Livisch

Die Sprache der Liven, ein Volk im heutigen Lettland, gilt seit 10 Jahren als komplett ausgestorben. Livisch wurde zuletzt nur noch im nördlichen Kurland (lettisch Kurzeme) gesprochen, war aber ursprünglich rings um die Rigaer Bucht beheimatet. Livisch gehört dem ostseefinnischen Zweig der finno-ugrischen Sprachfamilie an, verwandt mit u.a. Estnisch und Finnisch.

Die Besiedlung der Rigaer Bucht reicht weit zurück, die Liven waren meist Fischer. Die Christianisierung im 13. Jahrhundert, die Besiedlung des Baltikums mit u.a. deutschen Siedlern und Ereignisse wie Kriege und Grenzneuziehungen drängten die Liven immer weiter zurück, bis sie im 20. Jahrhundert nur noch an der Spitze Kurlands lebten. Heute sprechen die Angehörigen dieser sehr kleinen Gruppe Lettisch. Man kann davon ausgehen, dass die Sprecher*innen des Livischen in Kontakt mit ihren Nachbarn Kenntnisse anderer Sprachen vorweisen konnten und die Assimilation dadurch beschleunigen.

Das große Verbreitungsgebiet kann man grob in östliche und westliche Dialekte unterteilen, deren Unterschiede meist durch die angrenzenden Kontaktsprachen beeinflusst waren.

Die Sprachstrukturen des Livischen sind sehr formenreich, wie eigentlich alle ostseefinnischen Sprachen. Ein besonderes Charakteristikum ist die Menge von Monophthongen (acht) und Diphthongen (zwölf). Die Monophthonge können in vier Varianten (überkurz, kurz, halblang und überlang) auftreten, die bedeutungsunterscheidend sind. Das Konsonanteninventar zählt 23 Konsonanten, eine ähnliche Anzahl wie im Deutschen. Der Wortakzent fällt meist auf die erste Silbe.

Anders als z.B. Finnisch ist das Livische eine eher flektierende Sprache, d.h. es gibt neun Kasus und zwei Numeri. Das Verbsystem ist mit vier Tempora und fünf Modus einigermaßen übersichtlich. Im Wortschatz des Livischen erkennt man den Sprachkontakt mit dem Estnischen, Lettischen und Deutschen, was historisch bedingt ist.

Es gibt nur wenige schriftliche Quellen, meist religiöse Texte. Daraus lässt sich nur schwer eine einheitliche Standardschriftsprache ableiten. Die Schriftgelehrten orientierten sich entweder an einer phonetischen oder vom Lettischen beeinflussten Schreibung. Andere Quellen sind Lieder, Lehrbücher oder Zeitschriften jüngeren Datums, deren Verbreitung aber auf das Sprechergebiet beschränkt blieb.

Die Sprachpolitik des späten 20. und frühen 21. Jahrhundert hat keine positive Wirkung auf den Erhalt des Livischen gehabt. Die Zeit der Sowjetunion mit Russifizierung der baltischen Staaten hat keinen Platz für Minderheiten eingeräumt. Obwohl Lettland Livisch in den 1990er Jahren als indigene Sprache anerkannt hat, konnten keine geeigneten Fördermaßnahmen das Aussterben der Sprache verhindern.

Quelle

Winkler, Eberhard. Livisch. In Miloš Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt 2002.

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Rückblick meines Bachelorstudiums

Nach fast 15 Jahren als Physiotherapeutin habe ich mich 2019 entschieden zu studieren. Meine Fächer waren ‚Slawische Sprachen und Literaturen‘ und ‚Germanistische Linguistik‘. Ehrlich gesagt, war ich zu Beginn etwas blauäugig. Ich dachte so neben der Arbeit und meiner Familie studiert es sich leicht.

Schon das erste Semester an der Humboldt- Universität zu Berlin verlangte mir ein hohes Maß an Disziplin und gutem Zeitmanagement ab. Ich hatte mir so viele Veranstaltungen eingeplant wie der ‚ideale Studienverlaufsplan‘ es halt vorschrieb. Das bedeutete 20 Stunden in der Uni plus die Vor- und Nachbereitungszeit, die ich nicht wirklich beachtet hatte. Die erste Woche verbrachte ich mit der Suche nach Räumen in verschiedenen Gebäuden und Vorstellungsrunden in Seminaren. Wie ich heute weiß, ist es durchaus üblich erst in der zweiten oder dritten Woche in die Veranstaltungen zugehen, macht man als Ersti aber selten. Man könnte ja was verpassen!

Die ersten Prüfungen am Semesterende (Februar 2020) liefen gut, doch es schwebte schon die Pandemie über uns. Die Prüfungen im April wurden im März abgesagt bzw. verschoben. Die nächsten Semester liefen online. Für mich war das ein Vorteil, denn da die Schulen ebenfalls geschlossen waren, konnte ich mich auch um meine Kinder im Homeschooling kümmern. Wir wurden in der Zeit Fachleute für Online-Unterricht und Online-Prüfungen.

Als die Uni nach fast zwei Jahren wieder ihre Türen öffnete und wir, unter Auflagen wie Masken- und Testpflicht, in den Präsenzunterricht kommen durften, war das wie ein Neustart. Wir hatten uns verändert, die Uni hatte sich verändert. Ich genoss das Zusammentreffen mit anderen Studierenden und den Austausch.  Auch die Prüfungen waren wieder in Präsenz, was ich viel besser finde als über Zoom.

Die Pandemie hat mich im Studium kaum ausgebremst, das ist nicht für viele so gewesen. Der Spagat zwischen Uni, Arbeit und Kinderbetreuung ist für mich gut plan- und umsetzbar gewesen. Trotzdem habe ich bis zum Abschluss zwei Semester mehr gebraucht, was einfach daran lag, dass ich mir zum Ende selber weniger Stress gemacht habe als in den ersten Semestern. Als Ersti dachte ich noch, dass das Studium in sechs Semestern zu schaffen sein müsste. Was ich nicht bedacht habe, war die Arbeit dahinter. Jetzt sehe ich die Sache gelassener. Ich hatte keinen Druck das Studium schnell beenden zu müssen, weder von Seiten meiner Familie noch von irgendwelchen Ämtern z.B. das Bafög-Amt.

Nach der Pandemie habe ich mich mehr bei Studentenverbindungen engagiert, was mir bis heute viel Spaß macht, und mir zeigt, was das Unileben eigentlich bedeutet. Wir sollten nicht nur in den Veranstaltungen sein und Fachkenntnisse erwerben, sondern auch unsere sozialen Kontakte wieder mehr pflegen.

Nach vier Jahren Bachelorstudium beginne ich jetzt das Masterstudium. Dieser Schritt war mir schon zu Beginn des Bachelorstudiums klar, nachdem ich festgestellt habe, dass das Studium genau das ist, was ich mir vorgestellt habe. Ich mag die Lernatmosphäre an unserem Institut, die persönliche Betreuung und die Möglichkeiten sich selbst einzubringen. Ich nehme mir genug Zeit und genieße sie, denn ein Studium bedeutet nicht nur reines Lernen, sondern auch Erfahrungen sammeln und sich selber weiterentwickeln.

Keltische Mythologie

Der keltische Held Cú Chulainn

Was kommt uns als erstes in den Sinn, wenn wir an Kelten denken? Asterix und Obelix? Das Keltenkreuz? Die keltische Kultur ist aber weitaus älter und weiterverbreitet als man denkt. Die Kelten als ein Volk sind ein kaum zu definierender Begriff, man spricht besser von keltischen Stämmen. Sie lebten in ganz Europa verbreitet, zogen sich bis in die Neuzeit auf die Britischen Inseln und in die Bretagne zurück. Doch noch heute findet man keltische Relikte in ganz Europa, auch in Deutschland.

Die Kelten bildeten nie ein einheitliches Staatsgebiet und entwickelten sich kulturell und sprachlich unterschiedlich. Es fehlt an schriftlichen Quellen aus der Zeit vor z.B. den Römern in Britannien oder den christlichen Mönchen, die nicht unbedingt an der wahrheitsgetreuen Dokumentation heidnischer Bräuche interessiert waren. Die Mythologie lässt sich grob in die Mythen auf dem europäischen Festland und den Britischen Inseln einteilen, obwohl es auch da nochmal Unterschiede gibt.

Die Kelten auf dem Festland sind aus unserer Vorstellung als Kelten fast verschwunden. Sie sind oftmals mit anderen Kulturen z.B. der Germanen oder Römern verschmolzen. In bretonischen Erzählungen und Sagen lassen sich noch Ähnlichkeiten zu anderen keltischen Legenden erkennen, meist aber nur noch bei Namen von Sagengestalten und Göttern.

Die Quellen für die inselkeltische Mythologie sind besser erhalten. Das liegt vor allem an den Chronisten auf den Britischen Inseln, die zwar missionarische Ziele verfolgten, aber versuchten die heidnischen Elemente in die christliche Lehre einzubauen. Das erleichterte vielen den Übertritt zum Christentum.

Vor allem auf Irland konnte sich die keltische Mythologie frei von römischem Einfluss gut erhalten und wurde erst durch Patrick von Irland christianisiert. Die Sagen, Legenden und anderes kulturelles Wissen wurden auch in Irland seit Jahrhunderten v.a. von Druiden mündlich weitergegeben. Erst die Mönche schrieben sie auf und erhielten sie dadurch für die Nachwelt.

Das Lebor Gabála Érenn, dt. „Das Buch der Landnahmen Irlands“ ist eine große Sammlung aus dem 9. Jahrhundert. Es ist in mittelirisch geschrieben, was den Entstehungszeitraum eingrenzt und weist auch christliche Elemente auf. Inhaltlich berichtet das Buch über die Besiedlung Irlands durch die Vorfahren der Kelten. Man geht davon aus, dass die Geschichten höchstens teilweise auf historischen Ereignissen beruhen. Figuren wie der Held Cú Chulainn aus dem Ulster-Zyklus oder Fionn mac Cumhaill aus dem Finn-Zyklus sind zwei der bekanntesten.

Die Kelten verehrten auch viele Götter wie z.B. Taranis, der Himmelsgott, und Morrigan, die Göttin des Krieges und Todes. Man kann Parallelen zu anderen Götterkreisen wie den Germanen oder Slawen erkennen. Durch die große Ausbreitung der Kelten haben sich auch Götter entwickelt, deren Verbreitung  lokal begrenzt blieb.

Neben Göttern und Helden spielen auch heilige Tiere in den keltischen Mythen eine große Rolle. Sie stellen die Verbindung zwischen den Elementen und zu anderen Welten dar. Besonders Vögel kommen in den Mythen vor wie z.B. der Adler als Begleiter Taranis oder der Rabe, in den sich Morrigan verwandeln kann. Diese Verbundehteit zu Vögeln sieht man auch in der nordischen und sibirischen Mythologie. Ähnlich den Germanen verehrten die Kelten auch Tiere des Waldes wie Hirsche, Bären oder Wölfe als heilig. Haustiere wie Pferde und Rinder, die für die Kelten Arbeitstiere und Fleischlieferanten waren, fand man in Gräbern und Kultplätzen.

Die Druiden der Kelten kannten nicht nur die Legenden und Rituale, sondern waren auch Heilkundige. Einige Pflanzen konnten tranceähnliche Zustände auslösen, die es den Druiden ermöglichten in die Zukunft zu blicken.

Wie andere Mythologien und heidnische Glaubensrichtungen erlebt auch das (Halb-)Wissen um die Kultur der Kelten eine Wiederbelebung. Schriftsteller wie Tolkien, René Goscinny und Albert Uderzo haben zu diesem Trend beigetragen.

Quellen

Magin, Ulrich. Keltische Kultplätze in Deutschland. Nikol Verlag. Hamburg 2021

Grimal, Pierre. Mythen der Völker III. Fischer Bücherei. Hamburg 1963

Deutschland = Deutsch?

In Zeiten des wachsenden Populismus begegnen uns immer wieder Parolen wie „In Deutschland wird Deutsch gesprochen!“ oder „Deutschpflicht auf dem Schulhof!“ und viele Menschen nicken zustimmend. Die Nachrichten sind voll mit Berichten über den Verfall der deutschen Sprache, aber sind sie glaubhaft? Sprechen immer weniger Menschen „gutes“ Deutsch und nehmen andere Sprachen Überhand?

Ein paar Fakten ..….. Das eine Deutsch gibt es nicht, sondern mindestens drei Standardvarietäten: Bundesdeutsches, österreichisches und schweizerisches Standarddeutsch. Dazu kommen unzählige Dialekte, die mit den Standardvarietäten manchmal wenig zu tun haben.  Deutsch wird außer in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch noch in Luxemburg, Liechtenstein, Belgien, Norditalien, Süddänemark, Elsass und als Minderheitensprache z.B. in Rumänien, Polen oder Namibia gesprochen. Deutsch ist also weitverbreitet und außerdem die zahlenmäßig größte Sprache der Europäischen Union. Auch als Fremdsprache ist Deutsch sehr populär. Nach Englisch und Französisch ist es die meistgelernte Fremdsprache der EU, vor allem in den Nachbarländern Deutschlands.

In Deutschland leben etwa 83 Millionen Menschen. Wie viele Sprachen hier gesprochen werden, ist nicht genau klar, aber es sind viele. Neben Deutsch als einzige Amtssprache haben wir die Minderheitensprachen Dänisch, Niedersorbisch, Nordfriesisch, Obersorbisch, Romanes und Saterfriesisch, die Regionalsprache Niederdeutsch und die Sprachen derer, die von überallher nach Deutschland gekommen sind. Die häufigsten Sprachen sind Türkisch, Russisch, Arabisch, Polnisch und Englisch.

Laut dem Statistischen Bundesamt sprachen 2021 80% aller in Deutschland lebenden Menschen zu Hause Deutsch, unabhängig von der Muttersprache. 15% sprechen neben Deutsch zu Hause noch eine oder mehrere Sprachen und nur 5% sprechen zu Hause überhaupt kein Deutsch. Diese Zahlen zeigen, dass es trotz der vielen Menschen ohne deutschen Pass (etwa 10% der in Deutschland lebenden Menschen) in Deutschland nicht dazu kommt, dass nicht mehr „genug“ Deutsch gesprochen wird. Man hat durch Befragungen herausgefunden, dass ein Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund* zu Hause ausschließlich Deutsch spricht. Und von allen Personen mit Migrationshintergrund sprechen nur 18 % zu Hause ausschließlich eine oder mehrere Sprachen außer Deutsch. Die Hälfte der mehrsprachigen Personen mit Migrationshintergrund nutzten neben Deutsch noch eine andere Sprache, um zu Hause zu kommunizieren. Von fehlender sprachlicher Integration kann also keine Rede sein!

Auch aus linguistischer Sicht ist der angebliche Verfall der deutschen Sprache dabei nicht zu beobachten. Die verschiedenen Varietäten z.B. in der jungen Generation mit neuen Wortschöpfungen sind kein Phänomen der jetzigen Zeit. Schon immer unterschied sich die Sprache zwischen den Generationen. Viele fühlen sich von diesem Wandel innerhalb des Deutschen bedroht und fordern, dass in Schulen keine anderen Sprachen als Deutsch gesprochen werden dürfen. Dabei zeigen Untersuchungen, dass zweisprachige Kinder genauso gut Deutsch erlernen wie einsprachig-deutsche Kinder.

Warum also diese Parolen? Warum wird mit unwissenschaftlichen Argumenten gegen die Mehrsprachigkeit gepredigt? Die Menschen stehen dem Unbekannten oft sehr skeptisch gegenüber. Doch leben wir nicht in einer Gesellschaft, die sich die Vielfalt, sprachlich, religiös oder auch sexuell, als Grundrecht in die Verfassung geschrieben hat? Es mag einige geben, die das anders sehen, und immer wieder behaupten das Deutsche wird verdrängt. Deutschland wird dadurch bunter, aber nicht weniger deutschsprachig.

*Migrationshintergrund bedeutet in diesem Kontext, dass eine Person oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren sind.

Quelle

Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/Home/_inhalt.html

Julian Tuwim

In Polen kennt ihn jedes Kind, seine Gedichte sind Klassiker der polnischen Lyrik: Julian Tuwim. Er wurde am 13. September 1894 in Łódź geboren und wuchs in einer jüdisch-polnischen Bürgersfamilie auf.

In der Schule war er mittelmäßig, interessierte sich eher für Sprache als für Naturwissenschaften. Schon in jungen Jahren übersetzte er Gedichte, 1913 wurde sein Gedicht ‚Request‘ in einer Warschauer Tageszeitung veröffentlicht. Nach dem Abitur zog Tuwim nach Warschau und begann dort ein Jura- und Philosophiestudium. Nebenbei arbeitete er bei der Universitätszeitung ‚Pro Arte et Studio‘. Dort gründete er 1916 mit anderen Künstlern die Dichtergruppe ‚Skamander‘ und schrieb u.a. Theaterstücke.

Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er im Pressebüro von Józef Piłsudski, einige seiner Schriften wurde aber durch die Zensur verboten.  Er heiratete 1919 Stefania Marchew und gründete einen Verband, der sich für die Urheberrechte von Künstlern einsetzte.

Als 1939 Nazi-Deutschland in Polen einfiel, floh Tuwim nach Frankreich, später nach Portugal und Brasilien. Unabhängig seines Wohnortes schrieb Tuwim für viele polnische Zeitungen. Viele polnische Schriftsteller folgten Tuwim ins Exil und überlebten so den Zweiten Weltkrieg. In Deutschland waren seine Schriften und Werke verboten. Ab 1942 lebte er in New York, kehrte nach Kriegsende schon 1946 in seine Heimat zurück.

Bei seiner Rückkehr nahm Tuwim seine Tätigkeit wieder auf, schrieb aber nicht mehr so viel wie früher. Er arbeitete als künstlerischer Leiter am ‚Nowy Teatr‘ in Warschau und übersetzte andere Künstler. Außerdem adoptierte er mit seiner Frau ihre Tochter Ewa aus Otwock.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg litt Tuwim an den Folgen einer Angststörung, die mit Depressionen und Alkoholmissbrauch einher ging. Seine Arbeit wurde dadurch stark eingeschränkt. Auch im Exil schrieb er weniger als in jungen Jahren. Auch die antisemitische Hetze in Europa und auch in Amerika traf Tuwim hart. Er kämpfte zeitlebens mit der jüdisch-polnischen Identität.

Bei einem Urlaub in der Hohen Tatra erlitt Tuwim einen Herzinfarkt und verstarb am 27. Dezember 1953 in Zakopane. Er wurde in Warschau auf dem Powązki-Friedhof beigesetzt.

Der Nachwelt hinterlässt Tuwim einen Schatz an Gedichten, von denen viele vertont worden sind. Die meisten Gedichte sind sehr satirisch, Tuwims Spezialität. Er schrieb auch Sketche und Stücke fürs Kabarett und verknüpfte Gesellschaftskritik mit Lyrik. Sein Schreibstil ist geprägt von der Frage nach Individualität und nach politischer Korrektheit. Dafür erntete er zahlreiche Kritik aus politischen Kreisen, seine Leser lieben ihn genau dafür.

Vor allem die Gedichte für Heranwachsende sind bekannt, auch außerhalb Polens. In Deutschland bekannt ist das Gedicht ‚Die Lokomotive‘ von 1938, das von James Krüss übersetzt und auch vertont wurde. Die Gedichte für Kinder sprühen vor Humor und prägen sich durch die vorherrschende Lautmalerei unaufhaltsam ins Gedächtnis. Es ist also nicht verwunderlich, dass sie noch heute gerne gelesen werden und in Polen ein fester Bestandteil der Schullektüre sind.

Quellen

Ehrenburg, Ilja. Menschen – Jahre – Leben (Memoiren). München 1965

Urbanek, M. Tuwim. Wylękniony bluźnierca. Warszawa: Wydawnictwo Iskry, 2013

Mecklenburg

Die historische Region Mecklenburg ist heute Bestandteil des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern in Deutschland. Der Name ‚Mecklenburg‘ bezieht sich auf die Burg Mecklenburg, altsächsisch ‚Mikilinborg‘, die als Hauptsitz der Abodriten genutzt wurde. Erste Erwähnung findet sich in einer Urkunde des späten 10. Jahrhunderts. Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Name über das Niederdeutsche zu ‚Mecklenburg‘.

Bis zur Völkerwanderung ca. 4. Jahrhundert n.Chr. siedelten dort germanische Stämme, die dann weiter Richtung Süden zogen. Um das 6. Jahrhundert zogen slawische Stämme in das Gebiet rund um das heutige Schwerin und Wismar. Die Ostsee bildet eine natürliche Grenze im Norden, während von Osten und Süden andere slawische Stämme und im Westen Franken und Sachsen lebten. Die Region wurde von den elbslawischen Stämmen der Abodriten beherrscht, rund um das heutige Wismar und Schwerin. Die Region eignete sich über die Wasserwege wie die Ostsee und die Flüsse gut für den Handel als Lebensgrundlage.

Ab dem 12. Jahrhundert gerieten die slawischen Herrscher immer mehr in Bedrängnis durch ihre Nachbarn. Wie viele Völker waren sie in kleine Herrschaftsgebiete geteilt und konnten den Sachsen oder Franken keine große Streitmacht als Verteidigung entgegensetzten. Mecklenburg wurde Teil des Heiligen Römischen Reiches. Auch die Dänen zeigten zum Ende des 12. Jahrhundert großes Interesse an der Eroberung Mecklenburgs, um ihren Einflussbereich auszuweiten.

Nach und nach vermischten sich die Slawen mit Siedlern, die vor allem aus dem Westen und Norden in die Region zogen. Sie brachten nicht nur das Christentum, sondern auch landschaftliche Innovationen, mit. Damit stiegen die Erträge und die Bevölkerungszahl stieg an. Mit den Siedlern entstanden immer mehr Siedlungen, die sich in kurzer Zeit zu Städten entwickelten. Die Nähe zur Hansestadt Lübeck, gegründet von slawischen Polaben, hatte ab dem 13. Jahrhundert Einfluss auf die Region Mecklenburg, was mit einem Handelsbündnis Lübecks mit Rostock und Wismar besiegelt wurde.

Die strategisch wichtige Lage machte Mecklenburg zum Opfer mehrerer Teilungen u.a. 1229, 1621 und 1701, infolge von Kriegen oder Teilungen durch Erbansprüche verschiedener Herrschaftslinien, trotzdem bestand zwischen den Fürstentümern immer eine Verbindung in Form von politischer und wirtschaftlicher Verbundenheit. Teile des Gebietes fielen im 18. Jahrhundert an Hannover und Preußen, bis Napoleon einfiel und es über Jahre besetzte. Der Wiener Kongress 1815 stellt die Souveränität der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz wieder her und dies blieb bis 1918 bestehen.

Ab 1918 entstanden aus den beiden Gebieten zwei Freistaaten, die sich unter dem Druck der Nationalsozialisten 1934 zum Land Mecklenburg vereinigten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der größte Teil der Region sowjetisch-besetztes Gebiet und wurde zu DDR-Zeiten in Bezirke geteilt, wie das gesamte Gebiet der DDR. Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten schuf das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern wie wir es heute kennen (bis auf einen kleinen Zipfel im Südwesten, der jetzt zu Niedersachsen gehört.)

Das Wappen des Herzogtums Mecklenburg zeigt einen Stierkopf auf goldenem Grund, mit silbernen Hörnern und einer goldenen Krone. Es trat in dieser Form ab 1219 auf.

Quellen

Heitz, Gerhard &Rischer, Henning. Geschichte in Daten. Mecklenburg-Vorpommern. Koehler & Amelang, München und Berlin 1995

Karge, Wolf &Münch, Ernst &Schmied, Hartmut. Die Geschichte Mecklenburgs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hinstorff, Rostock 2011

Bildquelle

Autorstwa Ipankonin – Ten plik jest pochodną pracą: Coat of arms of Mecklenburg-Western Pomerania (great).svg:, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3201708

Obersorbisch

Die Sorben siedeln seit Jahrhunderten im heutigen Sachsen und Brandenburg. Es gibt zwei sorbische Schriftsprachen (Obersorbisch und Niedersorbisch), die als anerkannte Minderheitensprachen in Deutschland seit Ende der 90er Jahre geschützt. Die Ähnlichkeit beider Sprachen ist groß, sodass viele denken es seien zwei Varianten der gleichen Standardsprache.

In Sachsen, genauer in der Oberlausitz, wird von etwa 20.000 Menschen Obersorbisch gesprochen. Es ist eine westslawische Sprache, die mit Niedersorbisch, Polnisch, Tschechisch und Slowakisch verwandt ist. Durch die Mischung des slawischen und germanische Sprachgebietes im Osten des heutigen Deutschlands lassen sich im Obersorbischen viele deutsche Einflüsse u.a. im Wortschatz erkennen. Außerdem sind alle Sorben zweisprachig. Das liegt einerseits an der historischen Sprachenpolitik, Sorben waren ohne Deutschkenntnisse oft von Zünften oder Universitäten ausgeschlossen, und an der in Deutschland herrschen Schulpflicht, sodass Kinder aus sorbischen Familien spätestens in der Schule immer deutsch lernen. Einsprachige sorbische Kinder gibt es aber nicht mehr. Diese Zweisprachigkeit ist heute zwar gewünscht, drängt das Sorbische aber in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens in den Hintergrund. Obersorbisch ist deshalb schon lange eine gefährdete Sprache, deren Erhalt eine wichtige Aufgabe des deutschen Staates und Sachsens darstellt.

Die kulturellen Zentren der Obersorben sind Bautzen (Budyšin), Kamenz (Kamjenc) und Hoyerswerda (Wojerecy). In diesem Dreieck wird das Sorbische sehr gepflegt und bewahrt. Doch immer mehr Menschen sprechen zu Hause kaum noch Obersorbisch und geben es dann auch nicht an ihre Kinder weiter. So verkleinert sich der Kreis der Sprecher*innen mit jeder Generation.

Laut der Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen haben Sorben das Recht ihre Sprache nicht nur zu sprechen, sondern auch in der Schule zu lernen. Es gibt an vielen Schulen in Sachsen Obersorbisch als Fremd- und Unterrichtssprache, auch das Abitur kann in Obersorbisch abgelegt werden. In Leipzig (und ganz neu in Dresden) kann man Sorabistik studieren, jedoch ist dieses Fach sehr klein genauso wie die Studierendenzahlen. Vor allem im Bereich Bildung werden viele Fachkräfte mit Sprach- und Fachkenntnissen gesucht z.B. Lehrer*innen, Erzieher*innen etc. gesucht. Sachsen fördert den Erhalt der sorbischen Sprache und Kultur, nicht nur im Bildungsbereich. Wie in der Niederlausitz sind auch in der Oberlausitz die Straßenschilder, Wegweiser oder Beschriftungen an Ämtern zweisprachig. Die Sichtbarkeit der Sprache ist eine der wichtigsten Punkte beim Spracherhalt. Das Sprachprestige ist durch die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen gestiegen. Die Sorben sind stolz auf ihre Sprache, feiern ihre Bräuche und sind bekannt für ihre Trachten, Sagen und Legenden.

Obersorbisch wird in lateinischer Schrift geschrieben, ergänzt um einige diakritische Zeichen z.B. Hatschek oder Akut für die typisch slawischen Laute. Die Schreibung ist erst seit dem 19. Jahrhundert standardisiert u.a. wegen der Bemühungen von Jan Arnošt Smoler und Handrij Zejler. Die Schreibung zeigt Einflüsse des Tschechischen, was nicht verwundert. Die Tschechen waren schon immer Freunde der Sorben, sprachlich wie politisch.

Wie (fast) alle slawischen Sprachen ist das Obersorbische eine stark flektierende Sprache. Neben den sieben Kasus hat es drei Numeri (der Dual wird aber oft durch den Plural ersetzt) und drei Genera. Die Verben kommen als Aspektpaar vor, für Deutschmuttersprachler*innen definitiv ein Novum, denn das gibt es in der Art nicht im Deutschen. Die Wortstellung ist weniger streng als im Deutschen, vor allem die Verbstellung. Ursprünglich war die Wortstellung Subjekt-Objekt-Verb, aber u.a. der Kontakt mit dem Deutschen sorgt für eine mittlerweile akzeptierte Subjekt-Verb-Objekt-Stellung, vor allem im mündlichen Sprachgebrauch. Sprachpuristen sehen in dem deutschen Einfluss eine Gefahr für das Obersorbische. Schon im 19. Jahrhundert versuchten sorbische Linguisten diesem Einfluss u.a. durch slawische bzw. tschechische Einflüsse „auszubessern“. Daher sieht man im obersorbischen Wortschatz mehr tschechische Entlehnungen als im niedersorbischen. In letzter Zeit steigt der Anteil von Anglizismen an, wie in fast allen Sprachen Europas.

Wie im Niedersorbischen besitzt auch das Obersorbische einige, oft schon ausgestorbene, Dialekte. In den Schulen wird die Standardsprache gelehrt. Sorbische Dialekte werden nur innerhalb der Familien oder in speziellen Kursen weitergegeben.

Quelle

Kunze, Peter.  Kurze Geschichte der Sorben. Ein kulturhistorischer Überblick. 5. Auflage, Domowina Verlag, Bautzen 2017

Lewaszkiewicz, Tadeusz. Obersorbisch. In: Miloš Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002.

Ist Polnisch schwer zu lernen?

Wie oft habe ich diese Frage schon gehört? Ich kann es nicht sagen, aber oft. Eigentlich immer, wenn ich erzähle, dass ich Polnisch lerne. Ob den Lernenden des Englischen oder Spanischen auch so eine Frage gestellt wird? Ich glaube kaum….Ich selber habe mir diese Frage nie gestellt.

Das Lernen einer neuen Sprache fordert und fördert uns, davon bin ich überzeugt. Dabei spielt die Sprache an sich erstmal keine Rolle. Doch ich habe mich in meiner Jugend aus unterschiedlichen Gründen für Polnisch entschieden. Meine Muttersprache ist Deutsch, eine germanische Sprache, wohingegen Polnisch eine slawische Sprache ist. Lernt man eine Sprache aus einer anderen Sprachfamilie, sind viele Dinge ungewohnt. Beim Polnischen schlägt erstmal die Aussprachewucht zu. Als Deutschsprechender sucht man verzweifelt die Vokale (kleiner Funfact: Im Gegensatz zum Polnischen kann man im Tschechischen ganze Sätze ohne Vokale bilden.). Das Alphabet ist zwar das lateinische, aber ein paar diakritische Zeichen kommen noch dazu. Die Aussprache ist phonetisch, d.h. man spricht so wie man schreibt, fast. Hat man das erstmal verstanden, kann man lesen, ohne was zu verstehen.

Aus dem Wortschatz des Polnischen lassen sich viele deutsche Entlehnungen und Internationalismen erkennen, die den Einstieg erleichtern. Ums Lernen der typisch slawischen Wörter kommt man aber nicht herum, wie in allen anderen Sprachen auch.

Ich habe zuerst versucht alleine mit Hilfe eines Wörterbuches und einer Grammatik Polnisch zu lernen. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Ich bin eher ein Gruppenlerntyp. In Berlin, meiner Heimatstadt, gibt es viele Möglichkeiten Kurse zu besuchen: Die Volkshochschule, Kurse an der Uni oder Privatschulen.

So nebenbei lernt sich eine Sprache aber nur langsam. Je nach Lerntyp fokussiert man sich auf die kommunikativen Kompetenzen wie Sprechen oder eher auf die Sprachstrukturen wie das Deklinationssystem oder die Wortstellung. Ich liebe Grammatik, nicht nur des Polnischen. Ich möchte die Struktur von Sprachen verstehen. Dass das in einer Situation in Polen nicht unbedingt hilft, ist mir zwar klar, aber so bin ich gestrickt.

Meine größte Schwierigkeit beim Polnisch lernen sind eindeutig die Verben. Die funktionieren zwar wie im Deutschen, kommen aber immer als Paar vor (mit wenigen Ausnahmen). Und je nach Kontext nutzt man das eine oder das andere. Auch die Konjugation der Verben machte mir zu schaffen. Natürlich gibt es Verbklassen, aber die erschlossen sich für mich nicht automatisch. Doch es gibt eine Menge Hilfsmittel zum Nachschlagen, gute Wörterbücher oder Verbtabellen. So etwas musste ich natürlich haben! Vor allem bei unregelmäßigen Formen, die meisten hoch frequentiert gebraucht werden, hilft z.B. eine Übersichtstabelle. In der sind alle möglichen Formen dargestellt.

Doch nur Grammatik pauken bringt wenig für die Kommunikation. Auch mit grammatisch falschen Sätzen wird man verstanden. Wortschatz lernen und Sprechen üben sind noch wichtiger. Die Angst vor Fehlern kennen wir alle, doch erinnern wir uns an Situationen z.B. wenn uns jemand in gebrochenem Deutsch nach dem Weg fragt. Wir verstehen den Sinn der Sätze und der Fragende bekommt eine Antwort. Das ist gelungene Kommunikation, auch ohne richtige Verbendung.

In Polen habe ich noch nie Probleme wegen meiner Fehler gehabt. Entweder sind die Menschen zu höflich, um mich zu korrigieren oder ich konnte verständlich genug ausdrücken. Oft habe ich anerkennende Blicke und ein Lob bekommen, dass ich als Deutsche eine so „schwere“ Sprache lerne.

Die Frage ist also nicht, ob Polnisch schwer zu lernen ist, sondern ob ich diese Sprache sprechen und verstehen möchte. Für mich lässt die Motivation den Schweregrad in den Hintergrund treten und ich freue mich über eine erfolgreiche Kommunikation.

Kleine Geschichte der Übersetzung

Menschen sprechen seit jeher unterschiedliche Sprachen, aber nicht jeder Mensch kann sich mit jedem verständigen. Doch die Menschen wollen und müssen kommunizieren. Die Vielfalt der Sprachen machte die Entstehung einer Tätigkeit nötig, die fast so alt ist wie die Menschheit selbst: Das Übersetzen.

Mehrsprachige Personen gab es immer und sie nutzten ihre Fähigkeiten. Wer kennt nicht die Sprachkundigen aus Büchern und Filmen, die mit Fürsten und Händlern auf Reisen sind, um zu übersetzen. Daraus wuchs die noch heute tätige Berufsgruppe der Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen.

Besonders in Europa der späten Neuzeit sind diese Berufe gefragt, denn hier war die Einsprachigkeit vieler Menschen ein politisches Ziel der sich bildenden Staaten. In den meisten Teilen der Welt ist Mehrsprachigkeit die Regel und die Menschen brauchen weniger Übersetzungshilfen.

Die Anfänge des Übersetzens liegen wie gesagt weit zurück. Schon die Römer und andere antike Mächte nutzten Reiserouten in ferne Länder, immer Sprachkundige mit „im Gepäck“. Auch literarische Werke wurden von den Römern aus anderen Sprachen wie dem Griechischen ins Lateinische übersetzt. Und schon damals kämpften die Übersetzer mit der Frage wie sich ein Text am besten übersetzen lässt.

Der Machthunger Europas, vor allem der Seefahrernationen wie England oder Spanien, ließ Entdecker über alle Weltmeere segeln und neue Orte in Besitz nehmen. Einen Handelspunkt oder Hafen in den Gebieten zu etablieren, bedeutet immer mit der indigenen Bevölkerung (zumindest zuerst) zusammenzuarbeiten, was durch Sprachbarrieren erschwert wurde. Doch schnell lernten einige die Sprache der anderen, um darüber hinwegzuhelfen.

Zuerst wurde mündlich übersetzt, aber schon bald mussten Verträge, Handelslisten etc. übersetzt werden. Der Buchdruck im 15. Jahrhundert und die bessere Verfügbarkeit von Lesestoff verursachte eine Übersetzungswelle religiöser und weltlicher Texte, die bis heute anhält.

Doch was macht das Übersetzen aus? Übersetzen war und ist eine Kunst, nicht nur eine mechanische Umwandlung von einer Sprache in die andere. Jeder, der schon mal ein Gedicht, Text oder irgendwas übersetzt hat, kann sich daran erinnern. Beim Übersetzen ist das Ziel entweder den Inhalt oder die Form möglichst authentisch wiederzugeben. Beides zusammen ist meist unmöglich. Man muss sich also genau überlegen, wie man vorgeht.

Die bekannteste Übersetzung in Deutschland ist wahrscheinlich die Luther-Bibel. Martin Luther hat die Bibel aus dem Hebräischen, Aramäischen und Griechischen ins Deutsche übersetzt, wobei ihm aufgefallen ist, dass die Ausgangswerke nicht gleich sind und er bei den Abweichungen immer einem Kompromiss für seine Version finden muss. Gerade bei religiösen Texten war beim Übersetzen Vorsicht geboten. Nicht nur, dass die Kirche ihr Wissensmonopol behalten wollte, sondern auch peinlich darauf achtete, dass jegliche Interpretation der Bibel zu unterbleiben hatte.

Weltliche Texte waren „ungefährlicher“ zu übersetzten und waren stark nachgefragt. In der Neuzeit kam auch die Unterhaltungsliteratur in Mode, die sich oft über Ländergrenzen ausbreitete. Die Arbeit der Übersetzter*innen geschieht heute meist im Verborgenen. Kaum jemand realisiert, wieviel Arbeit in jeder übersetzten Zeile steckt. Und auch dass das übersetzte Werk zu einem kleinen Teil auch das persönliche Werk des Übersetzers ist. Außerdem hat auch die Sprache, in die das Werk übersetzt wird, Einfluss auf den Inhalt. Wie übersetzt man beispielsweise ein Wort, dass es in der Zielsprache nicht gibt?

Wie man richtig übersetzt, dazu haben sich viele kluge Köpfe den Kopf zerbrochen. Im deutschsprachigen Raum haben sich u.a. Literaturtheoretiker wie Johann Christoph Gottsched (1700–1765) oder Philosophen wie Johann Gottfried Herder (1744–1803) damit beschäftigt.

Quellen

Snell-Hornby, Mary & Jürgen F. Schopp. Übersetzung. In: Europäische Geschichte online

Koller, Werner & Kjetil Berg Henjum. Einführung in die Übersetzungswissenschaft. Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2020

Schreiben als Kulturtechnik

Schreiben, egal ob mit der Hand oder technischen Mitteln, erscheint uns heute als Selbstverständlichkeit. Doch Schreiben ist keine angeborene Fähigkeit, sondern muss von uns mühsam erlernt werden. Es geht meist einher mit Lesen lernen. Beide gelten als elementare Techniken der Menschen. Es gibt aber auch (Sprach-)Gemeinschaften, die ohne Schrift und das Schreiben leben, genannt Illiteralität.

Schon der die Herleitung des Begriffs ‚Schreiben‘ zeigt, wie sehr sich diese Tätigkeit wandelt. Abgeleitet vom Lateinischen ‚scribere‘- ‚mit einem Griffel in eine Tafel ritzen‘ über das Althochdeutschen ‚scriban‘ haben sich Schrift und Schreibutensilien komplett verändert.

Wann die ersten Menschen schrieben, lässt sich nur ungefähr auf einige Jahrtausende v.Chr. schätzen, wahrscheinlich sind die heute als älteste geltende Schriftdenkmäler doch nicht die ersten. Man hat Schriftstücke auf Stein, Holz, Leder oder Metall gefunden. Gerade Holz oder Leder sind je nach Umgebungsbedingen nicht gut konserviert. Auch der berühmte Papyrus währt nicht ewig. Die Schreibutensilien variieren, je nachdem ob die Schrift geritzt, gemeißelt oder gemalt wurde.

Schreiben war zu Beginn eher eine kulturelle Handlung, wichtig für Rituale oder Kultgegenstände. Man kann davon ausgehen, dass nur wenige Menschen einer Gemeinschaft in der Kunst des Schreibens unterrichtet waren. Im Laufe der Zeit erwarben auch ‚normale‘ Menschen die ‚Kunst‘ des Schreibens, soweit, dass man aus Freude am Schreiben schrieb. Man schreibt an Leser*innen, die den Text vielleicht erst später lesen würden wie in Briefen. Auch die Fähigkeit Gedanken anderer,  auch fiktiver Personen, zu verschriftlichen erfordert Übung und massive kognitive Kapazitäten.

Mit Gründung von Verwaltungseinheiten wie Städte etc. wurde die Schrift und die Fähigkeit Informationen auf einem Medium festzuhalten unumgänglich für die Verwaltung. Mit der Größe der Menschheit stieg der Wirtschaftszweig, der sich mit dem Schreiben, den nötigen Utensilien und der Weitergabe des Wissens beschäftigte.

Theoretisch kann man heute alle beliebigen Informationen schriftlich festhalten, egal ob Briefe, Noten, Rechenwege, selbst simpel erscheinende Einkaufszettel.

Wie schreiben wir eigentlich? Warum fällt es uns als Grundschulkindern oft so schwer zu schreiben? Die Antwort wurde oben schon erwähnt: Schreiben ist nicht angeboren, sondern erlernt. Die Prozesse, die wir durchlaufen müssen, um Sprache in Schrift umzuwandeln, sind vielfältig.

Nehmen wir die Bausteine mal auseinander: Wir müssen Wissen und eine Sprache erwerben, bevor wir es aufschreiben können. In der jeweiligen Sprache lernen wir während des Schreibprozesses die wichtigsten Regeln zur Orthografie, Wortschatz und Textsorten. Normalerweise lesen wir nach dem Schreiben das Geschriebene, also brauchen wir einen bestimmten Grad an Lesekompetenz zur Überprüfung des Geschrieben. Und, ganz wichtig und mir in sehr guter Erinnerung, müssen wir lernen mit einem Schreibwerkzeug die Schrift auf ein Medium zu bringen. Unser Gehirn ist während so gefordert alle Aspekte des Schreibens umzusetzen, dass sich die Hand krampfhaft um den Stift krallt, manchmal so doll aufgerückt wird, dass wir unsere Buchstaben noch auf den nächsten zehn Seiten lesen können und wir kaum ansprechbar sind. Zu Beginn ist die Auge-Hand-Koordination schier unüberwindlich. Doch schon nach einiger Übung fliegen unsere Stifte über die Heftseiten und die meisten von uns sind fasziniert vom Schreiben. Haben wir die Fähigkeit schreiben erworben, verfeinern wir sie immer weiter. Wir schreiben Gedichte, Erzählungen, überlegen uns Überschriften usw. Daraus entsteht Literatur, die zwar eine Kunstform darstellt, aber nur durch den Erwerb einer Fähigkeit abhängt.

Das Konservieren von Wissen wird heute immer durch Verschriftlichung jeglicher Art gewährleistet. Sich Dinge zu merken, ohne sie aufzuschreiben, erscheint uns fast unmöglich.

Während einige Gemeinschaften keine Schrift und das Schreibens kennen, gibt es auch in Gesellschaften mit Schrift Menschen, die trotz Schulbildung oder durch individuelle Einschränkungen nicht schreiben, und oft auch lesen, können (Hier muss man zwischen fehlende Schreibfähigkeit und Schreibkompetenz unterscheiden.). Je nach Gesellschaft geht man von fünf Prozent aus, genaue Zahlen liegen aufgrund der hohen Tabuisierung nicht vor.

Bisher stand der Inhalt des Geschriebenen im Fokus, doch ähnlich wie bei dem Ursprünglichen Sinn des Schreibens, gibt es auch Kunstformen wie die Kalligrafie, die sich mit der Kunst der Schrift beschäftigt. Das erinnert ein wenig an die Note, die wir früher für unsere Handschrift bekommen haben. Doch egal, wie wir schreiben, oftmals denken wir kaum noch darüber nach. Wir denken erst darüber nach, wenn wir beispielsweise eine neue Schrift lernen, die uns in den mühsamen Prozess der Grundschule zurückbringt und uns daran erinnert wie komplex das Schreiben doch ist.

Quelle

Haarmann, Harald. Geschichte der Schrift. (= C.H. Beck Wissen. Band 2198). München 2002

Bräuer, Gerd. Schreibend lernen. Grundlagen einer theoretischen und praktischen Sprachpädagogik. Studienverlag, Innsbruck 1998.