Nordische Mythologie

Die nordischen Mythen sind verwandt mit den germanischen Mythen auf dem europäischen Kontinent. Man geht davon aus, dass sie sich im Laufe der Zeit Bezeichnungen, kultische Orte und Traditionen auseinanderentwickelt haben. Ihre Ursprünge haben sie gemein, doch Namen und Kultbezeichnungen tragen andere Bezeichnungen.

Wie die germanischen Mythen im mitteleuropäischen Raum kann man die nordische Mythologie nicht mit einer Religion im engeren Sinne gleichsetzten. Sie war lange Zeit nicht festgeschrieben und es gab niemanden, der über die Einhaltung der „Regeln“ wachte, wie wir das z.B. aus dem Christentum kennen.

Die schriftliche Fixierung einer Glaubensrichtung vereinfacht die Verbreitung, obwohl die germanischen Stämme nie missionarisch unterwegs waren. Die ältesten schriftlichen Überlieferungen stammen aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. von Tacitus, der viel über die Germanen und ihre Kultur beschrieb (oftmals nicht sehr wohlwollend, aber besser als nix). Quellen, die von den Germanen selbst verfasst wurden, entstanden erst viel später. Es gab keine Alltagsschrift bis zur Christianisierung der Germanen, weder auf dem Kontinent noch in Skandinavien oder Island.

Die Germanen in Skandinavien hielten am längsten an ihren Göttern fest, daher stammt die bekannteste Sammlung auch von dort, genauer gesagt aus Island des 13. Jahrhundert, in altisländischer Schrift: Die Edda.

Es gibt zwei Teile, die Snorra-Edda, um 1220 von Snorri Sturluson verfasst, und die Lieder-Edda, etwa 1270 von (wahrscheinlich) mehreren Autoren aufgeschrieben. Da sich viele Teile der Snorra-Edda in der Lieder-Edda finden, kann es gut möglich sein, dass die Lieder-Edda früher entstanden ist, beweisen lässt es sich aber nicht.

Viel Wissen um die Kulte der Nordgermanen hat man aus archäologischen Funden gezogen, meist aus der Bronzezeit, etwa zwischen 2000-800 v.Chr.

Die mythische Welt der Nordgermanen ist reich an Wesen und Geschichten. Es gibt Riesen, Götter, heilige Tiere und Pflanzen, die magische Fähigkeiten haben. Dabei escheinen vor allem die Götter sehr menschenähnlich, mit allen Makeln und Eigenheiten, die man sich vorstellen kann.

Die Geschichten der Edda erzählen von der Erschaffung der Welt, dem Riesen Ymir und der Urkuh Audhumbla, den Riesen und Götter aus den Geschlechtern der Asen und Wanen (die sich immerzu bekämpfen, aber die Welten im Gleichgewicht halten), dem Weltenbaum Yggdrasil, den ersten Menschen Askr und Embla und vielem mehr.

Die Sicht auf die Welt machten die Nordgermanen stark von ihren Gottheiten abhängig. Sie befinden sich dabei mittendrin, in Midgard, der Ort für die Menschen, über den die Götter wachen. Die nordgermanische Gesellschaft ist, wie viele andere weltweit auch, in Schichten geteilt. Es gibt die Krieger und Bauern, die wahrscheinlich den größten Teil der Gesellschaft bildeten. Der Glaube an Gottheiten war ihnen allen gemein, aber die Geschichten der Edda erzählen fast nur von den Helden der Kriegerschicht. Nur ihnen wurde nach dem Tod ein Leben neben den Göttern versprochen, in Walhall. Auch das Ende der Welt, Ragnarök, wird in der Edda beschrieben. Dabei tobt ein Krieg zwischen den Göttern und den Riesen, bei dem die meisten umkommen.

Die Ähnlichkeiten oder Parallelen zum Christentum sind auf die Entstehungszeit der Edda zurückzuführen. Die meisten Schreiber waren entweder Christen oder mit dem Christentum vertraut, es wurden auch Vergleiche zu den römischen Göttern gezogen. Mit dem Einzug des Christentums in Skandinavien, ab dem 10. Jahrhundert, transformierte man die zahlreichen Götter und Wesen zugunsten der christlichen Lehre, um der Bevölkerung die Missionierung zu erleichtern.

Tempel oder heilige Orte hatten die Nordgermanen mit Sicherheit. Einer davon ist in Uppsala, es soll sogar einen Tempel gegeben haben. Davon sieht man jetzt nichts mehr, die christlichen Kirchen dominieren die Religionslandschaft, doch nicht selten sieht man germanische Wesen an christlichen Kirchenfassaden.

Die Nordgermanen hielten, trotz des angenommenen christlichen Glaubens, lange an ihren alten Göttern und Riten fest, vor allem in Island, dass aufgrund seiner Abgelegenheit mehr Freiheiten genoss.

In den letzten zwei Jahrhunderten erlebte die nordische Mythologie eine Art Renaissance. Die Legenden und Geschichten wurden systematisch untersucht und anderen Kulturen gegenübergestellt. Auch ideologisch nutzten einige die nordische Mythologie, um die Überlegenheit weniger Menschen zu „beweisen“. Heute ist es leider ein schmaler Grat zwischen Begeisterung und Verehrung der Mythen und der Ideologie der „nordischen Rasse“.

Quellen

Gaiman, Neil. Nordische Mythen und Sagen. Eichborn, 2017

Simek, Rudolf. Religion und Mythologie der Germanen. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 2003

Grimal, Pierre (Hrsg.). Mythen der Völker. 3, Frankfurt am Main, Fischer. 1967

Ukrainisch – eine multikulturelle Sprache

Spätestens seit dem 24. Februar 2022 weiß jeder wo die Ukraine liegt. Doch viel mehr wissen die meisten nicht über dieses Land, seine Kultur oder seine Sprache.

Ukrainisch gehört zur slawischen Sprachfamilie, ein Zweig des Indoeuropäischen. Früher wurde das Ukrainische auch ‚Ruthenisch‘ oder ‚Kleinrussisch‘ genannt. Vor allem die Bezeichnung ‚Kleinrussisch‘ ist nicht mehr üblich und wird von vielen Ukrainern abgelehnt, denn sie zeugt von der russischen Vorherrschaft der letzten Jahrhunderte.

Die ukrainische Sprache wurde am 24. Februar 1991 zur alleinigen Amtssprache der Ukraine erklärt. Damit trat sie aus dem Schatten des Russischen, das bis dahin die Hauptsprache in Verwaltung und Schulwesen war. Schritt für Schritt übernahm man Ukrainisch in allen Bereichen der Verwaltung, Bildung etc.

Die Sprecherzahl des Ukrainischen setzt sich aus drei Gruppen zusammen: Die in der Ukraine lebenden Ukrainer, die Ukrainisch als Muttersprache sprechen; die in den Nachbarstaaten lebenden Ukrainer und die weltweit verstreuten ukrainisch sprechenden Menschen (mit und ohne ukrainische Staatsbürgerschaft). Insgesamt geht man von etwa 35 Millionen Muttersprachler*innen aus. Dazu kommen bis zu 10 Millionen Menschen, die Ukrainisch als Zweitsprache sprechen. In der Ukraine steigt die Zahl der Ukrainisch-Sprecher seit 30 Jahren an, was auf die stärkere Präsenz der Sprache im öffentlichen Leben zurückzuführen ist.

Durch die historischen Gegebenheiten kann man nur schwer von dem einen Ukrainisch sprechen. Die Sprache vereint viele Dialekte, die oft von den Einflüssen der Nachbarsprachen zeugen, vor allem dem Russischen im Osten und dem Polnischen im Westen des Landes. Doch nicht nur der historisch enge Kontakt ist dafür verantwortlich, sondern auch der sprachtypologische.

Das Ukrainische verwendet das kyrillische Alphabet mit 33 Buchstaben, mit ein paar kleinen Unterschieden zum russischen Alphabet: die im Russischen verwendeten Buchstaben /ё/, /ъ/, /ы/ und „э“ gibt es im Ukrainischen nicht, dafür gibt es aber /ґ/ (wie g), /є/, /і/ und /ї/.

Die Schreibung des Ukrainischen folgt vor allem dem morphonologischen Prinzip und weist eine hohe phonetische Orthografie auf.

Die Phoneme unterteilen sich in 32 Konsonanten und 6 Vokale, wobei die Tatsache, dass die Vokale den Akzent beinhalten, die Qualität der Vokale verändern (was aber im Schriftbild nicht sichtbar wird).

Die 32 konsonantischen Phoneme erscheinen zuerst recht viel, relativieren sich aber, wenn man das paarige Vorkommen der Dentallaute (insgesamt schon 18) betrachtet, z.B.  /d→d‘/, /s→s‘/, /n→n‘/ usw. (Ich verwende lateinische Buchstaben, um die Palatalisierung klarer zu machen.)

Anders als in vielen slawischen Sprachen werden im Ukrainischen manche Konsonanten gedehnt, d.h. lang ausgesprochen, wie wir das im Deutschen mit Doppelkonsonanten kennen. Auch die zahlreichen Stimmtonassimilationen des Slawischen trifft man nicht durchgehend, es fehlen beispielsweise die Auslautverhärtung und die Stimmhaftigkeitsverlust der (stimmhaften) Obstruenten.

In der ukrainischen Grammatik erkennt man Parallelen zu den sprachlichen Nachbarn: 3 Genera, 7 Kasus und der typische Synkretismus innerhalb der Paradigmen, Aspektpaare der Verben und die produktive Verwendung von Suffixen zur Bildung von Verben. Außerdem entstehen Neuschöpfungen meist durch Derivation, nicht nur bei den Verben. Die zugrunde liegende Wortstellung ist SVO, ist aber nicht so fest wie z.B. in den germanischen Sprachen.

Die Lexik basiert natürlich auf dem urslawischen Erbwortschatz, wird jedoch durch die wechselhafte Geschichte durch zahlreiche fremdsprachliche Einflüsse ergänzt. Vor allem das Polnische hinterließ Spuren, aber erst recht spät im 16./17. Jahrhundert. Durch die Einflüsse aus dem Westen traten auch Internationalismen aus dem Französischen, Lateinischen oder Deutschen (‚майстер‘ – ‚Meister‘). Entgegen den Erwartungen zeigte das Kirchenslawische nur wenig Einflussnahme auf die Sprache, trotz der Vormachtstellung in der Kiewer Rus-Phase. Auch Entlehnungen aus den Turksprachen sind zu finden, sie zeigen die geschichtliche Einflussnahme der Kosaken. Mit der Erstarkung des Russischen stieg auch der Einfluss auf das Ukrainische, so dass man häufig sprachliche Doppelungen findet.

Diese Ähnlichkeiten zur russischen Sprache lässt auf den ersten Blick den Gedanken aufkommen, Ukrainisch sei doch Russisch, aber Ukrainisch weist eindeutige Unterschiede, in allen Bereichen, zum Russischen auf und etablierte sich nach 1991 zu einer festen Größe im europäischen Raum. Die Aktivität zahlreicher ukrainischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die Beachtung im (west-) europäischen Ausland und der Stolz des ukrainischen Volkes auf seine Sprache weisen eine eindeutige Richtung!

Quellen

Amir-Babenko, Svetlana: Lehrbuch der ukrainischen Sprache. Buske, Hamburg 2007

Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Der Wenker-Atlas; ein Sprachatlas der deutschen Dialekte

Jede Sprache ist einzigartig und variantenreich. Das weiß jeder, der schon mal in einem anderen Teil seines eigenen Landes Urlaub gemacht hat und sich erstmal in die Sprache dort hineinhören musste, weil ihm der Dialekt nicht so geläufig war. Oder eine Person, die beispielsweise Deutsch als Fremdsprache lernt und dann nach Hessen oder Bayern reist; da kann es schnell zu Verständigungsschwierigkeiten kommen.

Warum spricht man in Deutschland nicht ein einheitliches Deutsch, könnte man sich fragen? Tja, Sprache ist halt vielfältig! Diese Vielfalt ist ein Schatz, den es zu bewahren gilt. Das haben sich die Menschen schon früh gedacht und waren mit Recht stolz auf ihre Dialekte, die Teil der kulturellen und persönlichen Identität ist.

Die Sprachwissenschaftler sind bemüht diese Vielfalt zu dokumentieren. Am Ende des 19. Jahrhundert wurde im Deutschen Kaiserreich eine Erfassung aller Dialekte des Deutschen in Auftrag gegeben. Dabei versuchte man auch die außerhalb des Reiches existierenden deutschen Gemeinden mit einzubeziehen (Kolonien etc.).

Der Mann, der mit dieser Mammutaufgabe betraut wurde, war der deutsche Sprachwissenschaftler Georg Wenker (1852 – 1911). Er bekam 1876 den Auftrag einen Sprachatlas der Dialekte im deutschsprachigen Raum zu erstellen. Dafür entwickelte er einen Fragebogen, der alle lautlichen Besonderheiten der deutschen Sprache umfassen sollte. Die erste Version beinhaltet 42 Sätze (z.B. Das Wort kam ihm von Herzen.), die sogenannten rheinischen Sätze. Dieser Fragebogen wurde an alle Lehrer im Raum Düsseldorf geschickt, die dann die Sätze im jeweiligen Dialekt aufschreiben sollten. Die Befragung wurde im Laufe der Zeit über das ganze Reich ausgedehnt, der Fragebogen speziell angepasst, da z.B. in Norddeutschland oder Bayern auch einzelne Stichwörter erfasst wurden.

Die Befragung war 1887 im deutschen Raum abgeschlossen. Die Auswertung dieser riesigen Datenmenge nahm einige Jahre in Anspruch. Wenker und seine Nachfolger kartografierten die Dialekte und zeichneten, per Hand, 1668 Karten mit Isoglossen (Grenze zweier Sprachmerkmale z.B. Apfel- Appel) und Dialektausprägungen einzelner Sprachphänomene.

Die deutschsprachigen Gebiete außerhalb des Deutschen Reiches wurden zwischen 1888 und 1939 befragt, wenn auch in kleineren Umfang (mit dabei waren auch jiddische Bögen).

Der Atlas wurde ständig erweitert, die Karten immer umfangreicher, bis in die 1950er Jahre hinein. Man kann sich kaum vorstellen wie mühsam diese Arbeit ohne die Hilfe der heute vorhandenen Technik gewesen sein muss!

In der 1980er Jahren begann man Wenkers Arbeit wieder neu zu betrachten und zu überarbeiten. Seit 2001 sind alle Karten digital einsehbar, als Projekt „Digitaler Wenker-Atlas (DiWA). Das hat den großen Vorteil, dass viele Forschende darauf zugreifen können, ohne die Originale (von denen es nur noch ein paar gibt) zu benötigen. Außerdem kann durch den digitalen Zugriff die Arbeit beschleunigt werden und auf andere Forschungsbereiche wie die Kulturwissenschaft oder Geschichtswissenschaft ausgedehnt werden. Zusätzlich werden die digitalen Karten mit Audioaufnahmen erweitert. Das Archiv befindet sich an der Universität Marburg, wo Georg Wenker arbeitete und bis zu seinem Tod lebte.

An der Methodik der ersten Befragungen ist aus heutiger Sicht einiges zu bemängeln, unter anderem die Datenerhebung, die von Laien durchgeführt wurde und nicht nach genormten linguistischen Gesichtspunkten von Forschenden. Das Projekt war für damalige Zeit einfach riesig und langwierig, sodass man Abstriche machen musste.

Doch trotz allem ist der gesammelte Datenschatz im Wenker-Atlas so reichhaltig und durch die Karten sehr gut dokumentiert, dass noch viele Forschende damit arbeiten können und werden.

Quellen

Lameli, Alfred. Erläuterungen und Erschließungsmittel zu Georg Wenkers Schriften. Hildesheim, New York, Zürich 2014.

Niebaum, Hermann & Macha, Jürgen. Einführung in die Dialektologie des Deutschen. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014.

hier geht’s zur Uni Marburg: https://regionalsprache.de/

Jurij Brězan

„Es wäre ein anderes Meer, würde es nicht auch das Wasser des Baches Satkula aufnehmen.“

Dieses bekannte Zitat aus Jurij Brězans „Krabat oder die Verwandlung der Welt“ schmückt den Grabstein des bekanntesten sorbischen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts. 2006 verlor die sorbische Literatur einen ihrer Größten: Jurij Brězan. Er formte die sorbische Literaturlandschaft des 20. Jahrhunderts stark und setzte sich auch politisch für sie ein.

Jurij Brězan wurde 1916 in Räckelwitz (sorbisch Worklecy), einem Ort in der Oberlausitz geboren. Sein Geburtsname Georg Bresan benutzte er nicht, sondern machte als Erwachsener von seinem Recht Gebrauch nur noch seinen sorbischen Namen zu tragen.

Er besuchte das Gymnasium in Bautzen, begann ein Volkswirtschaftsstudium, das er aber nicht beenden konnte. Ab 1933 war er für die Domowina (der Dachverband der sorbischen Vereine etc.) tätig, schloss sich auch dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten an und veröffentlichte unter dem Pseudonym Dušan Šwik. Eine Zeitlang lebte er in Prag, wurde bei seiner Rückkehr 1938 aber verhaftetet und saß bis 1939 in Haft. Wie für viele andere Sorben auch, verhängten die Nazis ein Aufenthaltsverbot für seine Heimat, so dass Brězan nicht dort leben konnte (auch Mina Witkojc erlebte diese Heimatvertreibung). Im zweiten Weltkrieg wurde er in die Wehrmacht eingezogen und kam 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Nach dem Krieg arbeitete er wieder bei der Domowina und kümmerte sich intensiv um ihre Jugendarbeit. Als Schriftsteller verdiente er ab 1949 sein Geld und schuf bis ins hohe Alter zahlreiche Romane, Erzählungen und Kinderbücher.

Jurij Brězan war seit 1946 Mitglied der SED, einiger Schriftstellerverbände und der Deutschen Akademie der Künste (ab 1965) in Berlin. In seiner langen Schriftstellerlaufbahn kann Brězan viele Auszeichnungen und Preise sammeln z.B. den Ćišinski-Preis (1962) oder den Karl-Marx-Orden (1974).

Am 12. März 2006 ist Brězan in Kamenz (Kamjenc) gestorben und in Crostwitz (Chrósćicy) beerdigt.

Die Werke Jurij Brězans zeugen von seinem erlebnisreichen Leben und von seiner Verbundenheit mit seiner sorbischen Heimat, der er in Sagen- und Legendenerzählungen ein Denkmal setzt. Vor allem die Geschichte von Krabat hat er in mehreren Werken verarbeitet oder er hat sie vom Sorbischen ins Deutsche übersetzt. Brězan schrieb in Deutsch und Obersorbisch, doch viele Werke sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und veröffentlicht worden.

Mit dieser Mischung von alten und neuen Geschichten entstand ein neues Verständnis der Sorben und über die Sorben, die als Minderheit schon immer einen schweren Stand hatten. Die politische Lage in der DDR ermöglichte ihnen zwar die freie Ausübung ihrer Kultur, wurde aber ab den 60er Jahren argwöhnisch von der DDR-Regierung beäugt. Das blieb auch den Künstlern wie Brězan nicht verborgen und er setzte sich verstärkt für das Sorbentum ein.

In der Literaturlandschaft Deutschlands nimmt die ober- und niedersorbische Literatur kaum einen Stellenwert ein. Die zahlenmäßige Überlegenheit des Deutschen macht es schwer, sorbische Künstler ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Doch Künstler wie Jurij Brězan, die u.a. auch auf Deutsch schrieben, finden unter Kritikern immer mehr Beachtung.

Ein weiterer Vorteil der sorbischen Literatur ist auch, dass sie, wenn auf sie auf Sorbisch geschrieben wird, schnell ins Deutsche übersetzt werden kann.

Bekannte Werke von Jurij Brězan sind z.B. „Der Gymnasiast“ (Roman, 1958), der autobiographische Züge trägt, „Die schwarze Mühle“ (Erzählung, 1968) und „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“ (Roman, 1976).

Quelle

Dietrich Scholze: Jurij Brězan – Leben und Werk. Domowina-Verlag, Bautzen 2016

Gotisch – die Sprache des Wulfilas

Von den wenigen ostgermanischen Sprachen (von denen wir wissen) ist Gotisch am längsten erhalten geblieben bzw. liegt in schriftlicher (Teil-) Form vor. Es gehört zur germanischen Sprachfamilie, die sich in ost-, west- und nordgermanisch aufteilt.

Die Geschichte des Gotischen zu rekonstruieren ist nicht ganz einfach. Das Volk der Goten stammt wahrscheinlich aus dem Weichselgebiet, eventuell auch aus Skandinavien, und kam im 3. Jahrhundert durch die spätantike Völkerwanderung ins südliche und östliche Europa. Dabei teilten sich die Stämme in west- und ostgotisch. Die gemeinsame gotische Sprache blieb, aber die Goten assimilierten schnell und so starb die Sprache in weiten Teilen bis zum 7. Jahrhundert aus.

Ein Teil der gotischen Stämme zog im Zuge der Völkerwanderung bis an die Krim. Dort konnte sich die Sprache bis ins 18. Jahrhundert halten. Vom Gotischen gibt es leider nur wenig schriftliche Quellen, daher lassen sich viele Aspekte der Sprache nur rekonstruieren.

Die qualitativ besten Quelle ist die Wulfilabibel. Sie wurde vom Bischof Wufila (311–383) aus den Griechischen ins Gotische übersetzt. Dabei erschuf Wufila nicht nur eins der wichtigsten Zeugnisse der gotischen Sprache, sondern auch die gotische Schrift. Sie orientiert sich stark am griechischen Alphabet. Bis dahin verwendeten die Goten eine Runenschrift. Dabei zeigt sich das Erbe der Runen, weil die gotischen Buchstaben, wie die Runen, Namen tragen, und einen Laut repräsentieren.

Durch die mangelnde Datenlage und die Tatsache, dass die gotischen Text Übersetzungen aus anderen Sprachen sind, kann man davon ausgehen, dass die Einflüsse anderer Sprachen auf das Gotische groß sind.

Neben der Wulfilabibel gibt es noch den Codex Argenteus, ein Textfragment, dass die vier Evangelien umfasst, und die Codices Ambrosianus und Taurinensis, die als Teilabschriften der Wulfilabibel zu sehen sind. Die Texte sind religiöse Texte, daher beinhalten sie zahlreiche Entlehnungen aus dem Lateinischen und Griechischen, wie das oft in Sprachen christianisierter Völker zu finden ist.

Bei einer ausgestorbenen Sprache ist es schwierig die korrekte Aussprache zu belegen. Die von Wulfila geschaffene Schrift orientiert sich am Griechischen, also liegt es nahe daraus Bezüge zwischen der griechischen und gotischen Artikulation zu ziehen bzw. die Unterschiede in der Schreibung als Unterschiede der Aussprache zu klassifizieren.

Im Gotischen gab es 5 kurze und 7 lange Vokale, deren Unterscheidung häufig vom Ursprung des Wortes abhing. Die im Germanischen zahlreich vorkommenden Diphtonge, sind auf einen einzigen, [iu] <iu> reduziert. Das Konsonantensystem ist komplex und unterliegt nicht wenigen phonologischen Regeln. Bei der Rekonstruktion der Laute geht man davon aus, dass sich das Gotische nicht allzu weit vom Urgermanischen wegentwickelt hat. Das gilt auch für die Betonung, die wahrscheinlich meist auf der ersten Silbe lag, so wie wir das aus dem Deutschen kennen.

Auch die Beschreibung der gotischen Grammatik beruht auf den Daten, die man aus der Wulfilabibel gewonnen hat. Dabei zeigt die Sprache deutlich seine Verwandtschaft zu anderen germanischen Sprachen. Es hat vier Fälle, die Reste des Instrumentals und ein Schwinden Vokativs werden in der Grammatikbeschreibung nur am Rande erwähnt.

Die Numeruskategorien Singular und Plural sowie die Genuskategorien männlich, weiblich und sächlich werden wie im Deutschen verwendet. Zwei archaische Dualformen sind zwar erhalten geblieben, zeigt sich aber nur bei Verben. Die Verben werden in starke und schwache Verben eingeteilt, eine typische germanische Eigenschaft.

Die Satzstellung ist, anders als in vielen germanischen Sprachen wie Englisch oder Dänischen, relativ frei. Die gotische Sprache weist einen hohen Teil an fremder Lexik auf, was nicht verwundert. Der überwiegende Teil stammt, durch die Christianisierung, aus dem Lateinischen und Griechischen. Diese Entlehnungen wurden in die Grammatik des Gotischen eingegliedert, nach denselben Mustern wie der Erbwortschatz.

Die Sprache der Goten ist ein Fenster in die Vergangenheit. Durch sie lassen sich zahlreiche Rückschlüsse auf die Ursprünge des Germanischen ziehen. Herausragend sind dabei die frühen schriftlichen Zeugnisse, die es für andere germanische Sprachen nicht aus solch frühen Zeiten gibt. Auch die Kultur der Goten kann durch Schriftstücke besser untersucht werden, zusätzlich zu archäologischen Funden.

Der Untergang der gotischen Stämme und daraus folgend auch der gotischen Sprache, ist weniger auf Krieg und Eroberungen zurückzuführen als auf Assimilation der gotischen Stämme an mächtigere Volkgruppen. Die gotische Sprache verlor an Wichtigkeit und wurde im Laufe der Zeit immer weniger genutzt, bis sie schließlich (je nach Gebiet unterschiedlich schnell) verschwand.

Quellen

Haarmann, Harald. Gotisch. In: Miloš Okuka (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Streitberg, Wilhelm: Das Gotische Elementarbuch 5. Aufl. Winter, Heidelberg 1920

Perun- der Gott des Himmels

In der slawischen Götterwelt steht er an der Spitze, Perun: Der Gott des Gewitters, des Donners und des Blitzes.

Sein slawischer Name setzt sich aus den Teilen per- (dt. schlagen) und -un (dt. der stark Schlagende) zusammen, was schon zwei seiner Attribute beinhaltet. Andere Herleitungen stammen vom Wort piorun – ‚Blitz‘ oder aus der protoslawischen Wurzel *perkwu – ‚Eiche‘. Auch die Verwandtschaft mit dem litauischen Namen Perkūnas als Gott zeigt die Ähnlichkeiten zwischen slawischer und baltischer Mythologie, die sicherlich einen gemeinsamen Ursprung haben.

Auch auf anderen Regionen Europas kennt man die Verehrung eines Donnergottes. In Griechenland ist es Zeus, bei den Germanen Thor oder Donar, bei den Römern Jupiter usw.

Naturereignisse ließen sich früher nur mit göttlichen Ursachen erklären und traten oft genug auf, um Kulte drum herum zu schaffen.

In den wenigen schriftlichen Erwähnungen, die es über die slawische Mythologie gibt, wird Perun häufig erwähnt z. B. erwähnte Prokops von Caesarea im 6. Jahrhundert einen Donnergott im De Bello Gothico, ohne ihn jedoch beim Namen zu nennen. Die meisten Erwähnungen finden sich in ostslawischen Aufzeichnungen, die ab dem 10. Jahrhundert zwar immer mehr von der christlichen Lehre beeinflusst sind, aber die „alten“ Gottheiten immer noch verehren und versuchen sie in die christliche Lehre zu integrieren.

Perun ist zweifellos ein sehr mächtiger Gott. Seine Waffe ist die Axt, gerne auch als Feueraxt und Blitze sendend (der Vergleich mit Thor und seinem Hammer Mjölnir drängt sich immer wieder auf), die mit dem Gewitter auch Regen bringt, was Perun zugleich auch zu einem Fruchtbarkeitsspender macht. Auch die Assoziation zur Eiche, einem starken Baum, steht in Verbindung zu Perun, nicht nur wörtlich, sondern auch bildlich.

Die Verehrung des Donnergottes forderte Opfergaben, darunter auch Menschenopfer. In einer Chronik wird beschrieben, dass 983 zwei Männer in der Nähe von Kiew geopfert wurden, weil sie Perun beleidigt hätten. Auch in anderen Gegenden fand man Opferstätten und Überreste von Menschenopfern z.B. im Siedlungsgebiet der Elb- und Ostseeslawen (etwa zwischen Elbe und Oder bis nach Rügen). Doch Menschenopfer waren nicht die Regel, wie man es vielen Kulturen immer wieder zuspricht.

Die Menschen der slawischen Stämme trugen teilweise Axtamulette, das Zeichen Peruns, und gaben auch ihren Toten Grabbeigaben in Form von Äxten und Amulette aus Metall mit, die Archäologen dem Donnergottkult zuschreiben können.

Ein weiteres Attribut zeigt die Wichtigkeit Peruns. Durch seine Waffen und seine Stärke war er auch der Gott des Krieges, der in Kriegszeiten um Schutz angerufen wurde. Man darf nur nicht vergessen, dass die slawischen Völker in erster Linie Bauern und Viehhirten waren. Kriegshandlungen waren zwar nicht selten, aber es gab keine systematischen Raubzüge, wie man es beispielsweise von den Hunnen kennt.

Die zunehmende Christianisierung verdrängt das Wissen an die alten Götter. Ihre Statuen und Abbilder wurden zerstört und da sie meist aus Holz waren, lassen sich kaum noch Funde machen. Erhalten geblieben, vor allem in Gräbern oder Kultplätzen sind Artefakte aus Metall wie Amulette oder kleine Metallfiguren.

Spuren von Perun finden sich heute aber auch noch in, vor allem, slawischen Sprache. Das polnische Wort piorun für Blitz erinnert stark an Perun. Der Donnerstag, im Deutschen eine Weiterentwicklung vom althochdeutschen donrestac, hieß im Elbslawischen peründan bzw. perendan. Und in vielen Ortsnamen erkennt man die Verbundenheit zum Donnergott. Beispiele dazu sind Pernek in der Slowakei oder Perná in Mähren.

Wie man sieht, ist Perun nicht ganz verschwunden, nur ein wenig versteckt.

Quellen

Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Urachhaus, Stuttgart 1992

Grimal, Pierre (Hrsg.). Mythen der Völker 3. Fischer, Frankfurt am Main: Fischer 1967

Joseph Greenberg – der Universalienlinguist

Manche bezeichnen ihn als einflussreichsten Linguisten, neben Chomsky, des 20. Jahrhunderts. Er entwickelte die heute noch gültigen Sprachuniversalien, die Sprachen in Beziehung zueinander setzen.

Greenberg wurde am 28. Mai 1915 in New York geboren in eine multilinguale Familie hineingeboren. Als Kind war die Musik seine große Leidenschaft, er spielte ausgezeichnet Klavier, gab sogar viel gelobte Konzerte. Seine Eltern sprachen Polnisch, Deutsch und Jiddisch. So verwundert es nicht, dass Greenberg sich, trotz seiner Leidenschaft für Musik, doch für eine sprachwissenschaftliche Laufbahn entschied. Schon als Student an der Columbia University (New York) interessierte er sich für Sprachen aller Art, vor allem für die der indigenen Einwohner Amerikas. Später wechselte er an die Northwestern University in Chicago, wo er seinen Interessensschwerpunkt auf die nigerianischen Sprachen, vor allem auf Hausa, einer Sprache West-Zentral-Afrikas.

Der zweite Weltkrieg unterbrach Greenbergs Studien. Sein Studium qualifizierte ihn zum Analysten bei der Fernmeldetruppe. Nach dem Krieg arbeitete er als Professor an der University of Minnesota, kehrte aber schon 1948 an die Columbia University zurück und beschäftigte sich intensiv seiner linguistischen Forschung mit dem Schwerpunkt auf afrikanische Sprachen. In New York lernte er Roman Jakobson und André Martinet kennen. Die beiden brachten ihn die Prager Schule der Strukturalisten nahe, die sein weiteres Arbeiten beeinflusst hat. 1962 wechselte Greenberg in die Anthropologie-Abteilung der Stanford University (Kalifornien) und blieb dort bis zu seinem Tod. Er starb am 07. Mai 2001 in Kalifornien.

In Laufe seiner langen Forscherlaufbahn hat Greenberg zahlreiche Theorien zu Verwandtschaftsbeziehung zwischen Sprachen verfasst. Besonders seine Thesen zur Sprachtypologie sind allgemein anerkannt. Diese Sprachuniversalien, die er formuliert hat, sollen sprachübergreifend und allgemein gültig sein. Dabei verglich er Sprachen miteinander, um allgemein gültige Gemeinsamkeiten beschreiben zu können. Er „sammelte“ also Ähnlichkeiten und Unterschiede, setzte sie in Bezug zueinander und leitet daraus die Universalien ab.

Wie man sich sicher denken kann, klingt es einfacher als es am Ende ist. Greenberg geht beispielsweise davon aus, dass es in allen Sprachen Wortarten wie Verben, Adjektive, Nomen etc. und eine grundlegende Wortstellung gibt. Doch wie sieht es bei Sprachen aus, die keine feste Wortstellung haben wie z.B. das Lateinische? Die Kritiker bemängeln genau solche Ungereimtheiten in Greenbergs Theorie.

Aber im Großen und Ganzen ist die Theorie anerkannt und logisch aufgebaut. Das Neue an Greenberg war die logische Analyse von Sprachen, nicht nur der Vergleich von Sprache A zu Sprache B. Die einzelnen Eigenschaften von Sprachen wurden aufgeschlüsselt. Damit wird es ermöglicht Sprachen in großer Zahl zu vergleichen, ohne alle Einzelheiten jeder Sprache zu untersuchen (Lexikalischer Massenvergleich).

In den 1960er Jahren versuchte Greenberg seine Methode bei den zahlreichen Sprachen Afrikas, da er sie ja intensiv studiert hat, anzuwenden. Er klassifizierte vier große Sprachefamilien anhand bestimmter Merkmale. Kritiker zweifeln die Gültigkeit der Klassifizierung an, weil sie Greenbergs Methoden als falsch ansehen, folglich auch seine Ergebnisse.

1970 wandte Greenberg seine Aufmerksamkeit den indopazifischen Sprachen zu, deren Verwandtschaftsverhältnisse schwieriger zu erklären sind als die der afrikanischen Sprachen. Seine Forschung wurde sehr kontrovers diskutiert. Das gleiche Problem kam bei den Sprachen der amerikanischen Sprachen auf, denen Greenberg sich in den 80er Jahren wieder verstärkt zuwandte. Die Datenlage sei nicht hinreichend belegt, meinten die Kritiker.

Die Arbeit Greenbergs mag in der heutigen Zeit nicht mehr der wissenschaftlichen Norm zu entsprechen, aber er hat neue Ideen entwickelt, Sprachen zu vergleichen und zu klassifizieren. Die Menge der Forschungsdaten, die er nutzte, war so riesig und unterschiedlich. Und das alles mit begrenzten technischen Mitteln, ganz im Gegensatz zu uns heute!

Seine Universalien helfen mir sehr Sprachen zu verstehen, ohne alle im Einzelnen kennen zu müssen. Und sie bieten Anregungen für weitere interessante Fragen, für mich einer der größten Vorteile der Forschung. Denn wo kämen wir denn hin ohne Fragen, die unsere Neugier wecken?

Quellen

Joseph Greenberg (Hrsg.): Universals of Language. MIT Press Cambridge.

https://news.stanford.edu/news/2002/april24/greenbergmem-424.html

Esperanto – die verbreitetste Plansprache der Welt

In der sehr langen Liste aller weltweiten Plansprachen sticht eine besonders heraus: Esperanto. Sie gilt als am weitesten verbreitete Plansprache der Welt. Was macht ihren Erfolg aus? Welche Besonderheiten weist Esperanto auf?

Wichtig zu sagen ist, das Esperanto nicht die erste Plansprache war. Schon im Mittelalter gab es Versuche, aber keiner hat es weit gebracht.

Ludwik Lejzer Zamenhof (1859-1917) entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts eine eigene Sprache, weil er die Schwierigkeiten darin sah, wenn Menschen sich nicht miteinander verständigen konnten, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Die Lösung des Problems sah er in einer gemeinsamen Sprache. Zamenhof sprach zahlreiche Sprachen (Russisch, Jiddisch, Deutsch, Polnisch, Französisch, Englisch, Latein, Griechisch und Hebräisch) und begann eine aus vielen Sprachen inspirierte Plansprache, die als Zweitsprache für alle leicht zu lernen sein sollte, zu schaffen. Es ging nicht darum, dass natürliche Sprachen durch ihre Komplexität keine Daseinsberechtigung hätten oder die Menschen keine Fremdsprachen mehr lernen sollten. Zamenhof erhoffte sich eine Art Verkehrssprache, so wie es heute etwa das Englische ist, die alle Menschen zu störungsfreier Kommunikation untereinander befähigen sollte. Außerdem glaubte er, dass sich soziale Probleme lösen ließen und die Menschen zu einem friedlichen Leben finden würden.

Die Schwierigkeit besteh darin eine Sprache so zu konstruieren, dass sie möglichst viel Ähnlichkeit mit allen anderen Sprachen ausweist und so für alle leicht und schnell erlernbar ist. Man kann sich vorstellen, welche Herausforderung das bedeutet.

Nachdem Zamenhof einige Jahre getüftelt hatte, wurde am 26. Juli 1887 die erste Schrift über Esperanto veröffentlicht. Sie erschien zunächst auf Russisch, bald auch in anderen Sprachen. In dieser Schrift Unua Libro (dt: Erstes Buch) erklärte Zamenhof die Ziele, die grundlegende Grammatik, fügte Wortlisten und Beispieltexte ein, wie beispielsweise das Vaterunser. Ab 1889 erschien eine Zeitschrift in Esperanto, La Esperantisto (dt: Der Esperantist).

Große Verbreitung fand Esperanto zum Beginn des 20. Jahrhunderts über Frankreich und dem restlichen Westeuropa bis in alle anderen Länder weltweit. 1908 gründete sich die Universala Esperanto-Asocio (Esperanto-Weltbund), die sich für die Verbreitung der Sprache und die Vernetzung der Landesverbände einsetzt. Die politischen und kriegerischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts erschwerten die Verbreitung des Esperantos, vor allem in den Diktaturen Europas war eine Verwendung von Esperanto unerwünscht oder sogar verboten. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges konnten die meisten Verbände ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Wie funktioniert eine Plansprache, deren Ziel es ist, möglichst einfach und schnell erlernbar zu sein?

Esperanto besteht aus festen Wortbausteinen, die aneinandergehängt werden, um Bedeutungen auszudrücken. Somit ist es eine agglutinierende Sprache wie beispielsweise Türkisch. Es gibt bei der Wortbildung wie Mehrzahl oder Verbkonjugation nur regelmäßige Formen, Ausnahmen würden ja das Lernen erschweren. Bestimmte Endungen zeigen (meistens) die Wortart (Substantive, Adjektive etc.) an, so dass Verwechslungen vermieden werden. Anders als im Deutschen gibt es kein grammatisches Geschlecht.

Der Wortschatz stammt aus verschiedenen Sprachfamilien, vor allem aus der romanischen, germanischen und slawischen. Zamenhof bemühte sich darum Wörter mit gemeinsamem Ursprung zu verwenden, was natürlich nicht immer 100%ig klappt.

Als Schrift wird die lateinische verwendet, ergänzt mit einigen diakritischen Zeichen wie man sie aus vielen slawischen Sprachen kennt. Wichtig ist, dass die Schrift phonetisch funktioniert, also jeder Buchstabe für einen einzigen Laut steht. Insgesamt gibt es 28 Buchstaben.

Die Grammatik ist einfach gehalten, zahlreiche Formen und Ausnahmen sucht man vergeblich. Zamenhof hat alles systematisch angelegt, viele internationale Vereinigungen pflegen die Sprache und aktualisieren sie z.B. werden Wörter neuer Erscheinung hinzugefügt. Sonst wäre Esperanto schnell antiquiert und in der heutigen Zeit nicht nutzbar.

Die Zahl der Sprecher schwankt mit den Jahren und je nach Genauigkeit der Befragung. Man kann von mehreren Millionen Sprechern ausgehen, die Esperanto als Fremdsprache gelernt haben, unabhängig von der tatsächlichen Verwendung und Sprachniveau. Schwieriger sind die Muttersprachler zu erfassen. Zwischen 1000 und 2000 Menschen geben Esperanto als (zweite) Muttersprache an.

Doch nicht nur im Sprachgebrauch ist Esperanto vertreten. Es gibt zahlreiche Literatur auf und über Esperanto, einige Radiosender senden regelmäßig Sendungen in Esperanto und es gibt in vielen Ländern Angebote Esperanto zu lernen. Das Internet hilft ungemein bei der Verbreitung und der Vernetzung der Sprache. Auch die Wissenschaft, vor allem die Interlinguistik, hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit Esperanto und allgemein dem Phänomen „Plansprachen“ beschäftigt.

Der Grundgedanke Zamenhofs, Menschen durch die vereinfachte Sprache friedlich zusammenzubringen, ist nicht so ganz ausgegangen. Doch wenn Menschen über eine Sprache, ganz gleich welche, zusammenfinden, ist das schon mal ein Schritt in die richtige Richtung!!!

Quellen

Detlev Blanke: Internationale Plansprachen. Eine Einführung (= Sammlung Akademie-Verlag. 34, Sprache). Akademie-Verlag, 1985

Heike Pahlow: Esperanto – einfach, kompakt und übersichtlich. Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2016

Die Lutki – Zwerge der Lausitz

Unter den vielen Sagegestalten der Sorben gibt es Wesen, die schon vor der Ankunft der Menschen in der Lausitz und Umgebung lebten. Die Sorben nennen sie Lutki – kleine Leute. Das Wort könnte vom slawischen Wort lud – Volk kommen, die Lutki sind also Leute eines Völkchens. In manchen Quellen sieht man die Schreibweise Ludki. In der Oberlausitz nennt man sie auch Zwerge oder Querxe. Ihre Bekanntheit reicht bis nach Böhmen hinein.

Zwerge oder kleine Wesen sind in allen Kulturkreisen Europas bekannt. Unterschiede im Aussehen oder Namen sind zwangsläufig vorhanden, aber die sorbischen Lutki sind eine ganz spezielle Sorte Zwerg. Im Gegensatz zu den meisten Zwergengestalten sind sie den Menschen zugetan und wollen ihnen nichts Böses, solange man sie freundlich und ehrlich behandelt. Ganz anders zeigen sich beispielsweise die Zwerge der germanischen Sagenwelt.

Der Legende nach wohnten die Lutki in Höhlen oder Hügeln (sogenannte Lutkenberge oder -hügel sorbisch Ludkowa gora/Ludkowa gorka), zogen sich dann aber in die Erde zurück als das Christentum sich ausbreitete und die Kirchenglocken Lärm machten. Eine Geschichte erzählt, die Lutki sollen sich so vom Glockenlärm gestört gefühlt haben, dass sie versuchten eine der Glocken mit einem Stein zu zerstören, aber sie waren zu schwach, um den Stein zu tragen. Also blieb ihnen nichts anderes übrig als sich zurückzuziehen.

Die Lutki sind als Hausgeister positiv gestimmte kleine Wesen. Sie helfen den Menschen beim Hausbau, lehren sie handwerkliche Fähigkeiten wie schmieden und machen manchmal auch kleine Geschenke. Als Haus- und Schutzgeister fühlen sie sich den Menschen verbunden.

In den Geschichten wird berichtet, dass die Lutki sorbisch sprechen, wenn auch nicht immer verständlich. Jedoch haben sie die witzige Angewohnheit alles zu verneinen, beispielsweise buken sie Nichtbrote oder liehen sich einen Nichtbacktrog. Oder sie sprechen rückwärts, was zu einem unverständlichen Kauderwelsch führt.

Ihr Zusammenleben mit den Menschen gestaltet sich sehr harmonisch, sie sind gern gesehen und wohl ein gewohnter Anblick. Lutki werden oft mit den typischen Zipfelmützen der Zwerge dargestellt, ihre Kleidung manchmal in grauer oder brauner Farbe beschrieben, in anderen Geschichten als farbenfroh. Dabei kann man davon ausgehen, dass durch Überlieferungen Freiheiten in den Erzählungen genutzt werden.

Lutki sind allgemein sehr gesellig und feiern gerne Feste. An vielen Festplätzen in der Lausitz sollen sie ausgiebig feiern und tanzen, Hochzeiten halten und sich amüsieren.

Anderen Erzählungen und Sagen von Zwergen habe die Lutki aber gemein, dass sie wohl Schätze hüten. Allgemein wird Zwergen ja oft Habgier und eine Sammelleidenschaft für Gold und Edelsteine nachgesagt. Unter vielen Bergen vermutet man das Gold der Lutki, dass sie manchmal an Menschen abgeben, die arm sind. Oder wenn Menschen den Lutkis halfen, sollen sie dafür Gold oder Silber als Belohnung bekommen haben. Immer nach dem Motto: Wer gutes tut, dem widerfährt auch Gutes. Die Menschen mussten beweisen, dass sie es verdienten.

Der Zugang zum Schatz der Lutki ist versteckt, nur ein Mensch, der ihn sich redlich verdient hat, kann ihn finden. Damit findet man die typischen Narrative aus Märchen und Legenden auch in den Geschichten der Lutki.

Abgesehen, dass es zahlreiche Geschichten aus allen Ecken des Spreewaldes gibt, haben die Lutiks allein schon durch ihr Aussehen die Sympathien auf ihrer Seite. In den Abbildungen in Büchern oder Schnitzereien sieht man niedliche kleine Kerle, die fröhlich sind. Ihre Geschichten eignen sich hervorragend zum Erzählen. Sie sind, im Vergleich zu Märchen, nicht grausam und trotzdem lehrreich für die Zuhörer.

Quellen:

Sagen der Lausitz. Eine Auswahl. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Domowina-Verlag, Bautzen 1965

Zdeněk, Váňa. Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Die geistigen Impulse Ost-Europas, Urachhaus, Stuttgart 1992

Runen – Die Schrift der Germanen

Wie die heute verbreiteten Alphabete in Europa sind Runen eine Form der Buchstabenschrift, die im Vergleich zum Griechischen und lateinischen Alphabet als jung gilt. Die ältesten Funde stammen aus dem 2. Jahrhundert nach Christus.

Das Wort ‚Rune‘ kommt aus dem Altnordischen ‚rún‘- ‚Schriftzeichen‘ und kam im 17. Jahrhundert, durch die Beschäftigung mit der germanischen Geschichte und Literatur, in Benutzung. Woher die Runenschrift der Germanen jedoch stammt, kann bis heute nicht eindeutig beantwortet werden.

Einigkeit besteht darin, dass die Runen-Schrift keine isoliert entstandene Schrift ist. Die Germanen verwendeten in ihrem Alltag keine Schrift. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie die Runen aus norditalienischen, lateinischen oder griechischen Alphabeten abgeleitet haben, die sie durch Kontakt zu Schreibkundigen aus dem Süden Europas kennen lernten.

Die Germanen haben die Runen dann angepasst und verwendeten sie vor allem auf Steinen, Hölzern und Gefäßen. Allgemein akzeptiert ist die Theorie, dass Runen nicht als Schrift für die alltäglichen Kommunikation genutzt wurden. Dafür fehlen erstens Funde, die das widerlegen und zweitens weist die Ausrichtung der Runen (meist senkrecht und eckige Formen) darauf hin, dass sie vor allem mit Werkzeug in Holz, Metall oder Stein geritzt wurde. Schriften, die auf papierähnlichen Materialien geschrieben werden, weisen andere Schreibrichtungen und Formen auf. Funde von Steinen u.ä. weisen eher auf die Verwendung der Runen als religiöse Symbole z.B. zu Ehren von Verstorbenen oder zur Beschreibung von Mythen und Legenden.

Funde mit Runen finden sich in am häufigsten im südskandinavischen und dänischen Raum, aber auch im heutigen Deutschland, Tschechien (v.a. in Böhmen) und Polen, besonders entlang der großen Flüsse, was vor allem Handelsbeziehungen nahelegt. Doch die Ausdehnung der Runen reicht noch weiter: Im Westen bis Irland und im Osten bis zur Dnjeprmündung (Schwarzes Meer).

Die schrittweise erfolgte Christianisierung Europas bedeutete das langsame Aus für die Runen, vor allem außerhalb Skandinaviens. Innerhalb Skandinaviens hielt sich die Verwendung der Runenschrift bis etwa ins 15. Jahrhundert.

Die Verwendung der Runen hat sich im Laufe ihres Entstehungszeitraumes gewandelt bzw. kann man von verschiedenen Formen der Runenschrift sprechen. In den Gebieten Südskandinaviens und Dänemarks fanden man vor allem Beispiele der älteren Form: das ältere Futhark (fuþark). Es besteht aus 24 Zeichen und ist (ähnlich wie das Alphabet) nach den ersten 6 Buchstaben benannt. Es ist eine phonetische Schrift, d.h. jeder Buchstabe steht für einen Laut. Allgemein schrieb man rechtsläufig, die Schreibrichtung war allerdings nicht streng festgelegt.

Anders als im lateinischen Alphabet, besitzt jeder Buchstabe noch einen Namen, beispielsweise die Rune ᛞ, die dem Laut d entspricht und ‚dagaz‘ – Tag heißt.

Bis ins 7. Jahrhundert entstand eine abgewandelte Form des alten Futharks, das sogenannte jüngere Futhark. Dabei handelt es sich um lautliche Veränderungen z.B. entwickelten sich neue Laute, während andere verschwanden. Das Inventar an Buchstaben reduzierte sich auf 16 Runen. Diese Form erhielt sich länger als das alte Futhark, trotz der Einführung der lateinischen Schrift durch die Christianisierung und wurde bis zum 19. Jahrhundert genutzt.

Zusätzlich gab es im friesischen und angelsächsischen Raum noch das fuþorc, das sich wiederum etwas vom Futhark unterschied und bis etwa zum Jahr 1000 in Gebrauch war. Das Interesse an Runen etc. erlebte zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Renaissance, wenn auch mehr auf esoterischer Ebene. Diesem und auch wissenschaftlichen Interesse ist es zu verdanken, dass das Wissen um die Runen nicht verloren ging. Auch in jüngerer Geschichte nutzten zahlreiche Strömungen, nicht zuletzt die Nationalsozialisten, Runen und die dazugehörenden Geschichten für ihre Zwecke aus, um ihre Ideologie zu untermauern.

Die Anzahl der Fundstücke mit erhaltenen Runen aus verschiedenen Zeitabschnitten variiert je nachdem welche Form man betrachtet. Die meisten Funde stammen aus dem skandinavischen Raum (Jütland scheint ein Zentrum zu sein), doch viele Inschriften etc. sind kurz, enthalten nur einzelne Namen, so dass sie nur bedingt mehr Informationen preisgeben können.

Abgesehen von der Möglichkeit Runen als reines Kommunikationsmittel zu nutzen, gibt es noch die „Nutzung“ der Runen als Träger von Magie. Mit unter verbargen sich darin Zauber- und Beschwörungsformeln, die vor allem im nordgermanischen Raum verbreitet waren. Der Edda zufolge, war Odin bereit sich zu opfern, um das Wissen über die heiligen Runen zu erlangen.

Eine bekannte Runeninschrift ist beispielsweise der Codex Runicus, ein Gesetzestext aus dem 13. Jahrhundert, der trotz vorherrschender lateinischer Schrift, in Runenschrift geschrieben wurde.  Die Goldhörner von Gallehus sind ein Beispiel für die Verbindung von Kunst und Alltag. Datiert wurden sie auf das 4. Jahrhundert nach Christus. Sie sind verziert mit Tieren und alten Runen. Neben Tieren und Runen befinden sich noch Zahlen und Symbole auf den Hörnern, die bis heute noch nicht vollständig entschlüsselt wurden. Die Originalhörner wurden 1802 gestohlen und eingeschmolzen, heute existieren Nachbildungen, die auf der Grundlage von Zeichnungen angefertigt wurden.

Etliche Steine mit Inschriften fand man überall in Skandinaviern und sogar im deutschsprachigen Raum, wenn auch nur vereinzelt. Nicht immer sind die Inschriften komplett entschlüsselt, neben Runen nutzen die Erschaffer auch Zeichen, die wohl nicht direkt zum Runenalphabet gehören.

Die Faszination und das Interesse an Runen und den Geschichten hinter ihrer Entstehung, ihre mythischen Eigenschaften und ihre Entschlüsselung wird die Wissenshaft noch einiges an Zeit kosten.

Quellen:

Düwel, Klaus. Runenkunde, 4. Aufl. Metzler, Stuttgart 2008

Nedoma, Robert. Runenschrift und Runeninschriften – eine kurze Einführung, Miscellanea septentrionalia 2, Wien 2007