Baltische Mythologie

Eigentlich ist der Begriff „Baltische Mythologie“ ein Sammelbegriff, denn er beinhaltet drei Mythologien: die der Letten, Litauer und Prußen. Sie haben zwar alle den gleichen Ursprung und, wegen der geografischen Nähe, auch ähnliche Namen und Bezüge, aber unterscheiden sich doch deutlich voneinander. Auch die Quellen gehen, vor allem zahlenmäßig, weit auseinander.

Die Gebiete der Balten (ich nutze den Begriff als Verallgemeinerung und beziehe mich dabei auf alle drei Gruppen) umfasst das Gebiet zwischen Weichsel und Memel (Prußen), Memel und Düna (Litauer) und Livland (Letten). Sie lebten dort wahrscheinlich als einfache Bauern, organisierten sich aber in Gruppen, um sich vor allem gegen ihre stärkeren Nachbarn z.B. die slawischen Stämme zu verteidigen. Ab wann genau die Balten dort lebten, ist nicht ganz geklärt. Erste schriftliche Erwähnungen finden sich in Quellen aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Man geht davon aus, dass die baltischen Stämme die Gebiete erst nach den Slawen besiedelten, Grenzstreitigkeiten ergaben sich damit von selbst.

Die heidnischen Stämme wurden im Mittelalter vom Deutschen Orden christainisiert, der von Polen aus immer tiefer ins Baltikum vorrückte. Vor allem die Prußen passten ihre Bräuche und Traditionen schnell an die christliche Lehre, was vielleicht auch an ihrer Stammesstruktur lag, die eine Anpassung erleichterte.

Die Litauer sahen in der Christianisierung eine politische Chance sich mehr an Polen zu binden, das schon vorher zum christlichen Glauben übergetreten war. Damit verlief eine religiöse Grenze zwischen ihnen, die durch die Bekehrung des Litauers Jogaila (poln. Władysław II. Jagiełło) und der Heirat mit Hedwig von Anjou (poln. Jadwiga Andegaweńska) endgültig verschwand.

Die Letten hatten nie solch eine staatsähnliche Struktur wie die Prußen, sie wurden im 12. Jahrhundert christianisiert, lebten aber eher ländlich und verstreut. Das ermöglichte ihnen, trotz des christlichen Glaubens, an ihren heidnischen Bräuchen und Traditionen festzuhalten.

Die Prußen lebten einen Polytheismus, der vor allem auf Naturgeister beruhte, die in Tieren und Pflanzen oder auch in Sonne und Mond lebten. Die Idee, die Natur als göttlich oder heilig anzusehen, ist nicht ungewöhnlich, aber die Intensität ist bei den Prußen auffällig. In ihrem Siedlungsgebiet gab es heilige Stellen, meist im Wald, in denen kein Holz geschlagen und nicht gejagt werden durfte. Sehr wahrscheinlich ist, dass es eine Art Priester für Zeremonien gab. Interessanterweise glaubten die Prußen an ein Jenseits, was sich an ihren Begräbnisszeremonienen erkennen lässt: Sie geben den Toten Grabbeigaben mit und versorgten auch ihre Ahnen mit regelmäßigen Opfergaben wie Teile der Ernte oder Opfertiere. Die Namen von Gottheiten sind nur spärlich überliefert. Curche, Patollos und Natrimpe scheinen sicher zu sein, aber da auch die Natur an sich als heilig angesehen wurde sind die Übergänge fließend.

In der Mythologie der Litauer erkennt man eindeutige Einflüsse der Slawen, die aufgrund der geografischen Nähe nicht ungewöhnlich sind. Auch die These, dass sich vom Indogermanischen erst eine ur-baltoslawische Sprache abgespalten hat, die sich später in baltisch und slawisch trennte, mag eine Erklärung für die Ähnlichkeiten sein. Die schriftlichen Quellen, von christlichen Gelehrten, zeigen zwar ein klares Bild, sind aber nicht wohlwollend geschrieben und kritisieren das Brauchtum mit Opfergaben usw.

Ähnlich wie die Germanen und Slawen verehrten die Litauer eine Reihe von Gottheiten, die meist auf Natur oder Naturphänomenen beruhen. Einer der bekanntesten Götter ist Perkunas, ein Himmel- und Donnergott, und Laima, die Göttin des Schicksals, die noch zwei Schwestern hat, wobei sich da sofort der Vergleich mit den drei Nornen aus der nordischen Mythologie aufdrängt.

Es gab noch weiter Götter, zum Schutz für Haus und Hof oder für das Vieh, denen man regelmäßig Opfer darbrachte. Die Frage, ob es Tempel für diese Zeremonien gab, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Wahrscheinlich ist, dass die heiligen Wälder oder Haine Orte der Zeremonien waren. Wie die Prußen zelebrierten auch die Litauer die Feuerbestattung mit großem Eifer, wertvolle Beigaben inklusive. Durch die Christianisierung ging dieser Kult aber schnell verloren.

Bei den Letten sehen wir große Ähnlichkeiten zu den Litauern und Prußen. Trotzdem konnten die Letten ihre Traditionen und Bräuche noch bis weit über das Mittellalter bewahren, obwohl sie schon im 13. Jahrhundert vollständig christianisiert waren. Der Kontrast zwischen der Oberschicht, die den alten Glauben ablehnte, und der einfachen Landbevölkerung zeigt sich im Umgang mit den heidnischen Bräuchen sehr stark. Auch in der lettischen Mythologie spielen Gegensätze wie Himmel und Erde, Sonne und Mond eine entscheidende Rolle. Die Gottheiten des Himmels sind vorwiegend männlich z.B. Pērkons, der Donnergott oder Dievs, der Himmelsgott, während viele weibliche Göttinnen sich um die Erde, Wachstum (sogenannte Müttergöttinnen – Mātes) und das Schicksal (Laima) kümmern. Auch die Letten betrieben einen intensiven Opfergabenkult, um für Sicherheit und Gesundheit von Familie, Hof und Haus zu bitten.

Allgemein kann man auf nur wenige schriftliche Überlieferungen der Balten zurückgreifen, doch es gibt, zumindest für die Litauer und Letten, eine Sammlung von Gedichten und Liedern (ähnlich wie die isländische Edda), die lettischen Dainas bzw. litauischen Dainos. Sie geben nicht nur Auskunft zur Kultur, sondern sind auch für Sprachwissenschaftler eine Forschungsquellen. Weitere schriftliche Quellen sind vorwiegend in Chroniken oder Berichten von christlichen Schreibern zu finden, deren Objektivität meist angezweifelt werden kann.

Die Mythologie im baltischen Raum erlebt in den letzten Jahrzehnten eine Art Renaissance, es bildeten sich im 20. Jahrhundert sogenannte neuheidnische Religionsgemeinschaften. Bekannt und recht beliebt sind die beiden Gruppen Dievturi in Lettland und Romuva in Litauen. Sie greifen auf die heidnischen Elemente zurück und betonen vor allem die Einheit von Mensch und Natur.

Quellen

Biezais, Haralds. Germanische und baltische Religion in Die Religionen der Menschheit. Band 19/1. Kohlhammer, Stuttgart 1975

Grimal, Pierre. Mythen der Völker III. Fischer Bücherei. Hamburg 1963

Polnisch – so nah, doch so unbekannt

Mit bis zu 55 Millionen Sprechern (hier sind alle Sprecher*innen mit eingerechnet) ist das Polnische die größte westslawische Sprache, in der slawischen Sprachfamilie belegt es hinter Russisch den zweiten Platz. Wie alle slawischen Sprachen stammt es aus der riesigen Sprachfamilie des Indoeuropäischen, aus dem sich das Slawische abgespalten hat.

Die slawischen Stämme, die Polnisch oder einen Dialekt davon sprachen siedelten um die Flüsse Weichsel, Warthe und Oder. Wann genau die polnische Sprache entstand kann man nicht genau sagen, aber die ersten Zeugnisse stammen aus der Zeit um 1100. Die vorherige Erwähnung der Sprache findet sich vereinzelt in Chroniken, die Missionare verfassten, wurde aber nicht überliefert. Als erstes Zeugnis gilt die Bulle von Gnesen aus dem 12. Jahrhundert, in der Namen und Ortschaften in Polnisch zu lesen sind.

Als Sprache in Literatur und Verwaltung nutze man lange Zeit das Lateinische, da das Gebiet der Westslawen mehrheitlich katholisch geprägt war. Erst ab dem 14. Jahrhundert nutzte man Polnisch als Literatursprache, Zeugnisse sind z.B. die Bogurodzica oder der Florianer Psalter.

Die ereignisreiche Geschichte Polens gipfelte 1795 in der endgültigen Teilung Polens, in dessen Zuge auch die polnische Sprache in den geteilten Gebieten zurückgedrängt wurde. Polnisch war in der Teilungszeit eher Familiensprache, denn die Verwaltung und die Schulbildung wurde von den Teilungsmächten Preußen und Russland in der jeweiligen Landessprache verpflichtend eingeführt. Galizien, als Teil des österreichischen Reiches, behielt seine Sprachautonomie weitestgehend. Nach der Gründung der Zweiten Republik 1918 wurde Polnisch als Amtssprache wieder eingeführt. In den Nachbarstaaten Polens ist Polnisch als Minderheitensprache anerkannt, einzige Ausnahme ist Deutschland.

Neben dem Standardpolnischen gibt es zahlreiche Dialektgruppen, meist in 6 Gruppen unterteilt: Schlesisch, Großpolnisch, Kleinpolnisch, Masowisch, neue Mischdialekte und das Kaschubische, wobei das Kaschubische als eigene Sprache und nicht als polnischer Dialekt anerkannt ist.

Das Polnische wird in lateinischer Schrift geschrieben, die fehlenden typisch slawischen Laute werden mit Hilfe von diakritischen Zeichen wiedergegeben und ist meist phonetisch, was Lernenden den Anfang etwas erleichtert, wenn auch nur beim Schreiben.

Wie fast alle slawischen Sprachen ist das Polnische eine stark flektierende Sprache, was deutsche Sprecher*innen zu Beginn vor Probleme stellen kann. Auch das Vorhandensein von sieben Fällen, wobei der siebte langsam schwindet, sieht im ersten Moment schlimmer aus als es ist.

Die Aussprache des Polnischen ist gewöhnungsbedürftig, man hat oft das Gefühl es würden vor allem Vokale fehlen (die Tschechisch Sprechenden werden jetzt wahrscheinlich lachend abwinken) oder jemand hat einfach nur Konsonanten beim Scrabble gezogen, aber mit ein wenig Übung klappt es schon. Versucht doch mal ‚chrząszcz‘ auszusprechen (als kleine Hilfe: das ‚ą‘ spricht man wie das ‚on‘ in Bonbon). Was jetzt so typisch Französisch klingt, ist unter den slawischen Sprachen eine polnische Besonderheit: Die Nasalvokale /ą/ und /ę/. Das Urslawische hatte ursprünglich Nasalvokale, die aber nur im Polnischen und Kaschubischen, das will ich nicht unterschlagen, erhalten geblieben sind.

Durch die enge Nachbarschaft zum Deutschen sehen wir im Polnischen zahlreiche deutsche Entlehnungen z.B. handel – Handel oder ratusz – Rathaus. Aber auch das Deutsche hat einige Begriffe übernommen: die ‚Gurke‘ kommt vom Wort ‚ogórek‘ und das beliebte ‚Dalli!‘ von ‚dalej‘ -dt. ‚weiter‚.

Trotz der geografischen Nähe zu Deutschland gilt das Polnische für die Deutschen als exotisch, zu schwer oder einfach uninteressant. Die gemeinsame Geschichte und die vielen Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Polen lassen aber immer mehr Menschen den Reiz der polnischen Sprache erkennen. Spätestens seit dem EU-Eintritt Polens 2004 und der Nutzung des Polnischen als eine der 24 Amtssprachen der EU, ist die Präsenz der polnischen Sprache innerhalb Europas und vor allem in Deutschland gestiegen.

Selbst einfachste polnische Sprachkenntnisse werden in Polen mit Begeisterung aufgenommen. Probiert es mal mit einem einfachen ‚Dzień dobry!‘, gesprochen [d͡ʑɛɲ ˈdɔbrɨ], beim nächsten Besuch in Polen! Ein Lächeln des Gegenübers ist euch sicher!

Quellen

Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Peter Rehder (Hrsg.): Einführung in die slavischen Sprachen. 3. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1998

Jules Verne – Vater des Science-Fiction-Genres

„Alles, was ein Mensch fähig ist zu ersinnen, werden andere fähig sein zu verwirklichen.“

Dieses Zitat stammt von Jules Verne, einer der Begründer des Science-Fiction-Genres. Seiner Fantasie entsprangen Werke wie „20.000 Meilen unter dem Meer“ und „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“, deren Inhalt viele Generationen von Lesern bis heute begeistern.

Geboren wurde Jules-Gabriel Verne am 8. Februar 1828 in Nantes in eine privilegierte Familie, die ihm eine hervorragende Schulbildung und ein Studium ermöglichte. Seine Begeisterung für die Seefahrt entdeckte er schon früh. Seine Heimatstadt Nantes war eine blühende Hafenstadt und Schiffe faszinierten Verne von klein auf.

Schon in seiner Studienzeit begann Verne mit ersten literarischen Schreibversuchen, sein Studium in Paris ermöglichte ihm die Bekanntschaft mit der Pariser Literaturszene, zu der auch Alexandre Dumas gehörte. Durch ihn erhielt Verne Förderung und Bestätigung seiner Arbeit. Zu Beginn schrieb er verschiedene Texte, probierte sich aus, von Kurzgeschichten über Theaterstücke war alles mit dabei.

Er arbeitete nach dem Studium einige Zeit für das Theater, schrieb Stücke, beschäftigte sich aber auch mit eigenen Ideen. Seine berufliche Karriere lief nur schleppend, er versuchte sich als Makler, mit mittelmäßigem Erfolg. Privat lebte er bescheiden, heiratete und bekam Sohn Michel, der sich später dem Nachlass seines Vaters annahm.

Wie schon als Kind erhofft, unternahm er Ende der 1850er Jahre Schiffsreisen, unter anderem nach Norwegen und Schottland. Seine ersten Romane sprühen vor Begeisterung über die Seefahrt und Abenteuer. Verne Verleger Pierre-Jules Hetzel unterstützte diese Art von Abenteuerromanen, von denen Verne im Laufe der Jahre einige schrieb. Er tauchte nicht nur in die Seefahrerwelt ein, auch andere technische Neuerungen wollte er in seine Werke einbauen. Dafür recherchierte er intensiv, traf sich mit Wissenschaftlern, reiste viel und las sich ausgiebig.

Sein Interesse für Technik und dergleichen findet man in den Romanen, die oft ziemlich genau die zukünftigen technischen Erfindungen vorausnehmen, die für uns heute selbstverständlich sind. Auch die die Lust am Reisen begeisterte ein breites Publikum, die Ausgaben fanden guten Absatz, bis heute.

Schon sein erster Roman „Fünf Wochen im Ballon“ (1862) war ein großer Erfolg. Man kann sich vorstellen, dass die Faszination des Fliegens bei den Menschen den Erfolg des Buches unterstützte. Der Roman war der Auftakt zu einer ganzen Romanreihe, herausgegeben als Zyklus „Außergewöhnliche Reisen“.

Einige seiner bekanntesten Werke sind: „Reise zum Mittelpunkt der Erde“(1864), „Von der Erde zum Mond“ (1865), „20.000 Meilen unter dem Meer“ (1869) und „Reise um die Erde in 80 Tagen“ (1872), zumindest im deutschsprachigen Raum. Diese und viele andere sind in viele Sprachen übersetzt worden und werden regelmäßig neu aufgelegt.

Die anfänglichen finanziellen Probleme Vernes waren mit den erfolgreichen Romanen Geschichte, aber sein Glück wurde durch die familiären Probleme mit seinem Sohn getrübt. Er entwickelte sich nicht nach Vernes Wünschen. Wahrscheinlich ist, dass die häufige Abwesenheit des Vaters ein Grund für die Probleme war.

Jule Verne starb am 24. März 1905 in seinem Haus in Amiens (Frankreich). Sein Sohn Michel kümmerte sich viele Jahre lang um den literarischen Nachlass seines Vaters. Er gab unveröffentlichte Werke seines Vaters heraus und versuchte sich auch selbst am Schreiben.

Vernes Werke sind bis heute Klassiker der Literatur, vor allem für Fans der Science-Fiction- Literatur. Die in den Romanen vorkommenden Fahr- oder Flugzeuge sind zu Zeiten Vernes noch in weiter Ferne. Dies macht seine futuristischen Erzählungen so interessant für seine damaligen Leser. Doch auch in der heutigen Zeit kann man über Vernes Ideen ins Grübeln kommen, denn viele davon wurden schließlich wirklich (oder gerade dessen?) in die Tat umgesetzt. Auch der Flug zum Mond erscheint uns heute als nichts besonders, aber damals als Ding der Unmöglichkeit.

Wie vielen Schriftstellern, wird auch Jule Verne nicht von allen als ernstzunehmender Autor anerkannt. Seine Romane und Geschichten erscheinen als wenig tiefgründig, üben zu wenig Gesellschaftskritik und sprechen scheinbar nur ein begrenztes Publikum an. Dabei darf man nicht vergessen, dass einige seiner Romane mit großem Erfolg verfilmt wurden!

Verne selbst wird es nicht kümmern, was andere darüber denken. Er hat seine Faszination für Technik, Abenteuer und Reisen auf viele spannende Arten in großartige Geschichten verpackt, Tiefgründigkeit hin oder her. Die Welt wäre um einiges an Fantasie ärmer, gäbe es Jule Vernes Werke nicht. Und seien wir mal ehrlich: Wären wir nicht auch gerne mal in solch einer Geschichte wie Phileas Fogg oder Kapitän Nemo?

Quellen

Volker Dehs: Jules Verne. Eine kritische Biographie. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2005

Heinrich Pleticha (Hrsg.): Jules Verne-Handbuch. Verlagshaus Stuttgart, Stuttgart 1992

Regionen- mehr als Geografie?

Wir alle kennen den Begriff Region aus Schule und den Medien. Doch was bedeutet dieser Begriff eigentlich?

Der Wortbegriff Region geht auf das Lateinische zurück (regere- dt. leiten) und wurde früher vor allem im Sinne der Verwaltung verwendet. Heute vereint der Begriff viel mehr als eine geografische oder administrative Bedeutung. Die Geschichte einer Region lässt sich nicht in der reinen Geografie beschreiben. Dazu gehört auch ihre Sprache, Bräuche, Trachten und und und……vor allem die Menschen. Erst durch die Menschen, die diese Region ihre Heimat nennen, wird sie mit Leben gefüllt.

Identität und Region gehen in vielen Fällen Hand in Hand, ungeachtet ob natürlichen oder politischen Grenzen dies erschwerten. Geschichtlich ist das keine Seltenheit, wie wir noch sehen werden.

Jede Region ist, politisch gesehen, einem Staat untergeordnet, manchmal auch zwei oder drei Staaten. Das ist mehrheitlich eine politische Entscheidung, die Menschen der jeweiligen Region werden so gut wie nie nach ihrer Meinung gefragt. Ein gutes Beispiel ist die Politik Preußens in Elsass-Lothringen nach dem deutsch-französischen Krieg 1871, die im Zuge des ‚Frankfurter Friedens‘ der (auch französischen) Bevölkerung das Ultimatum stellt entweder ins französische Gebiet auszusiedeln oder die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, was mit einer starken Germanisierungstendenz der Politik einher ging. Den Menschen blieb also die Wahl zwischen dem Verbleib in der Heimat mit Identitätsverlust oder dem Heimatverlust mit schleichendem Identitätsverlust aufgrund der Assimilation an die neue „Heimat“. Wie soll man sich da entscheiden?

Unabhängig von der Identitätsfrage, hängt dem Begriff ‚Region‘ oft auch etwas Provinzielles an, fern der großen Metropolen, die schnell wachsen und die Mode diktieren. Doch genau dieser Schnelllebigkeit und Anonymität der Metropole entgeht eine Region, die in der Zeit stillzustehen scheint. Das Leben bleibt kleiner, langsamer, naturverbundener, traditioneller, aber nicht im Sinne der Rückständigkeit. Das regionale Leben setzt sich vom Leben in der Metropole ab, ist anders, ohne es zu werten.

Ich würde mal mutig behaupten, dass das Leben in der Stadt, in der Anonymität, für viele Menschen eine Möglichkeit ist anders als es erwartet wir. In einer kleineren Gemeinschaft oder auf dem Dorf kennt man sich, man wird in eine feste kulturelle Umgebung geboren, mit der sie sich (wahrscheinlich, aber nicht immer) identifizieren kann. Der Ort, an dem man aufwächst, erfüllt wichtige Funktionen der Identitätsfindung.

Wir alle kennen solche Regionen, in jedem Land gibt es sie, meist verbunden mit bestimmten Narrativen. Diese Narrative werden über Generationen entwickelt und weitergegeben. Schließlich prägen sie das Verständnis der Region und schaffen eine Identität der Region selbst. Die Menschen in der jeweiligen Region werden mit ihr assoziiert und bilden eine Einheit.

Wird diese Einheit aus verschiedensten Gründen gestört, können Konflikte entstehen. Oftmals in der Geschichte waren Kriege oder neue Grenzziehungen einer der Hauptgründe. Dabei wurde meistens die Bevölkerung vertrieben oder umgesiedelt, die Vertriebenen sehen sich zurück und haben Probleme sich in ihrer neuen Umgebung heimisch zu fühlen.

Ein Beispiel dafür ist Schlesien bzw. die Schlesier (hier sind die deutschstämmigen Schlesier gemeint), die noch heute ihre schlesischen Traditionen fern ab der Heimat pflegen. Zwar werden die nächsten Generationen Schlesien nicht mehr mit den gleichen Augen sehen wie ihre Vorfahren, aber das in der Familie vermittelte Heimatgefühl und die Identität als Schlesier wird weitergegeben. Daraus resultiert nicht nur das Heimatgefühl, sondern es entsteht auch Literatur und eine Sprachkultur, die sich meist auf die Heimat bezieht.

Welche Regionen ein solche Rolle im Leben der Menschen spielt, werden wir in dieser neuen Kategorie beleuchten.  

Quellen

Wolfgang Krumbein, Hans-Dieter von Frieling, Uwe Kröcher, Detlev Sträter (Hrsg.). Kritische Regionalwissenschaft. Gesellschaft, Politik, Raum. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2008

Philipp Ther, Holm Sundhaussen. Regionale Bewegungen und Regionalismen in europäischen Zwischenräumen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Verlag Herder-Institut, Marburg 2003

Die Dialektkarten von Wenker

Das Ergebnis der Befragungen Georg Wenkers zur Erfassung der deutschen Dialekte im Deutschen Kaiserreich waren 1668 per Hand gezeichnete Karten, die alle Merkmale der deutschen Dialekte abbilden sollten. Diese Dialektkarten sind ein wichtiges systematisches Werkzeug in der Dialektologie und ein Novum im 19. Jahrhundert.

Der Begriff Dialektkarte setzt sich zusammen aus den Wörtern ‚Karte‘ (lat. charta) und ‚Dialekt‘ (lat. dialectus –  ‚Gespräch/Diskussion‘ oder ‚Redeweise‘).

Eine Dialektkarte ist, ähnlich wie eine Landkarte, Sammlung verschiedener Varianten eines Merkmals, eine sogenannte thematische Karte. Auf den Karten wird der Zeitbezug ausgeklammert bzw. ist eine Momentaufnahme der Merkmale. Spätere Karten können anders aussehen in Bezug auf das gleiche Merkmal.

Die Dialektkarten, die Wenker und seine Mitarbeiter aus den Fragebögen anfertigten, ermöglichte es nicht nur die momentane Dialektverteilung im Deutschen Reich nachzuverfolgen, sondern auch die Nachverfolgung der Lautgeschichte des Deutschen bis in die heutige Zeit. Die Karten waren der erste Versuch die Dialekte systematisch zu erfassen und darauf Dialektgrenzen aufzuzeigen. Dabei musste man sich mit der Momentaufnahme jedes Merkmals begnügen, die heutige Technik ermöglicht auch einen Zeitbezug innerhalb der jeweiligen Karte abzubilden.

Je mehr Informationen man zu Verfügung hat, desto detaillierter kann man die Karten gestalten, wichtig ist aber auch übersichtlich zu bleiben und klare Dialektgrenzen zu ziehen. Das erwies sich bei der riesigen Datenmenge, die Wenker auszuwerten hatte, als schwierig. Die Überschneidungen einiger Daten und die Übersichtlichkeit müsste berücksichtigt werden.

Jede Karte war mit einer Legende versehen, die nicht nur die Dialektgrenzen, sondern auch die unterschiedlichen Realisierungen des sprachlichen Merkmals erklärte.

Im Wenker-Atlas sind vor allem Laut-Karten vertreten z.B. die Verteilung von Diphthongen. Auch einige morphologische Karten sind dabei, aber solche Veränderungen sind schwieriger zu kartografieren als Lautveränderungen.

Die Besonderheit der Dialektkarten besteht darin, dass man demografische Daten mit den Lautunterschieden der Regionen vergleichen kann und dadurch Rückschlüsse auf Bewegungen der Dialektgrenzen oder demografischen Veränderungen z.B. Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte usw. ziehen kann. Die Sprachgeschichte des Deutschen könnte viele Entwicklungen ohne diese Karte nicht rekonstruieren, denn die technischen Mittel waren zu Wenkers Zeiten, im 19. Jahrhundert, recht begrenzt vor allem wenn man die Datenmenge bedenkt.

Vor allem der unglaubliche Aufwand, den Wenker und seine Mitarbeiter über die Jahre leisteten (Entwicklung und Auswertung der Fragebögen, Zeichnen der Karten etc.) beeindrucken mich. Die heutige Technik macht vieles einfacher und vor allem schneller, aber ich mag die alten Karten sehr!

Die Methodik der Erhebung würde nach heutigen Maßstäben nicht mehr verwendet werden. Das Ausfüllen der Fragebögen wurde von Lehrern der jeweiligen Gebiete erledigt, deren Angaben nicht nochmal überprüft wurden. Man könnte argumentieren, dass sich dadurch viele Fehler eingeschlichen haben.

Trotz allem wurde der Grundstein unserer modernen Dialektologie von Wenker und seinen Mitarbeitern gelegt. Die Karten mögen heute veraltet sein, aber sie sind nicht nur ein Stück (Sprach-)Geschichte, sondern auch ein schützenswertes Kulturgut.

Quelle

Niebaum, Hermann & Macha, Jürgen. Einführung in die Dialektologie des Deutschen. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014.

Die kyrillische Schrift

Unter den zahlreichen Alphabetschriften, die Europa und Asien heute bekannt sind, haben sich einige weit verbreitet, unter anderem die kyrillische Schrift. Sie wird in vielen Ländern verwendet, mit kleinen Anpassungen an die jeweiligen Sprachen. Vor allem die ostslawischen Sprachen wie Russisch und Ukrainisch verwenden kyrillische Schrift, aber auch südslawische wie Serbisch oder Mazedonisch und einige Turksprachen wie Kirgisisch und Kasachisch.

Um die Entstehung des Kyrillischen ranken sich einige Mythen. Die Entwicklung der Schrift wird Kyrill von Saloniki (er hieß eigentlich Konstantin) zugeschrieben, aber neuere Forschungen zweifeln das an, da die Schrift wahrscheinlich erst knapp ein Jahrhundert nach seinem Tod entstand. Aber der Vorläufer, die glagolitischen Schrift, stammt höchstwahrscheinlich von ihm.

Kyrill und sein Bruder Method waren Missionare, die einen entscheidenden Beitrag zu Christianisierung der Slawen leisteten. Sie waren umfassend gebildet, beherrschten Latein, Griechisch und Hebräisch.

Als sicher gilt die Tatsache, dass die kyrillische Schrift über das Gagolitische und Griechische aus der phönizischen Schrift, die quasi die Urschrift für fast alle europäischen Buchstabenschriften ist, entwickelt wurde.

Die ersten Texte in kyrillischer Schrift, stammen von Konstantin von Preslaw aus dem 10. Jahrhundert und sind in altbulgarischer Schrift, vor allem christlichen Inhaltes. Ein bedeutender Fund kyrillischer Schrift auf einer Steintafel ist die Grabinschrift von Ana, einer Tochter des bulgarischen Zaren (ebenfalls 10. Jahrhundert).

Im Laufe der Zeit veränderte sich die Schrift, je nach Sprache. Die ursprünglichste Form zeigt sich im Altkirchenslawischen, das sich durch den Einfluss der christlichen Lehre immer weiterverbreitete.

Heute wird vor allem das Russische mit der kyrillischen Schrift assoziiert. In Russland setzte Peter der Große Anfang des 18. Jahrhunderts eine vereinfachte Form der Schrift durch, die sich seiner Meinung nach besser an die lateinische Schrift des Westens anpassen sollte. Dazu muss man sagen, dass Peter der Große allgemein die Modernisierung Russlands vorantreiben wollte, wobei er sich oft an westlichen Vorbildern orientierte. Die Vormachtstellung des Russischen Reiches in der Geschichte erleichterte sicherlich die Verbreitung und Etablierung des Kyrillischen. Sprachen im Russischen Reich, die keine eigenen Schrift hatten, wurde der Einfachheit halber mit dem kyrillischen Alphabet geschrieben z.B. Ket, eine jenisseische Sprache in Sibirien (vom Aussterben bedroht).

Andere Länder, wie Bulgarien oder Serbien, veränderten ihre Schriften bis zur heutigen Form. Dabei kann es auch vorkommen, dass eine Sprache (Serbisch ist so ein Beispiel dafür) in lateinischer und kyrillischer Schrift geschrieben wir, was oft eine politische Entscheidung ist.

Eine Faustregel bei der Frage, welche Sprache in kyrillischer Schrift geschrieben wird, lautet: Ist das Land, in dem die Sprache gesprochen wird, christlich-orthodox schreibt man kyrillisch. Aber keine Regel ohne Ausnahme, wie jeder weiß! Diese Regel lässt sich nicht für das Rumänische anwenden, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist Rumänisch eine romanische Sprache (wir erinnern uns, dass die kyrillische Schrift meist in slawischen Sprachen verwendet wird) und zweitens entschied man sich im 16. Jahrhundert, trotz mehrheitlichen orthodoxen Glaubens der Bevölkerung, das kyrillische Alphabet gegen das lateinische zu tauschen.

Wer nur das lateinische Alphabet kennt, für den ist die kyrillische Schrift etwa gewöhnungsbedürftig. Man kann drei Gruppen von Buchstaben unterscheiden. Einige Buchstaben wie A oder K werden gleich geschrieben und gesprochen, machen also keine Probleme für Lateinschriftleser. Dann gibt es Buchstaben wie B oder P, deren Aussehen wir kennen, die aber anders ausgesprochen werden. Die dritte Gruppe sind Buchstaben, deren Form und Aussprache wir nicht ableiten können (wenn man Griechisch lesen kann, ist das vielleicht was anderes) wie z.B. Ф oder Щ. Die Laute zu den Buchstaben können, müssen aber keine Deutsche Entsprechung haben. Hinter einigen „verstecken“ sich typisch slawische Laute.

Ein paar Unterschiede muss man aber noch beachten, je nachdem in welcher Sprache man sich befindet. Einige ukrainische Buchstaben gibt es in den anderen kyrillischen Alphabeten nicht, genauso wie einige serbische Buchstaben usw.

Aber mit ein wenig Übung lernt jeder das jeweilige Alphabet lesen. Es ist ungewohnt, vor allem wenn man nur das lateinische Alphabet gewöhnt ist. Doch das hat man als Kind in der Schule auch nicht an einem Tag gelernt, also etwas Geduld und fleißig üben!

Quellen 

Rehder, Peter (Hrsg.). Einführung in die slavischen Sprachen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003

Iliev, Ivan.  Kurze Geschichte des kyrillischen Alphabets. Plovdiv 2015

Slowenisch

Slovenščina (dt. slowenisch) ist eine südslawische Sprache, gesprochen in Slowenien und teilweise in den Nachbarstaaten wie Italien oder Österreich.

Obwohl die Sprecherzahlen mit 2,2 Millionen Slowenisch als kleine Sprache kennzeichnen, ist sie doch schon früh standardisiert und in der Literaturlandschaft Sloweniens vertreten. Auch der immerwährende und frühe Kontakt zu anderen Sprachen wie Deutsch, Italienisch oder Ungarisch und die starke Präsenz des Serbokroatischen zu Zeiten Jugoslawiens, veränderten die Sprache nicht grundlegend.

Das ursprüngliche Sprachgebiet des Slowenischen gibt die Forschung mit dem Gebiet des Fürstentum Karantanien (etwa im 7. Jahrhundert n. Chr.) an, dass sich etwas weiter nördlich des heutigen slowenischen Staates befand. Dieses Fürstentum hatte sicherlich rege Kontakt mit den Nachbarn, trieb Handel usw. Die slowenischen Dialekte zeugen heute noch davon. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass es noch keinen slowenischen Staat gab, sondern verschiedene Stämme, die eine gemeinsame Sprache sprachen.

Die ersten Quellen, die Aufschlüsse über ein slowenisch sprechendes Volk geben, stammen von Primož Trubar aus dem Jahr 1550. Es herrscht Unklarheit, ob die beschriebenen Slovenci schon mit Slowenen, also den slowenisch Sprechenden gleichzusetzten sind. Die Quellenlage bessert sich ab dem 16.Jahrhundert, ab da gab es mehr Quellen z.B. Bibelübersetzungen. Durch diese konnte sich eine Standardschriftsprache entwickeln, die bis heute fortgeführt wird, sprachliche Veränderungen natürlich eingeschlossen, wie bei allen lebenden Sprachen. Die gesprochene Sprache weist über die Zeit Unterschiede zur Schriftsprache auf, die Dialekte beispielsweise.

Als Teil des Habsburger Reiches wurde den Slowenen die Verwendung des Slowenischen als Amtssprache zugestanden, was nicht nur im Verwaltungs- und Schulwesen eine positive Entwicklung bedeutetet, sondern auch im Bereich der Literatur und der Identitätsbildung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Slowenien Teil Jugoslawiens, aber Slowenisch war als Amtssprache (neben Serbokroatisch, Mazedonisch und Albanisch) etabliert und wurde immer verwendet. Nach 1991 erfüllte es die Funktion der alleinigen Amtssprache Sloweniens, einer Regional- und Minderheitensprache in einigen Nachbarstaaten und nach dem EU-Beitritt 2004 auch eine der 24 Amtssprachen der EU.

Slowenisch schreibt man mit dem lateinischen Alphabet, ergänzt um einige Buchstaben, die die slawischen Laute ergänzen (Č, Š, Ž), insgesamt gibt es 20 konsonantische und 5 vokalische Grapheme. Die Schreibung ist meist phonetisch, die Aussprache ist aber nicht so leicht wie man denkt.

Das Phoneminventar besteht aus 22 konsonantischen und 13 vokalischen Phonemen, man erkennt also eine Dopplung der Phoneme in der Verschriftlichung.

Typisch für die slawischen Sprachen, ist auch das Slowenische eine flektierende Sprache, mit 6 Kasus, 3 Numeri (darunter der in Europa seltenen Dual) und 3 Genera.

Zum großen Teil besteht der Wortschatz aus slawischen Erbwörtern, doch der stetige Sprachkontakt hat zahlreiche Entlehnungen u.a. aus dem Lateinischen, Italienischen und Deutschen ins Slowenisch getragen, je nach Dialekt oft unterschiedlich.

Die relativ kleine Sprecherzahl lässt es merkwürdig erscheinen, aber in Slowenien (und in den Grenzregionen zu Slowenien) werden zahlreiche Dialekte gesprochen. Man unterscheidet 7 Dialektgruppen (Kärntner Slowenisch, Steirer Slowenisch, Oberkrainerisch, Unterkrainerisch, Primorsko, Rovtarsko und Pannonisches Slowenisch).

Die Literaturlandschaft Sloweniens ist vielfältig. Als einer der wichtigsten Literaten gilt France Prešeren (1800–1849), als zeitgenössischer Schriftsteller wäre Drago Jančar (* 1948) zu nennen, aber es gibt viele mehr.

In Deutschland finden slowenische Werke und die slowenische Sprache nur wenig Beachtung, bis jetzt. Doch so langsam wächst das Interesse und die Slowenen zeigen selbstbewusst, was sie sprachlich und kulturell zu bieten haben.

Quellen

Okuka, Miloš & Gerald Krenn (Hrsg.). Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Rehder, Peter (Hrsg.). Einführung in die slavischen Sprachen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003

Der Wawel-Drache

Drachen sind ein fester Bestandteil der slawischen Mythologie, nicht ausschließlich im Slawischen, denn fast alle Kulturen der Welt kennen solche Wesen. Aber es mich beschleicht das Gefühl, dass der Drache im Slawischen eine besonders wichtige Stellung einnimmt, denn er erscheint auf etlichen Wappen von Städten und Gemeinden. Die ehemals heidnischen Geschichten über Drachen und ihre Bezwinger (ja, leider die maskuline Form, denn ich habe keine Bezwingerinnen in der Literatur gefunden) wurden von Chronisten gerne zu christlichen Heldengeschichten umgedeutet und zeigen die tiefe Verwurzelung dieser Wesen im Leben der Menschen. In der deutschen Sagenwelt kommt einem sofort der Drachentöter Siegfried in den Sinn.

Drachen sind Wesen, die meist mit Tieren wie Schlangen oder Echsen assoziiert werden, oft Feuer spucken und mal gut, aber fast immer als böse angesehen werden (in der sorbischen Mythologie gibt es auch gute Drachen). Dabei ist ihre Gestalt vielfältig. Sie sind meist groß, gleichen Tieren, vor allem den besagten Echsen und Schlangen, speien Feuer und können manchmal sogar fliegen. Sie werden oft nicht besonders intelligent beschrieben und fallen auf Listen herein.

Einer der bekanntesten Drachen aus der polnischen Kulturgeschichte, ist der Wawel-Drache. Er lebte in einer Höhle (pl. Smocza Jama) unter dem Wawel, auf dessen Hügel sich heute eine Kathedrale und ein Schloss befinden. Wer schon einmal in Krakau (pl. Kraków) war, wird ihn bestimmt in der Stadt entdeckt haben: Den Wawel-Drachen (pl. Smok Wawelski). Er ist eine der bekanntesten Figuren der Krakauer Geschichte und die Erinnerung an ihn wird durch etliche Souvenirs in Form von Stofftieren, kleinen Figuren etc. am Leben gehalten.

Die Legende besagt, dass der Drache schon vor der Stadtgründung, durch den Namensgeber Krak, dort lebte und die Bewohner des Landes terrorisierte. Er riss Vieh, steckte Hütten in Brand und tötete sogar Menschen, angeblich am liebsten Jungfrauen. Die Menschen wussten sich nicht zu helfen. Der König des Landes versprach demjenigen, der den Drachen tötet, seine Tochter zur Frau zu geben. Aber niemand, sonst wäre die Geschichte ja schnell zu Ende, konnte den Drachen töten. Doch irgendwann hatte ein junger Schuster eine Idee, wie das Unmögliche zu schaffen sei und sprach beim König vor. Er wollte den Drachen nicht bekämpfen, sondern überlisten. Der König ließ ihn gewähren. Der junge Mann füllte ein Schaf mit Schwefel, nähte es zu und legte er, als der Drache schlief, vor seine Höhle. Der Drache stürzte sich beim Aufwachen auf das Schaf, fraß es auf und bekam kurze Zeit später solchen Durst, dass er zur Weichsel lief, um seinen Durst zu stillen. Er trank so viel, dass er am Ende platzte. Damit war er besiegt und der Schuster heiratete die Königstochter.

Die Legende ist mit typischen Elementen der vorchristlichen europäischen Mythologie durchsetzt. Drachen werden mit dem Bösen oder dem Chaos gleichgesetzt. Sie verbreiten Angst und Schrecken und es braucht immer einen Helden, um sie zu töten, oder sie werden mit Opfergaben milde gestimmt. In vielen Legenden wird der Drache mit Gewässer oder Wasser allgemein assozierte, auch wenn das durch das Feuerspucken, was in vielen Geschichten eine Haupteigenschaft des Drachens ist, eher wie ein Gegensatz wirkt.

In der Zeit der Christianisierung Polens, Ende des 10. Jahrhunderts, trat der Drache auch als Symbol des Teufels oder Satans auf, der von Christen bekämpft werden muss. Bekannte Legenden sind die des Heiligen Georgs oder des Erzengels Michael, die beide Drachen besiegten. Damit zeugt die christliche Lehre von Überlegenheit des Guten über das Böse, in Form des Drachens.

In Polen ist der Katholizismus die am weitesten verbreitete Religion und der Sieg des rechtschaffenden Schusters über den bösen Drachen passt wunderbar in dieses Bild. Ob die Legende dabei wahr ist oder nicht, spielt keine Rolle. Menschen mögen Geschichten, die zum Gruseln sind und ganz nebenbei haben sie auch noch einen erzieherischen Charakter: Das Gute siegt über das Böse, wenn man Gutes tut. Parallelen zu Märchen oder Fabeln sind da gut zu erkennen.

Quellen

Zdeněk Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1993

Jarock, Mariola & Michalec, Bogusław. Legendy polskie dla dzieci. Aksjomat, Kraków 2017

Jan Hus – Reformator und Nationalheiliger Tschechiens

Er gilt als einer der bedeutendsten Figuren der tschechischen Geschichte: Jan Hus, der als Reformator und Theologe das Nationalbewusstsein der Tschechen weckte.

Geboren wurde Jan Hus 1370 (oder 1372) in dem kleinen Dorf Husinec in Böhmen als Kind armer Leute. Seine Eltern wollte für ihn eine Priesterlaufbahn, damals nicht nur ein angesehener Beruf, sondern auch ein Weg raus aus der Armut.  Hus absolvierte die Lateinschule und das Grundstudium an der Karls-Universität in Prag mit ausgezeichneten Leistungen, studierte dann zusätzlich Philosophie, Medizin, Theologie und Jura. Sein Drang nach Wissen schien unersättlich und er stieg die Karriereleiter der Universität immer weiter hinauf.

Überlieferungen nach war Hus ein beliebter und verehrter Prediger, der sich aber schon früh gegen die Machenschaften der katholischen Kirche wandte und die Sittenlosigkeit und Machtgier der Kirchenoberen anprangerte. Das kam bei der katholischen Kirche erfahrungsgemäß nicht gut an und so enthob ihn der Prager Bischof 1408 von seinem Predigerposten in der Prager Bethlehemskapelle.

Die Kirchenmänner fürchtete seine Rhetorik und die Verwendung der tschechischen Sprache innerhalb der Messen. Die Menschen strömten gerade deshalb in großer Zahl in den Gottesdienst, sie verstanden nun endlich um was es ging und Hus hatte das Talent ihnen alles argumentativ und mit vielen Beispielen zu erklären.  Auch aus der Verehrung des englischen Theologen John Wyclif und seiner Thesen machte er keinen Hehl.  Das Verbot zu predigen, kümmerte Hus nicht, er arbeitete einfach außerhalb der Kirche weiter.

Die Folge für Hus Weigerung, das Predigen einzustellen und seine Thesen zu widerrufen, brachte ihm 1410 den Kirchenbann ein. Der Bann und die Exkommunizierung kamen damals einer Vernichtung der Existenz und der Würde gleich. Keiner durfte Hus unterstützen, weder mit Unterkunft oder Verpflegung noch durfte man mit ihm sprechen oder, noch schlimmer, ihm zuhören. Hus war aller Rechte beraubt, er war vogelfrei. Seine große Sympathie bei seinen Anhängern ermöglichte ihm jedoch ein geheimes Wirken außerhalb Prags zwischen den Jahren 1412 – 1414. Er schrieb, veröffentlichte und predigte weiterhin. In zahlreichen Werken, eins der wichtigsten ist „De ecclesia“, prangert er die Verhältnisse in der Kirche an, kritisierte direkt hohe Kirchenvertreter und gestaltete die Gottesdienste um.

1414 fand das Konzil von Konstanz statt, zu dem Jan Hus vorgeladen wurde, damit er, so die Hoffnung der Kirchenoberen, seine Schriften und Thesen widerrufe. Trotz der Zusage auf freies Geleit wurde Hus in Konstanz verhaftet und über Monate eingesperrt. Am 6. Juli 1415 verurteilte man ihn wegen Häresie zum Tod auf dem Scheiterhaufen, eine damals übliche Strafe für Abweichler der katholischen Kirche. Die letzte Chance sein Leben zu retten und zu widerrufen, ließ Hus verstreichen.

Doch sein Tod hielt den religiösen Umbruch Böhmens nicht auf. Die Prager Fensterstürze und die Hussitenkriege in den Folgejahren kann man als Reaktion auf die Hinrichtung ansehen. Hus Anhänger, die Hussiten, wollten ihre Unabhängigkeit von der katholischen Kirche nicht aufgeben. Die Folge waren Bürgerkriege, die weit über Böhmen hinausgingen. Die politische Situation in Mitteleuropa war zu dieser Zeit unübersichtlich und vor allem unsicher. Hus Ideen lebte weiter und, wie alle wissen, betrat nur knapp 100 Jahre später ein Mann die theologische Bühne und führte fort, was Reformatoren wie Hus begonnen hatten.

Das Leben und Wirken von Jan Hus setzt sich aber noch weit über die Geschehnisse um die Hussiten und den Glaubensfragen fort. Mit seinen Schriften und seinen Predigten in tschechischer Sprache schuf Hus nicht nur das Nationalbewusstsein der Tschechen, sondern auch eine Standardsprache und -schrift. Die spezifischen Schriftzeichen zum Verschriftlichen der typischen tschechischen Laute schlug Hus vor und so sieht man noch heute den háček, dt. das Häkchen, und die čárka, dt. der Akut, in der tschechischen Schriftsprache.

Jan Hus wird bis heute in Tschechien verehrt, er symbolisiert den Kampf der Tschechen auf Freiheit und Meinungsfreiheit. Zahlreiche Straßen, Schulen und Plätze im ganzen Land sind nach ihm benannt. In Konstanz gibt es das Hus-Museum, das sich ganz dem Leben und Wirken des Reformators widmet. Das Jan-Hus-Denkmal am Altstädter Ring in Prag ist einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Die katholische Kirche hat das begangene Unrecht bis heute nicht als falsch anerkannt bzw. Jan Hus rehabilitiert.

Quellen

Dowley, Tim. Der Atlas zur Reformation in Europa. Neukirchner Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2016

Soukup, Pavel. Jan Hus. Prediger – Reformator – Märtyr. Kohlhammer, Stuttgart 2014

Lagerszpracha- eine Pidginsprache aus der Hölle

Jeder Mensch braucht Sprache. Sprache ist Kultur und Identität. Was passiert, wenn man Menschen ihre Sprache einfach wegnimmt? Man beraubt sie damit nicht nur ihres Kommunikationsmittels, sondern auch ihrer Identität. Doch Menschen schaffen es auch unter schwierigsten Bedingungen die Kommunikation aufrecht zu halten. Sie ist für sie lebensnotwendig.

In den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten war Deutsch die einzig (offiziell) akzeptierte Sprache. Die Befehle, die Beschimpfungen, die Meldungen in den Baracken wurden nur auf Deutsch gebrüllt, ja gebrüllt. Sprach ein Häftling nicht deutsch bzw. verstand die auf Deutsch gegebenen Befehle nicht, konnte das schwere Strafen oder den Tod nach sich ziehen. Also waren die Häftlinge gezwungen sich schnell wenigstens die einfachen Befehle und Redewendungen der Aufseher zu merken und wiedergeben zu können. Auch ihre Häftlingsnummer mussten sie klar und deutlich auf Deutsch sagen können. Um die Post besser kontrollieren zu können, musste sämtlicher Schriftverkehr der Häftlinge in deutscher Sprache geschrieben werden.

Die mündliche Kommunikation der Wächter mit den Häftlingen zeigt aus soziolinguistischer Sicht einen bestimmten Jargon. Der Großteil der Sprache waren Schimpfwörter, Beleidigungen, die den Befehlen beigefügt wurden. Selbst die Häftlinge, die Deutsch verstanden oder sprachen, kannten diese Art von Vulgarismen wahrscheinlich kaum. Und doch prägten sie die alltägliche Kommunikation mit den Peinigern.

Doch die KZ-Häftlinge in Auschwitz kamen aber aus den unterschiedlichsten Ländern oder Regionen, jeder brachte seine eigene Sprache mit. Das führte natürlich auch unter den Häftlingen zu Problemen, sie konnten sich kaum miteinander verständigen, doch sehr schnell entwickelte sich eine multinationale Sprachmischung, die stetig erweitert wurde: Die lagerszpracha (vorgeschlagen vom deutschen Wissenschaftler Wolf Oschlies).

Aus wissenschaftlicher Sicht kann man von einer Pidginsprache sprechen. Die lagerszpracha entstand aus der Notwendigkeit, dass sich Sprecher verschiedener Sprachen im Alltag (nicht mit den deutschsprachigen Wächtern, denn da mussten sie Deutsch sprechen) irgendwie organisieren mussten. Wie eine klassische Pidginsprache nutzte die lagerszpracha nur einen begrenzten Wortschatz, der zu großen Teilen aus dem lagerspezifischen Deutsch bestand, und typisch polnische Grammatikmerkmale aufweist (die Polen bzw. polnischen Juden waren die größte Gruppe in den KZs), aber auch viele Ausdrücke aus den Sprachen der anderen Sprachen der Häftlinge.

Die lagerszpracha baute auf den im Lager üblichen Funktionsbegriffe wie den Befehlen, dem Tagesablauf (z.B. apely – dt. Appelle) oder den Gebäuden auf. Einige schriftliche Zeugnisse sind, dank dem Einsatz mutiger Häftlinge, in Fragmenten auch schriftlich erhalten. Die meisten Daten stammen aber von Überlebenden, die trotz ihrer Traumata bereit waren, darüber zu sprechen.

Die lexikalischen Eigenheiten der lagerspzracha lassen sich systematisch in Gruppen zusammenfassen:

  • Übernahme der deutschen Wörter z.B. Gebäudebezeichnungen oder Objekte, die nicht flektiert wurden, aber oft eine Genuswechsel durchmachten (in Abhängigkeit des Genus im Slawischen)
  • Entlehnungen, die an sie polnische Schreibweise und Deklination angepasst wurden z.B. culaga (dt. Essenszulage), durchfalowy (dt. Durchfall, hier in Adjektivischer Form gebraucht) oder sortirunek (dt. Sortierung bzw. Selektion)
  • Semantische Entlehnungen zur Bezeichnung KZ-spezifischer Begriffe z.B. brytfanka (dt. Bratpfanne, Bezeichnung für ein Werkzeug aus Metall zum Schieben der Leichen im Krematorium)

Auch auf den anderen linguistischen Ebenen sieht man typische Pidginelemente. Verben wurden systematisch mit bedeutungstragenden Prä- und Suffixen versehen (im Slawischen sehr produktiv, aber auch aus dem Deutschen bekannt), viele Genuswechsel und angepasste Pluralendungen sind von den deutschen Ursprungswörtern ins polnische System übernommen, Intonation und Betonungsmuster passten sich an den jeweiligen Sprecher an und noch vieles mehr.

Auch Lexik aus anderen Sprachen, oft abhängig von der Anzahl der Häftlinge mit dieser Sprache als Muttersprache, fand Eingang in die lagerszpracha, blieben aber die Ausnahmen. Die Sprache lebte ja auch von den Menschen, die sie verwendeten, und die meisten Neuzugänge überlebten die ersten Wochen bekanntlich nicht.

Die Erforschung dieses Phänomens der lagerszpracha, in manchen Quellen auch Lageresperanto genannt, war lange Zeit nur eingeschränkt möglich und stieß vielerorts kaum auf Interesse. Nach dem Krieg waren die ehemaligen Insassen zu stark traumatisiert, um sie zu befragen, andere wollten dieses Kapitel, verständlicherweise, einfach nur hinter sich lassen.

Quellen

Oschlies, Wolf: „Lagerszpracha“ – Zu Theorie und Empirie einer KZ-spezifischen Soziolinguistik, in: Zeitgeschichte (Wien) Nr. 1/1985, S. 1-27

Wesołowska, Danuta. Wörter aus der Hölle: die „lagerszpracha“ der Häftlinge von Auschwitz. Impuls Verlag, Kraków 1998