Tschechische Dialekte

In jeder Sprache findet man Dialekte. Die Dialektgeschichte des Tschechischen ist eng mit dem Slowakischen, aber auch anderen slawischen Sprachen wie Polnisch oder Sorbisch verknüpft. Die Gebiete des heutigen Tschechiens und das historische tschechische Sprachgebiet sind nicht deckungsgleich. Im Verlauf der letzten Jahrhunderte wechselten sich Herrscher und ihre Sprachpolitik stetig ab, so dass einige Gebiete mehrsprachig waren. Viele Tschechen sind mit anderen Muttersprachen als Tschechisch aufgewachsen und die meisten sprachen mehrere Sprachen.

Im heutigen Tschechien kann man einen Rückgang der Dialekte beobachten. Diese Entwicklung begann etwa im 17. Jahrhundert. Das ist nicht verwunderlich, denn u.a. neigt Sprache zur Vereinfachung, die Medien berichten in der Standardvariante und die Bevölkerung ist mobiler als noch von einigen Jahrzehnten in Bezug auf Wohn- und Arbeitsort. Das sind nur einige Gründe für die Angleichung von Dialekten. Hinzu kommt auch, dass das Tschechische und Slowakische ein Sprachkontinuum bilden, die Sprachgrenzen verschwimmen. Nichtdestotrotz lassen sich Dialektgruppen noch gut voneinander abgrenzen.

Die klassische Einteilung ist nach geografischen Merkmalen entstanden.

  1. Tschechisch-böhmische Dialekte
    Die Gruppe der tschechischen/böhmischen Dialekte bildet ein Kontinuum von Nord-Ost nach Süd-West. Die Ausläufer dieses Dialektgebietes überschneiden sich mit den Mittelmährischen Dialekten.

  2. Mittelmährische Dialekte
    Sie werden auch Haná-Dialekte genannt, weil die deutlichsten Unterschiede in der Region Haná zu finden sind. Die Trennung zwischen den tschechischen-böhmischen und mittelmährischen Dialekten ist nicht genau die geografische bzw. historische Linie zwischen Böhmen und Mähren.

  3. Ostmährische Dialekte
    Diese Dialektgruppe wird auch mährisch-slowakisch genannt, sie weist in ihren Varietäten mehr archaische Merkmale auf und lehnt sich verstärkt an das Slowakische an.

  4. Schlesisch-mährische Dialekte
    Die Region Schlesien (hier ist der kleinere Teil gemeint, der in Tschechien liegt) ist historisch gesehen ein Schmelztiegel. Das spiegelt sich in zahlreichen Varianten innerhalb dieser Gruppe wider. Viele sprachliche Merkmale weisen polnische, schlesische oder slowakische Züge auf.

  5. Schlesisch-polnische Dialekte
    Das Zentrum dieses Dialekts findet man im Teschener Land, deren Einflüsse stark polnisch und schlesisch geprägt sind. Sprachliche Merkmale wie z.B. das Fehlen der silbenbildenden Konsonanten /r/ und /l/ oder die Betonung auf der vorletzten Silbe lassen die Argumentation zu, dass die schlesisch-polnischen Dialekte als Dialekte der polnischen Sprache zu betrachten sind.

  6. Gemischte Dialekte, oft in ehemals deutschsprachigen Gebieten
    Die gemischten Dialekte sind ein Sammelbecken vieler Varietäten. Das liegt an der Geschichte der Regionen, die in den letzten Jahrhunderten zu unterschiedlichen Ländern gehörten und insbesondere nach 1945 einen Bevölkerungsaustausch durch Vertreibung und Neuansiedlung erlebt haben. Man findet Merkmale aus anderen Dialekten des Landes und starke Einflüsse des Slowakischen. Ein ähnliches Phänomen findet man bei den neuen gemischten Dialekten im Polnischen.

Die genaue Unterteilung der Dialekte nach phonologischen und morphologischen Merkmalen ist sehr detailreich und mitunter überlappend. In den Städten wird zumeist weniger Dialekt gesprochen als auf dem Land. Hinzukommt, dass sich das Standardtschechische in mündlicher und schriftlicher Form deutlich unterscheidet. Die Schriftsprache (spisovná čeština) gilt als Standard für alle geschriebenen Medien wie Zeitungen etc.

Die tschechische bzw. böhmische Umgangssprache (obecná čeština) bildet einen Interdialekt, der sich als eine Art Norm über die anderen Dialekte des Landes legt. Eine kleine Sprachinsel des Tschechischen gibt es heute noch in Rumänien, im Banat. Die Bewohner stammen v.a. von böhmischen Siedlern ab und sprechen bis heute Tschechisch in einer älteren Form.

Quellen

Duličenko Aleksandr. Mährisch. In: Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Rehder, Peter. Einführung in die slavischen Sprachen. WBG-Verlag, Darmstadt 2012

Šlosar, Dušan. Tschechisch. In: Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

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Die Ogham-Schrift

Die Sprachen der Britischen Inseln z.B. Englisch oder Gälisch werden heute in lateinischer Schrift geschrieben. Das ist ein Erbe der römischen Besatzung und der mitgebrachten lateinischen Schrift. Doch nicht nur die Römer haben ihre schriftlichen Spuren auf den Britischen Inseln hinterlassen.

Doch neben der lateinischen Schrift existiert noch die Ogham-Schrift, die vor allem in Irland, den westlichen Anteilen Englands und Schottland Verbreitung fand. Sie entstand etwa im 4. Jahrhundert n. Chr., d.h. zu einer Zeit als sich die römische Besetzung Britanniens langsam dem Ende zuneigte. Ob die Entstehung der Ogham-Schrift aufgrund der römischen Besatzung begünstigt wurde, ist unklar. Die stärkste Verbreitung der Schrift berührte kaum das Herrschaftsgebiet der Römer, die sich vor allem in heutigem England und Wales aufhielten. Einige Forscher datieren die Entstehungsgeschichte der Ogham-Schrift auf das erste Jahrhundert v. Chr., aber dafür gibt es keine stichhaltigen Argumente. Wahrscheinlicher ist, dass die Erfinder Elemente des lateinischen oder griechischen Alphabets verwendeten, die sie den phonologischen Merkmalen ihrer Sprache anpassten. Ganz genau kann dies aber nicht mehr geklärt werden.

Die Erfinder der Ogham-Schrift sind unbekannt, aber die irische Sagenwelt schreibt sie dem Fürsten Túatha Dé Danann zu. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht doch eher unwahrscheinlich. Der Name der Schrift könnte eine Ableitung des Götternamens Ogmios sein, also des irischen Gottes der Redekunst.

Die Schrift bestand ursprünglich aus zwanzig Buchstaben, den feda. Später kamen Zusatzzeichen hin, die forfeda (die Buchstabenreihe rechts im Bild). Die Zusatzzeichen sind lautliche Ergänzungen, da sich die irische Sprache in der Zeit der Verwendung veränderte und die Schrift angepasst werden musste. Ein großer Vorteil dieser Ergänzungszeichen ist, dass Linguist*innen daran Lautwandelprozesse verfolgen und zeitlich klassifizieren können. Das ist bei den wenigsten Schriften der Fall.

Die Buchstaben werden in Fünfergruppen eingeteilt und tragen Namen, wie man es häufig z.B. im hebräischen Alphabet findet. Alle Buchstaben sortieren sich an einer Linie entlang und werden von unten nach oben geschrieben und auch gelesen. Die Ähnlichkeit der Zeichen lässt jedoch die Wahrscheinlichkeit für Fehler in der Schreibung erahnen, vor allem weil es keine Worttrennung gibt.

Anders als die Römer oder Griechen schrieb bzw. meißelte man die Ogham-Schrift meist in Steine, ähnlich wie die Runen. Die meisten Steininschriften waren dem Wetter ausgesetzt, daher fehlen häufig an den Rändern der Steine einzelne Buchstaben, was das Verständnis und die Entschlüsselung stark erschwert. Es wird vermutet, dass die Menschen die Schrift auch in Holz ritzten, doch es sind keine Funde dokumentiert, da Holz nicht so beständig wie Stein ist. Auch kleine Funde z.B. auf Glas gibt es, sie sind aber Raritäten.

Die ‚Texte‘ auf den Steinen bilden verschiedene Themen ab. Es können magische Sprüche oder Flüche o.ä. sein, aber auch weltliche Dinge wie Kaufverträge, Besitzurkunden oder Grabsteine. Die irische Mythologie ist reich an Heldensagen und Geschichten von übernatürlichen Wesen, von denen oft die Namen der Wesen oder Personen verschriftlicht wurden.

Klassischerweise war die Sprache der Ogham-Schrift eine Sprachstufe vor dem Altirische, dass etwa ab 600 n. Chr. gesprochen wurde. In den Gebieten, wo durch die Römer auch die lateinische Schrift verwendet wurde, findet man häufig zweisprachige Inschriften, meist in einer jüngeren Sprachstufe des Irischen. Diese Funde erleichterten das Entschlüsseln der Schrift ungemein.

Gelegentlich wurde auf den Steinen die Ogham-Schrift mit Runen kombiniert. Das kann ein Hinweis für das Aufeinandertreffen von Nordeuropäern und Bewohnern der britischen Inseln. Auch christliche Kreuze finden sich mancherorts, was auf die Anwesenheit von Missionaren oder schon christlichen Bewohnern hinweisen kann. In späteren Jahrhunderten entstanden auch Manuskripte, die in Oghma-Schrift geschrieben wurden. Sie sind gute Quellen für längere Texte zur Analyse von Syntax und Morphologie des Altirischen, denn es fanden zahlreiche Veränderungen statt z.B. in der Silbenstruktur.

Heute nutzen viele Fans alter irischer Mythen und Geschichten die Schrift wieder u.a. für Segenssprüche oder in Logos für Alltagsdinge wie Bekleidung oder Tassen. Die Begeisterung für die heidnischen Kulturen in Irland und Europa nimmt immer mehr zu und damit auch das Wissen um die Ogham-Schrift.

Quellen

Haarmann, Harald. Geschichte der Schrift. C.H.Beck, München 2002

Ziegler, Sabine. Die Sprache der altirischen Ogam-Inschriften (= Historische Sprachforschung. Ergänzungsheft. 36). Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1994

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Kujawien

Die polnische Region Kujawien (poln. Kujawy) liegt im Herzen Polens, im Osten von der Wisła (dt. Weichsel) und westlich durch die Noteć (dt. Netze) begrenzt. Das nördliche Zentrum ist die Stadt Bydgoszcz (dt. Bromberg), der südlich-östliche Fixpunkt die Stadt Włocławek (dt. Leslau). Die Grenzen der historischen Region unterscheiden sich leicht von der heutigen Woiwodschaft Kujawien-Pommern. Der Name Kujawy leitet sich (wahrscheinlich) von dem Begriff ‚kuiati‘ – ‚Wind‘ ab und beschreibt die Wetterverhältnisse vor Ort. Erwähnt wurde die Region erstmals im Jahr 1136 in einer päpstlichen Bulle.

Die bekanntesten Städte in der Region sind Toruń, Włocławek und Bydgoszcz, die sich unter preußischer Herrschaft als Wirtschaftszentren etablierten. Heute sind beide sowohl als Wirtschafts- als auch Kulturstandorte des Landes. Die wechselhafte Geschichte der Region spiegelt sich überall in der Architektur wider.

Das Gebiet Kujawiens wurde schon früh von den Goplanen, einem masowischen Slawenstamm besiedelt, denn der Boden ist fruchtbar und das Klima mild. Die ehemals großen Waldbestände wurden von den Siedlern durch Abholzung mancherorts stark dezimiert. Heute gibt es in der Region zahlreiche Naturschutzgebiete z.B. Różanna Dęby. Die größeren Siedlungen entstanden an den vielen Seen und Flussläufen der Region. Die Flüsse waren wichtige Handelsrouten, an denen zahlreiche Siedlungen entstanden z.B. die von Deutschen Orden gegründete Stadt Toruń (dt. Thorn). Bis in die Moderne waren diese Handelsrouten u.a. für Getreide ein wichtiger Wirtschaftszweig.

Im Mittelalter entstand in der Region das Herzogtum Kujawien (polnisch Księstwo Kujawskie), das vorher zu verschiedenen Herrschaftsgebieten gehörte und 1233 unabhängig wurde. Im Jahr 1306 vereinigte Władysław I. mehrere Herzogtümer wieder zu einem großen polnischen Königreich. Die vielen Kämpfe um polnische Gebiete endeten 1332 damit, dass der Deutsche Orden die Region in Besitz nahm. Doch schon kurz danach im Jahr 1343 verlor er das Gebiet bzw. musste es aufgrund des Friedensvertrages von Kalisz an den polnischen König zurückgeben.

Die Zugehörigkeit zur polnischen Krone bestand bis zur ersten polnischen Teilung 1772, bei der der nördliche Teil Kujawiens einschließlich Bydgoszcz von Preußen annektiert wurde, eingegliedert in die Provinz Westpreußen. Nach der zweiten polnischen Teilung 1793 fiel auch der südliche Teil an Preußen, eingegliedert in die Provinz Südpreußen. Das Königreich Preußen etabliert nach jeder Teilung rasch einen Verwaltungsapparat mit preußischer Rechtsprechung, Maßeinheiten, Schulwesen usw. in den neuen Gebieten. Die unterschiedlichen historischen Zugehörigkeiten des kujawischen Gebietes schufen unter den Menschen Fragen nach ethnischer und dialektaler Zusammengehörigkeit.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gewann Polen seine Unabhängigkeit nach 123 Jahren Teilung wieder und bekam durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags u.a. auch Kujawien zurück.

In der Region wird der Kujawer Dialekt gesprochen, der der großpolnischen Dialekt-Gruppe zugeordnet wird. Durch Einwanderung von Sprechern germanischer Sprachen u.a. zahlreiche Niederländern, die sich dort im 17. Jahrhundert als Siedler niederließen, trifft man viele für das Polnische ungewöhnliche Wörter.

Einige bekannte Personen aus der Region Kujawien sind der Schriftsteller Stanisław Przybyszewski, die Schauspielerin Pola Negri und Mathematiker und Kryptologe Marian Rejewski.

Das Wappen Kujawiens zeigt einen roten halben Adler und einen halben schwarzen Greif unter einer goldenen Krone.

Quellen

Alexander, Manfred. Kleine Geschichte Polens. Reclam, Stuttgart 2008

Heyde, Jürgen. Geschichte Polens. 3. Auflage. Beck, München 2011

Monzer & Dydytch. Reiseführer Rund um Posen, Thorn und Bromberg. Trescher Verlag GmbH 2017

Mehrsprachigkeit in der Schule

Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen. Seit meiner Schulzeit umgeben mich viele Sprachen, neben meiner Muttersprache Deutsch. Ich bin kurz nach der Wende eingeschult worden, in einem Bezirk im ehemaligen Ostteil Berlins. In meiner Grundschule war das Thema Mehrsprachigkeit oder sprachliche Verschiedenheit nicht präsent, zumindest kann ich mich nicht erinnern. In der fünften Klasse bekamen wir einen neuen Mitschüler aus der Türkei. Er wirkte auf uns sehr exotisch, sein Deutsch war gebrochen und wir mieden ihn. Er hatte es wirklich schwer bei uns.

Auch nach dem Wechsel auf die Oberschule rückten Sprachen und Mehrsprachigkeit vermehrt in meinen Fokus. Ich lernte zwar weiterhin nur Englisch, aber in meiner Klasse traf ich auf neue Mitschüler*innen u.a. mit vietnamesischen und kurdischen Wurzeln. Vielleicht lag es daran, dass die Bezirke meiner Grundschule und meiner Oberschule sehr unterschieden. Und auch die Zeiten ändern sich. Je älter ich wurde, desto spannender erschienen mir Sprachen. Und das Thema Sprachen nimmt mittlerweile einen Großteil meines Lebens ein.

Vor kurzem war ich für ein Workshop-Projekt in einer Neuköllner Grundschule in Berlin. Die Schule veranstaltete gerade eine Schulprojektwoche zum Thema ‚Weltreise‘. Jede Klasse wählte ein Land und beschäftigte sich die ganze Woche mit landestypischer Kultur, Geografie, Sprache usw. Unser Workshop beschäftigte sich mit Polen. Die Kinder lernten etwas über das Land, Sehenswürdigkeiten und natürlich ein wenig Polnisch. Dabei kam das Gespräch auch auf die Sprachen der Kinder bzw. der Klasse. Wir fragten welche Sprachen die Kinder sprechen und die Antworten der Kinder spiegelten eine typisch Berliner Schule wider: Arabisch, Englisch, Rumänisch, Türkisch, Deutsch, Iranisch (ich denke, es war Farsi gemeint) und Italienisch. Unsere kleinen Spiele zum Polnischen haben alle Kinder begeistert aufgenommen, sie gingen ganz unbefangen und neugierig an die Sache heran. Ich war begeistert!

Nach dem Workshop habe ich viel über dieses mehrsprachige Klassenzimmer nachgedacht. Unter Sprachwissenschaftler*innen ist es allgemein bekannt, dass Mehrsprachigkeit von Schülern weltweit die Norm ist, auch bei den Schüler*innen der Neuköllner Grundschule.

Doch warum wird Mehrsprachigkeit in der Schule von vielen Menschen als Lernhindernis gesehen? Warum hört man in den Medien immer wieder von einer ‚Deutschpflicht‘ auf dem Schulhof?

Eins vorweg: Mehrsprachigkeit ist NICHT schuld an Lernrückständen oder fehlender Integration!

In Europa sind historisch gesehen viele monolinguale Staaten entstanden, zumindest auf dem Papier. Je nach politischem System werden den anderen Sprachen mehr oder weniger Freiraum eingeräumt und Minderheitensprachen geschützt. Die letzten Jahrzehnte im Zuge der EU-Erweiterung wurden auf höchster politischer Ebene viele Sprachen als Amtssprachen der EU hinzugewonnen. Doch trotzdem sind viele Sprachen, unabhängig ob sie Amtssprachen der EU sind, in den Augen vieler Menschen nicht gleich viel wert.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind alle Sprachen gleichwertig, aber die Gesellschaft schafft andere Tatsachen. Die altbekannte Aussage ‚In Deutschland wird Deutsch gesprochen!‘ ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, denn sie suggeriert ein unrealistisches Bild unserer Gesellschaft. Logischerweise braucht man in Deutschland Deutschkenntnisse, um sich barrierearm verständigen zu können. Auch in der Schule sind Deutschkenntnisse wichtig, um dem Unterricht folgen. Das deutsche Schulsystem ist leider nicht auf die Mehrsprachigkeit der Schüler*innen eingerichtet. Dazu fehlen, wie so oft, Personal und andere Ressourcen.

Schon früh werden die Kinder in der Grundschule mit Fremdsprachen vertraut gemacht. Die Politik hat längst erkannt, dass Sprachen ein Schlüssel zur wirtschaftlichen Stärkung des Landes sind. Doch welche Sprachen sollten, neben Deutsch als allgemeine Unterrichtssprache, angeboten werden? Meistens ist Englisch die erste Wahl. Als erste (Schul-)Fremdsprache der Mehrheit und als die Verkehrssprache der Welt, liegt dies sehr nahe. Die anderen modernen Fremdsprachen wie Spanisch oder Französisch usw. kommen meist erst später. Der Großteil der Familiensprachen von Schüler*innen in Deutschland werden wenig bis gar nicht beachtet. Je nach Schulprofil finden sich AGs oder Projekte, die sich mit Sprachen wie Türkisch, Paschtu oder Arabisch beschäftigen, doch sie sind rar gesät.

Erstsprachen, egal welche, prägen einen Menschen, schaffen Identität und geben Halt. Wie sollen sich Menschen, v.a. Kinder, entwickeln, wenn ihre Sprachen nicht präsent sind? Gehen wir nochmal zu dem Punkt der ‚Deutschpflicht‘ auf dem Schulhof zurück…Was ist der Grund für solche Maßnahmen? Offiziell soll es den Kindern helfen schneller Deutsch zu lernen, doch welches Kind unterhält sich z.B. mit einem Freund oder einer Freundin gebrochen auf Deutsch, wenn sie beide eine andere Erstsprache wie Albanisch haben? Der Zwang Deutsch zu sprechen, wird die Kommunikation eher bremsen und das Gefühl vermitteln, dass die Erstsprache es nicht wert sei in der Schule gesprochen zu werden. Welche Beziehung bauen Kinder dann zur deutschen Sprache auf?

Ich bin mir bewusst, dass es nicht möglich ist jede Sprache in der Schule zu repräsentieren. Das ist auch nicht der Punkt. Aber wir müssen aufhören in Sprachschubladen zu denken. Die Art, wie Kinder mit Sprachen umgehen, ist viel reflektierter als bei uns Erwachsenen. In unserem Workshop waren alle Kinder voll dabei als es um die polnische Sprache ging. Sie haben sich einfach darauf eingelassen, probiert und über ihre ‚Fehler‘ gelacht. Einige haben sogar Parallelen zu ihren Erstsprachen gezogen (Aus meiner Sicht als Sprachwissenschaftlerin ein absolutes Highlight!).

Diese spielerische und entdeckerische Art mit Sprache umzugehen, wünsche ich mir in den Schulen! Denn die Kinder lernen alles, auch Deutsch, wenn man ihnen Raum lässt und ihre Neugier unterstützt. Ich bin mir bewusst, dass diese Art des Unterrichtens schwer überall in der Praxis umzusetzen ist, aber ich bleibe in der Hinsicht Optimistin!

Serbski Kral – der Wendenkönig

Die Lausitz war schon früh, etwa ab dem 6. Jahrhundert, von westslawischen Stämmen besiedelt. Ihre Namen u.a. Milzener oder Lusitzi, kennt man nur aus Chroniken anderer Völker wie den Franken, weil die Slawen noch nicht über eine eigenen Schrift verfügten. Diese Stämme bildeten keine Einheit im Sinne eines Herrschaftsgebietes. Ein Fakt jedoch einte sie: der Kampf gegen die Missionierung ab dem 7. Jahrhundert. Doch im 9. Jahrhundert drang das Christentum in weite Teile des slawischen Siedlungsgebietes, auch in die Lausitz.

Die Menschen in der Lausitz erzählen sich bis heute die Geschichten vom Serbski Kral – dem Wendenkönig, der angeblich im Hochmittelalter lebte und sein Land gegen deutschstämmige Heere verteidigen musste. Laut der Überlieferung aus der Chronik des Fredegars im 7. Jahrhunderts war der Wendenkönig ein fränkischer Kaufmann namens Samo, der von den Wenden im 7. Jahrhundert zum König bestimmt wurde. Andere Sagen berichten von den Königen Miliduch und Přibislaw. Nach den Kämpfen um die Gebiete der Lausitz, gelangte der Titel ‚König der Wenden‘ in den Besitz der Dänen, die ihn aber im 20. Jahrhundert ablegten. Er war ein rein historischer Titel ohne Besitz o.ä.

Doch warum lebt die Legende des Wendenkönigs so intensiv in der Sagenwelt der Sorben weiter?

Der Wendenkönig wird verschieden dargestellt. In den meisten Erzählungen ist der Wendekönig ein älterer Mann, gut gekleidet und oftmals zu Pferd. Er besaß ein Schloss in der Nähe der Stadt Burg in der Lausitz. Der Wendenkönig kämpfte mit seinen Gefolgsleuten ständig gegen fremde Heere, die sich seines Gebietes bemächtigen wollten, vor allem gegen Deutsche.  Die Übermacht der Feinde hätte ihn eigentlich besiegen müssen, doch er konnte sich immer wieder gut verteidigen, wobei ihm dabei angeblich magische Fähigkeiten halfen.

Der Wendenkönig war unverwundbar und konnte sich seine Krieger aus Hafer und gehäckseltem Stroh erschaffen, die wie er unverwundbar waren. Durch diese Fähigkeiten verteidigte er mit seinem Heer sein Reich. Die Tatsache, dass der Serbski Kral unverwundbar war, legt nahe, dass er auch unsterblich sein könnte. Einer Geschichte nach vergrub er nach einer langen Regierungszeit seinen Schatz und verschwand einfach im Nichts. Auch sein Schloss verschwand im Morast des Spreewaldes und niemand hat es je wieder gesehen.

Damit könnte die Geschichte schon zu Ende sein. Die Lausitz gehört schon seit Jahrhunderten zu verschiedenen Reichen wie Sachsen, Preußen oder heute zu Deutschland. Es gibt also kein Reich eines sorbischen oder wendischen Herrschers mehr. Aber Legenden leben bekanntermaßen vom Erzählen der Geschichten. Noch heute erzählen die Leute in der Niederlausitz, dass es einen geheimen König unter den Bewohnern gibt. Er wird von ihnen immer wieder von Neuem aus der Gemeinschaft ausgewählt und alle müssen sich ihm unterordnen. Auch in der Oberlausitz soll es Familien geben, die in der Vergangenheit einen König stellen.

In vielen Erzählungen kommt der Wendenkönig als unchristlicher Herrscher vor: Er soll, um seine Herrschaft zu behalten, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein. Da ihm der christliche Glaube von den Deutschen aufgezwungen war, er aber immer an seinem alten Glauben festhielt, musste er im Verborgenen leben. Er stahl Kinder von den Deutschen, um sie umzuerziehen. Inwiefern solche Erzählungen auf wahren Gegebenheiten beruhen, ist nicht festzustellen.

Weder die Figur noch die Herrschaft des echten Wendenkönigs ist historisch belegt, aber es zeigt den Wunsch der Sorben/Wenden nach Eigenständigkeit und Nationalstolz. Vor allem die Kluft zwischen den Deutschen und den Sorben kommt in den Geschichten des Wendenkönigs offen zu Tage. Die Sorben haben immer unter der Vorherrschaft der Deutschen gelebt und ihr König gab ihnen Hoffnung auf ein eigenständiges Land.

Doch mittlerweile gehört der Serbski Kral in den Sagenschatz, genauso wie Wódny muž (Wassermann), Plón (der sorbische Drache), die Lutki und viele andere.

Quellen

Haupt, Karl. Sagenbuch der Lausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 1991

Kunstmann, Heinrich. Dagobert I. und Samo in der Sage. Zeitschrift für Slavische Philologie, Nr. 2 (1975)

Schneider, Erich (Hrsg.). Sagen der Lausitz. Domowina-Verlag, Bautzen 1982

Belarusisch

Jede Sprache ist politisch, denn sie prägt die Gesellschaft und unser Denken. Besonders stark politisiert eine Sprache in einem Land, in dem Unruhen und politische Missstände herrschen. Eins der aktuellsten Beispiele in Europa ist Belarusisch.

Belarusisch (беларуская мова), früher auch Weißrussisch genannt, ist die Erstsprache von ca. acht Millionen Menschen. Die meisten Erstsprecher*innen leben in Belarus, doch auch in anderen Staaten wie Lettland, Deutschland oder den USA finden sich größere Sprecher*innengruppen. Die im Ausland lebenden Belarusischsprecher*innen werden mit unter auf drei Millionen geschätzt.

Belarusisch ist die Amtssprache in Belarus, neben Russisch, und eine anerkannte Minderheiten- bzw. Regionalsprache in Polen, Russland, Litauen und der Ukraine. Die Sprache gehört zur ostslawischen Sprachfamilie, ist also u.a. eng mit Ukrainisch verwandt, und ging aus dem Rusinischen hervor.

Die Herausbildung des Belarusischen hängt eng mit historischen Ereignissen zusammen, denn die Machtverhältnisse änderten sich ständig. Während im späten Mittelalter das Großfürstentum Litauen zahlreiche Kanzleisprachen wie Rusinisch (oft wird der Begriff Ruthenisch verwendet), Polnisch oder Latein verwendete, dominierte nach der Personalunion mit Polen 1569 das Polnische und verdrängte die anderen v.a. slawischen Sprachen aus dem offiziellen Gebrauch. Es wurde eher zur Sprache des einfachen Volkes, was seinem Ansehen leider ziemlich schadete.

Die Sprachsituation heutzutage ist durch den starken Einfluss des Russischen, wie in vielen ehemaligen Sowjetstaaten, zweigeteilt. Die Jahrzehnte mit russischsprachiger Monopolstellung und die historische Abwertung des Belarusischen als ‚einfache‘ Sprache werden erst nach und nach aufgearbeitet.

Belarusisch besitzt 6 Vokale und 39 Konsonanten. Da die meisten Konsonanten paarig (d.h. im Kontrast stimmhaft- stimmlos und hart-weich) vorkommen, wäre eine Zählung von 48 Konsonanten auch möglich. Die Vokale werden in ihrer Betonung je nach Vorkommen im Wort unterschieden.

Wie in den slawischen Sprachen üblich bringt das Belarusische ein reiches Flexionssystem mit: drei Genera, sechs Kasus und zwei Numeri. Das Verb, immer in Aspektpaaren vorkommend, besitzt die gewohnten drei Tempora Präsens, Perfekt und Futur. Allerdings gibt es noch Reste vom Plusquamperfekt, die aber fast nur im Mündlichen zu finden sind.

Trotz der starken Beeinflussung anderer slawischer Sprachen zeigt sich im Belarusischen eine Neigung untypischer syntaktischer Konstruktionen, deren Herkunft oft in volkstümlichen Sprachvarianten gesucht wird.

Wie alle slawischen Sprachen stammt der Großteil des Wortschatzes aus dem slawischen Erbwortschatz, jedoch sind über die Jahrhunderte viele Entlehnungen über das Polnische und vor allem Russische eingewandert. Die Differenzierung, was ist urslawisch, was aus anderen Slawinen stammt, ist mühsam. Neueres Vokabular z.B. aus der Technik, sind aber gut nachvollziehbar, meist aus dem Russischen stammend. Der Anteil nichtslawischer Wörter stammt v.a. aus dem Baltischen, Deutschen und Englischen.

Interessanterweise gibt es für das Belarusische zwei kodifizierte Schriften, die kyrillische und die lateinische Łacinka. Die Łacinka stammt aus dem 17. Jahrhundert und war sogar als offizielle Schrift in Gebrauch. In der ersten Zeit des Belarusischen gab es auch Varianten in arabischer und hebräischer Schrift, die von Tataren oder Juden verwendet wurden.

Das heutige kyrillische Alphabet umfasst 32 Buchstaben. Die Schreibung erfolgt meist phonetisch, das zeigt sich im Kontrast zum Russischen vor allem in der Schreibung der unbetonten Vokale. Jedoch werden nicht alle Lautveränderungen z.B. bei Stammalternationen zu 100% verschriftlicht. Die Kodifizierung der jetzt gültigen Rechtschreibung fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt, mehrere Reformen spaltete die Schreibung in eher russisch orientiert und konsequent belarusisch; bis heute.

Neben dem standardisierten Belarusisch teilt sich das Sprachgebiet in ein von Nordosten nach Südwesten verlaufendes Dialektkontinuum, die sich v.a. in phonologischen Aspekten unterscheiden z.B. die Aussprache des ‚weichen R‘.

Die Nähe zum Polnischen, Ukrainischen und Russischen ermöglicht zwischen den Sprecher*innen eine gute Verständigung untereinander. Die politische Situation in Belarus führt in den letzten Jahren zu einem Prestigegewinn des Belarusischen in der Bevölkerung. Die Machthaber in Belarus kümmern sich jedoch kaum um Möglichkeiten das Belarusische zu fördern, weder in den Medien noch in der Bildungspolitik. Das Interesse der Menschen für die belarusische Sprache ist zu einer Frage nach Freiheit und eigener Identität geworden.

Quellen

Bieder, Hermann. Das Weißrussische. In: P. Rehder (Hrsg.): Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt 1998

Cychun, Hienadź. Weißrussisch. In: Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002

Marchant, Chris. Fundamentals of Modern Belarusian, http://www.vitba.org/fofmb/fofmb.pdf

Jan Arnošt Smoler

Das 19. Jahrhundert war in Europa eine Zeit des Nationalen Erwachens. Die vorangegangenen Kriege, der Wiener Kongress und die Herausbildung des Bürgertums schafften die Voraussetzungen für die Belebung des Nationalbewusstseins, vor allem in Mitteleuropa. Auch im sorbischen Gebiet etablierten sich die Forderungen nach mehr Rechten und der freien Auslebung der sorbischen Kultur, die durch viele Sorben aktiv gefordert und gelebt wurde. Einer der bekanntesten ‚Väter‘ der sorbischen Wiedergeburt war der Philologe und Schriftsteller Jan Arnošt Smoler.

Geboren am 03.März 1816 in Merzdorf (obersorbisch Łućo), einem Ort in der Oberlausitz, war Jan Arnošt Smoler, sein deutscher Name ist Johann Ernst Schmaler, das älteste von fünf Kindern. Sein Vater Johann arbeitete als Lehrer und Kantor und brachte den Kindern die sorbische Kultur näher. Seine Schulzeit am Bautzener Gymnasium war vor allem deutschsprachig geprägt, jedoch setzte er sich schon in Bautzen für den Sorbischunterricht ein. Auch in Breslau, wo er ab 1836 Theologie und ab 1841 slawische Philologie studierte, konnte Smoler seine Mitmenschen für sorbische Themen gewinnen und gründete den Akademischen Verein für lausitzische Geschichte und Sprache.

Zwischen den beiden Studienaufenthalten lebte er wieder in der Lausitz und engagierte sich im Sorbentum, sammelte Lieder und Geschichten, die er mit anderen Mitstreitern in einem Band herausgab. Smoler korrespondierte intensiv mit bedeutenden Vertretern der slawischen Welt, u.a. Ján Kollár und Václav Hanka. 1847 gründete er mit anderen den Verein Maćica Serbska, einer wissenschaftlichen Gesellschaft, die sich bis heute mit der Pflege der sorbischen Kultur beschäftigt.

Die politischen Ereignisse 1815 und 1848 betrafen auch die sorbischen Gebiete. Die Teilung der Lausitz in zwei Staaten, Sachsen und Preußen, litten die Sorben unter starkem politischem Druck sich zu assimilieren. Das Revolutionsjahr 1848 verschärfte die Repressalien gegen alle Minderheiten in Preußen. In dieser Zeit erhöhte sich die Anzahl der sorbischen Auswanderungen nach Amerika und Australien. Jan Arnošt Smoler setzte sich für die Rechte der Sorben ein. Die sächsische Regierung behandelte die sorbische Minderheit weniger restriktiv als die preußische. Ab 1850 wurde in Sachsen der Schulunterricht in sorbischer Sprache eingeführt, Smoler war als einer der ersten Lehrer in Bautzen tätig. Zusätzlich zu seiner Lehrtätigkeit verfasste er Sorbisch-Lehrbücher, denn durch die Einschränkungen standen keine geeignete zur Verfügung.

Die Lehr- und Schriftstellertätigkeiten führten Smoler 1852 zur Gründung einer Buchhandlung in Bautzen. Außerdem verlegte er ab 1854 eine sorbische Zeitung und brachte im Laufe der Zeit viele Schriften zu sorbischen Themen heraus. Smoler reiste viel in den Ländern Osteuropas, knüpfte Kontakte und versuchte für die Sorben Fürsprecher bei anderen Staaten zu gewinnen. Für ihn war die Verbindung der slawischen Sprachen der Schlüssel für die Verständigung zwischen der Völker.

Seine Publikationen sind zahlreich und themenübergreifend. Von Lehrbüchern, über Grammatiken und Geschichtensammlungen bis hin zu Folkloresammlungen war alles dabei. Seine verlegten Werke umfassten ebenfalls die ganze Bandbreite der slawistischen Themen.

Smoler war nicht nur im Beruf sehr aktiv. Mit seiner ersten Frau Amalia Christa hatte er sieben Kinder, jedoch starb seine Frau schon 1868. Seine zweite Frau war Ernestine, geb. Heinzelmann, die Ehe blieb kinderlos. Jan Arnošt Smoler starb am 13. Juni 1884 in Bautzen.

Sein Wirken ist bis heute überall in der Lausitz sichtbar. Die Buchhandlung in Bautzen und eine Begegnungsstätte in Lohsa tragen seinen Namen. Die von ihm geschaffene Werke sind Zeugnisse der tiefen Verbundenheit zu einem Volk, das in der Vergangenheit und auch in der Zukunft um seine Rechte und Anerkennung kämpfen muss.

Quellen

Kunze, Peter Kunze. Johann Ernst Schmaler. In: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (Hrsg.): Sächsische Biografie.

Schön, Franz & Scholze, Dietrich (Hrsg.). Sorbisches Kulturlexikon. Domowina-Verlag, Bautzen 2014

Lesen als kultureller Teil des Menschen

Lesen ist uns Menschen nicht angeboren, es ist eine Kulturtechnik.  Sie geht einher mit der Technik des Schreibens, denn Lesen ist das Umformen von Schrift in Sprache. Die Frage nach dem ‚Was war zuerst?‘ Ist dennoch nicht pauschal zu beantworten, denn auch Zeichnungen oder Bilder etc. können eine Art des Lesens erfordern. Doch für die meisten Menschen denken beim Begriff ‚Lesen‘ an Schrift und geschriebene Texte.

Die Fähigkeit zu lesen ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Neben Büchern und Zeitschriften begegnet uns überall Text, auf Straßenschildern, Verpackungen, Busanzeigen uvm. Ohne die Fähigkeit zu lesen, würde man sich bei uns kaum zurechtfinden. Können wir uns ein Leben ohne Lesen vorstellen? Und damit meine ich jetzt nicht die vielen Menschen, die sich am liebsten mit einem Buch ins Bett oder auf die Couch verkrümeln, sondern unser Alltagsleben.

Seit wann liest der Mensch? Einfachste Antwort: seit es Schrift gibt. Doch so einfach ist es auch wieder nicht. Schreiben und Lesen bedingen sich zwar, aber sind zwei getrennte Techniken. Ein Mensch kann lesen, ohne zu schreiben und umgekehrt. Und bis in die Neuzeit war es eher die Ausnahme, dass Menschen lesen und schreiben konnten.

Lesen erfordert ein hohes Maß an Abstraktionsvermögen. Schriften bilden Sprache auf eine abstrakte Art und Weise ab, deren ‚Entschlüsselung‘ nicht minder komplex ist. Einem Kind erscheinen Buchstaben oder Schriftzeichen wie Magie, nicht anders ist die Faszination kleiner Kinder am Lesen lernen zu erklären. Die Erwachsenen lesen ihnen vor, die komischen Zeichen scheinen Sprache zu sein, das wollen sie erforschen. Viele Kinder schaffen es sich selbst lesen beizubringen, ihre Neugier, ihr Gedächtnis und ein gutes Abstraktionsvermögen helfen ihnen dabei.

Lesen lernen ist eine der ersten Fähigkeiten der elementaren Schulbildung, die Methoden unterscheiden sich jedoch. Es geht nicht nur darum einzelne Buchstaben zu identifizieren und aus ihnen Wörter zu bilden, sondern auch Phrasen und Sätze zu verstehen. Dabei erkennen wir Wörter im Allgemeinen als Ganzes. Doch diese Fähigkeit entwickelt sich erst nach und nach. Zu Beginn lernen Kinder die gelernten Buchstaben lautlich aneinanderzureihen und zu verbinden.  Häufige Wörter wie ‚ist‘, ‚und‘ oder ‚das‘ werden mit einiger Übung kaum noch als einzelne Buchstaben wahrgenommen. Die Lesegeschwindigkeit nimmt durch Üben und der richtigen Technik rasch zu, so dass Kinder nach einiger Zeit ganze Texte lesen und verstehen können. Tritt ein unbekanntes oder seltenes Wort im Text auf, greifen fast alle Leser*innen auf das Buchstabieren zurück, um sich den Sinn des Wortes zu erschließen. Je vertrauter man mit dem Thema des Textes ist, desto schneller liest man.

Es stellt sich noch die Frage nach der Motivation des Lesens. Die Menschen lesen aus unterschiedlichsten Gründen, meist aus Freude und Wissensdurst. Für die Kinder und Erwachsenen, die gerade lesen lernen, ist Lesen eine enorme Anstrengung. Sie müssen die Buchstaben in Wörter und Sätze fassen und gleichzeitig ihren Sinn begreifen.

Ich erinnere mich gut daran, dass ich mich als Kind schwer getan habe zu lesen. Meine Mutter hat viel mit mir üben müssen, aber irgendwann hat es Klick gemacht. Die Nachmittage meiner Grundschulzeit habe ich häufig in der Bibliothek verbracht. Noch heute streife ich am liebsten durch Bibliotheken und Antiquariate oder über Flohmärkte, um ein paar Schätzchen zu finden. Fremde Schriften, die ich nicht verstehe, wecken in mir den Wunsch sie lesen zu lernen, obwohl das natürlich eher Wunschdenken als Realität ist.

Ich versuche mir auch oft vorzustellen, wie es wäre in einer Kultur ohne Schrift zu leben. Aus heutiger Sicht für mich undenkbar, denn sobald man sein Lesen automatisiert hat, kann man es nicht mehr verlernen. Aber Kulturen ohne Schrift sind deshalb nicht weniger kultiviert, nur auf eine andere Art, sie sind über Mündlichkeit geprägt. Geschichten, Legenden oder medizinisches Wissen werden von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Das erfordert viel Gedächtniskapazität, die wir durch unsere Möglichkeit Wissen zu konservieren nicht mehr nutzen.

Die Speicherung von Wissen ist durch die Verschriftlichung gesichert, wir sind es gewohnt schnell alles nachlesen zu können, in Büchern, im Internet usw. Doch das Beste ist das Lesen aus purer Freude, ohne Recherche im Hinterkopf. Einfach das Lieblingsbuch an der Lieblingsstelle aufschlagen und eintauchen in eine andere Wirklichkeit.

Quellen

Birkenbach, Matthias. Von den Möglichkeiten einer ›inneren‹ Geschichte des Lesens. Max Niemeyer Verlag. Tübingen 2017

Rühr, Sandra. Sinn und Unsinn des Lesens: Gegenstände, Darstellungen und Argumente aus Geschichte und Gegenwart. V&R Unipress. Göttingen 2013

Wolf, Maryanne. Das lesende Gehirn – Wie der Mensch zum Lesen kam – und was es in unseren Köpfen bewirkt. Spektrum. Heidelberg 2009

Berlin – eine Stadt mit Ecken und Kanten

Die Hauptstadt Deutschlands mit bald vier Millionen Einwohner*innen aus aller Herren Ländern ist nicht nur eine coole Socke, sondern auch meine Heimatstadt! Das allein ist schon ein Pluspunkt für einen Artikel für eine Region, die mit Geschichte und Vielfalt glänzen kann.

Berlin liegt im Nordosten Deutschlands an der Spree und wird von dem Bundesland Brandenburg völlig umschlossen. Neben der Spree hat Berlin noch zahlreiche andere Gewässer u.a. die Havel, die Wuhle, den Großen Wannsee und den Großen Müggelsee. Auch die Waldgebiete und großen Parks machen Berlin grüner als viele andere deutsche Städte.

Der Name Berlins geht auf slawische Ursprünge zurück. Polabische Stämme siedelten etwa seit dem siebten Jahrhundert auf dem Gebiet. Der Name Wort ‚Birlin‘ stammt vom polabischen ‚birl‘ oder ‚berl‘ und bedeutet ‚Sumpf‘, versehen mit der Endung ‚-in‘ für eine Ortsbezeichnung.

Das Wappen, der berühmte Bär, ist entgegen vielen Behauptungen nicht der Namensgeber, denn er erscheint erst nach der urkundlichen Erwähnung Berlin aus dem Stadtsiegel, und verdrängt später den Adler als Wappentier der Stadt.

Archäologische Funde im ganzen Stadtgebiet weisen darauf hin, dass erste Siedlungen schon in der Jungsteinzeit errichtet wurden, aber weit verstreut und noch nicht in der Größe wie im Mittelalter. Die Besiedlung lässt sich wahrscheinlich germanischen Stämmen zuordnen bis ab dem 6. Jahrhundert slawische Stämme im Berliner Gebiet niederließen. Die Besiedlung des historischen Berliner Kerns datieren Forscher auf das 12. Jahrhundert.

Erstmalig erwähnt wurde die Stadt im Mittelalter in einer Urkunde aus dem Jahr 1244. Die Siedlung bestand aber mit Sicherheit schon etliche Jahre früher. Ihre günstige Lage an der Spree macht sie zu einem idealen Handelspunkt. Zusammen mit Kölln (man findet auch die Schreibweise Cölln) bildetet es einen Art Doppelstadt, beide wurden aber eigenständig verwaltet.

Im Spätmittelalter nutzten die Hohenzollern Berlin als Residenz, was der Wirtschaft und Kultur großen Aufschwung verlieh. Diese Blütezeit endete mit dem Dreißigjährigen Krieg, der die Bevölkerung Berlins erheblich dezimierte. Die liberale Religionspolitik ließ Raum für Glaubensflüchtlinge z.B. den Hugenotten, deren Wirken noch heute zu sehen ist. Berlin wuchs unter der Regierung der Hohenzollern immer weiter, die Stadt Kölln wurde 1710 zu einem Teil Berlins, die Bevölkerungszahl stieg stetig an. 1877 lebten eine Million Menschen in Berlin.

Als Hauptstadt Preußens zog Berlin immer mehr Menschen an, Fabriken und Handelszentren entstanden, weitere Gemeinden wurden der Stadt einverleibt z.B. 1861 Moabit und Wedding, sodass nicht nur die Zahl der Einwohner zunahm, sondern auch die Armut, besonders der Arbeiter. Die Kluft zwischen Arm und Reich lässt sich noch heute in den Bezirken sehen.

Im 20. Jahrhundert war Berlin Schauplatz für zahlreiche historische Ereignisse z.B. der Spartakusaufstand 1919, der Reichstagsbrand 1933, die Luftbrücke 1948-1949, den Bau der Berliner Mauer 1961 u.v.m.

Als geteilte Stadt war sie jahrzehntelang ein Symbol für das geteilte Deutschland, für unterschiedliche politischen Systeme und für die Wiedervereinigung Deutschlands.

Heute steht Berlin für Vielfalt und Weltoffenheit, auch wenn sich einige politische Kräfte in der Stadt wieder vermehrt für Nationalismus einsetzen (leider ein gesamtdeutsches Phänomen). Berlin ist ein Schmelztiegel, die vielfältige Kulturlandschaft ermöglicht den Berliner*innen Einblicke in die Welt ohne Berlin verlassen zu müssen. Heute leben Menschen aus fast 200 Ländern in Berlin. Überall hört man verschiedenste Sprachen, kann jede erdenkliche ausländische Küche genießen oder Menschen aus anderen Ländern treffen. Das Angebot ist riesig und wird immer größer.

Die Grenzen zwischen Berlin und seinem Nachbarn Brandenburg verschwimmen durch die Bebauung der Außenbezirke und des ‚Speckgürtels‘ immer mehr, viele Berliner*innen wohnen außerhalb der Stadt. Es ist ruhiger und (noch) bezahlbarer als in der Stadt.

Ich liebe diese Stadt mit all ihren Macken! Hier fühle ich mich nicht nur als Deutsche und Berlinerin, sondern auch als Europäerin!

Quellen

Jens Bisky: Berlin. Biographie einer großen Stadt. Rowohlt Berlin, Berlin 2019

Volker Spiess (Hrsg.): Berliner biographisches Lexikon. 2. Auflage. Haude & Spener, Berlin 2003

Sorbische Sprachinseln in Australien

Die großen Auswanderungswellen des 19. Jahrhunderts erfassten große Teile der Bevölkerung des deutschen Kaiserreiches. Finanzielle Nöte, schlechte Ernten, Glaubenskonflikte und viele andere Gründe bewegten die Menschen dazu alles hinter sich zu lassen und in der Ferne ein neues Leben zu beginnen. Die unterschiedlichen Gruppen brachten aus ihrer Heimat nicht nur die Sehnsucht eines besseren Lebens mit, sondern auch ihre Bräuche, Traditionen und Sprachen. Es entstanden in der neuen Heimat kleine Sprachinseln, weit weg vom Kerngebiet der Sprache.

Auch aus dem sorbischen Siedlungsgebiet machten sich mehrere tausend Menschen, genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, auf die Reise ins Ungewisse. Die gesellschaftlichen Strukturen im deutschen Kaiserreich veränderten sich zusehends. Viele Sorben auf dem Land, vor allem in der Niederlausitz, lebten in großer Armut, arbeiteten als Tagelöhner, Knechte oder Mägde, ohne die Chance zu haben gesellschaftlich auszusteigen. Es ist also nicht verwunderlich, dass sie empfänglich waren für Erzählungen von Land und Freiheit. Die Sorben aus der Oberlausitz hatten eher mit Glaubensfragen zu kämpfen, die sie in die Ferne zog. Galten doch die klassischen Auswanderungsländer wie Amerika und Australien als liberal in religiösen Fragen.

Die ersten Auswanderungsgruppen machten sich 1848 auf den Weg nach Australien. Nach monatelanger Vorbereitung (Ausreisepapiere besorgen, evtl. sein Land verkaufen etc.) dauerte die Reise mit dem Schiff nochmal einige Monate und für viele war schon die Fahrt aus der Heimat bis zu den großen deutschen Häfen wie Hamburg die erste Reise ihres Lebens. Auf den Schiffen herrschten Enge, Schmutz und Langeweile. Die Route führte über Rio de Janeiro, zur Aufstockung der Vorräte, nach Melbourne im Bundesstaat Victoria. Von dort aus fuhren die sorbischen Auswanderer ins Landesinnere oder in die benachbarten Bundesstaaten New South Wales oder South Australia. Wer mit Geld aus der Heimat kam, konnte Land erwerben, doch viele Ärmere verdingten sich als Arbeiter auf Farmen oder in Städten wie Adelaide, Portland oder Melbourne. Aufgrund fehlender Englisch-Kenntnisse waren die Menschen oft Opfer von Ausbeutung.  

Die Anfänge für die Landwirte waren schwer, da das Land erst urbar gemacht werden mussten und das Baumaterial für Behausungen knapp war. Der Wassermangel machte den Landwirten die Bewirtschaftung zu einer nie dagewesenen Kraftanstrengung.  Einige wenige schafften es dennoch sich Rinder- oder Schafsherden auszubauen und gelangten zu einem gewissen Wohlstand.

Das größte Problem für die sorbischen Auswanderer war die fehlende geistliche Unterstützung. Den meisten Auswanderungsgruppen fehlte der geistliche Beistand, denn es war schwer einen Geistlichen zu überzeugen mit ihnen zusammen auszuwandern. Und weil viele Sorben unterschiedlichen Glaubensrichtungen z.B. Altlutheraner und reformierten Lutheranern anhingen, schlossen sich die Gemeinden auch nicht zusammen. Daraus resultierten nur kleine Gemeinden, die alleine kaum überlebensfähig waren. Sie schlossen sich im Laufe der Zeit mit deutschen Gemeinden zusammen, die ihnen aber zahlenmäßig weit überlegen waren.

Erste Siedlungen wurden in der Nähe von Penshurst (Siedlung Gnadenthal) und Bethanien (Siedlung Rosenthal) errichtet, weitere kleinere wie Walla Walla in New South Wales folgten, wurden aber oft nach einigen Jahren wieder aufgegeben. Die Lebensbedingungen waren oft einfach zu schlecht, das Land schwer zu bewirtschaften oder es fehlten Arbeitskräfte.

In der neuen Heimat verloren die sorbischen Bräuche und Traditionen schnell an Bedeutung. Die Sorben passten sich schnell die deutschen Siedler an, trugen die sorbischen Trachten selten und feierten ihre Feste auf andere Art. Die Jahreszeiten waren in Australien verkehrt herum, Weihnachten im heißen Sommer zu feiern kam vielen unwirklich vor. Die alten Legenden und Geschichten verloren hier an Bedeutung, es fehlten auch Medien wie Bücher, um dieses Wissen weiterzugeben.

Auch die sorbischen Sprachen (Nieder- und Obersorbisch) hatten einen denkbar ungünstigen Stand. Durch die wenigen Geistlichen, die in Sorbisch predigten, wichen die Auswanderer und ihre Nachkommen auf deutsche Gottesdienste aus. Die Verwaltung Australiens war außerdem englischsprachig. Die Kinder in den sorbischen Gemeinden sprachen meist nur zu Hause Sorbisch, manchmal lernten sie es auch in der Schule lesen und schreiben, aber nach einigen Generationen verlor das Sorbische auch seinen Status als Familiensprache. Im familiären Umfeld war das Deutsche einfach zu dominant. Viele Mischehen zwischen Sorben und Deutschen verstärkten diese Tendenz. Oft konnten Kinder zwar noch sorbische Lieder oder Gebete singen, verstanden aber die Sprache im Alltag nicht und gaben sie schließlich auch nicht an die nächste Generation weiter. Lediglich Briefe an die Verwandten wurden auf Sorbisch geschrieben, bis die Sprecher*innen es schriftlich nicht mehr beherrschten.

Der australische Staat hatte natürlich kein Interesse an der Erhaltung des Sorbischen. Die komplette Verwaltung in den Städten und höhere Bildungseinrichtungen funktionierten nur auf Englisch. Genaue Zahlen der Sorbischsprecher*innen existierten. Die letzten Muttersprachler*innen starben, nach Schätzungen, etwa in den 1930er Jahren. Heute finden sich nur einige Grabsteine mit sorbischen Inschriften, sonstige Zeugnisse sind kaum erhalten.

Quellen

Kunze, Peter. Kurze Geschichte der Sorben. Ein kulturhistorischer Überblick. Domowina Verlag, Bautzen 2017

Malinkowa, Trudla. Ufer der Hoffnung. Sorbische Auswanderer nach Übersee. Domowina-Verlag. Bautzen 1995