits ähnlich wie der des Gottes Perun, der aber kaum im Ostseeraum verehrt wurde, sondern eher im polnischen und tschechischen Raum bis hin nach Bulgarien.  

Die heutige Forschung der slawischen Mythologie und Götterwelt wird durch die mangelnde Datenlage erschwert. Wir müssen uns auf archäologische Funde und die Schriftquellen, meist christlicher Chronisten verlassen, die den heidnischen Göttern kaum Sympathie entgegenbrachten. Auch die unterschiedlichen Namen und die verschiedenen Zuschreibungen der Attribute und Aufgaben machen eine klare Zuordnung schwierig.

Doch die gerade diese Vielfältigkeit der Gottheiten und Kulte weist auf die kulturelle Vielfalt der Slawen hin. Anders als die Chronisten oft berichten, gelten strenge Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die das Leben der Slawen regelten. Ihre Götter waren ihnen dabei genauso wichtig wie anderen „hohen“ Kulturen.

Quellen

Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1992

Grimal, Pierre (Hrgs.). Mythen der Völker 3. Fischer, Frankfurt am Main: Fischer 1967

Glagolica – die Schrift Kyrills

Codex Assesmanianus

Viele Sprachen der Welt kennen keine Verschriftlichung. Doch was tut man, wenn man eine schriftlose Sprache verschriftlichen will? Meistens verwendeten die Menschen dann eine Schrift aus anderen Sprachen. Doch diese Schrift hat den oft Nachteil nicht für alle Laute der „neuen“ Sprache Schriftzeichen zu besitzen.

Genau vor diesem Problem stand der Missionar Kyrill von Saloniki (oder Konstantin von Saloniki), der unter anderem in Mähren unterwegs war und eine Schrift für die slawischen Sprachen brauchte, die bis dahin über keinerlei Schrift verfügten. 863 n. Chr. nutzte er das griechische Alphabet dabei als Basis, entwickelte sie aber grundlegend weiter. Er ließ auch Elemente anderer Schriftsystem einfließen z.B. aus semitischen Schriften. Kyrill betonte stets die Eigenständigkeit der Schrift, sie ist also keine reine Kopie der vorherigen Schriften.

Wie die Vorgängerschriften der Phönizier und Griechen ist auch die glagolitische Schrift eine Buchstabenschrift, d.h. es liegt (meist) jedem Buchstaben ein Laut zugrunde. Die Buchstaben sind dabei arbiträr, lassen also vom Aussehen nicht auf die Aussprache schließen.

Die glagolitische Schrift verschriftliche als erstes Altbulgarisch und Mazedonisch, vor allem Bibelübersetzungen und andere religiöse Texte, später auch das offizielle Altkirchenslawisch (eine Form des Altbulgarischen). Eine Besonderheit der Schrift ist die Möglichkeit mit ihr auch Zahlen darstellen zu können. Dabei entspricht der Zahlenwert der Stellung des Buchstaben innerhalb des Alphabets.

Bis heute sind zwei unterschiedliche glagolitische Schreibformen bekannt: die ältere, runde, bulgarische Form, die im 10. und 11. Jahrhundert genutzt wurde; und die eckige, kroatische Form, die erst ab dem späten 11. Jahrhundert belegt ist. Die Verbreitung der Glagolica konkurrierte mit der aus ihrer entwickelten kyrillischen Schrift, die zum Ende des 9. Jahrhunderts aufkam. Vor allem im kroatischen, serbischen und bosnischen Raum konnte sich die glagolitische Schrift bis ins 12. Jahrhundert gegen die kyrillische Schrift behaupten. In den Gebieten, die westslawische Sprachen sprechen, wie Polen oder Tschechisch, sah sich das Glagolitische mit der lateinischen Schrift konfrontiert. In ostslawischen Gebieten setzte sich bis zum 12. Jahrhundert das Kyrillische durch, sodass die Abspaltung der orthodoxen von der katholischen Kirche auch in den Schriften sichtbar ist. Aber anders als das Kyrillische wurde die Glagolica ausschließlich für slawische Sprachen verwendet.

Bekannte Werke in der älteren, runden Form sind die „Kiewer Blätter“ und der „Codex Assemanianus“ (ca. Ende des 10. Jahrhunderts), die Gebete und religiöse Texte enthalten. In der eckigen Glagolica sind beispielsweise die „Prager Blätter“ und der „Dimitar-Psalter“ (ca. Ende des 11. Jahrhunderts) erhalten, die neben religiösem Inhalt auch Heilmittelrezepte enthalten.

An den erhaltenden Schriftstücken kann man die Motivation Kyrills ablesen. Es gibt so gut wie keine weltlichen Themen in den Texten. Damit bleibt die glagolitische Schrift, ganz in Kyrills Sinn, eine Schrift der Religion und der Kirche. Er schuf die Schrift nicht aus Liebe zu den slawischen Sprachen, sondern als pragmatische Lösung zur Sicherung seines Missionserfolgs. Die Spaltung der slawischen Kirche, orthodox und katholisch, lässt sich an der Verwendung der jeweiligen Schrift, glagolitisch oder kyrillisch, gut erkennen.

Heute kann man vor allem in Kroatien ein wachsendes Interesse an der Glagolica beobachten als Verzierung jeglicher Art und auf Denkmälern. Ihren Staus als Schriftsprache wird sie aber kaum wieder erlangen.

Quellen

Haarmann, Harald. Geschichte der Schrift. Beck, München 2002

Miklas,Heinz. Die slavischen Schriften: Glagolica und Kyrillica. In: Der Turmbau zu Babel. Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift. Band 3: Schrift. Teilband: A. Kunsthistorisches Museum u. a., Wien 2003

Bildquelle

Codex Assemanianus, Von Unknown; probably some scribes from Ohrid Literary School in 10th century – http://kodeks.uni-bamberg.de/AKSL/Texte/AssemanianusFacs1.htm,

Josef Dobrovský

Die tschechische Sprache hat im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen durchgemacht. Die fremden Einflüsse, vor allem aus dem Deutschen, sind häufig sichtbar. Doch das heutige Tschechisch wurde Ende des 18. Jahrhunderts von dem Theologen und Philologen Josef Dobrovský geprägt. Zusammen mit Josef Jungmann und Jan Kollár gilt Dobrovský als Begründer der slawistischen Wissenschaft und der heutigen tschechischen Schriftsprache.

Josef Dobrovský wurde am 17. August 1753 in Jahrmarkt (ung. Balassagyarmat) im heutigen Ungarn geboren. Er wuchs in Böhmen auf und besuchte dort hauptsächlich deutschsprachige Schulen. Nach der Schule begann er 1768 ein Studium der Philosophie an der Karls-Universität in Prag. Nach dem Studium trat Dobrovský 1772 in den Orden der Jesuiten ein, der aber ein Jahr später von Kaiser Joseph II. im Zuge einiger Reformen aufgelöst wurde. Während der Ordenszeit begann Dobrovský Theologie in Prag zu studieren. Das Studienfach befand sich durch die Reformen des Kaisers im Umbruch, viele alteingesessene Professoren musste die Universität verlassen. Nach dem Studium arbeitete Dobrovský als Lehrer bei einer Adelsfamilie.

Seine geplante Priesterweihe wurde ihm zuerst verweigert, erst 1786 konnte er sie empfangen und arbeitete dann für kurze Zeit als Rektor des Priesterseminars im Kloster im Kloster Hradisko bei Olomoc. Doch auch dieses Kloster wurde 1790 aufgelöst und dem Staat unterstellt, sodass Dobrovský nach Prag zurückkehrte, wo er als Privatlehrer arbeitete. Die Rückkehr an die Universität erwies sich als schwierig. Er forschte privat in den Bereichen Geschichte und slawische Sprachen, publizierte seine Erkenntnisse und war Gründungsmitglied der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften.

Durch das Studium und persönliche Interessen sprach er neben Hebräisch, viele slawische und auch einige orientalische Sprachen. Er schrieb zu Beginn seiner Forschungen vor allem in Latein und Deutsch, erst viel später in Tschechisch. Für die tschechische Sprache waren seine Studien der Kralitzer Bibel und der Grammatik des Tschechischen herausragend und bilden noch heute die Basis der tschechischen Sprache. Wie damals nicht unüblich überschnitten sich die Forschungsbereiche Dobrovskýs, was sich in seinen Veröffentlichungen zeigt. Seine Interessen waren weit verstreut, er korrespondierte mit unterschiedlichsten Gelehrten. Vor allem der Einfluss auf die Nationalbewegungen bzw. die anderen slawischen Nationalsprachen wie des Ukrainischen oder des Sorbischen gilt als wichtiger Impuls seinerseits über das Tschechische hinweg.

Dobrovskýs erste Veröffentlichung unter dem Titel „Pragische Fragmente hebräischer Handschriften“ erschien schon 1777, weitere vor allem theologische Schriften folgten, die von der Kirche nicht immer gerne gesehen waren. Später wandte er sich verstärkt der tschechischen Sprache zu, gab eine Zeitschriften heraus, schrieb Grammatiken, Wörterbücher und Werke über die tschechische Geschichte.

Besonders die Zeit Ende des 16. Jahrhunderts sah Dobrovský als wichtigste Phase des Tschechischen an. Und obwohl er meist auf Deutsch schrieb, träumte er davon, dass Tschechisch als Amtssprache innerhalb der Habsburger Monarchie anerkannt wird.

Im mittleren Erwachsenalter erkrankte Dobrovský, wahrscheinlich eine bipolare Störung, weswegen er einige Zeit in einem Krankenhaus behandelt wurde. Er zeigt oft seltsame Verhaltensweisen, schrieb kryptische Briefe und entwickelte eine Obsession für die Farbe Blau. Sein früherer Schüler Bedřich Nostic nahm ihn bei sich auf. Trotz politischer und gesundheitlicher Probleme unternahm Dobrovský Studienreisen nach Schweden, Deutschland, Russland uvm., wo er sich vor allem mit slawischen Studien und Archivarbeiten beschäftigte.

Josef Dobrovský starb am 6. Januar 1829 aufgrund einer Lungenentzündung, die er sich auf einer Reise nach Brünn zuzog. Er ruht heute auf dem Zentralfriedhof in Brünn.

Quellen

Wirtz, Markus. Josef Dobrovský und die Literatur. Dresden Univ. Press, 1999

Sturm, Heribert (Hrsg.). Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder. R. Oldenbourg Verlag. München Wien 1979

Rusinisch

Das Rusinische und seine Dialekte reichen weit in die Geschichte zurück. Die politischen Gegebenheiten und die Beeinflussung durch die umliegenden Kontaktsprachen prägten die Entwicklung der Dialekte.

Je nach Literatur wird Rusinisch entweder als Ruthenisch, als ukrainischer Dialekt oder als eigene Sprache innerhalb der ostslawischen Sprachfamilie bezeichnet. Wir gehen in diesem Artikel von der Definition von Marc Stegherr aus, der Rusinisch als Oberbegriff für eine ganze Dialektgruppe verwendet, gesprochen in den Karpaten (Karpato-Rusinisch), in Polens Südosten (Lemkisch), im Nordosten der Slowakei und in den angrenzenden Gebieten der Ukraine, im Norden Ungarns und Rumäniens und einer zweiten Dialektgruppe in Serbien und Kroatien (Vojvodina-Rusinisch). An dieser Aufzählung erkennt man, dass das rusinische Sprachgebiet zwar zusammenhing, aber durch verschiedenen Territorialstaaten politisch keine Einheit bildete. Die Entstehung der Dialekte wurde dadurch begünstigt.

Die Zahl aller heutigen Sprecher:innen lässt sich nicht genau sagen. Die Anerkennung als ethnische Minderheit und der damit verbundene Schutz der Sprache, ist nicht in allen obengenannten Ländern gegeben. Vorsichtige Schätzungen gehen von insgesamt 1,5 Millionen Sprecher:innen aus, wobei in dieser Schätzung auch emigrierte Sprecher:innen miteinbezogen sind.

In Serbien besitzt Rusinisch den Status als Amtssprache (in der Provinz Vojvodina), in Polen und der Slowakei Minderheitensprachenstatus und in der Ukraine den Status einer Regionalsprache. Die Versuche Rusinisch zu kodifizieren, brachten der Sprache den Namen der „jüngsten slawischen Standardsprache“ ein. Je nach Land gelten eventuell andere sprachliche Regeln.

Die Stärkung der rusinischen Sprache nach 1989 in Form von neuen Lehrbüchern, Vereinheitlichung der Orthographie oder dem Verfassen von Grammatikwerken usw. hat ein neues Bewusstsein geschaffen, das das Interesse an rusinischen Publikationen förderte. In den rusinischsprachigen Regionen entstanden Zeitungen und immer mehr Publikationsanteile in Verlagen.

Geschrieben in kyrillischer Schrift, mit graphematischen Besonderheiten je nach Region, verfügt das Rusinische über sieben Kasus und drei Genera, typisch für ostslawische Sprachen. Die Deklinationsendungen der Dialekte weichen oft voneinander ab bzw. man erkennt den Einfluss der Kontaktsprachen. Alle Varianten in den Dialekten aufzulisten, würde den Rahmen sprengen. Wer aber Lust hat sich da genauer einzuarbeiten, dem empfehle ich den Artikel von Marc Stegherr, der in den Quellen aufgeführt ist. Man kann aber zusammenfassend sagen, dass das Rusinische als slawische Sprache die meisten typisch slawischen Eigenschaften wie z.B. die Aspektkategorie aufweist. Die Verben entwickelten durch die Nähe zu entweder westslawischen oder ostslawischen Kontaktsprachen analytische als auch synthetische Formen z.B. beim Futur oder Perfekt. Diese Mischung aus west- und ostslawischen Merkmalen machen eine genaue Einteilung des Rusinischen schwierig.

Der Wortschatz ist vor allem durch die Nachbarschaft zu anderen Sprachen reich an „fremden“ Elementen. Dazu zählen, immer ortsabhängig, viele Germanismen und Magyarismen z.B. ungarisch város‘ →‘варош‘ – ‚Stadt‘ oder deutsch ‚Dreschflegel‘ → ‚таршка‘. Auch serbische und kroatische Entlehnungen finden sich z.B. ‚кафана‘- ‚Wirtshaus‘.  Doch vor allem der serbische und kroatische Einfluss zeigt sich auch in Morphologie und Syntax, beispielsweise in der Verbpräfigierung oder die Verwendung von Kopulakonstruktionen. Der heutige englischsprachige Einfluss ist wie bei anderen Sprachen ein modernes Phänomen.

Die Möglichkeit Kinder und Jugendliche in rusinischer Sprache zu unterrichten, entspricht einer modernen Sichtweise auf kleinen Sprachen, die neben der Sprache selbst auch Kulturschätze mitbringen und für Vielfalt in den jeweiligen Ländern sorgen.

Quellen

Duličenko, Aleksandr D. Das Russinische. In: Einführung in die slavischen Sprachen. Hrsg. Peter Rehder. Darmstadt 1998.

Stegherr, Marc. Rusinisch In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Hrsg. Miloš Okuka. Klagenfurt 2008

Sprachenkarte: Slawische Sprachen. In: eeo.uni-klu.ac.at, abgerufen am 4. Mai 2019

Bildquelle

Von YoungstownToast – Eigenes Werk, based on: https://web.archive.org/web/20210417180902/http://rusynacademy.sk/english/en-academy5.html, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=114547702

Plón – der sorbische Drache

In der slawischen Mythologie kommen Drachen häufig vor. Sie sind aber keine slawische Erfindung. Das Wort Drache kommt vom Griechischen ‚drakōn‘- ‚Schlange‘, über das Lateinische ‚draco‘ in unseren (deutschen) Wortschatz.

Drachen sind in der Mythologie nicht per se böse. Sie treten in unterschiedlichen Gestalten auf, manche können fliegen oder Feuer spucken. Bekannt sind z.B. die Schlange Nidhöggr aus der nordischen Sagenwelt oder der Drache aus dem Nibelungenlied, der einen Schatz hütet. In diesen Fällen nehmen die Menschen die Drachen als böse wahr. Die Angst vor ihnen ist allgegenwärtig und die Menschen trachten Drachen oft nach dem Leben, wenn sie sich in der Nähe von Siedlungen aufhalten. Durch Opfergaben wie Nahrung ist es möglich die Drachen milde zu stimmen, so dass sie die Menschen in Ruhe lassen.

Die Niedersorben, ein westslawisches Volk in der Niederlausitz, kennen viele Geschichten über Drachen. Bei ihnen heißt er Plón (andere Schreibweise Plon) und ist eigentlich ein positiv besetztes Wesen, anders als beispielsweise der Wawel-Drache aus Krakau. Der Plón kann fliegen und ist in der Lausitz auf Wanderschaft. Geschichten erzählen, dass man ihn manchmal in den Abendstunden am Himmel sehen kann, wenn er auf der Suche nach einer Bleibe ist.

Der Plón gilt als Hausgeist, der durch den Schornstein auf den Dachboden oder in die Scheune fliegt und sich von den Menschen versorgen lässt. Sein Lieblingsessen ist Hirsebrei, was die Menschen ihm in einer Schüssel hinstellen, um ihn freundlich zu stimmen. Versorgt man den Plón gut, d.h. füttert man ihn regelmäßig, dann beschert er dem Haus Reichtum und Wohlstand. Doch dieser Reichtum währt nur so lange wie man sich gut um den Drachen kümmert. Verärgert oder vernachlässigt man ihn, nimmt er alles wieder mit, was er gebracht hat.

Aber der Plón bringt nicht nur Geld. Er sorgt auch für viel Getreide oder dafür, dass die Kühe oder Ziegen viel Milch geben. Logischerweise sollten die Menschen, bei denen er lebt, ihn gut behandelt, wenn sie ihren Reichtum nicht verlieren wollen. Aber einige Geschichten erzählen von genau dieser Schwäche der Menschen. Sie wissen nicht, dass der Plón ihnen den Reichtum wieder wegnimmt, wenn sie ihn schlecht behandeln. Und wird er schlecht behandelt, kehrt er nicht mehr zurück.

Eine Geschichte berichtet von einem Bauern, der den Plón mit einer List aus dem Haus treiben wollte. Er hing einen Strumpf auf den Dachboden, der ein großes Loch hatte und befahl dem Drachen ihn zu füllen. Es werde erst wieder Futter geben, wenn der Strumpf gefüllt sei. Der Plón durchschaute die List und verließ das Haus des Bauern mit allem Geld.

Man erkennt in der Geschichte sehr gut den moralischen Wert, den Sagen und Legenden meist mit sich tragen. Auf der gegenseitigen Hilfe basiert eine funktionierende Gemeinschaft, denn früher mussten die Menschen sich oft gegenseitig aushelfen.

Die Faszination für Drachen füllt bis heute die Seiten vieler Bücher und manchmal überlebt die Legende auch in Ortsnamen. Der kleine Ort Drachhausen im Landkreis Spree-Neiße im Bundesland Brandenburg ist stolz auf „seinen“ Drachen. Er weilt als Skulptur auf dem Dorfanger und ziert sogar das Drachhausener Wappen. In der Geschichte des Ortes heißt es, dass er bei einem Bauer lebte, dessen Frau den Brei des Drachen verbrannte, worauf der Drache den Hof und die Kirche des Ortes zerstörte.

Dieses Gleichgewicht von Gut und Böse ist ein typisches Motiv in der Mythologie. Verschiedene Taten fallen immer wieder auf uns zurück. Tun wir Gutes, widerfährt uns Guten und umgekehrt. Welches Kind ist nicht voller Ehrfurcht, wenn es an die Geschichten mit Drachen denkt. Der erzieherische Charakter schwingt immer mit.

Die Faszination für diese mythischen Wesen bleibt uns erhalten, ob wir an ihre Existenz glauben oder nicht, spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Quellen

Schneider, Erich (Hrsg.). Sagen der Lausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 1982

Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1993

Mähren

Wenn man sich heute eine Landkarte von Tschechien anschaut, erkennt man drei unterschiedlich große Teile: Schlesien, Böhmen und Mähren.

Mähren, tschechisch Morava, liegt im Osten, hat eine kurze Grenze zu Polen im Norden. Im Süden und im Osten verläuft die Grenze zu Niederösterreich bzw. der Slowakei. Die größten Städte sind Brno (Brünn), Olomouc (Olmütz) und Zlín (Zlin).

Die Wirtschaftskraft liegt vor allem in der Industrie (u.a. Stahl, Bergbau und Chemie), deren wichtigster Partner die Länder der EU sind. Große Flächen werden landwirtschaftlich genutzt. Außerdem ist Mähren für seinen Weinanbau bekannt.

Die Besiedlung Mährens reicht weit zurück, die ersten archäologischen Spuren weisen auf alte Siedlungen, datiert auf 5000 v.Chr., hin. Bis heute hat man mehrere hunderte Siedlungen aus verschiedenen Zeiten identifiziert. Ab dem 6. Jahrhundert n.Chr. siedelten dort die Namensgeber der Region, die Mährer, ein westslawischer Volksstamm.

Um 800 herum entstand ein mährisches Fürstentum, was über die Zeit immer wieder in Konflikte mit den Ungarn und Böhmen verwickelt war. In dieser Zeit brachten die bekannten Missionaren Kyrill und Method das Christentum nach Mähren und 955 kam es unter böhmische Herrschaft, als Teil des späteren böhmischen Königreiches. Seit diesem Zusammenschluss gilt Mähren als historische fest verbundene Einheit mit Böhmen, was für die Staatsgründung Tschechiens ein wichtiges Kriterium darstellte.

Verschiedene Herrscher überzogen die mährischen Lande mit Krieg, es gab Herrscherwechsel und schließlich fiel zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Gebiet durch Krieg und strategische Hochzeiten an die Habsburger, die es bis zum Ende des ersten Weltkrieges 1918 regierten.

Die Reformation im 16. Jahrhundert erfasste große Teile Mährens. Nicht nur der protestantische Glauben, sondern auch die Täuferbewegung wurde von vielen Menschen angenommen, was zu blutigen Auseinandersetzungen, Vertreibungen und Auswanderungen führte. Der aus Nikolsburg stammende Balthasar Hubmaier gilt als Begründer der mährischen Täufer. Nachfahren dieser Täufer leben bis heute in Kanada und den USA. Ähnlich verfolgt wurden auch die mährischen Juden, denen zahlreichen Repressalien z.B. das Wohnen in bestimmten Stadtteilen auferlegt wurden.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 gründete sich die Tschechoslowakei, in das auch Mähren eingegliedert wurde. Die dort lebenden deutschstämmigen Menschen erhielten die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Die Nationalsozialisten erklärten Mähren nach der Annexion und Besetzung 1939 zum deutschen Gebiet, die Deutschstämmigen wechselten wieder die Staatsbürgerschaft. Nach 1945 wurden die meisten Deutschen aus Mähren vertrieben, eine kleine Gruppe z.B. Ehepartner aus tschechisch-deutschen Ehen durften bleiben. Die deutsche Minderheit macht heute nicht mal ein Prozent der tschechischen Bevölkerung aus.

Die Mährer als westslawischer Volksstamm sind vollständig in der tschechischen Nation aufgegangen, doch noch heute bezeichnen sich mehr als eine halbe Million Menschen dem mährischen Volk zugehörig. Die mährischen Dialekte, die sich teilweise deutlich vom Standardtschechischen unterscheiden, werden in drei Dialektgruppen eingeteilt: Mittel-, Ost- und Nordmährisch.

Das Wappentier Mährens ist der Mährische Adler, der im 13. Jahrhundert erstmalig erwähnt wird, im Siegel Přemysls von Mähren. Im Wappen Tschechiens ist er mit den Wappen der anderen beiden Landesteile zu sehen.

Quellen

Prinz, Friedrich. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Böhmen und Mähren. Siedler. Berlin 1993

Schacherl, Lillian. Mähren. Prestel. München/New York 1998

Russenorsk

Sprache ist allen Menschen zueigen, egal woher sie stammen. Treffen sich Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, aber ein gemeinsames Ziel oder Anliegen haben, entwickeln sie oft kreative Lösungen sich zu verständigen. Eine dieser Lösungen ist eine Pidginsprache, die zum Ende des 18. Jahrhunderts im Grenzgebiet zwischen Norwegen und Russland entwickelte: Russenorsk (dt. Russennorwegisch).

Eine Pidginsprache ist eine Mischsprache, (meist) aus zwei Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien. Die Notwendigkeit zur Kommunikation der Sprecher:innen ergibt eine reduzierte Sprache, mit angepasster Lexik und sehr vereinfachter Grammatik. Genaueres zur Entstehung und Systematik von Pidginsprachen findet ihr im Artikel Pidgin und Kreol – Sprachen oder Kopien?.

Der Handel zwischen Norwegen und Russland im arktischen Gebiet, rund um Spitzbergen, der Halbinsel Kola und der Finnmark (siehe Bild) machte eine Verständigung nötig, doch keine der beiden Seite lernte die Sprache der anderen vollständig.

In dem vegetationsarmen und schwer zugänglichen Gebiet entstand ein reger Handel mit Fisch und landwirtschaftlichen Produkten, vor allem in den Sommermonaten. Ab 1782 war durch ein Abkommen zwischen Norwegen und Russland sogar der zollfreie Handel zwischen den Ländern möglich, der zur schnellen Entstehung des Russenorsk führte. Schon drei Jahre später tauchten in Protokollen die ersten Wörter dieser Pidginsprache auf. Sie verbreitete sich mit der Errichtung von Handelsstützpunkten immer weiter.

Mit der Revolution 1917 in Russland und der Verschlechterung der Beziehungen riss der Handel ab, was eine Benutzung des Russenorsks überflüssig machte. Die wenigen Zeugnisse aus dieser Zeit geben Einblicke in die Struktur und den Wortschatz des Pidgins.

Anders als z.B. das englisch dominierte Pidgin Tok Pisin, weist Russenorsk gleiche Anteile von Norwegisch und Russisch auf. Man kann davon ausgehen, dass die Gleichwertigkeit der Handelspartner ein Grund dafür ist.

Neben dem verwendeten Wortschatz aus dem Norwegischen und Russischen, hat Russennorsk auch kleinere Einflüsse aus dem Samischen (das die Samen auch auf diesem Gebiet leben), Deutschen, Englischen und Niederländischen, was durch andere Handelskontakte und die verschiedenen Nationalitäten der Schiffsbesatzung zustande kam. Welche Seite welche anderssprachigen Einflüsse eingebracht hat, lässt sich nicht genau sagen. In den schriftlichen Quellen ist vor allem Lexik (ca. 200 Wörter) für Werkzeuge, Waren und einige Sätze erhalten.

Die Aussprache des Russenorsks musste sich an die Muttersprache der Sprecher:innen anpassen. Das fehlende /h/ wurde so kurzerhand zu /g/ (hav → gav – „Meer“), das /x/ zu /k/ (xorošo → korošo –„gut“) und die Konsonantenhäufungen mit Vokalen gespickt (mnogo li → zu nogoli -„viele“). Fehlende bzw. nichtnotwendige Wörter werden oft umschrieben, z.B. paa kjerka vaskom – auf Kirche waschen, bedeutet ‚taufen‘.

Die Morphologie ist auf ein Minimum reduziert: es gibt keine Pluralform, keine Tempora und die Verbflexion wird durch das Voranstellen eines Personalpronomens vereinfacht.

Wie bei anderen Pidgins ist auch die Syntax reduziert. Da beide Sprachen eine SVO-Wortfolge (Subjekt-Prädikat-Objekt) haben, wurde diese beibehalten, die aber z.B. in Fragen durch SOV erweitert wurde. Verben wie Kopulaverben und Präpositionen fehlen weitgehend, es sei denn sie existieren in beiden Sprachen wie die Präposition ‚po‘.

Die Forschung kann leider nicht mehr auf Sprecher:innen des Russennorsk zurückgreifen, Tonaufnahmen wurden nicht gemacht, das Interesse war damals einfach nicht vorhanden. Das Spannende an dieser Pidginsprache ist vor allem die Fähigkeit der Menschen ihren Willen nach Verständigung auch unter widrigen Umständen zu ermöglichen.

Quellen

Neumann, Günter. Russennorwegisch und Pidginenglisch. Beobachtungen zum Bau von Behelfssprachen. In: Nachrichten der Giessener Hochschulgesellschaft. Band 34, 1965

Hirnsperger, Markus. „Pidgin-Russisch“ – Am Beispiel von „Russenorsk“ Onlinezugriff: http://www.sub-arctic.ac.at/?s=russenorsk&op.x=-1245&op.y=-756

Die Warschauer Seejungfer

Warschau, die Hauptstadt Polens, liegt an der Weichsel (poln. Wisła), deren Lauf sich bis zur Ostsee fortsetzt. Damit eignete sie sich hervorragend als Wirtschaftsweg für allerlei Waren. Und es verwundert daher auch nicht, dass im Stadtwappen von Warschau ein Wasserwesen zu finden ist: Die Warschauer Seejungfer (poln. Warszawska Syrenka).

Sie ist nicht nur Teil des Wappens, sondern auch die Schutzpatronin der Stadt. Um ihre Herkunft und Bedeutung ranken sich zahlreiche Legenden. Die Anfänge Warschaus reichen bis ins 9. Jahrhundert zurück, die erste Erwähnung eines Stadtwappens mit der Seejungfer als Motiv im Jahr 1390. Jedoch sah sie damals einem Fischwesen noch nicht ähnlich, eher ein Drachenwesen mit Flügeln. Auf manchen Abbildungen erscheint die Figur als Mann mit nacktem Oberkörper, doch etwa 150 Jahre später bekommt sie ihren Fischschwanz und eindeutig weibliche Merkmale, die sich über die Jahrhunderte nur noch unwesentlich verändern. Als Schutzpatronin ist sie mit Schild und Schwert ausgestattet. Wenn man in Warschau unterwegs ist, kann man mehrere Statuen sehen u.a. eine von Konstanty Hegel geschaffene auf dem Altstadt-Marktplatz von 1855, eine am Markiewicz-Viadukt (siehe Bild oben) von 1905 und eine von 1939, die am linken Weichselufer steht. An der Zahl kann man gut erkennen wie wichtig den Warschauer*innen ihre Syrena ist.

Verschiedene Legenden sind überliefert, wie die Warschauer Seejungfer nach Warschau gekommen ist, so ganz sicher kann man nie sein. Eine Legende besagt, dass Fischer sie im Fluss gefangen haben und mit in die Siedlung nahmen. Aber durch den Gesang konnte die Seejungfer die Menschen überzeugen sie wieder freizulassen. Da drängt sich schnell der Vergleich mit der Loreley oder den Sirenen der griechischen Mythologie auf, die ebenfalls wunderschön singen können. Eine andere Legende berichtet, dass es zwei Seejungferschwestern gab, die im Meer lebten. Eine blieb in der Ostsee bzw. auf einem Felsen in Kopenhagen, die zweite schwamm in die Weichselmündung hinein und bis zur Siedlung des heutigen Warschaus. Sie wollte sich dort ausruhen, fand aber Gefallen an dem Ort, blieb und wurde Stadtpatronin.

Solche Mischwesen, wie die Sirene oder Seejungfer, sind in fast allen Kulturen bekannt. Je nach Ursprung werden ihr gute oder böse Eigenschaften bzw. magische Kräfte zugesprochen, von denen sich die Menschen mitunter Hilfe versprechen. Die häufige Darstellung in Wappen o.ä. zeigt die Faszination für Fabelwesen, vor allem für weibliche. Ein männliches Gegenstück zur Seejungfer ist der Wassermann, der in zahllosen Geschichten auftritt.

Meer- oder Seejungfrauen wirken oft hilfsbedürftig oder sind mit einem Bann belegt, den nur ein tapferer Mann lösen kann, die sogenannte Erlösungsbedürftigkeit. Sirenen dagegen werden als eher böse und listig beschrieben, die Seeleute oder Fischer in den Tod schicken, in dem sie z.B. singen oder andere Versprechungen machen, siehe Loreley oder die Sirenen bei Odysseus. Im osteuropäischen Raum kennt man auch die Rusalky, die Schiffe oder Brücken zerstören und die Vily, die gut oder böse sein können.

Ob zu Ehren der Warszawska Syrenka oder der Schönheit des Namens wegen, wer weiß, haben die Polen ein Auto „Syrena“ genannt, dass in Warschau gefertigt wurde.

Quellen

Hinz, Berthold. Sirenen. In: Maria Moog-Grünewald (Hrsg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart. Metzler, Stuttgart/Weimar 2008

Warschauer Seejungfer | Stadtführer Warschau (stadtfuehrer-warschau.com)

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